[12] Nähere Schilderung

[12] Ich muß erzählen, wo und wie ich die Bekanntschaft dieser Erscheinung gemacht hatte, damit man mich nicht für einen Phantasten halte.

An einem Abend war ich in ein Kaffeehaus oder Kasino der Neustadt gegangen, wohin mich schon einmal ein Bekannter zum Billard geführt hatte. Ich hoffte, die neuesten Zeitungen zu finden. An einem Tischchen spielten zwei Herren nachdenkend ihre Partie Schach. Einige junge Männer saßen am Fenster in lebhaftem Gespräch über Totenerscheinungen und Natur der menschlichen Seele. Ein kleiner, ältlicher Mann in scharlachrotem Überrock wanderte, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer auf und ab. Ich nahm ein Glas Danziger Wasser und die Zeitungen.

Niemand machte meine Andacht so rege als der scharlachrote Spaziergänger. Ich vergaß selbst die Zeitungen und den Spanischen Krieg. Er hatte, wie in der Kleidung etwas Geschmackloses, in Gestalt, in Bewegungen, in Gesichtszügen etwas Auffallendes und Widerliches. Er war von weniger als mittlerer Größe, aber starkknochig, breitschultrig, mochte fünfzig bis sechzig Jahre haben und ging mit dem Kopfe gebückt, wie ein Greis. Ein pechschwarzes, glänzendes Haar hing ihm glatt und spießig um den Kopf. Das schwarzgelbe Gesicht mit der Habichtsnase und den vorragenden Backenknochen hatten etwas Abstoßendes. Denn während alle Züge kalt und eisern waren, schimmerte sein großes Auge so lebhaft wie das Auge eines begeisterten Jünglings, ohne daß man darin Begeisterung und Seele las. Der, dachte ich, ist geborner Scharfrichter oder Großinquisitor oder Räuberhauptmann oder Zigeunerkönig. Des Spaßes willen könnte der Mann Städte in Flammen auflodern und Kinder an Speeren zappeln sehen. Ich möchte nicht mit ihm in einem Walde allein reisen. Er hat gewiß in seinem Leben noch nicht lächeln können.[13]

Allein ich irrte mich. Er konnte lächeln. Er hörte den jungen Herren am Fenster zu und lächelte. Aber, Gott sei bei uns, das war ein Lächeln! Es überlief mich eiskalt. Die schadenfrohe Hölle schien aus allen Zügen zu spotten. Wenn der im roten Rocke nicht der Teufel ist, dachte ich, so ist's sein Bruder. Ich sah ihm unwillkürlich nach den Füßen, den bekannten Pferdehuf zu beobachten, und richtig, er hatte einen Menschenfuß wie unsereiner, und sein linker war ein Klumpfuß im Schnürstiefel. Doch hinkte er damit nicht und trat überhaupt so schleichend auf wie über Eierschalen, die er nicht zerdrücken wollte. Er hätte sich für bares Geld sehen lassen können, um alle Voltaires abergläubisch zu machen.

Den Spanischen Krieg vergaß ich durchaus. Ich hielt zwar die Zeitung vor mir hin, schielte jedoch darüber hinaus, die merkwürdige Gestalt länger zu beobachten.

Indem der Rotrock am Schachtisch vorbeiging, sagte einer der Spieler zu seinem düster und verlegen da sitzenden Gegner mit triumphierender Miene: »Sie sind ohne Rettung verloren.« Der Rotrock blieb einen Augenblick stehen, warf einen Blick auf das Spiel und sagte zum Sieger: »Sie sind geblendet und beim dritten Zug unausbleiblich matt.« Der Sieger lächelte vornehm; der Bedrängte schüttelte zweifelnd den Kopf und zog – beim dritten Zug war der vermeinte Sieger in der Tat schachmatt.

Während die Kämpfer ihr Spiel wieder aufstellten, sagte einer von den jungen Männern am Fenster zum Rotrock heftig: »Sie lächeln, Herr, unser Streit scheint Sie zu interessieren? Aber Ihr Lächeln sagt mir, daß Sie entgegengesetzter Meinung sind über die Natur der Welt und der Gottheit. Haben Sie Schelling gelesen?«

»Ja wohl!« sagte der Rotrock.

»Und was will Ihr Lächeln sagen?«

»Ihr Schelling ist ein scharfsinniger Dichter, der die Gaukeleien seiner Einbildungskraft für Wahrheit hält, weil ihn niemand[14] widerlegen kann als mit andern Phantasiegespinsten, die nur mit noch größerem Scharfsinn verteidigt werden müßten. Es geht den Philosophen heut wie immer. Blinde disputieren über Farbentheorien und Taube über die Kunst des reinen Satzes in der Musik. Alexander hätte gern Schiffbrücken zum Monde geschlagen, um ihn zu erobern, und die Philosophen, unzufrieden im Kreise der Vernunft, wollen gern übervernünftig werden.«

So sagte der Rotrock. Da gab's Lärmen. Er aber hielt nicht stand, nahm den runden Hut und schlich davon.

Ich sah ihn seitdem nie wieder, aber vergaß die auffallende Gestalt mit der Höllenphysiognomie nicht und fürchtete mich, sie im Traume zu erblicken.

Nun stand er unverhofft vor mir im Zimmer.

Quelle:
Heinrich Zschokke: Hans Dampf in allen Gassen. Frankfurt a.M. 11980, S. 12-15.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Walpurgisnacht
Die Walpurgisnacht