[135] Hans Dampf

Ein großer Mann ist, auch wenn er auch fällt, groß. Sein Sturz erschüttert ganze Reiche. Als Alexander starb, mußte sein ungeheures Gebiet von den Mündungen der Donau und des Nil bis zum Indus und Ganges unter Strömen Blutes vergehen, und Karls des Großen Weltreich zertrümmerte, als der Schöpfer desselben verschwand. So mußte auch, als der große Hans Dampf gestürzt ward, der Staat von Luchsenstein bis auf die letzte Spur verschwinden, und ein großer Krieg zu Land und zu Meer zwischen Frankreich und England war die Folge vom[135] Rückzug des Ordenskanzlers, wie sich aus der geheimen Geschichte der Höfe damaliger Zeit sehr leicht und mit Urkunden beweisen läßt, die aber zu lang und zu langweilig wären, hier eingerückt zu werden.

Der Ordenskanzler hatte nämlich kaum die Residenz verlassen, als ein französischer Extrakurier ankam, der sich nach ihm erkundigte, um ein Paket an ihn abzugeben. Diese Erscheinung machte um so größeres Aufsehen, weil das deutsche Reich damals mit Frankreich in großer Spannung war. Fürst Nikodemus ward von der Ankunft des Extrakuriers benachrichtigt, und zugleich äußerten die Feinde des vertriebenen Hans Dampf, dieser möchte wohl in verräterischem Briefwechsel mit der französischen Krone stehen. Nikodemus fand die Sache sehr wahrscheinlich, weil er seinen Hans Dampf in allen Gassen kannte, und gab Befehl, den Extrakurier zu verhaften. Dieser, schon abgereist, ward glücklich eingefangen und zurückgebracht. Er leugnete nicht, mit Hans Dampf bekannt zu sein; aber daß das für denselben mitgebrachte Paket eine Perücke sei nach der neuesten Mode, die der Kurier aus Gefälligkeit für Hans Dampf in einer der größten Hauptstädte gekauft und ihm nun nach Lalenburg gesandt habe, wollte kein Mensch glauben. Es ward also ein Begehren an den Magistrat von Lalenburg geschickt, daß derselbe das für Hans Dampf angekommene Paket übersenden und den Ordenskanzler einstweilen verhaften solle, weil in dem Paket wahrscheinlich Spuren einer großen Verschwörung gegen das Heilige Römische Reich enthalten sein dürften. Der Magistrat von Lalenburg gehorchte mit großem Eifer, konnte sich aber der Neugier nicht erwehren, die Schachtel zu öffnen, um die Spuren der ungeheuren Verschwörung selbst zu besichtigen. Der Anblick der majestätischen Allongeperücke setzte nun den Witz aller Ratsherren von Lalenburg in Verzweiflung, wie dies zottige Geschöpf mit dem Heiligen Römischen Reiche in gefährlichen Verbindungen stehen könne. Darüber ward lange beratschlagt.[136]

Der Extrakurier mochte wegen Eile und Wichtigkeit seiner Sendung lärmen, wie er wollte, er mußte warten, bis die Sache ins Reine gebracht war. Man fand bei ihm nichts als noch ein Paket mit den schönsten Zobel- und Hermelinpelzen, nebst einem Brief an den Aufseher der Garderobe Sr. Majestät des Königs von Frankreich. Aber der König selbst hatte die köstlichen Hermeline und Zobel bestellt, weil sie damals zur neuesten Mode in der Pariser Damenwelt gehörten und er sie seiner Geliebten zum Neujahrstage verheißen hatte. Bisher hatte nur die Gemahlin des englischen Gesandten das Vergnügen, im schönsten Hermelin es dem ganzen Hofe zuvorzutun.

Nun kam der Neujahrstag, aber der Extrakurier nicht. Vergebens setzte der König den Garderobeaufseher in die Bastille und entschuldigte er sich bei der eigensinnigen Geliebten. Diese weinte vor Zorn, da sie am Neujahrstag der stolzen Britin an Pracht nachstehen mußte, und versagte dem Monarchen auch die kleinste Gunst. Der König war in höchster Verzweiflung und erhielt keine Hoffnung zur Begnadigung, bis er versprach, die hochmütige Engländerin aus Frankreich zu entfernen. Schon waren ohnehin im Kabinett die Stimmen geteilt, ob man mit England wegen einiger Ansprüche Krieg anfangen solle oder nicht. Jetzt gab der König den Ausschlag »Krieg«; der englische Gesandte mußte sogleich Paris verlassen, nicht minder die Frau Gesandtin mit dem kostbaren Pelzwerk. Blut ward in Land- und Seeschlachten stromweise vergossen, ein Staat um den andern in den Kampf verflochten, mancher ging dabei ganz zugrunde, wie zum Beispiel Luchsenstein. Denn da der Extrakurier, nachdem er sich gerechtfertigt hatte, endlich, aber zu spät nach Paris kam und die Ursache seiner Verspätung meldete, ward dem Hause Luchsenstein Untergang geschworen, der Schwur erfüllt.

An allen jenen Tränen, Kriegen, Blutströmen und Staatenverwandlungen war nichts Ursache als der Sturz des großen Hans Dampf. Wäre er in der Gnade des Fürsten geblieben,[137] hätte er über die Perücke Auskunft geben können, wäre seine Vaterlandsliebe nicht verdächtigt und verleumdet worden; alles würde einen andern Gang genommen haben.

Quelle:
Heinrich Zschokke: Hans Dampf in allen Gassen. Frankfurt a.M. 11980, S. 135-138.
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