VII.

Lohengrin.

[207] Glucks ›Iphigenie in Aulis‹. – Schiefes Urteil Bancks über Wagners Auffassung der Ouvertüre. – Besuch Kittls. – Chordirektor W. Fischer. – Umzug ins Marcolinische Palais. – Differenzen mit der Direktion – König Friedrich Wilhelm IV. zum ›Rienzi‹ in Dresden. – ›Tannhäuser‹ mit neuem Schluß – ›Rienzi‹ in Berlin. – Tod der Mutter.


Das Tragische der Situation meines ›Lohengrin‹, das ich als künstlerischer Mensch empfinden mußte, sollte mir auf dem Wege meiner weiteren Entwickelung so zum Bewußtsein kommen, daß ich endlich in offene Empörung gegen den Druck dieser Situation ausbrach.

Richard Wagner.


Unter den Taten von monumentaler Bedeutung, die in Wagners Dresdener Dirigententätigkeit als besonders bemerkenswerte Gedenksteine dastehen, nimmt die Einreihung der Gluckschen ›Iphigenie in Aulis‹ in das Repertoire des Hoftheaters eine hervorragende Stelle ein. Der sorglichen Vorführung dieses Werkes, seiner Bearbeitung in textlicher und musikalischer Hinsicht widmete er einen so hingebenden Eifer, daß er selbst die Arbeit an seinen eigenen Schöpfungen, der Vollendung des ›Lohengrin‹ und der Umarbeitung des dritten ›Tannhäuser‹-Aktes, dahinter zurücktreten ließ. Die ihm für die Aufführung zu Gebote stehenden darstellerischen Kräfte waren die ausreichendsten, ja vorzüglichsten, besonders auch seit die Schröder-Devrient durch den Abschluß eines neuen – ihres letzten – Engagement-Kontraktes (1. Okt. 1846) wiederum für Dresden gewonnen war.1 Für einen so schönen und in seinem Gelingen so gesicherten Zweck widmete er sich daher mit vollem Feuer der eingehenden Durchsicht des musikalischen wie des textlichen Teiles der Gluckschen Meisterschöpfung.

[208] Für den musikalischen Teil bot sich ihm zunächst nur die Berliner Partitur dar, nach welcher einst Spontini die Oper für den preußischen Kronprinzen, jetzt regierenden König und Schirmherrn der Künste, vor den leeren Räumen des Berliner Opernhauses aufgeführt hatte. Alsbald erkannte er, daß er Gefahr laufe, durch allerlei Spontinische Arrangements über die ursprünglichen Intentionen des Meisters getäuscht zu werden. Er zögerte nicht, sich die alte Pariser Ausgabe (von 1779) des auf der Bühne so seltenen Werkes kommen zu lassen,2 um es hiernach genau zu studieren und zugleich, mit weisem Maßhalten, in genauem Anschluß an die wirklichen Intentionen des Komponisten, die Instrumentation überall da zu verstärken, wo es das Bedürfnis des seitdem vollzogenen Fortschrittes in der Benutzung der orchestralen Mittel gebot. ›Mit welchem Ernst Wagner dieses Glucksche Meisterwerk studiert, beziehungsweise nach seiner Idee zur Aufführung neu bearbeitet hat, erhellt aus dem Umstande, daß von den 300 Seiten der Partitur wenigstens 200 Seiten sind, auf welchen er teils kleinere, teils wichtigere Veränderungen und Anmerkungen gemacht hat. Vortragszeichen finden sich fast in jeder Zeile, ebenso zahlreiche Anmerkungen und Änderungen in bezug auf die Instrumentation. Größere musikalische Änderungen sind auf neun, an den betreffenden Stellen beigesteckten Zetteln eingetragen; das größte Interesse beanspruchen aber die verschiedenen musikalischen Zusätze, durchweg von Wagners Hand, welche nicht weniger als vierzig große Folio-Seiten füllen, darunter volle acht Seiten »Einlage« als Schluß der Oper.‹3 ›Eine seine konservative Empfindung für das Charakteristische der Vergangenheit und der klarste Blick für das Bedürfnis der Gegenwart haben hier Hand in Hand zusammengewirkt‹, schreibt mehrere Jahrzehnte später darüber sein verbissenster Gegner Hanslick. ›Es macht freilich bessere Figur, in der Kritik über die kleinste Änderung Wehe zu rufen und jede geopferte Note als unersetzlichen Verlust zu beklagen. Aber ein größeres Verdienst um Gluck erwirbt sich der Praktiker, der mit Aufopferung einiger Äußerlichkeiten eine Glucksche Oper zum Siege führt, als jene Puristen, welche von ihrer klassischen Höhe herab lieber zusehen, wie sie durchfällt.‹ Die Wagnerschen Zusätze im letzten Akt nennt er ›meisterhafte Züge, welche die dramatische Wirkung enorm erhöhen, ohne sich allzusehr in den Vordergrund zu drängen‹.4

Für die Qualität des deutschen Textes hingegen, wie er ihn in der Berliner Partitur vorfand, konnte ihm leider keine Pariser Original-Ausgabe helfen. Sie veranlaßte ihn noch nach Jahren zu dem Ausruf: ›Wer eine [209] Berliner Partitur von einer Gluckschen Oper gesehen und sich von der Beschaffenheit der deutschen Textunterlage überzeugt hat, mit welcher diese Werke dem Publikum vorgeführt werden, der kann einen Begriff von dem Charakter der Berliner Kunstästhetik erhalten, die aus Glucks Opern in diesen, alle richtige Deklamation über den Haufen werfenden Übersetzungen sich dennoch einen Maßstab für dramatische Deklamation bildete!‹ Es mußte daher auch nach dieser Seite hin für Abhilfe der Mängel gesorgt werden. Der ganze textliche Teil wurde einer sorgfältigen Revision unterzogen und in Übereinstimmung mit der Musik umgedichtet. Eine besondere Schwierigkeit trat ihm endlich noch in der Schluß szene entgegen. Gerade wie gleichzeitig im ›Tannhäuser‹ der Mangel sich ihm immer fühlbarer aufdrängte, daß der dritte Akt die beiden um die Seele des Helden ringenden Prinzipien nicht noch einmal sichtbar verkörperte, sondern sich dafür an bloßen Andeutungen genügen ließ, so konnte ihn auch am Schlusse des Gluckschen Werkes die bloße Verkündigung des veränderten Ratschlusses der Göttin durch den Priester, zur Rettung Iphigeniens vom Opferaltar, in keiner Weise zufriedenstellen. Die antike Dichtung hatte den wunderbaren Vorgang dieser Rettung, in Übereinstimmung mit dem sonstigen Gebrauch der griechischen Tragödie, nur erzählen lassen. Schiller vollends, dem in seiner Bearbeitung des euripideischen Stückes der erkältende epische Bericht nach spannendster und bedeutsamster Handlung mißfiel, hatte das Stück auf dem Punkte geschlossen, wo das psychologische Interesse erschöpft, der Kampf in der Seele der Heldin ausgekämpft war, und die Erzählung von ihrer Rettung ganz weggelassen. Glucks Textdichter, die Schwierigkeit des bloß erzählenden Abschlusses nicht minder empfindend, ließ es gleichwohl bei dem bloßen Ausspruch des Kalchas über die erfolgte Sinnesänderung der Göttin bewenden, wo Richard Wagners dichterische Empfindung gebieterisch verlangte, daß ihr göttlicher Wille – von ihren eigenen Lippen verkündet – die Lösung des Konfliktes vor den Augen und Ohren des Zuschauers herbeiführe. Aber auch seinem Inhalte nach erregte dieser Ratschluß an sich selbst ein gewichtiges Bedenken und drohte den Eindruck des ganzen Werkes auf ein modernes Publikum völlig zu vereiteln. Hatte doch sogar schon bei der ersten Pariser Aufführung gerade der Schluß, die Vermählung Iphigeniens mit Achill, die Hörer kalt gelassen! Unmöglich konnte hier dem,Chantez, dansez! als hergebrachter Opernforderung, eine solche Bedeutung eingeräumt werden, daß die Vereinigung der Liebenden unter Gesang und Tanz den Abschluß und Ausgang so tiefgehender, leidenschaftlicher Vorgänge bildete, als sie das vorangehende Drama darbot. Zudem hatte ja Gluck selbst vier Jahre später eine ›Iphigenie in Tauris ‹ geschaffen, und Goethes Dichtung war dem Publikum deutscher Theater geläufig. Somit war die Entrückung der Atreustochter in das ferne Land, in welchem sie dereinst die Verbrechen ihres Stammes sühnen sollte, und mit ihr eine [210] feierlich schöne Schlußwendung geboten. Was kein anderer wagen durfte, an das Werk des Meisters durch einen Eingriff in die Textdichtung selbst die nachbessernde Hand zu legen, fühlte Wagner als Pflicht. Er vollzog dieselbe mit gewohnter Hingebung und Sorgfalt. Die Worte, die er der nun in strahlendem Lichtglanze über dem Altar erscheinenden Göttin in den Mund legt, erinnern in ihrer einfach schönen und klaren Diktion an Goethes taurische Iphigenie. Auch die Vorschriften für die szenischen Arrangements zeugen durch ihr Eingehen auf die minutiösesten Einzelheiten von dem Eifer, mit dem er des Werkes, wie eines eigenen, sich annahm. So besonders auch in der genialen szenischen Anordnung des Schlußtableaus, der endlich gewonnenen frohen Abfahrt der Griechen nach Troja. Die düsteren Wolkennebel zerteilen sich, das hellste Tageslicht kommt zum Vorschein, man gewahrt in den klarsten Farben das Ufer und die griechische Flotte, deren Wimpel seewärts flattern und auf welcher, durch Kinder als Matrosen, das regste Leben herrscht.

Die warme Begeisterung, mit welcher seine darstellenden Genossen sich unter seiner Leitung dem Studium ihrer Aufgaben widmeten, konnte ihn wohl für die unverständigen Äußerungen entschädigen, mit welchen seine federführenden Gegner Schritt für Schritt seine gesamte Tätigkeit begleiteten, so lange nicht der eklatante Gegenbeweis eines unleugbaren Erfolges sie vorübergehend zum Verstummen brachte. Wenigstens suchte sich dieses Unwesen anonymer Berichterstatterei vor den Aufführungen seinen Spielraum zu sichern und durch ausgestreute Verdächtigungen den Boden für einen solchen Erfolg im voraus zu unterminieren. So war es gelegentlich der neunten Symphonie geschehen, – das gleiche Manöver wiederholte sich, so bald die Absicht einer bevorstehenden Aufführung des Gluckschen Werkes an die Öffentlichkeit drang. ›Jetzt studiert man Glucks Iphigenie in Aulis‹, ließen sich die Leipziger Signale unterm 17. Februar aus Dresden schreiben. ›Eine unglückliche Wahl, welche Zeit und Mühe erfolglos opfert; denn noch nirgend ist es möglich gewesen, dieses Glucksche Werk, welches, in den Formen am meisten veraltet, von dem dramatischen Inhalte nicht gehoben wird, mit einiger Wirkung wieder auf unserer modernen Bühne zu erhalten.‹ An diese Betrachtung knüpft der Signalist seine Räsonnements über die Fortschritte, die Wagners neuestes Werk, trotz aller unversöhnlichen Kritik, in der Gunst des Publikums gemacht. ›Ein interessantes, bewunderungswürdiges Phänomen ist, daß das Dresdener kühle und bedächtige Theaterpublikum durch die Wagnerschen Opern in ein so feuriges, enthusiastisches verwandelt ist, wie Deutschland es nicht weiter aufzuweisen hat. Denn wo kommt es vor, daß der Komponist einer seit Jahresfrist auf dem Repertoire befindlichen Oper bei der Aufführung derselben noch dreimal gerufen wird, wie bei der letzten Darstellung des »Tannhäuser«? Leider und auffallenderweise hat sich dieser tapfere Enthusiasmus nur für die Wagnersche Musik ausgebildet ... [211] So lange die deutschen Hofkapellmeister die Opern anderer deutscher Kunstkollegen‹ (man denkt unwillkürlich an Hiller und seinen ›Traum in der Christnacht‹!) ›mit einer so schrecklich abwendenden Gleichgültigkeit betrachten und nur für ihre eigenen Opern schwärmen, über andere deutsche Werke (!?) zu peinlichem, strengem Gerichte sitzen und über die eigenen Kompositionen nichts anderes als das Echo süßen Eigendünkels hören möchten: bis dahin wird es mit der deutschen Oper trübselig stehen ... Die Oper wird zur Stadtmusik, und der Komponist besorgt sich seinen Lokalruhm so gut als möglich.‹ Der Adressat auch der letzteren Betrachtungen ist nach dem Vorausgehenden so wenig zu verkennen, wie die ihnen zugrunde liegenden unlauteren Motive des Neides und der Mißgunst. Sie geboten ein Einschreiten gegen alles und jedes, was seinen Ausgang von der angefochtenen Persönlichkeit Richard Wagners nahm.

