113. Neu-Jahrs-Gedanken über des Heilands Namen

[318] 1733.


Brüder, laßt uns Ihn erheben,

Den ihr ohne Namen kennt;

Aber Er muß selber geben,

Wie man Ihn am besten nennt.


Name über alle Namen!

Unsre Knie beugen sich.

Gib uns, wesentliches Amen,

Dir zu knien würdiglich.


Gott! Du unbeschriebnes Wesen,

Bliebst verschwiegen fort und fort,

Niemand hätte was gelesen

Von Dir ohne Gottes Wort.


Erstgeburt der Creaturen!

Fang in uns zu leben an.

Schaff, o Anfang der Naturen,

Uns zum Werk in Gott gethan.


Mensch, Du einger Mensch in Gnaden,

Mache uns zu Dir ein Herz:[318]

Arzt erstatte allen Schaden;

Salbe! zeitige den Schmerz.


Bild des unsichtbaren Gottes,

Mach uns Deinem Bilde gleich;

Stirn voll frevelhaften Spottes,

Mach uns hart, wir sind zu weich.


Vater derer Ewigkeiten,

Baue uns ein bleibend Haus;

Schöpfer aller guten Zeiten,

Kaufe uns die Stunden aus.


Kind, in Deine Wiegen-Bande

Wikle unsre Großheit ein,

Und laß sie zur ew'gen Schande

Vor Dir aufgehenket seyn.


Same, fall ins Herzens Höhlen,

Wenn sie recht erwärmet seyn,

Zur Empfängnis vieler Seelen,

Fruchtbar und empfindlich ein.


Laß Dich inniglich umfangen

Theure Liebe tausendmal;

Dein erbarmendes Verlangen

Zieht die Seelen ohne Zahl.


Schönster, Deiner Augen Blitzen

Schmelz die Unempfindlichkeit;

Seelen-Schatz, laß Dich besitzen,

Unsre Armuth gehet weit.


Guter Freund gönn' unserm Klagen

Immerdar ein leises Ohr,

Und bring alle unsre Plagen

Deinem Gott beweglich vor.


Führst Du gleich das Steuer-Ruber

Der gestirnten Monarchie,[319]

Bist Du dennoch unser Bruder,

Fleisch und Blut verkennt sich nie.


Wärst Du nicht, du lieber Buhle,

Was Du bist, Du würdst es erst.

Liebe riß Dich noch vom Stuhle,

Weil Du unter uns gehörst.


Hat sich nicht Dein Herz betrübet,

Als es schien, Du kämst ums Lamm,

Denn Du warst darein verliebet

Treuer als kein Bräutigam.


Nun Du dann mit blutgen Kämpfen

Unsre Seel erstritten hast,

Soll den Lobes-Schall nichts dämpfen,

Keine inn- noch äussre Last.


Aufgestiegnes Reis von Jesse,

Wer versetzet uns in Dich?

Trauben, aus der Kelter-Presse,

Ueberfüllt uns mildiglich.


Süsser Weinstok, laß die Säfte

Deiner Wurzel übergehn,

Und in uns als Reben Kräfte

Von der künftgen Welt entstehn.


Myrrhen-Büschel, bleibe hangen

In der aufgethanen Brust,

Und mach unserm Haupt und Wangen

Deine Bitterkeit zur Lust.


Baum des Lebens, laß uns schmekken

Deiner Aepfel Süßigkeit,

Und uns den Geschmak erwekken

Aus der Hingesunkenheit.


Bild der Unverweslichkeiten,

Unumspannter Ceder-Stamm,[320]

Sey uns Kirchen-Zimmerleuten

Gut für allen Wurm und Schwamm.


Liege unsren Geists-Pallästen

Da zum Diamanten-Grund;

Sey der Ekstein ihrer Vesten,

Ohne den noch nichts bestund.


Wärst Du nur auch selbst der Tempel,

Da man anzubeten käm,

Und des Gottesdiensts Exempel,

Der dem Vater angenehm.


Wenn wir uns zum Opfer stellen,

So sey Du der Brand-Altar;

Sey die Lampe auf den Schwellen,

Und mach alles licht und klar.


In die unersenkten Gründe

Eingeworfnes Anker-Seil,

Du erklafterst alle Schlünde;

Werde Deinem Schif zum Heil.


Sonne, leuchte Deinem düstern

Und verschlafnen armen Volk;

Werd ihm unter den Philistern,

Nachts zum Feur und Tags zur Wolk.


