Zweite Szene

[502] Frankreich. Vor Orleans.


Karl mit seinen Truppen, Alençon, Reignier und andre.


KARL.

Mars' wahrer Lauf ist, grade wie im Himmel,

Bis diesen Tag auf Erden nicht bekannt:

Jüngst schien er noch der englischen Partei,

Nun sind wir Sieger, und er lächelt uns.

Was fehlen uns für Städte von Gewicht?

Wir liegen hier zur Lust bei Orleans,

Die Englischen, verhungert, blaß wie Geister,

Belagern matt uns eine Stund' im Monat.

ALENÇON.

Sie missen ihre Brüh'n und fettes Rindfleisch;

Entweder muß man sie wie Maultier' halten,

Ihr Futter ihnen binden an das Maul,

Sonst sehn sie kläglich wie ersoffne Mäuse.

REIGNIER.

Entsetzt die Stadt: was sind wir müßig hier?

Talbot, den wir gefürchtet, ist gefangen;

Bleibt keiner als der tolle Salisbury,

Der wohl die Gall' im Ärger mag verzehren:

Er hat zum Kriege weder Volk noch Geld.

KARL.

Schlagt Lärm! Schlagt Lärm! Wir stürzen auf sie ein.

Nun für die Ehre der verlornen Franken!

Dem, der mich tötet, sei mein Tod verziehn,

Sieht er mich fußbreit weichen oder fliehn.


Alle ab. – Getümmel, Angriffe, hierauf ein Rückzug.


Karl, Alençon, Reignier und andre kommen zurück.[502]


KARL.

Sah man je so was? Was für Volk hab' ich?

Die Hunde! Memmen! Ich wär' nie geflohn,

Wenn sie mich nicht vom Feind umringt verließen.

REIGNIER.

Salisbury mordet ganz verzweiflungsvoll,

Er ficht wie einer, der des Lebens müde.

Die andern Lords, wie Löwen voller Gier,

Bestürmen uns als ihres Hungers Raub.

ALENÇON.

Froissard, ein Landesmann von uns, bezeugt,

England trug lauter Olivers und Rolands

Zur Zeit, als Eduard der Dritte herrschte.

Wahrhafter läßt sich dies behaupten jetzt:

Denn Simsons bloß und Goliasse sendet

Es aus zum Fechten. Einer gegen zehn!

Und Schufte nur von Haut und Bein! Wer traute

Wohl solchen Mut und Kühnheit ihnen zu?

KARL.

Verlassen wir die Stadt: Tollköpfe sind's,

Und Hunger treibt sie nur zu größerm Eifer.

Von Alters kenn' ich sie: sie werden eher

Die Mauern mit den Zähnen niederreißen,

Als daß sie die Belag'rung gäben auf.

REIGNIER.

Ein seltsam Räderwerk stellt ihr Gewehr,

Glaub' ich, wie Glocken, immer anzuschlagen:

Sie hielten sonst nicht aus, so wie sie tun.

Nach meiner Meinung lassen wir sie gehn.

ALENÇON.

So sei es.


Der Bastard von Orleans tritt auf.


BASTARD.

Wo ist Prinz Dauphin? Neues bring' ich ihm.

KARL.

Bastard von Orleans, dreimal willkommen!

BASTARD.

Mich dünkt, Eu'r Blick ist trüb, und bang die Miene:

Hat Euer letzter Unfall daran Schuld?

Verzaget nicht, denn Beistand ist zur Hand;

Ich bringe eine heil'ge Jungfrau her,

Die ein Gesicht, vom Himmel ihr gesandt,

Ersehn hat, die Belag'rung aufzuheben

Und aus dem Land die Englischen zu jagen.

Sie hat der tiefen Prophezeiung Geist,[503]

Roms alten neun Sibyllen überlegen;

Was war, was kommen wird, kann sie erspähn.

Sagt, ruf' ich sie herbei? Glaubt meinen Worten,

Denn sie sind ganz untrüglich und gewiß.

KARL.

Geht, ruft sie vor.


Bastard ab.


Doch ihre Kunst zu prüfen,

Reignier, nimm du als Dauphin meinen Platz,

Befrag' sie stolz, laß streng die Blicke sein:

So spähn wir aus, was sie für Kunst besitzt.


Er tritt zurück.


Die Pucelle, der Bastard und andre kommen.


REIGNIER.

Bist du's, die Wunder tun will, schönes Mädchen?

PUCELLE.

Reignier, bist du's, der mich zu täuschen denkt?

Wo ist der Dauphin? – Komm hervor von hinten:

Ich kenne dich, wiewohl ich nie dich sah.

Erstaune nicht, vor mir ist nichts verborgen,

Ich will allein dich sprechen im Vertraun.

Bei Seit', ihr Herrn!

Laßt uns auf eine Weil'!

REIGNIER.

Sie nimmt sich brav genug im ersten Sturm.

PUCELLE.

