Dritte Szene


[643] Wotan und Brünnhilde, die noch zu seinen Füßen hingestreckt liegt, sind allein zurückgeblieben. – Langes feierliches Schweigen: unveränderte Stellung.


BRÜNNHILDE beginnt das Haupt langsam ein wenig zu erheben. Schüchtern beginnend und steigernd.

War es so schmählich,

was ich verbrach,

daß mein Verbrechen so schmählich du bestrafst?

War es so niedrig,

was ich dir tat,

daß du so tief mir Erniedrigung schaffst?

War es so ehrlos,

was ich beging,

daß mein Vergehn nun die Ehre mir raubt?


Sie erhebt sich allmählich bis zur knienden Stellung.


O sag, Vater!

Sieh mir ins Auge:

schweige den Zorn,

zähme die Wut,

und deute mir hell

die dunkle Schuld,

die mit starrem Trotze dich zwingt,

zu verstoßen dein trautestes Kind.

WOTAN in unveränderter Stellung, ernst und düster.

Frag deine Tat;[643]

sie deutet dir deine Schuld!

BRÜNNHILDE.

Deinen Befehl

führte ich aus.

WOTAN.

Befahl ich dir,

für den Wälsung zu fechten?

BRÜNNHILDE.

So hießest du mich

als Herrscher der Wal!

WOTAN.

Doch meine Weisung

nahm ich wieder zurück!

BRÜNNHILDE.

Als Fricka den eig'nen

Sinn dir entfremdet:

da ihrem Sinn du dich fügtest,

warst du selber dir Feind.

WOTAN leise und bitter.

Daß du mich verstanden, wähnt ich,

und strafte den wissenden Trotz:

doch feig und dumm

dachtest du mich!

So hätt ich Verrat nicht zu rächen;

zu gering wärst du meinem Grimm!

BRÜNNHILDE.

Nicht weise bin ich,

doch wußt ich das Eine,

daß den Wälsung du liebtest.

Ich wußte den Zwiespalt,

der dich zwang,

dies Eine ganz zu vergessen.

Das Andre mußtest

einzig du sehn,

was zu schaun so herb

schmerzte dein Herz: –

daß Siegmund Schutz du versagtest.

WOTAN.

Du wußtest es so,

und wagtest dennoch den Schutz?

BRÜNNHILDE leise beginnend.

Weil für dich im Auge

das Eine ich hielt,

dem im Zwange des Andren

schmerzlich entzweit,

ratlos den Rücken du wandtest!

Die im Kampfe Wotan

den Rücken bewacht,

die sah nun Das nur,

was du nicht sahst: –

Siegmund mußt ich sehn.[644]

Tod kündend

trat ich vor ihn,

gewahrte sein Auge,

hörte sein Wort; –

ich vernahm des Helden

heilige Not;

tönend erklang mir

des Tapfersten Klage:

freiester Liebe

furchtbares Leid,

traurigsten Mutes

mächtigster Trotz!

Meinem Ohr erscholl,

mein Aug erschaute,

was tief im Busen das Herz

zu heil'gem Beben mir traf.

Scheu und staunend

stand ich in Scham.

Ihm nur zu dienen

konnt ich noch denken:

Sieg oder Tod

mit Siegmund zu teilen:

dies nur erkannt' ich

zu kiesen als Los!

Der diese Liebe

mir ins Herz gehaucht,

dem Willen, der

dem Wälsung mich gesellt,

ihm innig vertraut –

trotzt ich deinem Gebot.

WOTAN.

So tatest du,

was so gern zu tun ich begehrt;

doch was nicht zu tun,

die Not zwiefach mich zwang!

So leicht wähntest du

Wonne des Herzens erworben,

wo brennend Weh

in das Herz mir brach,

wo gräßliche Not

den Grimm mir schuf,

einer Welt zu Liebe

der Liebe Quell

im gequälten Herzen zu hemmen?[645]

Wo gegen mich selber

ich sehrend mich wandte,

aus Ohnmachtschmerzen

schäumend ich aufschoß,

wütender Sehnsucht

sengender Wunsch

den schrecklichen Willen mir schuf,

in den Trümmern der eig'nen Welt

meine ew'ge Trauer zu enden: –

da labte süß

dich selige Lust;

wonniger Rührung

üppigen Rausch

enttrankst du lachend

der Liebe Trank,

als mir göttlicher Not

nagende Galle gemischt?