Glücklicherweise erwies sich ein solches Eisern machtlos, wo die künstlerische Tat auf das Feld trat. Am 22. Februar 1847 gewann sich die ›am meisten veraltete, durch ihren dramatischen Inhalt nicht gehobene‹ Oper Glucks siegreich einen unbestreitbaren Erfolg. Die Schröder-Devrient entfaltete als Klytämnestra alle Macht ihres Künstlernaturells und ersetzte, was dem Stimmorgan an Ermattung anzumerken war, durch ihre plastische Erscheinung und die geniale Vollendung ihres Spieles. So erhob sie insbesondere die große Verzweiflungsszene des dritten Aktes, nachdem Iphigenie zum Altar abgegangen (›meine Tochter, wo ist meine Tochter?‹) zum hinreißenden Höhepunkt ihrer Leistung. Gleich meisterhaft war die Wiedergabe des Agamemnon durch Mitterwurzer, besonders in der großen Szene am Schlusse des zweiten Aktes. Tichatschek sang den Achill mit so zündendem Schwung, daß man bei seinem Vortrag der berühmten D dur-Arie lebhaft an die erste Pariser Aufführung erinnert wurde, bei welcher die jungen französischen Kavaliere den Degen für Marie Antoinette zogen und durch ihren begeisterten Applaus die schwankende Aufnahme des Werkes als eine günstige entschieden. Als jugendliche Heldin Iphigenie stand Johanna Wagner den übrigen Darstellern würdig zur Seite. Die Partien des Kalchas und der Artemis waren in guten Händen. Eine so warme und lebendig gefärbte Darstellung des Werkes in allen seinen Teilen gewann ihm unter allen Gluckschen Opern den populärsten, d.h. nach Wagners Worten, den am wenigsten affektierten Erfolg, so daß es binnen drei Monaten unter allgemeiner Teilnahme nicht weniger als sechs Wiederholungen erlebte.

Für den Dirigenten knüpfte sich an diese Aufführung, noch die Erinnerung an die öffentliche Beurteilung seiner Leistung. ›Sonderbar‹, sagt er selbst ›ging es mir mit der Kritik, vor allem mit dem damaligen Hauptrezensenten Dresdens, Herrn C. Banck. Was dieser früher noch nicht gehört hatte, nämlich die ganze Oper, fand nach meiner Bearbeitung und trotz meiner ihm [212] stets widerwärtigen Leitung, seinen ziemlich ungeschmälerten Beifall; allein der veränderte Vortrag der bereits sonst oft von ihm gehörten Ouvertüre war ihm ein Greuel.‹ Diese hatte nämlich zuvor bereits Reißiger, mit gänzlicher Verkennung ihres poetischen Gedankens, der zu dem Inhalt des dadurch eingeleiteten Werkes in der genauesten Beziehung steht, wiederholt vor der Aufführung einer ganz anderen Oper, der von ihm dirigierten ›Iphigenia in Tauris‹, zum besten gegeben und darin, dem stehenden Zuschnitte der älteren Ouvertürenform gemäß, vom neunzehnten Takte ab ein von Gluck in keiner Weise gewolltes, noch vorgeschriebenes ›Allegro‹ fingiert, welches schließlich, rein nach dem eigenmächtigen Belieben deutscher Konzertdirigenten à la Reißiger in die gedruckten deutschen (nach ihnen vielleicht auch französischen) Ausgaben der Ouvertüre überging. So sehr war man an den stehenden Zuschnitt aller Ouvertüren des 18. Jahrhunderts gewöhnt, die auf eine kürzere Einleitung im langsamen Tempo einen längeren Satz im schnelleren Zeitmaß folgen zu lassen pflegten. Eben durch die willkürliche, gedankenlos mißverständliche Entstellung hatten jene früheren Vorführungen des Tonstückes ihn als Zuhörer immer kalt gelassen. Erst jetzt, durch sein eigenes Studium desselben, lernte er dessen große, gewaltige und unnachahmliche Schönheit recht erkennen und würdigen. Damit ging ihm aber auch die Notwendigkeit einer ganz anderen Art des Vortrages auf.5 Die vortreffliche Kapelle war, wenn auch mit anfänglicher Verwunderung, in vollem Vertrauen zu ihrem Leiter auf diese veränderte Auffassung eingegangen. Anders der Kritiker, der von der ganzen Vorführung nur das eine empfand, daß sie von dem Hergebrachten abwich, und dem entsprechend die Wiedereinsetzung des sonstigen – nicht Gluckschen, sondern Reißigerschen – Allegros in seine früheren, angemaßten Rechte verlangte. ›So wirkte hier die Macht der Gewohnheit: sie verwehrte jedes, auch nur prüfende Eingehen auf das Gebotene, durch meine Auffassung zur neuen Erscheinung Gewordene, so daß ich das Wunderliche erleben mußte, da, wo ich am überzeugtesten zu Werke ging, am verwirrtesten zu erscheinen; da, wo ich glaubte, dem gefunden Gefühle am bestimmtesten Genüge zu tun, für ganz verwahrlost zu gelten. Dazu gab ich meinem Gegner noch eine andere Waffe an die Hand: an einigen Stellen, wo der Gegensatz der Hauptmotive bis in das Leidenschaftliche, Heftige sich steigert, namentlich gegen das Ende, in den acht Takten vor der letzten Wiederkehr des Unisono, ergab sich mir auch eine bewegtere Steigerung des Zeitmaßes als unerläßlich, so daß ich mit dem letzten Eintritte des Hauptthemas das Tempo, ebenso notwendig wieder für den Charakter dieses Themas, zur früheren Breite anhalten mußte. [213] Dem leider nur oberflächlich hinhörenden, nicht die Absicht, sondern nur das Material der Absicht erfassenden Kritiker ergab sich nun hieraus der Beweis für meine irrige Ansicht des Hauptzeitmaßes, weil ich am Schlusse sie ja selbst wieder aufgegeben hätte.6 Ich ersah hieraus, daß der Kritiker immer Recht behalten muß, weil er Worte und Silben sticht, nie aber vom Geiste selbst getroffen wird.‹

Worauf es dem eigentlichen ›Musiker von Fach‹ aber im Grunde hierbei ankam, sollte er bei dieser Gelegenheit ebenfalls noch kennen lernen, als er mit Ferdinand Hiller freundschaftlich über diesen Fall verkehrte. ›Daß ein äußerlicher Tempowechsel in der Ouvertüre nicht stattfinde, mußte er mir, gestützt auf die echte Partitur, allerdings zugeben; nur behauptete er, dem Schisma solle einfach dadurch abgeholfen werden, daß man eben dieses einzige Tempo, somit allsogleich den Anfang‹ (jenes Motiv des Agamemnon, seines Anrufes aus schmerzlichem nagenden Herzensleiden) ›in dem schnellen Zeitmaße nehmen möchte, in welchem sonst das vermeintliche Allegro der Ouvertüre gespielt wurde. Ich fand diesen Ausweg vortrefflich für denjenigen, der weder sich noch andere aus einer Gewöhnung gerissen sehen will, die, wie der Respekt vor eben dieser, und zwar stets falsch vorgetragenen Ouvertüre, einen Teil der Autoritäts-Basis ausmacht, auf welcher sie großwachsen, musizieren, komponieren, dirigieren und – kritisieren. Nur kein Rütteln an dieser Grundlage, und zwar gewiß nicht um der angeblich geliebten Meister, sondern, genau betrachtet, lediglich um ihrer selbst, um ihrer ganz nichtigen Existenz willen: denn das eine zugegeben, daß man bisher ein Werk für ein Muster gehalten habe, dem man noch nicht einmal die Gerechtigkeit einer wahrhaften Würdigung, sondern geradeswegs die sinnloseste Entstellung zuteil werden ließ, – was müßte dann nicht alles endlich noch aus den Fugen geraten!‹7 – –

So die beiden Herren Banck und Hiller, der ›Kritiker‹ und der ›deutsche Kunstkollege‹8! So lange man es einzig mit der Autorität der vorliegenden ältesten und authentischen Partitur, die sich Wagner aus Paris hatte kommen lassen, als maßgebender Quelle zu tun hatte, durfte es scheinen, als könnte es sich, der sicheren Intuition des Meisters gegenüber, noch um die Möglichkeit eines Spielraumes, eines Tummelplatzes für etwaige subjektive Auffassungen oder Meinungsverschiedenheiten handeln! Nicht die geringste Zuflucht von der Größe eines Mauselochs blieb jedoch ihnen beiden übrig, als ein Vierteljahrhundert später (i. J. 1873) die von F. Pelletan und B. Damcke herausgegebene neue Pariser Partitur-Ausgabe der ›Iphigenie in Aulis‹ an das [214] Licht trat, zu deren Herstellung wohlweislich die in den Archiven der Pariser Großen Oper befindlichen Orchesterstimmen zu Rate gezogen waren, deren sich einst Gluck selbst bei der ersten Aufführung seines Werkes (1774) bedient hatte. In allen diesen Orchesterstimmen fand sich nun aber gerade beim 19. Takte, also da, wo der gedankenlosen Routine gemäß, durch eine falsche und willkürliche Voraussetzung, in den deutschen Ausgaben die ›freche Bezeichnung Allegro‹ (wie Wagner sie nannte) aufgekommen war, nach den eigenen Weisungen des Komponisten vielmehr ein ernstes, gewichtiges Grave vorgezeichnet. Wie richtig hatte demnach Wagner auf dem bloßen Wege der künstlerischen Intuition im voraus das latente Tempo der Melodie erkannt, als er mit Bezug auf diese Stelle von der ›massiven Breite des ehernen Unisono‹ sprach. Erst nach den neun Takten dieses Unisono steht dann wieder in den Stimmen die Bezeichnung ›animé‹, die aus dem breiten Grave in das erste Andantetempo zurückführt.9 Wie unglaublich inzwischen durch diese, gerade noch einmal so schnelle Ausführungsweise die Glucksche Ouvertüre entstellt worden war, das wird ›wer Geschmack und Verstand hat, beurteilen, wenn er einen im richtigen, von Gluck gewollten Zeitmaße geleiteten Vortrag des Tonstückes anhört und dann mit dem trivialen Geräusch zusammenhält, das ihm sonst als Glucksches Meisterwerk vorgeführt wurde‹.10

Um die Zeit dieser ›Iphigenien‹-Aufführungen empfing er den Besuch seines Jugendfreundes Johann Kittl, der auf der Rückreise von einer ausgedehnten Tour nach Kopenhagen und Stockholm, Hamburg und Hannover, die er zur Stärkung seiner Gesundheit unternommen, in Dresden eintraf. Er kam soeben von Berlin, wo er von Meyerbeers Mutter zu Tisch geladen war, als diese nach der ersten Aufführung des Michael Beerschen ›Struensee‹, welcher Kittl auch beigewohnt, zu Ehren des Dichters und brüderlichen Komponisten, ein solennes Festessen veranstaltete, wobei der Generalstab der Berliner Rezensenten nicht vergessen war. Auf die Frage Wagners, wie es ihm gehe, erwiderte Kittl: ›Nicht gut! manche Leute leiden an Appetitlosigkeit, andere an Schlaflosigkeit – ich leide an einer Operntextlosigkeit.‹ So verhielt es sich wirklich; schon seit drei Jahren bewarb er sich angelegentlich um Operntexte, die ihm zwar vom In- und Auslande zukamen, aber seinen Anforderungen durchaus nicht entsprachen. ›Ich will Dir helfen, lieber Hans‹, antwortete Wagner ›ich habe einen Text für Dich.‹ Er las ihm nun sogleich ein Manuskript vor, und Kittl war ganz entzückt davon. Wagner machte dabei zur einzigen Bedingung, daß er nicht als Librettist auf dem Theaterzettel genannt würde. Dies war er seiner noch so vielen Mißverständnissen ausgesetzten Tätigkeit schuldig. Die Dichtung war keine andere als die zur [215] ›hohen Braut‹, mit deren Ausführung er vor fünf Jahren Reißiger eine Gefälligkeit zu erweisen vermeint hatte. Wer war glücklicher als Kittl? Heimgekehrt, machte er sich mit Eifer aus Werk und vollendete die Oper in elf Monaten. Schon am 19. Februar 1848 konnte sie unter dem Titel ›Bianca und Giuseppe‹ oder ›Die Franzosen vor Nizza‹ mit glänzendem Erfolge auf dem Prager Theater in Szene gehen. Sie brachte ihrem Autor nicht nur bei der ersten Aufführung einen zwölfmaligen Hervorruf ein, sondern erlebte bis zur Mitte der fünfziger Jahre nicht weniger als zwanzig Wiederholungen, und ward auch bei ihrer späteren Reprise (i. J. 1868) durch lebhaften Beifall ausgezeichnet, so daß ihre Wiedererweckung für den inzwischen gealterten Komponisten (den bald darauf, im Juli desselben Jahres, zu Polnisch-Lissa der Tod ereilte) sich zu einer letzten Lebensfreude gestaltete. Offenbar hatte sich Reißiger mit seiner mißtrauischen Ablehnung dieses Textes gar sehr im Lichte gestanden!

