16.

[44] Maria war von lichtem Scheine,

Sie hatte ein lieb Gesicht.

Das wußten die Burschen am ganzen Rheine –

Maria wußte es nicht.

Sie setzte sich unter die alte Linde,

Sie wand einen vollen frischen Kranz,

Aus Rosen machte sie ein Gewinde

Und sprach: »Nun denk ich an meinen Franz.


Nun denk ich an die stille Stunde,

Wo zuerst er aus dem Walde trat,

Wie er mich drüben im Wiesengrunde

Um meine blaßblaue Schleife bat;

Wie er mich in die Dorfesschenke

An seinem Arm geführt zum Tanz,

Und wie wir getanzt – ach Gott, ich denke,

Ich denke nur immer an meinen Franz.


An meinen Franz! Wie im schmucken Kleide

Als Soldat er vor die Tür gesprengt,

Wie er geküßt meine Lippen beide

Und von Gold mir diesen Ring geschenkt;

Und wie er am Roß mich emporgehoben,

Das Auge voll Tränen ganz,

Wie die Waffen geklirrt und die Reiter stoben

Hinweg – und hinweg mein Franz!
[44]

Und wie ich die langen Winternächte

In Kummer verlebt und immer gedacht:

Wo er weilen möcht, ob er mein gedächte –

Bis zum Rhein man die blutige Locke gebracht.

Bis alle kamen – nur nimmer der eine!« –

Da ward sie still, ihr entsank der Kranz.

Aufrauschte die Erle im nahen Haine,

Und sie weinte um ihren toten Franz.


Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 44-45.
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