Trocken und kurz.


Deinen leichten Sinn

laß dich denn leiten:

von mir sagtest du dich los.

Dich muß ich meiden;

gemeinsam mit dir

nicht darf ich Rat mehr raunen;

getrennt nicht dürfen

traut wir mehr schaffen;

so weit Leben und Luft,

darf der Gott dir nicht mehr begegnen!

BRÜNNHILDE einfach.

Wohl taugte dir nicht

die tör'ge Maid,

die staunend im Rate,

nicht dich verstand,

wie mein eig'ner Rat

nur das Eine mir riet:

zu lieben, was du geliebt.

Muß ich denn scheiden,

und scheu dich meiden,

mußt du spalten,

was einst sich umspannt,

die eig'ne Hälfte

fern von dir halten, –

daß sonst sie ganz dir gehörte,

du Gott, vergiß das nicht![646]

Dein ewig Teil

nicht wirst du entehren,

Schande nicht wollen,

die sich beschimpft!

Dich selbst ließest du sinken,

sähst du dem Spott mich zum Spiel!

WOTAN.

Du folgtest selig

der Liebe Macht:

folge nun dem,

den du lieben mußt!

BRÜNNHILDE.

Soll ich aus Walhall scheiden,

nicht mehr mit dir schaffen und walten,

dem herrischen Manne

gehorchen fortan:

dem feigen Prahler

gib mich nicht preis; –

nicht wertlos sei er,

der mich gewinnt!

WOTAN.

Von Walvater schiedest du –

nicht wählen darf er für dich.

BRÜNNHILDE leise mit vertraulicher Heimlichkeit.

Du zeugtest ein edles Geschlecht:

kein Zager kann je ihm entschlagen:

der weihlichste Held – ich weiß es –

entblüht dem Wälsungenstamm.

WOTAN.

Schweig von dem Wälsungenstamm!

Von dir geschieden,

schied ich von ihm;

vernichten mußt ihn der Neid!

BRÜNNHILDE.

Die von dir sich riß,

rettete ihn.


Heimlich.


Sieglinde hegt

die heiligste Frucht;

in Schmerz und Leid,

wie kein Weib je sie litten,

wird sie gebären,

was bang sie birgt.

WOTAN.

Nie suche bei mir

Schutz für die Frau,

noch für ihres Leibes Frucht!

BRÜNNHILDE heimlich.

Sie wahret das Schwert,

das du Siegmund schufest.[647]

WOTAN heftig.

Und das ich ihm in Stücken schlug!

Nicht streb, o Maid,

den Mut mir zu stören;

erwarte dein Los,

wie sich's dir wirft;

nicht kiesen kann ich es dir!

Doch fort muß ich jetzt,

fern mich verziehn;

zu viel schon zögert' ich hier:

von der Abwendigen

wend ich mich ab,

nicht wissen darf ich,

was sie sich wünscht;

die Strafe nur

muß vollstreckt ich sehn!

BRÜNNHILDE.

Was hast du erdacht,

daß ich erdulde?

WOTAN.

In festen Schlaf

verschließ ich dich:

wer so die Wehrlose weckt,

dem ward erwacht sie zum Weib!

BRÜNNHILDE.

Soll fesselnder Schlaf

fest mich binden,

dem feigsten Manne

zur leichten Beute:

dies Eine mußt du erhören,

was heil'ge Angst zu dir fleht;

die Schlafende schütze

mit scheuchendem Schrecken,

daß nur ein furchtlos

freiester Held

hier auf dem Felsen

einst mich fänd!

WOTAN.

Zuviel begehrst du,

zuviel der Gunst!

BRÜNNHILDE Wotan zu Füßen stürzend.

Dies Eine mußt du erhören!

Zerknicke dein Kind,

das dein Knie umfaßt;

zertritt die Traute,

zertrümm're die Maid,

ihres Leibes Spur

zerstöre dein Speer:[648]

doch gib, Grausamer, nicht

der gräßlichsten Schmach sie preis!


Mit wilder Begeisterung.


