16.

[71] Es sehnt sich meine Seele

Nach einem kühlen Trunk.

Den besten, den ich wähle,

Der ist nur gut genung.

Er steht so schön im Glase

Und gibt so lichten Schein,

Wie Morgentau im Grase,

Wie Rosen auf dem Rain.
[71]

Ich fange an zu singen

Vom König Salomo,

Vom Fürst zu Flachsenfingen –

Und bin in dubio,

Ob nicht die blühnde Rebe

So jugendlich und hold

Viel besser sei als Stäbe

Von Silber und von Gold;


Ob man in jenen Welten,

Sind wir nicht fromm gewest,

Das Böse zu vergelten

Uns schrecklich dürsten läßt;

Ob oder arme Seelen

Man zu erfreuen denkt

Und die erschlafften Kehlen

Mit Geisenheimer tränkt?


Ich weiß nicht – und es kümmert

Mich wenig auch; wenn gut

Nur meine Flasche schimmert,

Da bin ich hochgemut.

Da ist zum Paradeise

Mir rings die Welt erblüht,

Da sing ich leise, leise

Ein alt verschollen Lied.
[72]

Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 71-73.
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