Unter solchen Unterbrechungen war die im September aufgenommene musikalische Ausführung des ›Lohengrin‹ wiederholt für Wochen, ja Monate ins Stocken geraten. über sein künstlerisches Verfahren bei dieser neuen Arbeit, und das darin von ihm beobachtete Verhältnis von Musik und Dichtung, liegt eine gleichzeitige briefliche Äußerung vor, die zugleich einen Rückblick auf das Verhältnis beider Faktoren in der bisherigen ›Oper‹ enthält. ›Ich kann nicht den besonderen Ehrgeiz haben, durch meine Musik meine Dichtung in den Schatten zu stellen; wohl aber würde ich mich zerstücken und eine Lüge zutage fördern, wenn ich durch meine Dichtung der Musik Gewalt antun wollte. Ich kann keinen dichterischen Stoff ergreifen, der sich nicht durch die Musik erst bedingt. Da, wo die Musik mitwirkt, drängt sich dieses mächtig sinnliche Element so lebhaft in den Vordergrund, daß die Bedingungen ihrer Wirksamkeit als einzig maßgebend erscheinen müssen. Ob nun aber die Musik durch ihr eigenstes Element imstande ist, überall dem zu entsprechen, was eine Dichtung – so musikalisch sie auch immer sei – darbietet, wage ich noch nicht zu entscheiden. Glucks Dichtungen machten keineswegs einen erschöpfenden äußersten Anspruch an die Leidenschaftlichkeit der Musik, sie bewegen sich mehr oder weniger in einem gewissen gefesselten Pathos – dem der Racineschen Tragödie – und da, wo dieses vollkommen zu überschreiten war, bleibt Glucks Musik uns unverkennbar viel schuldig. Die Dichtungen der Mozartschen Opern rühren noch weniger an diese äußersten Grundfesten der menschlichen Natur; die »Donna Anna« ist ein einzelner Moment, der das Gebiet bei weitem noch nicht erschöpft. Dem, was sich Spontini im zweiten Akte der »Vestalin« (Szene der Julia) und Weber in Einzelnem der »Euryanthe« (z.B. der Moment nach dem Verrat ihres Geheimnisses an Eglantine usw.) bot, konnten beide nur mit jener so getadelten »verminderten Septimen-Akkord-Musik« entsprechen, und ich meinesteils [216] muß wenigstens an dem, was unsere Vorgänger geleistet, hier eine Grenze der Musik erkennen. Daß wir bei solchen Vorgängern das Höchste und Wahrste der Oper – nicht für ihren rein musikalischen Teil, sondern als dramatisches Kunstwerk im ganzen – bei weitem noch nicht erreicht haben, muß unbezweifelt bleiben, und in diesem Sinne und von dem Stand-punkt meiner, von mir selbst weit eher bezweifelten als überschätzten Kräfte aus, gelten mir meine jetzigen und nächsten Arbeiten nur als Versuche, ob die Oper möglich sei?11 Die formalen Voraussetzungen der ›Oper‹ konnten für den schaffenden Genius nicht bindend sein, der in seinem fessellosen Gestalten aus ihrem engbegrenzten Kreise unwillkürlich in ein neues unbekanntes Gebiet, wie in einen neuentdeckten Weltteil, vordrang. Schritt für Schritt seinen inneren Eingebungen folgend, war er in seinem Schaffen bis auf den entscheidenden Punkt gelangt, wo sich seinem sehnsuchtsvollen Drange der Bereich der reinen erhabenen Tragödie erschloß, in welchem der dramatische Vorgang selbst durch tiefstes Hineinversenken und Mitempfinden der Situation zugleich zur reinsten, verklärtesten Musik ward.

Am 5. März war die Komposition des dritten Aktes beendet: der gottgesandte Held hatte das Geheimnis seiner Herkunft enthüllt, und war mit dieser Enthüllung ›vernichtet in seine Einsamkeit zurückgekehrt‹. Mit welcher persönlichen Hingabe an seinen Gegenstand der Künstler an seinem Werke schuf, darüber belehrt uns sein Bekenntnis, er habe ›wirklichen, tiefen, oft in heißen Tränen ihm entströmenden Jammer‹ über die unabweisliche tragische Notwendigkeit der Trennung, der Vernichtung der beiden Liebenden empfunden. Von einer ausgleichenden Lösung des Konfliktes, wie sie jener Einwurf des reflektierenden Verstandes in ihm selbst zur Anregung gebracht, konnte nach diesem inneren Erlebnis nicht mehr die Rede sein. Hinsichtlich seiner Musik war er sich bewußt, die bereits im ›fliegenden Holländer‹ eingeschlagene Richtung mit notwendiger Konsequenz zur Vollendung geführt zu haben. ›Wie die Fügung meiner Szenen alles ihnen fremdartige Detail ausschloß, hatte ich auch in musikalischer Hinsicht die Einheit meines Kunstwerkes durch ein charakteristisches Gewebe von Hauptthemen zum Ausdruck gebracht, das sich, in innigster Beziehung zur dichterischen Absicht, über das ganze Drama ausbreitete. Eine jederzeit neue, dem Charakter der Situation angemessene Umbildung des thematischen Stoffes drückte dabei meinem Verfahren das Gepräge einer bestimmteren künstlerischen Form auf, als dies noch im »Tannhäuser« der Fall gewesen war. Die herkömmliche Opernmelodie hatte ich völlig aufgegeben und dagegen meiner aus dem Wortverse abgeleiteten, dramatischen Melodie eine harmonische Charakteristik verliehen, die sie, bei entscheidender Wirksamkeit auf das sinnliche Gehör, jederzeit zum entsprechendsten Ausdrucke der im Verse vorgetragenen Empfindung machte.‹

[217] Hatte sich die Arbeit am letzten Akte seiner neuen Schöpfung durch Verzögerungen aller Art durch volle sechs Monate hingezogen, so fand er auch nach ihrem Abschluß nicht sogleich die erwünschte Muße zu ihrer Weiterführung und unmittelbaren Inangriffnahme der beiden ersten Akte. Peinigende äußere Sorgen trugen das Ihre dazu bei, ihm die erforderliche Sammlung des Geistes zu beeinträchtigen. Ein auf uns gekommenes freundschaftliches Schreiben an Kittl (vom 21. März 1847) behandelt hauptsächlich die, wenn nicht verzweifelte, doch mißliche Geldlage, in die er durch die Mesersche Verlagsunternehmung ein für allemal geraten war Seine Gehaltsquittungen habe er bereits drangeben müssen; auch sehe er sich gezwungen, seine Wohnung in der Ostra-Allee, welche 220 Taler kostete, aufzugeben und eine erheblich billigere, für 100 Taler, zu nehmen. Unter diesen Umständen akzeptiert er mit der größten Dankbarkeit Kittls Anerbieten, ihm durch ein Darlehen behilflich zu sein. Ob es tatsächlich zu letzterem gekommen, müssen wir dahingestellt sein lassen. Der Palmsonntag (28. März) brachte eine Wiederholung der neunten Symphonie, diesmal ohne daß die erste Anregung dazu von ihm auszugehen brauchte. Der vorjährige Kassenerfolg hatte die Wirkung gehabt, daß die Orchestervorsteher die Jahre seiner Dresdener Wirksamkeit stets wieder dazu benutzten, sich der gleichen hohen Einkünfte zu versichern Dagegen war er nach wie vor unermüdlich darum besorgt, dem ungeheuren Werke durch eine vollendete Vorführung ein noch tieferes Verständnis zu verschaffen. Redlich stand ihm dabei, da er nicht alle Chorproben persönlich mehr leiten konnte, der alte Fischer als Chordirektor zur Seite. Die Möglichkeit eines populären Erfolges dieser Symphonie beruhte nach Wagners Auffassung vorzüglich auf einem zuversichtlich kühnen Vortrag der Chöre, und gerade dieser konnte nach seinem eigenen Zeugnis nur durch Fischers beispiellose Sorgfalt erreicht werden.

Ein schönes Verhältnis bestand, seit Fischers er sten warm freundschaftlichen Bemühungen um den ›Rienzi‹, trotz des beträchtlichen Altersunterschiedes von vierundzwanzig Lebensjahren, zwischen ihm und dem jungen Meister. Unvergeßlich blieben dem Letzteren so manche Züge seines amtlichen und persönlichen Verkehrs mit dem würdigen Alten. ›Wie oft hatte ich den Armen zu beklagen, wenn er meinen rücksichtslosen Forderungen mit seiner eigenen Verzweiflung antworten mußte: da waren ihm gute Sänger erkrankt, die besten durch verweigerte Zulage entlassen, der Rest ermüdet, durch übermäßige Beschäftigung außerstand gesetzt, durch Verwendung zu Statisten bei Schauspielproben zurückgehalten. Und er war ein besonnener Mann, der nichts gern schnell zum Bruche trieb, sondern vermittelte, aus dem Erträglichen zum Guten zu schaffen suchte. Da kamen wir denn auch wohl hintereinander, und der Stämmige ereiferte sich gegen den Stürmischen um so gewaltiger, da ja auch er nur wollte, was ich wollte.‹ Aber wenn es nun doch gelang, – [218] welche Freude, welches Schwelgen der Versöhnung! Nur das brüderliche Du, welches Wagner ihm antrug, wies der Wunderliche wegen seiner ihm untergeordneten äußeren Stellung zurück, und brachte es ihm erst nach des Meisters Weggang von Dresden freiwillig entgegen Wenn Fischer von den Mühen seines Berufes in sein Haus sich zurückzog, traf ihn Wagner nicht selten über einer eigenartigen Erholungsbeschäftigung: sie zeugte von seinem unablässigen Bildungstriebe. Mit seiner sauberen Handschrift schrieb er sich allerlei seltene Tonwerke ab, namentlich für vielstimmigen Gesang und von älteren Meistern, die den meisten kaum dem Namen nach bekannt waren. Wagners staunendem Lächeln entgegnete er dann: ›er fülle seine freie Zeit so am angenehmsten aus und lerne dabei ungemein viel; denn, könne man nicht selbst solche Werke schreiben, so, glaube er, sei es das beste, sie geradeswegs abzuschreiben, – man studiere sie da so gründlich‹. Durch so redliches Wollen und ernste Studien gelang es ihm, sein Verständnis jedem Fortschritt, jeder Ausbildung des Älteren offen und frei zu erhalten. ›Und damit wurde es ihm möglich, selbst so bezweifelten und mißtrauisch begrüßten Erscheinungen, wie meinen Arbeiten, nach manchem Bedenken und Kopfschütteln, endlich mit schöner Unbedenklichkeit die Hand zum Willkommen entgegenzustrecken, zu ihrer Verwirklichung mitzuhelfen und durch seine Liebe sich völlig mit dem Autor zu verschmelzen.‹

Die Übersiedelung Wagners aus der Ostra-Allee in seine neue Behausung vollzog sich alsbald nach der Palmsonntag-Aufführung, in den ersten Tagen des April 1847. Es war das, um jene Zeit in städtischen Besitz übergegangene, ehemalige Marcolinische Palais, Napoleonischen Angedenkens,12 in der zwar entlegenen, dafür aber desto stilleren Friedrichsstadt, in dessen oberem Stockwerk eine Reihe von Zimmern zur Vermietung frei standen. Das untere Stockwerk hatte der uns schon vom Engelklub her (S. 141/42) bekannte Bildhauer Prof. Ernst Julius Hähnel, dessen Atelier sich im Erdgeschoß befand, für seine Privatwohnung inne. In dieser neuen Umgebung wurde – nachdem er es sich erst darin behaglich gemacht – der erste Akt des ›Lohengrin‹ in einem Zuge in nicht ganz vier Wochen beendet. Am Mittwoch, den 12. Mai, nahm er die Arbeit auf, als das Theater soeben ›infolge Ablebens Sr. Kgl. Hoheit des Prinzen Ernst‹ auf mehrere Tage geschlossen blieb, und die Feier der Exequien sowie andere Umstände die Zahl der Theaterabende lichteten. Am Sonntag, den 16., erfolgte indes bereits die Abschiedsvorstellung, mit welcher die Schröder-Devrient in der Rolle [219] der Klytämnestra in der ›Iphigenie in Aulis‹ sich für immer von der Dresdener Hofbühne lossagte.13 Es war kein freudiges Scheiden; nur mit Bangen sahen ihre Freunde der ferneren Entwickelung ihrer unheilvoll verknüpften Lebensschicksale entgegen.14 Aus demselben Monat Mai gedenkt Fr. Pecht eines, in diesen schönen Frühlingstagen ›in voller Maienlust‹ dem eben auf der Durchreise in Dresden eingetroffenen Emanuel Geibel gegebenen Diners auf Findlaters Schlößchen, einem oben an der Elbe hoch überm Strom herrlich gelegenen Vergnügungsort nebst Restauration, das später in den Besitz eines preußischen Prinzen überging. Geibel hatte sich damals soeben durch den für Mendelssohn gedichteten Text seiner ›Loreley ‹ auf seine Art im Opernfache versucht; offen und ehrlich, das gerade Widerspiel des hinterhaltig cholerischen Gutzkow, erfreute er alle (wie wenigstens Pecht von ihm sagt) durch das wohltuend Harmonische seiner Persönlichkeit. Auf jenem Diner bei Findlaters, wo außer ihm selber und Pecht nur Richard Wagner, Semper, Hähnel, der Maler Ramberg und Hiller anwesend waren, wurde er so fröhlich, daß er endlich auch ›köstlich zu improvisieren begann‹. Er tat dies nach Pechts Erinnerungen ›zwar vielleicht formvollendeter, als einst Wagner in jener Pariser Silvesternacht,15 aber gewiß nicht witziger und schlagender: er sprach wohl in besseren Versen, konnte es aber an treffenden Einfällen kaum mit Wagner aufnehmen.‹16

Von solchen amtlichen und gelegentlichen geselligen Ansprüchen abgesehen, die seine wohltätige Zurückgezogenheit ab und zu zerstreuend unterbrachen, konnte sich der Künstler ungestört der Arbeit am ersten Akte des ›Lohengrin‹ widmen, die er am Dienstag, den 8. Juni, vollendete; bereits zehn Tage später, am Freitag, den 18., schritt er an die musikalische Ausführung [220] des zweiten Aktes, der ihn bis zu seiner Vollendung am 2. August unausgesetzt in seinem magischen Banne hielt.