Auf dein Gebot

entbrenne ein Feuer;

den Felsen umglühe

lodernde Glut;


Begeistert.


es leck ihre Zung,

es fresse ihr Zahn

den Zagen, der frech sich wagte

dem freislichen Felsen zu nahn!

WOTAN überwältigt und tief ergriffen, wendet sich lebhaft gegen Brünnhilde, erhebt sie von den Knien und blickt ihr gerührt in das Auge.

Leb wohl, du kühnes,

herrliches Kind!

Du meines Herzens

heiligster Stolz!

Leb wohl! Leb wohl! Leb wohl!


Sehr leidenschaftlich.


Muß ich dich meiden,

und darf nicht minnig

mein Gruß dich mehr grüßen;

sollst du nun nicht mehr

neben mir reiten,

noch Met beim Mahl mir reichen;

muß ich verlieren

dich, die ich liebe,

du lachende Lust meines Auges! –

Ein bräutliches Feuer

soll dir nun brennen,

wie nie einer Braut es gebrannt!

Flammende Glut

umglühe den Fels;

mit zehrenden Schrecken

scheuch es den Zagen,

der Feige fliehe

Brünnhildes Fels!

Denn Einer nur freie die Braut,

der freier als ich, der Gott!


Brünnhilde sinkt gerührt und begeistert an Wotans Brust; er hält sie lange umfangen. Sie schlägt das Haupt wieder zurück[649] und blickt, immer noch ihn umfassend, feierlich ergriffen Wotan ins Auge.


Der Augen leuchtendes Paar,

das oft ich lächelnd gekost,

wenn Kampfeslust

ein Kuß dir lohnte,

wenn kindisch lallend

der Helden Lob

von holden Lippen dir floß;

dieser Augen strahlendes Paar,

das oft im Sturm mir geglänzt,

wenn Hoffnungsehnen

das Herz mir sengte,

nach Weltenwonne

mein Wunsch verlangte

aus wild webendem Bangen:

zum letzten Mal

letz es mich heut

mit des Lebewohles

letztem Kuß!

Dem glücklichern Manne

glänze sein Stern:

dem unseligen Ew'gen

muß es scheidend sich schließen.


Er faßt ihr Haupt in beide Hände.


Denn so kehrt

der Gott sich dir ab,

so küßt er die Gottheit von dir!


Er küßt sie lange auf beide Augen. Sie sinkt mit geschlossenen Augen, sanft ermattend, in seinen Armen zurück. Er geleitet sie zart auf einen niedrigen Mooshügel zu liegen, über den sich eine

breitästige Tanne ausstreckt. Er betrachtet sie und schließt ihr den Helm: sein Auge weilt dann auf der Gestalt der Schlafenden, die er nun mit dem großen Stahlschilde der Walküre ganz zudeckt. Langsam kehrt er sich ab; mit einem schmerzlichen Blicke wendet er sich noch einmal um. Dann schreitet er mit feierlichem Entschluß in die Mitte der Bühne und kehrt die Spitze seines Speeres gegen einen mächtigen Felsstein.


Loge, hör!

Lausche hieher!

Wie zuerst ich dich fand

als feurige Glut,[650]

wie dann einst du mir schwandest

als schweifende Lohe;

wie ich dich band,

bann ich dich heut!

Herauf, wabernde Lohe!

Umlodre mir feurig den Fels!


Er stößt mit dem Folgenden dreimal mit dem Speer auf den Stein.


Loge! Loge! Hierher!


Dem Stein entfährt ein Feuerstrahl, der zur allmählich immer helleren Flammenglut anschwillt. Lichte Flackerlohe bricht aus. Lichte Brunst umgibt

Wotan mit wildem Flackern. Er weist mit dem Speere gebieterisch dem Feuermeer den Umkreis des Felsenrandes zur Strömung an; alsbald zieht es sich nach dem Hintergrund, wo es nun fortwährend den Bergsaum umlodert.


Wer meines Speeres

Spitze fürchtet,

durchschreite das Feuer nie!


Er streckt den Speer wie zum Banne aus. Dann blickt er schmerzlich auf Brünnhilde zurück, wendet sich langsam zum Gehen und blickt noch einmal zurück, ehe er durch das Feuer verschwindet.
[651]

Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 643-652.
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