21.

[52] Die Frühlingswolken wehen,

Das Tal ist frisch und grün,

Ob auf den nächsten Höhen

Wohl schon die Reben blühn?


Schon lange ist's, gar lange,

Da hab ich sie gepflanzt,

Dort wo am Bergeshange

Bei Nacht die Elfe tanzt.


Ich bat um ihren Segen,

Ich flehte: »Lichter Geist,

O möchtest du doch pflegen

Die junge Saat zumeist.


Du lockst die Morgenwolke,

Daß sie sich rauschend senkt,

Daß sie dem Blumenvolke

Den sanften Regen schenkt.


Denn deine Kinder sind sie,

Die Blüten rot und weiß,

Du schlingest zum Gewind sie

Mit Knospe, Blatt und Reis.
[52]

O sieh auch meine Reben

Mit holdem Auge an,

Daß mir im Herbste beben

Viel goldne Trauben dran.«


So sprach ich, und erfüllet

Ist, was ich einst gedacht,

Mein Sehnen ist gestillet:

Denn lieblich über Nacht,


Als sich ein Meer ergossen

Von Blüten rot und weiß,

Erhuben alle Sprossen

Ein junges Blütenreis,


Und duftend ziehn die Ranken

Zum Himmel ihre Bahn,

Sie winden an den schlanken

Burgtürmen sich hinan.


Mich deucht: nach stillem Grüßen

All ihr Verlangen geht,

Den Rosenstrauch zu küssen,

Der hoch im Erker steht.


Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 52-53.
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