Zweiter Auftritt.

[44] Matteo und einige andere Banditen treten hinein.


ABELLINO für sich hinsprechend.

Und zuletzt, was liegt am Leben,

Wenn's der Geist nicht adeln kann?

Nimmer wird ein rechter Mann

Seinen Pfifferling drum geben,

Bleibt's, vom Anfang bis zum Ende,

Nur ein kahler Bettlertraum.

MATTEO leise zu den Andern.

Still da! unser Sadrach-Medech,

Glaub' ich, treibt Philosophie.

ABELLINO der sie seitwärts bemerkt, ohne es wahrnehmen zu lassen.

Länger mag ich's nicht erleiden,[44]

Hier auf fauler Bärenhaut.

Der Matteo ist ein Gimpel,

Daß er meiner Faust nicht traut.

Freitag ... Montag ... alle Teufel!

Eine lange Woche schon

Schleppt der Schurke mich voll Argwohn!

Mit sich um am Narrenseil.

Eine Woche – unerhört! –

Sah ich am Stilet kein Tröpfchen

Rothen, warmen Menschenblutes.

Bei St. Paul und bei St. Peter,

Ich muß wieder Farbe schauen!

Will der Mucker mir nicht trauen,

Flieg' ich selber aus auf Fang.

MATTEO zu Abellino.

Hab' es dir der Teufel Dank,

Wenn du solches Stückchen wagtest!

ABELLINO aufspringend.

Heda! Horcher! ... Ha, seid Ihr's? –

Nun was bringt Ihr heim vom Markte?

Nichts zu ritzen? Nichts zu kitzeln?

Viel Bestellung? ...

MATTEO.

Bluthund du!

Unser eins treibt sein Gewerbe

Ehrlich, um gerechten Lohn.

Aber dich ergötzt es, spaßend

Armen Teufeln vor den Nasen

Ihre Lampe auszublasen.

ABELLINO.

Nicht den Lohn verschmäh' ich; aber[45]

Der dünkt mich ein lump'ger Waidmann,

Welcher, wie ein Wolf der Wälder,

Nur den Magen anzufüllen,

Nach dem flieh'nden Wilde streicht.

He, was sind wir? Menschenjäger,

Gleich dem Kriegersknecht im Felde,

Gleich dem Arzt am Krankenbett.

Gold ist nicht das Ziel der Kunst;

Jede lohnt sich in Vollendung

Edler Frucht, die sie sich selbst zeugt.

MATTEO.

Bei St. Marcus, schwatzen kann er,

Wie des Teufels Advokat!

He, wer hat dich das gelehrt?

Bist du ein entsprungner Pfaff?

Ein verdorbner Studiosus?

Ein verfuschter ...

ABELLINO.

Schweig, du Schlucker!

Wahrlich, glaub' es, mir ward nicht

An der Wiege schon gesungen,

Daß ich dermaleinst bei Euch

Medizinisch fuschern sollte.

MATTEO.

Nun, ich glaub' es dir aufs Wort.

Dir sind andre Herrlichkeiten

In den Windeln prophezeit:

Ordensbänder um den – Hals,

Hohe Stellen in der Luft! ...

Abellino, nichts für ungut,

Aber Wunder bleibt's, und Wunder,[46]

Daß du nicht schon tausendmal

In des Henkers Schlinge hingst.

Kain nicht, der Brudermörder,

War vom Herrgott so gezeichnet,

Daß ihn tödte, wer ihn finde,

Brüderchen, wie du.

ABELLINO grinsend.

Hi, hi!

MATTEO.

Wer sah zwischen Erd' und Himmel

Je ein Belials-Gesichtchen,

Ganz erkoren und geboren

Für den Galgenarm, wie dies?

Diese Stirn, ein Mauerbrecher,

Ist der Freiheit Eisenschild.

Aus den häm'schen, scharfen Winkeln,

Hier um das verzogne Maul,

Spottet schnöde Gotteslästrung!

Aus dem einz'gen, finstern Auge

Glüht der ew'gen Hölle Inbrunst.

ABELLINO.

Narr, das beste Büchlein trägt

Oft ein falsches Titelblatt.

Magst du mich darum beneiden?

Sieh, das ist des Himmels Gabe.

Tröste dich, du bleibst ja dennoch

Futter für die jungen Raben. – –

Nun, Matteo, Scherz bei Seite!

Kurz zur Sache, sprich, wie steht's?

Gibt es etwas anzuzapfen?[47]

Oder magst du mir nicht trau'n?

Rede offen!

MATTEO.

Höre, Bursche,

Du gefällst mir, aber ...

ABELLINO.

Rede!

MATTEO.

Ich bemerke: dir fehlt Eins nur.

Unsere Profession,

Stets im Angesicht des Todes,

Fordert Eins: – Religion!

ABELLINO.

Bist du närrisch, oder trunken?

MATTEO.

Du besuchst ja nie die Kirchen,

Nie die Messe, nie die Beichte,

Rufst auch keinen Heil'gen an!

Sieh, der zorn'ge Himmel kann dich

In die Hand der Sbirren liefern,

Auf die Folter spannen lassen ...

Und du könntest uns verrathen, ...

Hei! da wär' uns schlecht gedient.

ABELLINO.

Puh! es hat mir nicht geträumt,

Daß man mit des Himmels Hilfe

Auch dem Teufel opfern könne.

MATTEO.

Lästermaul, wie lästerst du?

Wir sind nur des Schicksals Werkzeug,

Sind die Ruthen seines Grimmes;[48]

Sind nicht besser, sind nicht schlimmer,

Als, in seiner Hand, der Krieg,

Oder Pest und Hungersnoth.

Aber fehlt Religion:

Sind wir selbst strafwürd'ge Sünder!

ABELLINO.

Nun denn, bei St. Paul und Peter,

Ich will heute mich bekehren,

Beichte sagen, Messe hören,

Wenn du mir zu schaffen gibst.

MATTEO.

Gut, du kannst, da dich's gelüstet,

Bald ein Probestückchen machen;

Arbeit gibt's bei uns vollauf.

Geht, ihr Andern, macht euch lustig,

Zieht auf frische Kundschaft aus.

Struzza, reiche du zuvor

Aus dem Mauerschrank im Winkel

Unser Arsenal hervor.


Die Banditen entfernen sich.


ABELLINO.

Hei, was Arsenal? sieh hier,

Alles trag' ich schon bei mir.


Er entblößt einen Dolch.


Schau, die Scheere keiner Parze

Schneidet dir, so glatt und sicher,

Jeden Lebensfaden ab,

Wär' er auch von Stahl gesponnen ...

MATTEO.

Nichts da! hast ja nur bisher

Eitel Fuscherei getrieben.[49]

Heut erst sollst du, in Venedig,

Beim Gewerbe zünftig werden.

Sieh, man hält hier stark auf Ordnung.

Du bist Fremdling; fremde Fuscher

Duldet meine Innung nicht.

Mancher hat es zwar versucht,

Unsre Kunst für eigne Rechnung

Und auf eigne Faust zu treiben;

Aber ungesegnet kam er,

Hui und Pfui! zur Welt hinaus.


Struzza bringt ein Kästchen, setzt es auf den Tisch und entfernt sich.


ABELLINO.

Also, Handwerksneid auch hier!

Sticht der zünft'ge Dolch denn besser,

Als des Fuschers gutes Messer?

MATTEO indem er das Kästchen öffnet und einige Stilete hervorzieht.

Bursche, wie du albern fragst!

Fleisch ist Fleisch und Stahl ist Stahl.

Aber wer der Kunst sich weiht,

Soll sie kunstgerecht behandeln.

Junge, tritt heran und schau:

Dieser Dolch, – die schöne Klinge –

Strich um Strich muß dir daran,

Wer Bestellung gibt, bezahlen.

Gilt es eines Zolles Tiefe, ...

Nicht zum Tode, nur zum Schrecken,

Forderst keck du zehn Zechinen.

Zwei Zoll, in des Menschen Leib,

Kosten zwanzig; drei Zoll dreißig.[50]

Geht's auf's Leben, dann begehre

Was du willst, nach Stand und Würden.

ABELLINO.

Mäß'ge Apothekertaxe.

MATTEO.

Hier ein Dolch, schau an, von Glas!

Gut, in's dicke Fleisch zu stoßen;

Brichst du in der Wund' ihn ab,

Bleibt er sicher drin verschlossen

Bis zum Auferstehungstag. –

Sieh, zum Beispiel, mancher möchte

Gern vom reichen Vetter erben,

Aber will nicht jähen Tod,

Sondern, vor des Vetters Sterben,

Dies und das noch mit ihm handeln;

Oder, nur aus Frömmigkeit,

Ihn nicht in die Ewigkeit,

Ohne letzte Oelung, senden.

Dazu dient dies edle Glas!

ABELLINO.

Nun, das heiß ich zunftgerecht;

Zunftgerecht, nicht kunstgerecht! –

Kunstgerecht geht die Natur,

Drum geht Kunst naturgerecht.

Also, Meister unsrer Zunft,

Laß mich frei und eigen schalten ...

MATTEO.

Still, das Beste kommt zuletzt!

Dieser Dolch mit seiner Spitze,

Feiner, als der Sonnenstrahl,

Gleicht dem mörderischen Blitze;[51]

Denn er tilget schnell das Leben,

Hinterläßt kein blut'ges Maal.

Nur ein Schrämmchen in die Haut,

Nur ein Punkt, wie Mückenstich,

Liefert auf die Todtenbahre;

Denn die kaum sichtbare Spitze

Ist ins schärfste Gift getaucht.

Nimm hin, denn schon heut bedarfst du

Heut des edeln Kleinods schon.

ABELLINO.

Schön, das gibt ein Meisterstück.

Aber sprich, an wem? und wo?

MATTEO.

Kennst du, Bursche, in Venedig

Endlich alle Weg' und Stege;

Alle Mauern, alle Gassen;

Jedes Loch, um aufzupassen;

Jede Gondel, jedes Boot?

ABELLINO.

Ho! in meinem eignen Wamse

Weiß ich besser nicht Bescheid.

MATTEO.

Und dann unsere edeln Kunden,

Die ich alle dir schon mehrmals

Nannte und mit Fingern zeigte,

Wenn sie zum Senate gingen,

Oder in die Freudenhäuser;

In die Kirchen; und am Spieltisch;

Bei Gelagen, Saufereien,

Tänzen und Prozessionen?[52]

ABELLINO.

Besser kenn' ich sie, als dich.

MATTEO.

Jener prächtige Parozzi ...

ABELLINO.

Prächtig, bei St. Paul und Peter,

Wie ein Silbersarg voll Aas;

Reizend wie ein Sodomsapfel!

MATTEO.

Und der kluge Falieri ...

ABELLINO.

Der, mit seiner Vipernzunge,

Freund und Feind und sich vergiftet.

MATTEO.

Und der kecke Contarino ...

ABELLINO.

Keck aus Stolz, und stolz aus Dummheit.

MATTEO.

Dann der umsichtsvolle Memmo ...

ABELLINO.

Umsichtsvoller, als ein Hase!

MATTEO.

Lästermaul, so wirst du doch

Pater Tolomeo ehren.

ABELLINO.

Ehre dem ehrwürd'gen Fuchs,

In dem Hühnerstall Venedig!

Alle kenn' ich sie,

Diese lust'gen Springinsfelde,

Diese Lebemänner, diese

Lockern Zeisige von Haus' aus,[53]

Die den Juden und den Wuchrern

Längst ihr väterliches Erbe,

Und dem Teufel in der Hölle

Leib' und Seel' verpfändet haben.

MATTEO.

Sie sind unsre besten Kunden,

Und wir zählen deren mehr.

ABELLINO.

O ich weiß, der Schurken Menge

Wird Venedig bald zu enge;

Drum ist's Billigkeit und Noth,

Daß man unsre Hilfe fordert,

Bloß ein wenig Raum zu schaffen.

Also frisch, ich bin bereit;

Fordre, Meister, und gebeut!

Welchem reichen Geizhals soll ich,

Welchem läst'gen Nebenbuhler,

Welchem Oberen im Amte,

Seine Himmelspforte öffnen?

MATTEO.

Höre mich! Vor allen Dingen

Wirst du deine Andacht halten,

In der Kirche von San Marco

Zehn Ave Maria beten;

Deinem Heil'gen dich empfehlen,

Daß er seinen Schutz gewähre.

Beide gehn wir dann verkleidet,

Schwarz, im pelzverbrämten Leibrock,

Zierlich, wie die Nobili,

In den Garten Dolabella.

Dort wird heut des Dogen Nichte,[54]

Im Begleite anderer Frauen,

Sich des Frühlingsabends freun.

ABELLINO stutzend.

Wie? die schöne Rosamunde?

MATTEO.

Unter irgend einem Vorwand

Trittst du hin zur zarten Rose

Und – brichst sie vom Lebensbaum.

ABELLINO.

Bist du rasend?

MATTEO.

Nur ein Ritzchen

In den weißen, zarten Arm

Mit dem gift'gen Messerspitzchen,

Und des Todes schöne Braut

Fällt dir ohne Klagelaut.

ABELLINO.

Geh zur Hölle!

MATTEO.

Was? erschrickst du

Vor dem leichten Probestück?

ABELLINO grinsend.

Ich erschrecken? Ich? Hi, hi!

Wenn's die heiligen zehntausend

Jungfrau'n sammt und sonders wären!

Aber, Meister, das verdrießt mich,

Daß du meiner starken Faust

Nur ein schwaches Mägdlein bietest.

Warum nicht den Sbirren-Hauptmann,

Mitten unter seiner Schaar?[55]

MATTEO.

Alles, Freund, hat seine Zeit.

ABELLINO.

Und, zum Teufel, welcher Teufel

Hat dies Opfer sich erkoren?

MATTEO.

Still davon, ich plaudere nicht.

Kein Besteller wird verrathen.

Alles, was man uns vertraut,

Bleibt verschwiegen und begraben,

Wie Geheimniß einer Beicht'.

Also vorwärts, ich begleite

Dich zur Kirche, dann zum Garten.

ABELLINO.

Du? wozu denn mich begleiten?

Traust du meinem Muth so wenig?

MATTEO.

Das ist unsre alte Satzung!

Tritt der Neuling in die Zunft,

Muß der Meister, auf der Stelle,

Zeuge sein der ersten That.

Der Erfahrene hat Rath;

Und es giebt oft schwier'ge Fälle!

Wie, zum Beispiel, wird die Donna

Vom Gefolge stets umschwärmt;

Ist sie nimmer dir recht nah;

Weißt du es nicht anzugreifen:

Nur ganz leise darfst du pfeifen,

Und ich bin zur Hilfe da.[56]

ABELLINO.

Alte Satzung soll man ehren!

Nun wohlan, so laß uns hin!

Und mein Dolch soll dich belehren,

Bursche, daß ich Meister bin.

MATTEO.

Folge mir zur Kleiderkammer,

Länger dürfen wir nicht zaudern.

Trage mir die Dolche nach.


Geht ab.


Quelle:
Heinrich Zschokke: Gesammelte Schriften. Band 15, Aarau 1865, S. 44-57.
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