Die Vorführung der Gluckschen ›Iphigenie‹ war einer der letzten Anlässe gewesen, die in ihm lebende künstlerische Wärme und Begeisterung den Vorführungen des Kunstinstitutes einzuhauchen, als dessen angestellter Kapellmeister er sich vielmehr, im gewöhnlichen Laufe des Repertoires, in einen ›martervoll schwankenden, unsicheren, tappend irrenden und widerspruchsvollen Gang‹ gedrängt sah. War er doch unter den stets erneuten, immer wieder als fruchtlos erkannten Versuchen zur Erlangung eines entscheidenden Einflusses auf die Theaterangelegenheiten schließlich zu einer hoffnungslosen Gleichgültigkeit gegen dieselben gelangt! Sich den niederdrückenden Einwirkungen dieser unnatürlichen Stellung zu entheben, ließ ihm die endliche Ablehnung seiner schriftlich überreichten Reformvorschläge durch die Generaldirektion nur einen Weg noch übrig: vollständiges Zurückziehen und Beschränkung auf seine strikte Pflicht. ›Ich zog mich in immer größere Einsamkeit zurück und lebte in innigem Umgang fast nur noch mit einem Freunde, der in der vollen Sympathie für meine künstlerische Entwickelung so weit ging, den Trieb und die Neigung zur Geltendmachung seiner eigenen künstlerischen Fähigkeiten – wie er mir selbst erklärte – fallen zu lassen.‹ Es ist August Röckel gemeint. Der feurig herzliche Anschluß dieses Kollegen und Freundes gewährte dem schaffenden Meister in seiner sehnsüchtig schaffensfreudigen Einsamkeit das einzige Bewußtsein davon, nicht ganz allein dazustehen. So rückhaltslos war das freiwillige Aufgehen Röckels in die von ihm erkannten höheren Kunstziele seines Freundes, daß er seit dessen näherer Bekanntschaft jeden Gedanken an eine Dresdener Aufführung seiner eigenen Oper ›Farinelli‹ (die ihm einst die Anstellung neben Wagner verschafft) völlig und mit Überzeugung aufgegeben hatte. Keine Ermunterung Wagners hatte ihn je dazu vermocht, eine neue künstlerische Arbeit in Angriff zu nehmen; selbst ein für ihn bereits fertig entworfener Text zu einer dreiaktigen Oper ›Andreas Hofer‹ vermochte ihn nicht zu einer selbständigen Betätigung als schaffender Künstler zu bewegen. Bedingungslos ordnete er sich dem für höher Erkannten unter und fand in diesem Verhältnis seine Freude und seinen größten Stolz.

Seit Beginn des Jahres 1847 war nunmehr auch Gutztkow in seine Funktion als Dramaturg am Dresdener Theater getreten. Er hatte Lüttichau zu imponieren verstanden, in den Konflikten, die ihm sein ›Uriel Akosta‹ bei Hofe zuzog, auch Frau v. Lüttichau zur wohlwollenden Beschützerin gehabt und mit seinem hochentwickelten Selbstgefühl sich von Hause aus bei der Generaldirektion eine maßgebende Stellung erobert. Daß er seiner ganzen Individualität nach die für das ihm anvertraute Amt eines ›Dramaturgen‹ erforderlichen Eigenschaften nicht besaß, erwies sich nur zu bald, wie er es [221] denn auch kaum volle drei Jahre innegehabt hat. Leider fielen diese drei Jahre zum größeren Teil noch in die letzte Periode von Wagners Dresdener Amtstätigkeit und führten zu neuen Kämpfen und Komplikationen der übelsten Art, so daß seine Beziehungen zur Generaldirektion sich gerade infolge der Gutzkowschen Anmaßungen und Übergriffe zum erstenmal entscheidend zu lockern begannen. Durch seine Neigung zu sarkastischen Ausfällen brachte sich der neue Dramaturg bald nach allen Seiten hin in gereizte Verhältnisse; vor allem aber fehlte es ihm, der aus dem Gebiete der bloßen Journalistik und abstrakten Literatur zum Theater übertrat, für dieses letztere an jeder praktischen Kenntnis und Befähigung, namentlich sobald er durch Regieleitung und Engagementsbefürwortungen in das Gebiet der Oper einzugreifen sich anmaßte. Von einem Zusammenwirken mit Wagner, ja von dem bloßen guten Willen dazu oder dem Versuch einer Annäherung war keine Rede. Zu hochentwickelt war sein Eigendünkel, zu leicht gewonnen das Ansehen, worin er sich bei der Generaldirektion zu setzen gewußt, als daß er es nur für nötig erachtet hätte, sich um eine tiefere Erkenntnis der künstlerischen Tendenzen des Meisters zu bemühen.17 Im Gegenteil gab sein Eintritt ins Amt zum Ausbruch längst vorbereiteter Konflikte zwischen letzterem und der Direktion den entscheidenden Anstoß. ›Wenn an und für sich‹, sagt Wagner von ihm ›der Gedanke demütigend war, daß ein Mann, der vor nicht sehr lange eben nur Journalist gewesen, sich seitdem flüchtig mit dem Theater (wenn auch sehr mit dessen chronique scandaleuse) bekannt gemacht, noch nirgends aber betätigt hat, daß er von der Sache in Wahrheit etwas verstehe, – plötzlich die höchste technische und selbst administrative Gewalt über eine Anstalt erhielt, die vorher bereits schöne Blüten getrieben: so blieb ich doch ohne Grund, mich im Interesse der Oper persönlich zu beschweren, solange ich annehmen durfte, seine Instruktionen erstreckten sich zunächst nur auf das Schauspiel. Nahm ich nun aber wahr, wie dieser Mann in der kürzesten Zeit es dahin brachte, daß er seiner abgeschmackten und die höchste Unkenntnis verratenden Anordnungen und Prätensionen wegen von dem sämtlichen Schauspieler-Personal [222] bereits verlacht und verachtet ward, so konnte es mir nicht gleichgültig bleiben, daß derselbe auch der Opernverwaltung vorstehen sollte.‹ Diese Erfahrung war es, die ihn gleich zu Beginn des Jahres 1847 zu einiger merklichen Zurückhaltung gegen Lüttichau bestimmte; er hielt sich abseits und leugnete bereits damals nicht, daß dies aus Verdruß geschah. Was in dieser Zeit an Leistungen der Hofbühne zutage trat, lag vor aller Augen offen da: der Höhepunkt der Gutzkowschen Leistungen im Gebiete der Opernregie war die Inszenierung der Halevyschen Oper ›Die Musketiere der Königin‹ (24. Jan. 1847) gewesen, seine eigene hingegen das kunst- und theatergeschichtliche Ereignis der Wiederbelebung der ›Iphigenia in Aulis‹! Inzwischen hatte aber die Anmaßung Gutzkows immer rücksichtsloser und unbeschränkter um sich gegriffen und sich u.a. auch in den Direktionssitzungen breit gemacht, wo er zur Ergänzung tatsächlich bestehender Lücken im Sängerpersonale ohne jede Spur von Fachkenntnis Engagements befürwortete, deren Hoffnungslosigkeit von vornherein zu durchschauen war, und gegen wirklich ausführbare Hebungs- und Verbesserungsvorschläge seine wohlfeile Beredsamkeit – immer unter Lüttichaus bevorzugender Deckung – in einer Weise spielen ließ, daß sich Wagner dadurch vollends in die Unmöglichkeit versetzt sah, bei der Konkurrenz so eigentümlicher gleichberechtigter Mitredner das ihm zweckmäßig Erscheinende zur Geltung und Ausführung gebracht zu sehen, vielmehr bei jeder seiner offiziellen Äußerungen auf eine mehr oder minder lähmende und erschlaffende Entgegnung oder Abweisung stieß. Wiederholt hatte er in solchen Stimmungen bereits erwogen, auf welche Weise es ihm wohl möglich sein dürfte, sich der Verantwortlichkeit für einen Geschäftsgang zu entziehen, in welchem er von verschiedenen Seiten her als lebhaft mitwirkend gedacht wurde, und deshalb Angriffen in der Öffentlichkeit ausgesetzt war, die ihn um so peinlicher berührten, je höher dabei von Außenstehenden sein Einfluß irrigerweise angeschlagen wurde.

Insbesondere hatte es der neue Dramaturg – in Übereinstimmung mit der gesamten Dresdener ›Kritik‹ – auf Johanna Wagner abgesehen, von der nicht zu leugnen war, daß sie als noch jugendliche Anfängerin unmöglich die durch den Abgang der Schröder-Devrient entstandene Lücke auszufüllen imstande war. Man kann sich nun lebhaft vorstellen, mit welcher Wärme es Wagner, bei der völligen Uneigennützigkeit aller Triebfedern seines Handelns, begrüßt haben würde, wenn es Gutzkows Bemühungen gelungen wäre, dem Dresdener Hoftheater eine wirklich bedeutende Künstlerin zuzuführen! Daß er dies nicht vermochte, war nicht seine Schuld; wohl aber, daß er bei seinen unglücklichen Versuchen zur Einschiebung mittelmäßiger Talente soweit ging, den Mißerfolg in gehässiger Weise ›der musikalischen Direktion‹ zuzuschieben, die ›aus verwandtschaftlichen Gründen‹ dem Engagement eines solchen Gastes entgegenwirke! Ein hervorragendes Beispiel dieser Art war das von ihm [223] mit allen Mitteln betriebene Engagement einer Mme. Küchenmeister, deren Mann ihm als unbedeutender Literat befreundet war, und bei deren etwaiger Anstellung am Dresdener Hoftheater es ihm offenkundig nicht auf das Gedeihen der Dresdener Oper ankam, sondern einzig daran gelegen war, seine Macht und seinen Einfluß zu verstärken, indem er auch die Oper mit Personen zu besetzen wünschte, die zu seiner Clique gehörten. Es war in diesem Anlaß, daß er, nach den zart andeutenden Worten Ed. Devrients, in den Fehler verfiel: Zeitungsartikel über das von ihm vertretene Theater zu schreiben.18 Das Schonende, ja fast Beschönigende in Devrients (historisch rückblickender) Äußerung besteht darin, daß er nicht hervorhebt, daß es – wenigstens im gegenwärtigen Falle – anonyme Wühlereien in Form von Berichten über das Dresdener Theater waren, in denen er gleichwohl, wenn es zu seinen Zwecken paßte, auf so interne Dinge, wie in den Direktionssitzungen getane Äußerungen Bezug nahm! Sie erschienen im Monat Juli in der Brockhausschen ›Deutschen Allgemeinen Zeitung‹, die aus lauter Unparteilichkeit wiederholt schon Wagners schlimmsten Gegnern ihre Spalten bereitwillig geöffnet hatte.19 Diesmal war nun aber allerdings auf seiner Seite das Maß der Geduld überschritten, und er wandte sich, unter dem Datum des 9. Juli 1847, in einem besonderen ausführlichen Schreiben direkt an Lüttichau, um gegen Gutzkows Unverschämtheit zu protestieren ›denn daß diese Berichte von ihm direkt herrühren, wird ihm hoffentlich nicht einfallen zu leugnen, widrigenfalls es ihm bewiesen werden könnte‹.

