Hiobs Klage und Trost

[266] Wer legt den Jammer meiner Tage,

Wer meine Leiden, meine Qual,

Wer leget sie auf eine Wage

Und wiegt die Felsenlast einmal?

Schwer ist sie, wie Gebirge schwer,

Und zahlreich, wie der Sand am Meer.


Wenn Gottes Pfeile in mir stecken,

Und wenn ihr Zürnen aus mir säuft;

Wenn, wie ein Krieger, mir ein Schrecken

Der Allmacht nach der Seele greift:

Dann lieg' ich, unter meiner Noth,

Gekrümmt, und rufe laut dem Tod.


Was bist du Leben auf der Erden?

Ein Streit, ein Leben voll Verdruß,

Wo man den täglichen Beschwerden,

Gleich einem Sklaven, fröhnen muß;

Ein langer Seufzer nach der Ruh',

Nach kühlen Schatten, das bist du!


Viel Nächte hab' ich durchgeweinet,

Und wie auf Dornen zugebracht;

Doch schrei' ich, wenn der Tag erscheinet:

Wann kommt die Nacht, wann kommt die Nacht?

O Finsterniß, wann deckest du

Mich Scheusal vor der Sonne zu?


Wo ist ein Balsam, mich zu heilen?

Wo ist der Arzt, dem es nicht graut?

Mein Körper starrt von Eiterbeulen,

Und Würmer nisten in der Haut.

Gott, was umdämmst du mich so sehr,

Wie einen Walfisch, wie ein Meer?[266]


Komm, Tod, du Ende meiner Qualen,

Du sanfter Schlummer nach der Noth;

Ich seufze schon zu tausendmalen

Nach dir! Wann kommst du doch, o Tod?

Wann kühlest du im stillen Grab

Den heißen Schmerz mit Erde ab?


Doch, welch ein Trost, der, wie die Sonne

Aus Donnerwolken, sich erhebt!

Ich weiß – Gedanke voller Wonne!

Ich weiß, daß mein Erlöser lebt.

Ich weiß – mein starker Glaube spricht:

Er lebt! Er lebt! ich zittre nicht.


Entflieht, der Höll' entflohne Schrecken,

Weil Gottes Trost in mir erwacht;

Er wird mich Armen auferwecken

Aus meines Grabes Mitternacht.

Dann wird kein Eiter, keine Pein

Ein Henker meines Körpers sein.


Ihn soll ich dann auf Seinen Höhen,

Ihn, meinen Retter, meinen Freund,

Mit diesen meinen Augen sehen,

Die hier mein Elend roth geweint.

O welch ein hoher Trost für mich!

Ich soll den Mittler schauen, ich!


Laßt den Gedanken voll Vertrauen,

Die Lindrung in der Todespein,

Laßt ihn in einen Felsen hauen,

Grabt ihn in Erz und Marmor ein,

Den Trost, der meinen Geist erhebt:

Ich weiß, daß mein Erlöser lebt!

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 266-267.
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