Hundertfach gekrönter Streiter,

Unsre Siege zieren Dich,

Dich, den Blut-besprützten Reiter,

Ritterlich, ja königlich.


Wagenburg für unsre Rüstung,

Drinnen unsre Seele hangt,

Du bist eine Wehr- und Brüstung,

Die mit tausend Schilden prangt.


Schutz, umzingle unsre Mauren,

Stein-Ritz mache uns ein Nest;[321]

Leben, laß uns ewig dauren;

Stärke, mach uns Panzer-vest.


Siegs-Schwerdt, haue alle Kräfte

Finstrer Geisterschaft entzwey,

Und brich durch zum Lichts-Geschäfte,

Bis des Kriegs ein Ende sey.


Zeuch einher zum Dienst der Wahrheit,

Als ein ausgelernter Held,

Dessen Weisheit, Kraft und Klarheit

Stehen bleibt, wenn alles fällt.


Rath uns, die wir irre gehen,

Niemals übereilter Rath,

Und damit wir wohl bestehen,

Unterstütz es mit der That.


Wir mißgönnen auf der Reise

Israel sein Manna nicht,

Wenn nur uns die Geister-Speise,

Brodt vom Himmel! nicht gebricht.


Schneller Hirsch, zu unsrer Wonne

Steig hernieder aus der Höh;

Adler, schwing uns hin zur Sonne

Ueber die Crystallne See.


Aber, weil Du auch so niedrig,

Als Du hoch erhaben bist,

Ging es Dir vor dem so widrig

Als es uns gegangen ist.


Denn der Feinde Mörder-Hände

Haben sich an Dich gemacht,

Arme Hindin, und am Ende

Dich gleich einem Lamm geschlacht't.


Ernste Gluht der Tauben-Augen,

Dring in unsre Augen ein,[322]

Daß sie nichts zu sehen taugen,

Als was Dir gerecht mag seyn.


Kämpfender und nach der Ruhe

Nun um so viel muntrer Leu,

Lege dich daher und thue

Wunder, und beweise Treu.


Zieh an uns, sind wir doch Knaben,

Und hilf unserm Unverstand;

Wenn wir Unflat an uns haben,

Wasch uns mit geschäftger Hand.


Kommst Du dann, uns abzuschweiffen,

Und das Wasser thut nicht gut;

Werde uns zur Wäscher-Seiffen,

Ja, ists noth, zur Goldschmids-Gluht,


Freund und Schmelzer, Du thust treulich,

Und probirst das Gold zur Kron;

Denn sobald wir rein und heilig

Wirst Du gerne unser Lohn.


Menschen-Freund, Du bist so brünstig,

Laß uns wieder herzlich seyn;

Sohn der Liebe, bleib uns günstig,

Und nim uns ins Haus hinein.


Haupt, regiere Deine Hütte;

Hüter, mache, daß wir ruhn;

Meister, lehr uns grosse Schritte

Los auf die Vollendung thun.


Lehrer, laß es uns erreichen,

Daß Dein Zeugnis Wahrheit ist,

Und dem treuen Zeugen gleichen,

Der für andre sich vergißt.


Werde unsrer Thür zum Riegel,

Gegen allen fremden Schwarm,[323]

Und ein unauflöslich Siegel

Auf der Brust und auf dem Arm.


Richte unser Herz in Zeiten,

Eh Du unser Richter wirst,

Und sey in den Ewigkeiten

Unser wohlgewogner Fürst.


Hast Du können der Versühner

Deiner argen Feinde seyn;

Bleibst du wol ein treuer Diener

Deiner eigenen Gemein.


Sey du Herr, wir Unterthanen;

Du der Priester, wir das Chor;

Du der Herzog, wir die Fahnen;

Du Prophet, und wir Dein Ohr.


Gnaden-Stuhl, gib einen Regen;

Kraft-Gesalbter, theile aus;

An das Creutz gehefft'ter Segen

Ueberschatte unser Haus.


Salomo, Dein Scepter-Stekken

Wink uns gnädiglich herbey;

Josua, der Feinde Schrekken,

Mach uns von der Sünde frey.


Hochgeborner Weibes-Samen,

Heilger Fürst Melchisedech,

Trage alle unsre Namen

Auf dem Hohenpriester-Blech.


Du von Millionen Wagen

In die Luft Begleiteter,

Und zu Deinem Stuhl getragen,

Und zur Kraft Erhöheter!
[324]

Hier blieb mir die Zunge kleben,

Weil sie noch nicht himmlisch war;

Jesus, Gott mit uns, soll leben,

Welch ein Name! Er ists gar.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 318-325.
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