23. Romanze

[56] 1774.


In der Väter Halle ruhte

Ritter Rudolfs Heldenarm!

Rudolf, den die Schlacht erfreute,

Rudolf, welchen Frankreich scheute,

Und der Sarazenen Schwarm.


Er, der letzte seines Stammes,

Weinte seiner Söhne Fall;

Zwischen moosbewachs'nen Mauren

Tönte seiner Klage Trauren

In der Zellen Wiederhall.


Agnes mit den goldnen Locken

War des Greises Trost und Stab.

Sanft wie Tauben, weiß wie Schwäne,

Küßte sie des Vaters Thräne

Von den grauen Wimpern ab.


Ach! sie weinte selbst im stillen,

Wenn der Mond ins Fenster schien;

Albrecht mit der offnen Stirne

Brannte für die edle Dirne,

Und die Dirne liebte ihn.


Aber Horst, der hundert Krieger

Unterhielt im eignen Sold,

Rühmte seines Stammes Ahnen,

Prangte mit erfochtnen Fahnen,

Und der Vater war ihm hold


Einst beim freien Mahle küßte

Albrecht ihre weiche Hand;

Ihre sanften Augen strebten

Ihn zu strafen, ach! da bebten

Thränen auf das Busenband.
[57]

Horst entbrannte, blickte seitwärts

Auf sein schweres Mordgewehr;

Auf des Ritters Wange glühten

Zorn und Liebe, Funken sprühten

Aus den Augen wild umher.


Drohend warf er seinen Handschuh

In der Agnes keuschen Schoß:

Albrecht, nimm! Zu dieser Stunde

Harr' ich dein im Mühlengrunde!

Kaum gesagt, schon flog sein Roß.


Albrecht nahm das Fehdezeichen

Ruhig, und bestieg sein Roß;

Freute sich des Mädchens Zähre,

Die der Lieb' und ihm zur Ehre

Aus dem blauen Auge floß.


Rötlich schimmerte die Rüstung

In der Abendsonne Strahl;

Von den Hufen ihrer Pferde

Tönte weit umher die Erde,

Und die Hirsche flohn ins Thal.


Auf des Söllers Gitter lehnte

Die betäubte Agnes sich,

Sah die blanken Speere blinken,

Sah den edlen Albrecht sinken –

Sank wie Albrecht, und erblich.


Bang' von leiser Ahndung spornte

Horst sein schaumbedecktes Pferd;

Höret nun des Hauses Jammer,

Eilet in der Schönen Kammer,

Starrt und stürzt sich in sein Schwert.
[58]

Rudolf nahm die kalte Tochter

In den väterlichen Arm;

Hielt sie so zween lange Tage,

Thränenlos und ohne Klage,

Und verschied im stummen Harm.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50,2, Stuttgart [o.J.], S. 56-59.
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