›Die Art und Weise nun‹, fährt das eben erwähnte Schreiben fort ›die Art und Weise, wie Herr Gutzkow es versucht, Ew. Exzellenz durch Zeitungsschreibereien und allerhand sonstige Machinationen zum Engagement der Madame Küchenmeister zu zwingen, ist meines Erachtens dem Institute und zumal Ew. Exzellenz gegenüber so kompromittierend, daß es mir – aufrichtig gesagt – unbegreiflich erscheinen würde, wenn dieser Mann nicht zur strengsten Rechtfertigung gezogen werden sollte, da ich mich nicht erwehren kann zu glauben, sie müsse ihm eigentlich seine Stellung kosten, – zum mindesten weiß ich, daß ein Minister einen Beamten entlassen würde, der sich ein gleiches Vergehen zuschulden kommen ließe. In dem gestrigen Berichte der Brockhausischen Zeitung steht klar und deutlich: – die Direktion möge sich über das so notwendige Engagement der Mad. Küchenmeister nicht durch [224] Parteigetriebe irre machen lassen, und gleich darauf folgt eine Anspielung auf eine kürzlich in der Konferenz (also in Herrn Gutzkows Gegenwart) von mir getane Äußerung der Zufriedenheit über die Stimme der Marpurg, welche Äußerung der Berichterstatter auf eine Weise benutzt, als läge mir daran, neben meiner Nichte keine andere Sängerin, als eben nur eine Marpurg aufkommen zu lassen. Und eine solche Verdächtigung wagt Herr Gutzkow, der mir besser bezeugen kann als irgend ein anderer, mit welchem Eifer auch ich meinesteils auf das Küchenmeisterische Gastspiel drängte und wie gern ich mir davon das Beste erhoffte! – Hierzu kommt nun, daß ich genau in Erfahrung gebracht habe, wie Herr Gutzkow sich durch seinen Freund, den Journalisten Herrn Küchenmeister, auch mit dem Journalisten Herrn Banck in Einverständnis gesetzt hat, – denn Herr Gutzkow verschmäht nichts, um zu seinem Zwecke zu gelangen; und dieses Einverständnis erhellt mir u.a. auch aus einer Stelle im gestrigen Bericht der genannten Zeitung, worin es heißt, daß Mad. Küchenmeister diesmal (im »Liebestranke«) ihre Stimme besser zu behandeln vermocht hätte als in der ersten Vorstellung, da sich diesmal »das Orchester besser ihrer Stimme angeschmiegt« habe! Im Tageblatte20 steht nun ganz unverhohlen, daß, wenn die Sängerin im, Robert der Teufel. nicht so angesprochen habe, dies die Schuld der musikalischen Direktion gewesen sei! Es geht also in beiden Artikeln, im Gutzkowischen nur etwas seiner, darauf hin, daß ich meiner Nichte zulieb die Küchenmeister chikaniere. – Gegen Niederträchtigkeiten dieser Art kann mich mein Gewissen allein nicht schützen, sondern ich muß meiner Ehre zulieb auf einer dezidierten Genugtuung bestehen‹.

›Dieser böse Geist‹, heißt es dann aber des ferneren, ›der durch Cliquenwesen und Verdächtigungsumtriebe alles nötige gegenseitige Vertrauen vernichtet und unser Institut einer sicheren moralischen Auflösung zuführt, kann niemand mehr bekümmern als mich, der ich offen, warm und begeistert einem höchsten Ziele zustrebe, und der ich ohnedem so oft schon zu bedauern habe, mißverstanden und mit üblem Vertrauen belohnt zu werden. Mein Schmerz, unter solchen Umständen zu immer größerer Unlust und daraus erfolgender Untätigkeit mich verwiesen zu sehen und somit alle gerechten Erwartungen, die auf mich und meine Fähigkeiten gesetzt wurden, immer unerfüllter zu lassen, ist so groß und aufrichtig, daß ich bei glücklicheren äußeren Verhältnissen ohne Zweifel schon Se. Majestät um meine gänzliche Entlassung ersucht haben würde. Gegenwärtig, wo von allen Seiten auf mich und meine sehr unrichtig gedeutete oder angeschlagene Einwirkung hergezogen wird, und nun auch noch inmitten der Administration Leute sitzen, wie dieser [225] traurige Dramaturg, – gegenwärtig, sage ich, ersähe ich gar kein anderes Mittel innerer und äußerer Genugtuung, als in meiner Entlassung, wenn meine verwickelten äußeren Verhältnisse dieser eben nicht ein Hindernis in den Weg legten. Dem ohngeachtet kann ich aber kein Sklave dieser Verhältnisse bleiben, und sollten Ew. Exzellenz nicht den Weg ersehen, auf welchem ich zunächst wenigstens Herrn Dr. Gutzkow offiziell von aller Einmischung in die Angelegenheiten der Oper und zumal auch von unseren Opern-Konferenzen zu entfernen, und könnte sich endlich Ew. Exzellenz nicht entschließen, mir die Leitung der Oper rückhaltloser zu übertragen, als dies bisher der Fall war: so bin ich fest entschlossen, der Weisheit Sr. Majestät des Königs das Ermessen zu übergeben, inwiefern und auf welche Weise meine an den Tag gelegten Fähigkeiten als dramatischer Komponist und Dirigent guter Musiken im Dienste Sr. Majestät so zu verwenden wären, daß mir dafür ein Honorar zugestanden werden könnte, welches hinreiche, meine eingegangenen Verbindlichkeiten gegen den Pensionsfond zunächst zu sichern, mir aber keine amtlichen Beziehungen und Pflichten im betreff der Opernangelegenheiten aufbürde, denen ich meinem Eide gemäß nicht zu entsprechen vermag. Lieber überlasse ich mich nackt und schutzlos der Fürsorge Gottes allein, als daß ich länger in einem Verhältnisse Schutz suche, in dem mein Gewissen und meine Ehre zugleich beunruhigt werden sollten.‹

Soweit war es im Laufe von viereinhalb Jahren in dem Verhältnis zwischen dem Künstler und seinem Vorgesetzten gekommen, das sich in seinem ersten Beginn ziemlich hoffnungsvoll anließ. Was einem Manne, wie Lüttichau, so sehr jede Selbständigkeit des Urteils raubte, war leider der völlige Mangel an Bildung, durch welchen eine rücksichtslose Natur, wie diejenige Gutzkows, sich ihn so leicht zum ›Spielball‹ machen konnte.21 Die verlangte ›Genugtuung‹ ward dem Meister kaum in dem gewünschten Maße zuteil, seine Entlassung allerdings ebenfalls nicht. ›Vielleicht hast Du bereits davon etwas gehört‹, schreibt er unterm 6 August an den alten Freund Heine, den damals eine Kur für längere Zeit von Dresden entfernt hielt ›daß ich seit ungefähr drei Wochen auf das bestimmteste mit Lüttichau gebrochen habe, so daß zumal von meiner Seite aus an eine Wiederversöhnung gar nicht mehr zu denken ist. Gutzkow wurde mir zur Veranlassung. Die Umstände sind eigentlich vollständig gleichgültig; es ist der uralte Kampf der Kenntnis und Überzeugung gegen den Unverstand. An ein übereinkommen ist da gar nicht zu denken; ist aber ein Konflikt einmal so weit geraten, wie dieser letzte, so [226] wird endlich auch ein Nebeneinander-Bestehen undenklich, und so verharre ich jetzt in dem festen Entschlusse, der Sache ein Ende zu machen. Ich bin so voll der tiefsten Verachtung unseres jetzt herrschenden Theaterwesens, daß ich – indem ich fühle, es jetzt nicht besser zu können – keinen heißeren Wunsch habe, als mich ganz davon loszusagen, und ich habe es als einen wahren Fluch zu betrachten, daß mein ganzer produktiver Drang sich der dramatischen Formung zugewendet hat, weil ich in der elenden Beschaffenheit unserer Theater die völligste Verhöhnung meiner Bemühungen erblicken muß.‹ Nichts anderes konnte er daher wünschen, als in ungestörter Zurückgezogenheit schaffen zu können; die Möglichkeit der, wiederum einzig ihm nötigen, verständnisvollen Mitteilung des Geschaffenen kümmerte ihn damals kaum. Er konnte sich sagen, daß seine Einsamkeit nicht eine egoistisch von ihm aufgesuchte, sondern lediglich von der Ode weit um ihn herum ganz von selbst ihm aufgedrängte sei! So verblieb es denn einstweilen dabei, daß er seine Funktionen am Dirigentenpulte gleichmäßig auszuüben fortfuhr, dagegen von weiteren administrativen Beratungen sich entschieden fernhielt. Noch einmal ersuchte er in gegebenem Anlaß Herrn v. Lüttichau in einem Schreiben vom 10 August, in geneigte Erwägung zu ziehen, wie sehr ›unter den bestehenden Verhältnissen und nach den ihm zugestoßenen Erfahrungen sein Wunsch, aus seiner jetzigen Stellung als Kapellmeister auszuscheiden, ein aufrichtiger sein müsse‹. ›Wenn ich nun meiner bis jetzt noch nicht geordneten Lage einerseits, andrerseits aber zumal einem Wohltäter gegenüber, dessen größte Verdienste um meine Person mir eine unvergeßliche Verpflichtung auferlegen, die vollste Rücksicht darauf zu nehmen habe, daß ich in meinem Vorhaben mit überlegtester Besonnenheit und ohne alle Übereilung zu Werke gehe, so hoffe ich der Billigung dieser Rücksicht von Seiten Ew. Exzellenz gewiß sein zu dürfen Richte ich zugleich die gehorsamste Bitte an Ew. Exzellenz, bis zur Lösung der obschwebenden Fragen mir amtliche Zitationen zu ersparen, so fürchte ich nicht, dies als grobe Dienstpflicht-Verletzung gedeutet zu sehen, da ich die wesentlichen Obliegenheiten eines Kapellmeisters auch jetzt nicht im geringsten zu vernachlässigen mir bewußt bin.‹ Die gleiche Gesinnung prägt sich in einem, tags darauf (11. August) an Kittl gerichteten Briefe ebenso unumwunden aus. Mit dem Intendanten habe er sich auf das unversöhnlichste überworfen; die ganze Theaterwirtschaft sei ihm ein absoluter Greuel. ›Verkehre Du amtlich mit diesen Leuten, so wirst Du die schönsten Sängerinnen und Sänger bald auch wie ich bis über den Hals satt haben.‹ Selbst an seiner eigenen Nichte Johanna, wie auch an Tichatschek, hatte er gerade um diese Zeit Erfahrungen zu machen, welche dem Geiste dieser ›Wirtschaft‹ nur allzusehr entsprachen!22

[227] Zu den Zurückgezogenen der damaligen Periode gehörte auch Gutzkows Amtsvorgänger, der in mancher Hinsicht feingebildete Eduard Devrient. Ursprünglich für den Handelsstand bestimmt, war dieser, trotz mäßiger Begabung für den Schauspieler-Beruf, zum Theater gegangen und von Berlin aus, wo er zugleich als Regisseur gewirkt, nach Dresden gelangt, um hier außer seiner darstellerischen Tätigkeit noch die Oberregie des Schauspiels zu übernehmen. ›In ihm war der künstlerische Verstand, als Ersatz für den Mangel einer bedeutenderen, unmittelbar schaffenden Gestaltungskraft, in einem Maße entwickelt, daß selbst noch in seinen besten Leistungen ein Rest von künstlerischer Absichtlichkeit fühlbar wurde, welcher erkältete und störte. Einem so scharf beobachtenden Geiste, als er es andererseits war, konnte dies selbst nicht verborgen bleiben. Er wußte sich aber damit abzufinden, indem er die Genialität, die er schlechthin mit ihren Ausschreitungen verwechselte, als die Quelle alles Unheils für die Entwickelung der Schauspielkunst ansah und das wahre Gedeihen derselben einzig und allein von dem gewissenhaften Fleiße des mittleren schauspielerischen Talentes abhängig machte. Dies führte zu der prinzipiellen Begünstigung der Mittelmäßigkeit, an welcher jetzt so viele Theater leiden.‹23 Durch die unaufhörlichen Rücksichtslosigkeiten und komödiantischen Intriguen seines eigenen Bruders Emil dazu bewogen, hatte er die übernommene dramaturgische Funktion nach nicht völlig zwei Jahren niedergelegt und sich auf seine Schauspielertätigkeit und das ihm aufgedrungene Amt eines dramaturgischen Beirats beschränkt. Er war um diese Zeit ausschließlich mit der Abfassung seiner mehrteiligen größeren Arbeit ›Geschichte der deutschen Schauspielkunst‹ beschäftigt Seine besondere Schätzung dieses Buches hat Wagner bei verschiedenen Anlässen ausgesprochen;24 sein persönlicher Umgang mit dem ›respektablen, treuherzigen, aber schwachen Menschen‹ ward ihm allerdings, wie er sich bei späterem Rückblick eingestehen mußte, zur ›fort laufenden Marter‹.25 Alle Fruchtbarkeit des Verkehrs beruht auf geistigem Austausch, Empfangen und Geben; von Devrients sorgfältig gepflegter Bildung war es wohl möglich, manche nachhaltige Anregung zu empfangen, nie aber ihn eines Besseren und Höheren zu belehren Es ergab sich daraus, [228] daß ein fortgesetzter Umgang mit ihm von Wagners Seite eben jenen Aufwand an Geduld und Nachsicht beanspruchte, auf den er sich in seinen künstlerischen und persönlichen Beziehungen allerdings von jeher angewiesen gesehen hatte. Wie anders, rege und beiderseitig fördernd, gestaltete sich dagegen das Verhältnis zu Röckel! Noch nach fünfzehn Jahren (1862) gedenkt Wagner in der Erinnerung dankbar ihres damaligen Verkehrs, ihrer gemeinsamen ›Dresdener Spaziergänge‹: ›es war doch etwas dahinter, als wir Beide so zusammen waren‹.26

