Dritte Szene

[634] Vor dem Schloß.


Rossetritt auf mit einem alten Mann.


ALTER.

Auf siebzig Jahr' kann ich mich gut erinnern:

In diesem Zeitraum sah ich Schreckenstage

Und wunderbare Ding', doch diese böse Nacht

Macht alles Vor'ge klein.

ROSSE.

Oh, guter Vater,

Der Himmel, sieh, als zürn' er Menschentaten,[634]

Dräut dieser blut'gen Bühn'. Die Uhr zeigt Tag,

Doch dunkle Nacht erstickt die Wanderlampe:

Ist's Sieg der Nacht, ist es die Scham des Tages,

Daß Finsternis der Erd' Antlitz begräbt,

Wenn lebend Licht es küssen sollte?

ALTER.

Unnatürlich,

Wie die gescheh'ne Tat. Am letzten Dienstag

Sah ich, wie stolzen Flugs ein Falke schwebte

Und eine Eul' ihm nachjagt' und ihn würgte.

ROSSE.

Und Duncans Rosse, seltsam ist's, doch sicher,

So rasch und schön, die Kleinod' ihres Bluts,

Brachen, verwildert ganz, aus ihren Ställen

Und stürzten fort, sich sträubend dem Gehorsam,

Als wollten Krieg sie mit den Menschen führen.

ALTER.

Man sagt, daß sie einander fraßen.

ROSSE.

Ja;

Entsetzlich war's, ich hab' es selbst gesehn.

Da kommt der edle Macduff –


Macduff tritt auf.


Nun, Herr, wie geht die Welt?

MACDUFF.

Ei, seht Ihr's nicht?

ROSSE.

Weiß man, wer tat die mehr als blut'ge Tat?

MACDUFF.

Jene, die Macbeth tötete.

ROSSE.

O Jammer!

Was hofften sie davon?

MACDUFF.

Sie waren angestiftet.

Malcolm und Donalbain, des Königs Söhne,

Sind heimlich fort, entflohn: dies wälzt auf sie

Der Tat Verdacht.

ROSSE.

Stets gegen die Natur:

Verschwenderischer Ehrgeiz, so verschlingst du

Des eignen Lebens Unterhalt! – So wird

Die Königswürde wohl an Macbeth fallen?

MACDUFF.

Er ist ernannt schon und zu seiner Krönung

Nach Scone gegangen.

ROSSE.

Wo ist Duncans Leichnam?

MACDUFF.

Nach Colmes Kill führt man ihn zur heil'gen Gruft,[635]

Wo die Gebeine seiner Ahnen alle

Versammelt ruhn.

ROSSE.

Geht Ihr nach Scone?

MACDUFF.

Nein, Vetter!

Ich geh' nach Fife.

ROSSE.

So will ich hin.

MACDUFF.

Lebt wohl!

Mag alles so geschehn, daß wir nicht sagen:

Bequemer war der alte Rock zu tragen!


Er geht ab.


ROSSE.

Vater, lebt wohl!

ALTER.

Gott segne Euch und den, der redlich denkt,

Unheil zum Heil, Zwietracht zum Frieden lenkt!


Sie gehen ab.[636]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 634-637.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Macbeth
Lektürehilfen William Shakespeare
Macbeth
Macbeth: Zweisprachige Ausgabe
Die Tragödie des Macbeth (insel taschenbuch)
Macbeth. Textanalyse und Interpretation mit ausführlicher Inhaltsangabe und Abituraufgaben mit Lösungen

Buchempfehlung

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von

Gedichte

Gedichte

»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«

224 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon