[45] Der Versucher mit der Versuchung

Ein zwar nicht außerordentlicher, doch immer merkwürdiger Zufall erhöhte an dem gleichen Tage das Anziehende meines Walpurgistraums.

Meine Frau hatte Freunde und Freundinnen aus dem Städtchen zu einem kleinen Familienfest eingeladen. Wir speisten, wegen der Schönheit des Mittags in dem oberen geräumigen Saal des Gartenhauses. – Der Walpurgistraum war schon in meiner Erinnerung durch eine lieblichere Wirklichkeit halb verwischt.[45]

Da meldete mein Bedienter einen fremden Herrn, der mich sprechen wollte, einen Baron Mannteuffel von Drostow. – Fanny sah, daß ich erschrak. »Du wirst doch nicht«, sagte sie lachend, »vor dem Versucher zittern, wenn er die Versuchung nicht mitbringt, und selbst nicht vor der Versuchung, an meiner Seite?«

Ich ging hinab. Da saß auf dem gleichen Sofa, wo ich geschlafen, leibhaftig der Rotrock von Prag. Er stand auf, begrüßte mich wie einen alten Bekannten und sagte: »Sie sehen, ich halte Wort. Ich muß jetzt Ihre liebenswürdige Fanny sehen, die ich aus ihren vertraulichen Briefen ganz zufällig kennenlernte. Werden Sie nicht eifersüchtig. Und« – fuhr er fort, indem er in den Garten hinaus zeigte – »ich bringe noch ein paar Gäste mit, meinen Bruder und seine Frau. Aber meine Schwägerin kennt Sie schon. Wir sind unvermutet in Dresden zusammengetroffen und machen nun die Reise, mit einander in Gesellschaft.«

Ich bezeugte ihm meine Freude. Indem trat ein dicker, starker Herr aus dem Garten in das Kabinett, wo wir sprachen, neben ihm ein Frauenzimmer in Reisekleidern. Denke sich jeder mein Schrecken! – Es war Julie, die Gemahlin des Starosten.

Julie war minder verlegen als ich, wiewohl sie sich anfangs auch entfärbte. Ich führte nach den ersten Höflichkeiten meine Gäste in den obern Saal hinauf – ich stellte ihnen meine Fanny vor. Der zum Besucher verwandelte Versucher von Prag sagte ihr die schmeichelhaftesten Artigkeiten. »Ich habe«, sagte er, »Sie schon in Prag angebetet, als ich ohne Vorwissen Ihres Gemahls hinter alle kleinen Geheimnisse kam, die Sie ihm anvertrauten.«

»Ich weiß alles!« sagte Fanny. »Mit vierzehnhundert Talern bezahlten Sie die Geheimnisse. Sie sind aber bei dem allem ein böser Mann, denn Sie haben meinem Robert eine unruhige Nacht gemacht.«

»Damit ist's noch nicht abgetan, Fanny«, sagte ich, »denn[46] siehe den lieben Versucher und dort – ich stellte ihr die Gemahlin des Starosten vor – Julie!«

Weiber sind nie lange verlegen. Sie umarmte Julien wie eine Schwester und setzte den Versucher rechts, die Versuchung links neben sich. »Soweit als möglich von dir!« rief sie mir mit schelmischem Warnen zu.

Fanny und Julie, ob sie sich gleich nie gesehen hatten, waren bald Herzensschwestern, hatten sich ungemein viel zu sagen, und freuten sich, mich zum Gegenstand ihrer Neckereien zu machen. Für mich war dies ein ganz eigenes Fest, diese Gestalten nebeneinander zu sehen, beide liebenswürdig – aber Julie nur ein schönes Weib, Fanny ein Engel.

Julie, wie ich auf den Spaziergängen im Garten von ihr erfuhr, war sehr glücklich. Sie liebte ihren Mann von Herzen wegen seines edeln Gemüts. Aber für ihren Schwager, den Rotrock, hatte sie die zärtliche, ungemessene Ehrfurcht eines Kindes. Er war, wie sie mir erzählte, ehemals lange Zeit auf Reisen gewesen und lebte jetzt in Polen auf einem kleinen Gut nahe bei den Gütern ihres Mannes als wohltätiger Philosoph zwischen Büchern und landwirtschaftlichen Arbeiten. Sie sprach von ihm mit Begeisterung und behauptete, auf Erden wohne kein edlerer Mensch als dieser. – Ich machte mir dabei die Nutzanwendung, man müsse der Physiognomie nicht allzusehr trauen.

»Warum fragten Sie mich denn in Prag«, sagte ich nachher zu dem ehrwürdigen Rotrock, »mit den geheimnisvollen Worten: ›Kennen Sie mich nun, und was ich von Ihnen will?‹« – Denn eben diese Worte waren mir in Prag aufgefallen und hatten nachher im Traume am wirksamsten wiedergeklungen.

»Aber mein Gott!« rief er, »ich mochte Ihnen sagen, als ich die Brieftasche brachte, was ich wollte, und mochte es Ihnen noch so nahe legen, daß ich der Finder sei, daß Sie nur Zutrauen zu mir haben, nur einige Kennzeichen des Verlustes angeben sollten; Sie blieben ja zurückhaltend, als wäre ich der verdächtigste[47] Mensch. Und doch sah ich Ihnen die Unruhe an, und doch konnte ich kaum daran zweifeln, den rechten Mann vor mir zu haben.«

Nun erzählte ich ihm meinen Traum. »Herr«, rief er, »die Walpurgisgeister sollen leben! Der Traum verdient ein Kapitel in der Moralphilosophie und Psychologie zu sein. Wenn Sie ihn nicht haarklein aufzeichnen, so schreibe ich ihn selbst nieder und schicke Ihnen das Ding gedruckt zu. Es sind da wunderbar goldene Lehren. Nur ist mir's doch lieb, daß ich am Ende die Ehre habe, als Engel des Lichts darin zu glänzen, sonst möchte ich das Abenteuer Ihrer Walpurgisnacht nicht weitererzählen hören.«

Wir brachten miteinander einen seligen Tag zu, ich mit dem wahrhaft weisen Mannteuffel, Fanny mit Julien.

Als wir abends voneinander schieden, und wir die lieben Gäste begleiteten, sagte Fanny zu mir, da wir vor der Tür des Posthauses standen: »Hier wird Abschied genommen und nicht die schöne Versuchung einen Schritt weiter begleitet! Dein Walpurgistraum enthält auch für mich gute Lehren. Kennst du mich nun, mein Herr, und was deine Fanny von dir will?«


(1812)

Quelle:
Heinrich Zschokke: Hans Dampf in allen Gassen. Frankfurt a.M. 11980, S. 45-48.
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