›Mein Leben auf Marcolinis bekommt mir gut‹, rekapituliert er in seinem Brief an Heine den Verlauf dieser Sommermonate von 1847. ›Immer gesund, habe ich nun noch die zwei Akte meines »Lohengrin« fertig gemacht, habe die Komposition dieser Oper somit beendet, und bin froh und glücklich darüber; denn ich freue mich meiner Arbeit.‹ ›Der König von Preußen war eine Woche in Pillnitz, – eine Gelegenheit, die L(üttichau) leider zu gar nichts benutzte‹ – fährt dieser briefliche Bericht fort. ›Jener muß aber mit diesem und wahrscheinlich der ganze Hof Manches über mich gesprochen haben; denn am Tage nach einer großen Tafel kam Lüttichau in die Stadt gesprengt und bestellte, alles Übrige solle bei Seite gelegt werden und zunächst »Rienzi« wieder in Szene gehen. Wohlverstanden, alles nach meiner Katastrophe‹ – nämlich dem bereits erwähnten Zerwürfnis mit seinem Intendanten! Das Interesse des preußischen Herrschers, der bereits im Vorjahre der 25. Aufführung derselben Oper mit allen Zeichen des Beifalles beigewohnt,27 war für den Künstler in bezug auf seine Berliner Projekte nicht gleichgültig: wiewohl er sich nicht verleugnete, daß die dortige Hofoper keineswegs in den Händen des Monarchen selbst, sondern ausschließlich unter der Botmäßigkeit Meyerbeers sich befand. Wie König Friedrich Wilhelm IV. im Grunde über seinen Generalmusikdirektor gesinnt war, beweist wohl am schlagendsten sein bekanntes Witzwort über die ›Hugenotten‹: ›Katholiken und Protestanten schneiden sich die Hälse ab, und der Jude macht die Musik dazu‹; – wie wenig der hohe Herr aber an der absoluten und unbedingten Herrschaft Meyerbeers über die Berliner Oper praktisch etwas zu ändern vermochte, ohne sich ernstlicher, als ihm angenehm war, in die Angelegenheiten seiner angestellten Beamten zu mischen, läßt wohl der Umstand, daß er sich eine Aufführung des ›Rienzi‹, statt an seinem eigenen Theater, immer nur wieder in Dresden anzuhören Gelegenheit nahm, in das eigentümlichste Licht treten.

An einem Werke wie dem ›Lohengrin‹ mit seiner hehren Entrücktheit schaffen und zugleich auf äußere Erfolge bedacht sein, günstige Aussichten oder Chancen in Erwägung ziehen müssen, – dieser schneidende Gegensatz [229] ward von dem Künstler schmerzlich genug empfunden. ›Nur ein widerlich fesselndes Band hielt mich noch an unsere öffentlichen Kunstzustände fest, – die Verpflichtung, auf möglichen Gewinn von meinen Arbeiten bedacht zu sein, um meiner äußeren Lage aufzuhelfen. So hatte ich noch immer für äußeren Erfolg zu sorgen, trotzdem ich diesem für mich und mein inneres Bedürfnis bereits gänzlich entsagt hatte‹ Hierfür behielt er, in Anknüpfung an so manche früher in ihm erregte Hoffnung (S. 147/48), vorzugsweise Berlin im Auge. ›Die Annahme meines »Tannhäuser« war mir daselbst verweigert: nicht mehr für mich, sondern für Andere besorgt, bemühte ich mich dort um die Aufführung meines für mich längst abgetanen »Rienzi«. Hierzu bestimmte mich einzig die Erfahrung des Erfolges dieser Oper in Dresden und die Berechnung des äußeren Vorteiles, den ein ähnlicher Erfolg, bei den dort gewährten Tantièmen von den Einnahmen der Vorstellungen, mir in Berlin bringen sollte.‹ In diesem Sinne war ihm die wiederholt bewiesene Teilnahme des Königs von Preußen für den ›Rienzi‹ nicht gleichgültig. ›Geht's in Berlin mit dem »Rienzi«, wie ich hoffe, so folgt dort der »Lohengrin« zunächst nach‹, heißt es in dem Briefe an F. Heine vom 6. August. Wie viel lieber hätte er diesen sogleich an dem Orte seiner Wirksamkeit zur ersten Aufführung gebracht, wären die Verhältnisse seinem Werke hier nur etwas günstiger gewesen! Tatsächlich war aber eben damals sein Mißverhältnis zur Dresdener Direktion in dem Maße zugespitzt, daß dessen völlige Lösung schon jetzt der einzig angemessene Ausweg gewesen wäre. ›Dennoch‹, so schreibt er an Heine ›habe ich die Klugheit zu Rate gezogen und erkannt, daß, kann ich erst noch einen großen Erfolg in Berlin in meine Wagschale legen, dies mir (auch für Dresden) nur förderlich sein muß!‹ Die seit Jahren in der Schwebe befindliche Annahme des ›Rienzi‹ in Berlin, der Meyerbeer und sein Anhang solange mit allen Mitteln entgegengearbeitet, hatte sich endlich entschieden. Die erste dortige Aufführung war für den Herbst desselben Jahres fest angesetzt, die Sängerin Schlegel-Köster, die den Adriano singen sollte, vom 1. Oktober ab daselbst engagiert, und man dachte die Oper um die Mitte dieses Monates als Festvorstellung für den Geburtstag des Königs zu bringen.

Der Sommer ›auf Marcolinis‹ hatte, außer der musikalischen Vollendung des ›Lohengrin‹, noch eine andere Arbeit zur Reise gebracht: noch vor dem Abschluß seines neuen Werkes, am Sonntag den ersten August, fand die erste Aufführung des ›Tannhäuser‹ mit dem veränderten, heutigen Schlusse ›vor brechend vollem Hause‹ unter lebhaftem Beifall statt. Endlich war es ihm damit gelungen, eine alte Schuld gegen sein Werk zu tilgen. Die Notwendigkeit dieser Umarbeitung hatte sich ihm mit jeder neuen Vorstellung unvermeidlicher erwiesen, und nur seine Bemühungen um Glucks ›Iphigenie‹ und die Arbeit am ›Lohengrin‹ die ältere Verpflichtung in den Hintergrund gedrängt. [230] Die notwendige Abänderung des alten Schlusses konnte in nichts anderem bestehen, als daß, statt des fernen Erglühens des Venusberges, die Göttin selber sichtbar und hörbar in sich näherndem Zauberspuk erschien und Tannhäuser schließlich an der Bahre der wirklichen Elisabeth sterbend niedersank, – statt ihres bisher nur durch das Glöckchen von der Wartburg angedeuteten Todes Leider konnte die szenische Anordnung für den neuen Schluß, da sich geeignete dekorative Herrichtungen für jetzt nicht beschaffen ließen, nur mit den aus dem ersten Akte vorrätigen Mitteln ausgeführt werden, und entsprach seinen Absichten noch nicht völlig. Trotzdem schien ihm der Eindruck auf das unbefangene Publikum wirksamer, als der des früheren Schlusses. ›Selbst die Fremden, die bei solchen Gelegenheiten immer nur das Maul aufsperren, aber nicht die Hände rühren, wurden lebhaft‹, schreibt er darüber an Heine.28 Die Kritik freilich war durch die neue Bearbeitung so wenig zu befriedigen, als durch die frühere. ›Im Tannhäuser ist der Schluß dahin abgeändert, daß Venus selbst erscheint, um Tannhäuser anzulocken, und daß Elisabeths Tod dadurch augenscheinlich gemacht wird, daß sie, von den aus Rom zurückkehrenden Pilgern begleitet, im Sarge auf das Theater getragen wird‹, ließ sich die ›Neue Zeitschrift für Musik‹ darüber berichten. ›Zu welchem Zwecke, ist uns unklar geblieben. Der neue Schluß ist ebenso unerfreulich, wie der frü here, und erhält durch das Erscheinen des bösen Prinzips nur äußerlich etwas mehr Abwechselung.‹ Solche kühl summarische Ablehnungen waren das einzige Echo, das den rastlosen Bestrebungen des Künstlers, die Offenbarungen seines Innern zu greifbarer szenischer Verwirklichung zu bringen, aus dieser Sphäre einer hartnäckigen Gegnerschaft entgegenhallte. Von ihr hatte er nichts zu hoffen; schon längst war es ihm deutlich geworden, daß nur abseits von ihr, auf dem von ihrer Wirksamkeit unbeeinflußten Publikum seine einzige Aussicht beruhe. Dieses sich mehr und mehr heranzubilden, seine Neigungen zu veredeln und ihnen durch überzeugende Vorführungen ernster und großer Werke eine geistigere Richtung zu geben, hatte er sich seit Jahren bemüht und, wie es ihm zu weilen tröstlicherweise dünkte, nicht erfolglos. So spricht er sich in einem Briefe vom 31. August 1847 (an E. Kossak?) aus: ›Hier kann nur eine Tat helfen, – ein begeisterter tüchtiger Mann muß durch Glück zu Macht und Einfluß gelangen, dem es gestattet ist, seine innige Überzeugung zunächst zum Gesetz zu erheben; denn endlich darf man annehmen, daß, wenn der Zufall es so will, ein König einen Tüchtigen ebenso gut[231] gewähren läßt als einen Unfähigen. Das Publikum muß dann durch Tatsachen gebildet werden; denn eher als es das Gute nicht in konsequenter Folge kennen gelernt hat, kann ihm auch kein rechtes Bedürfnis danach geweckt werden; solange aber eine ungeheure Majorität dieses Publikums vor dem mezza voce einer Virtuosin dahinschmilzt, scheint sein Bedürfnis unseren Direktoren leicht erkennbar und zu befriedigen.‹

Die letzteren Sätze enthalten die ganze Kunstlehre Wagners nach ihrer praktischen Seite hin, wo sie sich mit dem Leben und Ringen des Künstlers berührt und durchdringt. Das Publikum soll durch Tatsachen gebildet werden; es soll das Gute in konsequenter Folge kennen lernen; es soll ihm ein Bedürfnis danach geweckt werden. Zu diesem Zwecke soll ein begeisterter tüchtiger Mann zu Macht und Einfluß gelangen; ein König soll ihn gewähren lassen, damit er zunächst seine innige Überzeugung zum Gesetz erhebe. Wie schmerzlich lange mußte er auf die Verwirklichung dieser Vorstellungen harren, welche ununterbrochene Folge bitterer Erfahrungen war ihm zu durchkosten vorbehalten, bis ihm im vorgerückten Alter die Möglichkeit geboten wurde, die ihm in den Jahren seines jugendkräftigen Schaffenstriebes hätte dargebracht werden sollen! ›Wird dieser Fürst sich finden?‹ hatte er im gleichen Sinne noch nach sechzehn langen Jahren mit zweifelvoller Resignation zu fragen. Offenbar ist der hier gemeinte König, der ausnahmsweise, und wenn der Zufall es so will, ›einen Tüchtigen ebenso gut gewähren lasse als einen Unfähigen‹, – kein anderer als Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, dem er sich bereits in jenen verdüsterten Pariser Tagen aus voller Nacht der Hoffnungslosigkeit mit seinem ›fliegenden Holländer‹ zuerst zu nähern versucht,29 und den er seitdem nie ganz aus dem Auge gelassen hatte, wenn die entsetzliche bureaukratische Scheidewand zwischen ihm und seinem eigenen Landesvater sich starrer und undurchdringlicher erwies als zuvor. Selbst in Dresden konnte diese peinlich empfundene Scheidewand nur durch irgend einen mächtigen Einfluß von außen her fallen, der es ihm ermöglichte, mit seinen Beschwerden und Anträgen, über die persönliche Gegnerschaft seines Intendanten hinweg, sich direkt an seinen König zu wenden. Mit dem gewonnenen Vorteil eines entschiedenen, großen Berliner Erfolges, der auch den ›Lohengrin‹ nach sich gezogen hätte, sah er sich somit schließlich auch die einzige Möglichkeit zur Verbesserung seiner, durch die Schlaffheit der Direktion zu äußerster Hoffnungslosigkeit herabgesunkenen, Dresdener Stellung erschlossen. ›Vermag ich daher, Lüttichau mir so lange vom Leibe zu halten, bis ich jenen Vorteil noch errungen habe, um dann erst an den König zu gehen, so muß mir das lieb sein: läßt er mich aber schon vorher nicht ungeschoren, nun so muß dieser Schritt schon früher ausgeführt werden.‹30

[232] In weihevoll weltentrückter Stunde entstand mittlerweile am 28. August 184731 das Vorspiel der Gral-Tragödie. Ihre musikalische Ausführung war damit abgeschlossen; ihre völlige Ausführung in Partitur blieb dem bevorstehenden Herbst und Winter vorbehalten. An dem gleichen Datum, dem Goethetage 1850, fand drei Jahre später die erste Aufführung des Werkes statt, – was lag nicht alles dazwischen! Nicht Dresden sollte der Ort dieser ersten Aufführung sein. Schritt für Schritt ward hier der Schöpfer des erhabenen Werkes durch bornierten Bureaukratismus von der gleichmäßigen Bahn eines ruhmvollen Wirkens ab-, und gewaltsamen Gegensätzen zugedrängt, deren Einwirkungen er sich am Ende, wo der ganze Boden rings um ihn wankte und erschüttert war, auch für seine Person nicht entziehen konnte. Selbst die erneute und nun mit nachdrücklichem Ernst ins Auge gefaßte Hoffnung auf die preußische Hauptstadt sollte ihm zur bitteren Enttäuschung ausschlagen.

Es dürfte hier der Ort sein, die ungefähr in diese Zeit fallenden erstmaligen Beziehungen des Meisters zu der ihm nachmals so nahe befreundeten, seit einer Reihe von Jahren aus Rußland nach Dresden übergesiedelten Familie Ritter, insbesondere dem ältesten Sohne Karl Ritter, zu berühren. Der Vater, ein ursprünglich der Finanzwelt angehöriger Petersburger deutscher Herkunft, dessen Vorfahren schon seit dem 17. Jahrhundert in dem am finnischen Meerbusen gelegenen Narwa ansässig waren,32 hatte sich um die Zeit der Geburt seiner Söhne nach diesem letztgenannten Orte zurückgezogen, wo er nebenher auf einem gepachteten Gute etwas Landwirtschaft betrieb; die Mutter, Julie Ritter, entstammte einer niederdeutschen, mit Matthias Claudius verwandten Familie aus Hamburg. Anderthalb Jahre nach dem Tode ihres Gatten siedelte sie, wie manche andere wohlhabende Russen oder Deutschrussen bis auf den heutigen Tag, nach dem durch seine Kunstpflege anziehenden Dresden über, mit ihren zwei Söhnen und drei Töchtern, von denen die ersteren sich, durch gemeinsame Interessen verbunden, bald mit dem Alters- und Studiengenossen Hans von Bülow (S. 165) befreundeten. Beide Söhne, Karl und Alexander, damals (1847) im Alter von 17 und 14 Jahren stehend, hatten neben ihrem Gymnasialunterricht schon früh musikalische Studien getrieben; der ältere von ihnen, Karl, zuerst bei Ferdinand Hiller, sodann bei Schumann, seine förmliche Ausbildung als Musiker empfangen und sich sogar in eigenen Kompositionen versucht, unter denen sich einige Lieder, eine Bülow dedizierte Sonate und ein Streichquartett befanden. Seine persönlichen Beziehungen [233] zu Wagner beschränkten sich zunächst darauf, daß er in seiner Begeisterung für den Meister den Mut faßte, in Begleitung von Bülows Studiengenossin bei dessen frühestem Unterricht im Klavierspiel, der auch mit der Ritterschen Familie befreundeten jungen Engländerin Miß Taylor,33 einen Besuch in dessen Wohnung zu machen, wobei er eines freundlichen Empfanges genoß und es sich demzufolge auch getraute, ihm – zwar nicht seine eigenen, doch aber einige Bülowsche Erstlingskompositionen zur freundlichen Einsicht zu überreichen. Als er dann zu ihrer Abholung wieder im Marcolinischen Palais erschien, sagte ihm Wagner, der gerade Besuch hatte, mit leiser Stimme, auf die Bülowschen Erstlinge deutend: ›ein unverkennbares Talent!‹ Aber noch mehr, er hatte sogar aus eigenem Antrieb ein paar an den jungen Komponisten, dessen er sich von Großgraupe her (S. 187) noch sehr gut entsann, gerichtete Zeilen hinzugefügt, des Wortlautes: ›Ihre Arbeiten, lieber Herr von Bülow, haben mir viel Freude gemacht; ich wollte sie Ihrem Freunde Ritter nicht zurückgeben, ohne sie mit einem ermunternden Zuruf an Sie zu begleiten. Eine Kritik füge ich dem nicht bei; Sie werden auch ohne mich noch genug Kritik erfahren, und ich fühle mich um so weniger geneigt, Schwächen und Dinge, die mir nicht gefallen haben, aufzuzählen, als ich aus allem übrigen ersehe, daß Sie schon bald vollkommen imstande sein werden, Ihre früheren Versuche selbst zu kritisieren. Fahren Sie fort und lassen Sie mich bald wieder etwas sehen!‹ Diese Zeilen sind nicht datiert, aber Bülow, damals noch in Stuttgart weilend, teilt sie gleich nach Empfang unter dem Datum des 7. September 1847 seiner Mutter abschriftlich mit. Erst nach längerer Zeit, etwa anderthalb Jahre später, gelangte Wagner ein einziges Mal dazu, das Rittersche Haus zu einem flüchtigen Besuch zu betreten. Wir kommen darauf noch zurück.

Schon um die Mitte September, nachdem er kurz zuvor noch einen Besuch seines alten Rigaer Freundes Löbmann empfangen und sich für dessen jüngeren Bruder teilnehmend interessiert hatte, begab er sich nach Berlin, wo die Aufführung des ›Rienzi‹ auf den 15. Oktober, als des Königs Geburtstag, angesetzt war.34 Zur persönlichen Leitung seines Werkes verheißungsvoll [234] eingeladen, unterzog er sich dieser Aufgabe mit aller Umsicht und Energie, und konnte mit den Bemühungen der Sänger und des Orchesters im ganzen wohl zufrieden sein. Am schwächsten war es wiederum mit dem Darsteller des Rienzi, einem Herrn Pfister, bestellt. Es ging dem Werke hier, wie es ihm zuvor in Hamburg ergangen war: ein ungeeigneter Sänger verdarb die Hauptpartie.35 Die sonstigen Hauptrollen waren in den Händen der bewährten Sängerinnen Frau Schlegel-Köster (Adriano) und Frl. Tuszek (Irene).36 Viele Einzelheiten über den Fortgang der Proben und die äußeren Umstände dieses ganzen Berliner Aufenthaltes lassen sich wiederum den an seine Frau gerichteten brieflichen Nachrichten entnehmen. Seine Wohnung in einem Gasthof am Gensdarmenmarkt hat ihm Professor Werder im voraus freundschaftlich besorgt; so ist er von den Linden und dem Opernhause nicht weit entfernt. Doch hat Werder infolge eines Mißverständnisses in bezug auf die Zeitdauer seines Verweilens das Logis nur für acht Tage bestellt und der Wirt deshalb die für ihn bestimmten Zimmer an eine Familie vermietet, die nachher kam und das Ganze für längere Zeit nahm. ›Nun soll ich heute Abend zwei andere Zimmer bekommen, die am Ende auch nicht schlecht sind; ich habe nur die Unannehmlichkeit, daß ich nicht eher auspacken kann, als bis ich in der rechten Wohnung angekommen bin.‹37 Gleich am Tage seiner Ankunft speiste er in Meinhards Hotel unter den Linden (Charlottenstraße), wo er seinen Tenoristen Pfister traf, und wo auch der Opernregisseur Stawinsky für gewöhnlich Tischgast war über Pfister berichtet er, daß er über seine Partie in Enthusiasmus und Seligkeit schwimme und sich gegen ihn ungemein bescheiden benehme. Der Kapellmeister Taubert, mit dem er ebenfalls schon am ersten Tage viel verkehrt, ist in den Vorbereitungen fleißig gewesen: er hat bereits acht Proben gehalten und ihm als ein verständiger guter Mensch viel Eifer bewiesen. Alle aber versichern ihm, daß ihm ein unbegrenzter Einfluß zu Gebote stehe: der Befehl des Königs sei so kategorisch, daß er alles verlangen könne, was er Lust habe, und Küstner ihm parieren müsse; anderenfalls brauchte er sich nur beim Hausminister Fürsten Wittgenstein zu beschweren oder mit einer solchen Beschwerde zu drohen. ›Jedenfalls bin ich noch nie so gut daran gewesen als hier.‹38

[235] Und so geht es auch in den nächsten Tagen fort, die Anfänge sind nach jeder Richtung hin günstig. Die ›Familie‹, die in derselben Etage nach ihm gemietet und ihn in andere Zimmer vertrieben hat, ist die des Mecklenburgischen Schriftstellers Hans Köster, der nach mehrjährigem Aufenthalt in Italien und Frankreich sich – vor vier Jahren – mit der Sängerin Luise Schlegel vermählt hat und nun im Sommer gewöhnlich auf seinem märkischen Rittergute aufhält, im Winter aber an den verschiedenen Orten, wo seine Frau gerade gastiert. In dem ganzen weitläufigen Berlin, und während am Gensdarmenmarkt selbst eine Reihe von Gasthöfen offen stehen, ist er durch ein wunderliches Zusammentreffen gerade in diese Zimmer geraten, und nun hört Wagner dicht neben sich, fast Wand an Wand, seinen Adriano studieren! ›Gestern habe ich den ganzen Abend mit meinem Nachbar Köster verplaudert: das ist ein tüchtiger energischer Dichterkopf, mit dem ich tief hineingeraten bin; auf seine Frau hat er einen vortrefflichen Einfluß Ihre Stimme ist sehr angenehm und rein‹ – und sogleich richten sich seine Gedanken auf den Berliner ›Lohengrin‹ – ›das wird hier eine gute Elsa werden!‹ – Täglich gibt es nun fleißige Proben, und selbst die Köster, die den Abend vorher erst spät angekommen war, findet sich anderen Tages (Mittwoch, 22. September) sogleich zur Arbeit ein und zeigt, daß sie bereits ordentlich gelernt hat. Dem Rienzi-Sänger Pfister fehlt es nicht am guten Willen: ›auch mit der Stimme wird's am Ende gehen, wenn man eben nicht an Tichatschek denkt. Das Unglück ist, daß der Mann gar nichts gelernt hat, ihm fehlt das a b c Indes ist er nicht ungeschickt, und ich war verwundert, wie er mir dies und jenes, was ich ihm angab und vormachte, ziemlich schnell nachmachte. Am Ende trägt ihn die Partie doch durch, und Zweifel wegen der Ausdauer will er gar nicht hören: er behauptet, er sänge alles und würde nicht umkommen Na, Glück zu!‹39

Vier Tage lang, von Mittwoch bis Sonnabend (25. September), werden nun regelmäßig jeden Vormittag, von 10 bis 1 Uhr, die einzelnen Akte unter seiner Leitung sorgsam studiert: ›das ganze Personal immer pünktlich auf dem Platze, Ernst bei der Sache, – keine Plauderei, sondern ungestörter Eifer. Dafür werde ich aber auch ein vortreffliches Ensemble bekommen. Die beste Irene habe ich natürlich hier zu erwarten; das Duett im letzten Akte wird ein Glanzpunkt werden, von dem wir in Dresden schon lange nichts mehr wußten! Die Köster ist fast zu gut für den Adriano‹ – bereits sehen wir seine Gedanken wieder zum ›Lohengrin‹ als seinem eigentlichen Ziele schweifen – ›sie hat etwas sehr Jungfräuliches, Weibliches (viel mehr als die Johanna, die mir dagegen ziemlich plump vorkommt), dazu einen ungemeinen Zauber in der Stimme: kurz, ich freue mich auf die Elsa! – Bötticher [236] ging mich an, mit der Köster auch den »Holländer« wieder zu geben. Pfister ersetzt mir jetzt die Stelle des Peps,40 so hockt der mir immer auf und geht mir nicht von der Seite. Ich lasse ihn gewähren, denn dabei werde ich mit ihm vertraut und kann ihn desto unumwundener vornehmen.‹ Auch von seiner sonstigen täglichen Lebensweise entwirft er in diesen vertrauten Briefen ein Bild. Daß es in Meinhards Hotel zu den Mahlzeiten immer üppig hergeht, ist ihm eher unangenehm als angenehm. ›Dieser Meinhard weiß nicht, wie er mir seine Hochachtung bezeigen soll, und außer dem üppigsten Essen, das man bei ihm bekommt (– denn das ist berühmt! –) geht es keinen Mittag ohne Champagner ab. Um drei geht es zu Tische und bis fünf Uhr dauert es regelmäßig: ich kann deprezieren, so viel ich will.‹ Im übrigen rühmt er ihn als einen ›drolligen Berliner von einem Humor, wie man sich ihn nur wünschen kann‹, einen ›heiteren, anständigen Kerl, der sich eine Ehre aus mir macht.‹ Allerdings, heißt es weiter, ›hat er einen Nebengrund, der ist mir aber nicht nachteilig: er ist nämlich Pfisters intimer Freund und es liegt ihm alles daran, daß ich dem aufhelfen soll, ihm die Partie recht einstudiere usw., um ihn zu heben‹. ›Um fünf Uhr geht es nun in Meinhards Equipage spazieren, – dann gehe ich zur Frommann, die immer Thee serviert hat, wo ich aber stets nur frisches Wasser trinke.‹41

