Serafina's Weihgesang

[425] Herrlich in des Himmels Maienblüthe,

Serafina, kam dein Wiegenfest.

Deines Engels Frühlingswange glühte

Sanft gekühlt vom Paradieseswest.


Sechzehnmal bläht' sich die goldne Traube,

Von der Gluth der Sonne ausgekocht,

Seit der Zeit, daß dir, du Frühlingstraube,

Purpurblut in blauen Adern pocht.


Wie die Blätter gelb am Weinstock hangen,

Wenn die Stürme rauh vorüberziehn;

Ach, so muß der Reiz auf deinen Wangen,

Deiner Jugend Morgenroth verblühn.


Aber Unschuld, die die schlanken Glieder

Kleidet in des Himmels Rosenduft,

Krümmt kein Alter, wie den Körper nieder,

Siegend schwebt sie über Zeit und Gruft.


Serafina, laß uns heute beten!

Großes hat dein Gott an dir gethan;

Andacht müsse deine Wange röthen,

Siehst du heut den schönern Himmel an.


Die Gesundheit, die in Purpurfluthen

Schäumend sich durch deine Adern geußt!

Ach, dein Herz, so voll Gefühl des Guten,

Und den hohen gottgeschaffnen Geist;[425]


Deine Finger, die dem Spiel gebieten,

Leichtgeflügelt, wie der frohe Scherz,

Daß die Töne Donnerstürme wüthen,

Oder sanfter athmen, wie dein Herz;


Deinen Vater, deiner Mutter Leben,

Deinen Führer, diesen weisen Mann,

Alles dies hat dir dein Gott gegeben!

Hat er Großes nicht an dir gethan?


Dank' ihm nur durch Unschuld deiner Sitte

Und mit jeder sanften Weiblichkeit:

Zittre vor dem ersten falschen Schritte,

Den dein gutes Herz so bald bereut.


Fluch' dem frechen Schattenungeheuer,

Fluch' der Wollust, wenn sie dich beschleicht,

Und dir höhnisch schäumend Gift und Feuer

Im bekränzten Goldpokale reicht.


Augenflammen gab dir Gott zu Waffen,

Wenn ein Feind der Tugend sich dir naht.

Brauche sie, den Frevler zu bestrafen,

Der dich locken will vom Tugendpfad.


Gottes Ruhe wird dein Herz durchsäuseln,

Bleibst du nur der keuschen Tugend hold;

Wenn auch Stürme deine Stirne kräuseln,

Hinter ihnen strahlt der Sonne Gold.


Alle Freuden, die die Tugend krönen,

Wünsch' ich dir, du Herzenssiegerin;

Und von meines Landes Heldensöhnen

Werde dir der Beste zum Gewinn.


Und wenn deine Tage weggeschwunden,

Wölklein gleich im Sommerabendwind,

Ach, so stirb, mit keinen Seelenwunden

Schwerbelastet, liebes, holdes Kind.[426]


Gottes Engel leite deine Seele

Hochhinüber in der Frommen Kreis.

Ach, dann bist du ewig ohne Fehle

Und dein Brautgewand ist roth und weiß.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 425-427.
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