Simeon

[268] Kommt heut an eurem Stabe,

Ihr Halbverweste schon,

Und denkt am nahen Grabe

An einen Simeon.[268]


Er betet in dem Tempel

Hinauf zu seinem Gott,

Und wird uns ein Exempel

Von einem schönen Tod.


Still floßen seine Tage,

Still, wie der Balsam fleußt;

Und hell, wie Sommertage,

So helle war sein Geist.


Er soll den Tod nicht sehen,

Der gotterfüllte Mann,

Bis er von jenen Höhen

Den Mittler sehen kann.


Er sieht ihn! mit Entzücken

Drückt er ihn an die Brust;

Herauf von Jesu Blicken

Flimmt ihm des Himmels Lust.


Seht nun den frommen Alten

Mit flammendem Gesicht

Die welken Hände falten,

Und höret, was er spricht:


Mit silbergrauen Haaren

Kann ich im Frieden nun

Zu meinen Vätern fahren,

Um sanft, wie sie, zu ruhn.


Die Fülle meiner Freuden,

Die Hülfe aus den Höhn,

Das Licht der blinden Heiden,

Den Trost hab' ich gesehn.


Nun wird sein Glaube größer

Und sein Entzücken steigt;

Nun drückt er den Erlöser

Fest an sein Herz und schweigt.[269]


Herr, soll ich alt an Jahren,

Gekrümmt von Harm und Noth,

Zu meinen Vätern fahren:

So sterb' ich seinen Tod.


Zwar werd' ich Ihn nicht sehen

Noch hier, wie Simeon;

Doch über jenen Höhen

Erwartet Er mich schon.


Dann tönen meine Lieder:

Heil mir! nun seh' ich Ihn!

Die Himmel hallen wieder!

Heil dir! Nun siehst du Ihn.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 268-270.
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