Dauphin, ich bin die Tochter eines Schäfers,

Mein Witz in keiner Art von Kunst geübt.

Doch Gott gefiel's und unsrer lieben Frau,

Auf meinen niedern Stand ihr Licht zu strahlen.

Sieh, da ich meine zarten Lämmer hüte

Und biete dürrem Sonnenbrand die Wangen,

Geruht mir Gottes Mutter zu erscheinen

Und heißt durch ein Gesicht voll Majestät

Mich meinen knechtischen Beruf verlassen,

Mein Vaterland vom Drangsal zu befrein.

Sie sagte Beistand und Erfolg mir zu,

In voller Glorie tat sie mir sich kund

Und, da ich schwarz war und versengt zuvor,

Goß sie auf mich mit jenen klaren Strahlen

Der Schönheit Segen, die ihr an mir seht.

Frag' mich, um was du nur ersinnen kannst,

Unvorbereitet will ich Antwort geben;

Prüf meinen Mut im Kampfe, wenn du darfst,[504]

Und über mein Geschlecht wirst du mich finden.

Entschließe dich: soll alles Glück dir sprossen,

So nimm mich an zu deinem Kriegsgenossen.

KARL.

Ich bin erstaunt ob deinen hohen Reden.

Nur so will ich erproben deinen Mut:

Du sollst mit mir im einzlen Kampf dich messen,

Und wenn du siegst, sind deine Worte wahr;

Wo nicht, so sag' ich allem Zutraun ab.

PUCELLE.

Ich bin bereit: hier ist mein schneidend Schwert

Fünf Lilien zieren es an jeder Seite,

Das zu Touraine im Sankt Kathrinen-Kirchhof

Ich mir aus vielem alten Eisen ausersah.

KARL.

In Gottes Namen, komm, mich schreckt kein Weib

PUCELLE.

Und lebenslang flieh' ich vor keinem Mann.


Sie fechten.


KARL.

Halt' ein die Hand! Du bist ein' Amazone,

Und mit dem Schwert Deborahs fechtest du.

PUCELLE.

Christs Mutter hilft mir, sonst wär' ich zu schwach.

KARL.

Wer dir auch hilft, du, du mußt mir nun helfen.

Ich brenne vor Verlangen ungestüm,

Du hast mir Herz und Hand zugleich besiegt.

Hohe Pucelle, wenn du so dich nennst,

Laß deinen Knecht, nicht deinen Herrn mich sein!

Der Dauphin Frankreichs bittet dich hierum.

PUCELLE.

Ich darf der Liebe Bräuche nicht erproben

Weil mein Beruf geheiligt ist von droben.

Wenn ich erst alle Feinde dir verjagt,

Dann werde die Belohnung zugesagt.

KARL.

Indes sieh gnädig deinen Sklaven an!

REIGNIER.

Mich dünkt, der Prinz ist lange im Gespräch.

ALENÇON.

Er hört gewiß dem Weiberrock die Beichte,

Sonst dehnt' er so die Unterredung nicht.

REIGNIER.

Er kennt kein Maß: sagt, sollen wir ihn stören?

ALENÇON.

Wohl mehr ermißt er, als wir Armen wissen,

Der Weiber Zungen können schlau verführen.

REIGNIER.

Mein Prinz, wo seid Ihr? Was erwägt Ihr da?

Wird Orleans verlassen oder nicht?[505]

PUCELLE.

Ich sage nein, kleingläubig Heidenvolk!

Kämpft bis zum letzten Hauch, ich will euch schirmen.

KARL.

Wie sie sagt, stimm' ich bei: wir fechten's aus.

PUCELLE.

Ich bin zu Englands Geißel ausersehn.

Heut nacht will ich gewiß die Stadt entsetzen:

Erwartet Martins Sommer, Halcyon-Tage,

Nun ich in diese Kriege mich begeben.

Ein Zirkel nur im Wasser ist der Ruhm,

Der niemals aufhört, selbst sich zu erweitern,

Bis die Verbreitung ihn in nichts zerstreut.

Mit Heinrichs Tode endet Englands Zirkel,

Zerstreuet ist der Ruhm, den er umschloß.

Nun bin ich gleich dem stolzen, frechen Schiff,

Das Cäsarn trug zugleich mit seinem Glück.

KARL.

Ward Mahomet beseelt von einer Taube,

So hast du eines Adlers Eingebung.

Nicht Helena, die Mutter Konstantins,

Noch auch Sankt Philipps Töchter glichen dir.

Lichtstern der Venus, der zur Erde fiel,

Wie bet' ich ehrerbietig dich genugsam an?

ALENÇON.

Laßt alles Zögern und entsetzt die Stadt!

REIGNIER.

Weib, tu' das Dein' in Rettung unsrer Ehre,

Treib' sie von Orleans, du sollst unsterblich sein.

KARL.

Sogleich versuchen wir's. Kommt, gehn wir dran!

Zeigt sie sich falsch, so trau' ich nie Propheten.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 502-506.
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