Bei Meyerbeer hatte er gleich am zweiten Tage nach seiner Ankunft vorgesprochen, ihn aber nicht angetroffen und vorläufig eine Karte ›angebracht‹ Es hieß, er stehe soeben im Begriff zu verreisen. ›Der wird wahrscheinlich auch nicht überglücklich über meinen Rienzi sein!‹ schreibt er an Minna Durch Frau von Lüttichau war es ihm nahegelegt, ihren alten Freund von Dresden her, Ludwig Tieck, mit ihrer Empfehlung aufzusuchen; da ihn aber die Proben täglich in Anspruch nahmen und der übrige Teil des Tages so schnell verrann, daß er am Donnerstag noch nicht einmal ordentlich dazu gekommen war, mit Regisseur, Dekorationsmaler und Ballettmeister zu verkehren, so hatte er in der ersten Woche die Zeit noch nicht gefunden, um die Fahrt nach Potsdam anzutreten, wo der Veteran der deutschen Romantik seinen Wohnsitz hatte. ›Nächste Woche (27. September bis 2. Oktober) kann wegen des Auftretens der Köster mehrere Tage keine Probe von Rienzi sein; dies hat das Gute, daß ich mich da mit Pfister allein beschäftigen kann. Das soll die Entscheidung werden, ich hoffe mit Grund, sie soll gut ausfallen. Von Montag über 8 Tage an geht es auf das Theater. Die Sänger sind alle musikalisch und fertig.‹ Auch die Chöre werden rühmend von ihm erwähnt. – Am Sonntag den 26. hatte er den ersten Tag ganz frei und wollte ihn benutzen, um in Potsdam Tieck zu besuchen. Nicht allein durch [237] seine Dresdener Gönnerin, sondern auch von seiten des Stiefvaters Geyer und noch mehr des Onkel Adolf42 hatte er freundschaftliche Beziehungen zu dem hochbetagten (damals 74jährigen) Dichter und durfte daher einer entsprechenden Aufnahme gewiß sein. ›Die Frommann behauptet, Tieck könne mir beim König am allermeisten nützen! – Gott, Meyerbeer habe ich auch noch nicht gesehen!‹43 Wir haben über den Ausfall dieses Besuches in seinen damaligen brieflichen Nachrichten keine bestimmte Auskunft. Wenn indes in Betracht gezogen wird, daß Tieck einst ein heftiger Gegner des ›Freischütz‹ und seines Tonschöpfers war; daß zwischen ihm und Weber ein ausgesprochener Antagonismus bestanden hatte; daß er dessen liebenswürdig volkstümlichstes Werk als das ›unmusikalischeste Getöse‹ bezeichnet hatte, das ›je über die Bühne getobt sei‹44; daß er kurz darauf dem jungen Bülow eine beißende Bemerkung über den ›neuesten Lärm‹ in dessen Stammbuch schrieb, den er ›zu ignorieren den Mut haben‹ solle: so kann es immerhin nicht wundernehmen, in einem Briefe desselben jungen Mannes die Behauptung ausgesprochen hören: ›Tieck verwirft den Text Lohengrin ganz.‹45 Das Eine steht fest: einen Zugang zu König Friedrich Wilhelm IV. hat Wagner damals durch Tiecks Vermittelung ebenso wenig, als durch die des Grafen Redern oder Meyerbeers gefunden.

Fahren wir inzwischen in dem Bericht über dasjenige fort, was uns durch die gleichzeitigen brieflichen Erwähnungen des Meisters an Tatsächlichem bekannt geworden ist. Für seine zweite Berliner Woche war ein Auftreten der Schlegel-Köster als ›Euryanthe‹ in Aussicht genommen; es kam nicht dazu: Heiserkeit hielt die Sängerin davon ab. Da wurde denn wieder ›Rienzi‹ probiert, hauptsächlich aber nur mit dem Orchester, das ihm große Freude machte. ›Nun sage mir aber‹, schreibt er inzwischen einmal an Minna, ›was hast Du denn für Dinge reden hören, daß Du mir so dringende Ermahnungen gibst, ja recht behutsam zu sein? Du bist in diesen Ermahnungen so ausführlich und doch erwähnst Du nichts, was Dich dazu bestimmt? Es wird am Ende wohl so etwas Wichtiges auch nicht sein! Du hast vollkommen recht, daß ich das Herz zu sehr auf der Zunge habe, und daß ich oft wohl klüger täte, dies und jenes für mich zu behalten; ich will Dir darin gar nicht widersprechen und kann mich immer nur damit entschuldigen, daß [238] ich nun einmal so bin. Nun, Gott wird schon machen, daß ich an den Redereien nicht zugrunde gehe! – Aber, Du hast recht! – Willst Du mehr?‹46 Auf der anderen Seite war nicht leicht jemand so viel Selbstzucht und Selbstbeherrschung eigen, als sie Wagner sein ganzes Leben hindurch bewiesen hat, wenn er sich dieselbe zugunsten höherer Zwecke auferlegte. Gewiß hat der junge Feuergeist, der sich hier einen neuen Boden ebnen, ein neues Terrain erschließen wollte, gerade bei diesem Berliner Aufenthalt mit vielem zurück gehalten, manche schroffere Ansicht da gar nicht erst verlautbart, wo er sich einer lauernden Gegnerschaft bewußt war Zunächst empfand er mehr nur die Annehmlichkeiten des ›königlichen Befehls‹, denen zufolge ihm hier zur Verfügung stand, was er sich in Dresden in jedem einzelnen Falle nur mühsam verschaffen mußte, und seine zunehmenden Konflikte mit Lüttichau waren schwer genug zu ertragen. ›Wenn ich manchmal durch die Straßen laufe und mir dies Berlin überdenke und das erwäge, was mir möglichen Falles hier bevorstehen könnte, daß wir uns am Ende gar einmal hierher übersiedeln sollten, da wird es mir seltsam genug zumute! Gott, wie könnte man mit Dresden zufrieden sein, – wenn das Nest nur etwas mehr Geltung hätte! Daß hier mehr der Boden für meine Kunstwerke ist, das ist unleugbar! – Nun, lassen wir diese Phantasien! –‹47

Noch immer war die Aufführung des ›Rienzi‹ für den 15. Oktober, den Geburtstag des Königs, in Aussicht genommen. Am Sonnabend den 2. war große Dekorationenprobe. Er war mit dem Ergebnis nicht unzufrieden. ›Es wird sich alles machen, nur hat Küstner‹, so schreibt er vertraulich, ›die Dummheit begangen, die neuen Dekorationen schon lange vorher zu bestellen, ehe er noch mit Regisseur usw. gehörige Rücksprache genommen hatte, – daher ist manches nicht richtig ausgefallen.‹ Es war dies, mit großem Aufwand, so recht in der Weise der ›großen Oper‹ gedacht und ausgeführt, als Agglomerat, zu dem ein jeder das Seine fertig herstellt und mitbringt, nicht als künstlerischer Organismus, in dem alles zum Ganzen strebt. Die Verteilung der Proben war mit Umsicht von ihm selbst derart getroffen, daß sowohl die Kräfte der Sänger, als die des Orchesters geschont wurden, damit alles recht frisch zur Vorstellung komme. Aber trotz aller umsichtigen Einteilung stellte es sich heraus, daß ein Unwohlsein der Sängerin der Irene die Aufführung zu dem angesetzten Termine unmöglich machte. Die Kgl. Geburtstagsfeier mußte ohne ›Rienzi‹ begangen werden. Allein auch auf diese Möglichkeit war er seinerseits schon im voraus durchaus gefaßt gewesen: ›so ein großes Unglück wäre es nicht, – denn: der König kommt an seinem Geburtstage nie ins Theater, und zudem wird Prolog usw. gehalten, was die Vorstellung noch um eine halbe Stunde länger macht!! Das ist mir also eigentlich nicht [239] sehr verlockend.‹ ›Mir macht daher die Verschiebung der ersten Vorstellung auf acht Tage – den 22. Oktober – im ganzen nicht viel aus, weil ich denn doch noch acht Tage in Berlin bleiben würde, um meine Zwecke zu verfolgen.‹ Zu diesem – sozusagen diplomatischen – Verkehr gehörte jedenfalls auch eine jede seiner Beziehungen zu Meyerbeer. Von ihm schreibt er am Sonntag, den 3. Oktober (gerade acht Tage nach seinem Besuche bei Tieck) an seine Frau: ›Heute bin ich bei Meyerbeer zu Tische! Der reist bald ab, – desto besser!‹ Mit einer Unumwundenheit, wie er sie sich jetzt kaum noch gegen sich selber gestattete, blickt er wenige Jahre später auf dieses Verhältnis zurück: ›Dieser ewig liebenswürdige, gefällige Mensch erinnert mich, da er sich noch den Anschein gab mich zu protegieren, an die unklarste, fast möchte ich sagen, lasterhafteste Periode meines Lebens: das war die Periode der Konnexionen und Hintertreppen, in der wir von den Protektoren zum Narren gehalten werden, denen wir innerlich durchaus unzugetan sind. Aus der absichtlichen Ohnmacht seiner Gefälligkeit gegen mich mache ich Meyerbeer nicht den mindesten Vorwurf, – im Gegenteil bin ich froh, nicht so tief sein Schuldner zu sein als z.B. Berlioz.48 Aber Zeit war es, daß ich mich vollkommen aus dem unredlichen Verhältnisse zu ihm losmachte! Äußerlich habe ich nicht die geringste Veranlassung dazu gehabt; denn selbst die Erfahrung, daß er es unredlich mit mir meinte, konnte mich nicht überraschen, da ich mir im Grunde selbst vorzuwerfen hatte, mich absichtlich über ihn getäuscht zu haben.‹49 Merkwürdig blieb es ihm einstweilen, daß die so bestimmt angekündigte Abreise seines geheimnisvollen Gönners sich ohne irgendwelchen wahrnehmbaren Grund immer weiter hinausschob und schließlich erst ganz kurz vor der Aufführung stattfand.

Daß er mit diesem schließlich fast zweimonatigen Berliner Aufenthalt hauptsächlich den Zweck einer persönlichen Annäherung an den König verband und die zäh ausdauernde Hoffnung, diesen Herrscher, dessen Gunst er von Paris aus bereits für den ›fliegenden Holländer‹ angerufen, und dem er seinen ›Tannhäuser‹ hatte widmen wollen, nunmehr vermittelst des Grafen Redern, als Generalintendanten der Hofmusik, durch eine Vorlesung seines ›Lohengrin‹ sich geneigt zu machen, ist uns aus allem Vorangegangenen schon zur Genüge bekannt. Immer wieder glaubte er dicht am Ziele der Erfüllung seines Wunsches einer persönlichen Audienz in Sanssouci zu stehen; immer wieder entzog sie sich ihm. Trotz aller durch seinen vermittelnden Gönner ihm erweckten Aussichten blieb es ihm durchaus und gänzlich verwehrt, dem [240] preußischen Monarchen, auf den er immer noch und eben jetzt wieder besonders lebhaft sein Augenmerk richtete, von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. ›Im Herbst des Jahres 1847‹, so berichtet er später selbst, ›kam ich mit dem besonderen Wunsche nach Berlin, Sr. Majestät dem König Friedrich Wilhelm IV. mich vorstellen zu dürfen, um das Urteil dieses Monarchen durch eine Vorlesung der Dichtung meines »Lohengrin« möglicherweise zu einem Gefallen an diesem Werke anzuregen und mir auf diese Weise den völligen Auftrag, es für eine Darstellung auf dem Berliner Hoftheater auszuführen, zu erwerben. Es dünkte mich damals, gerade dieses Werk gehöre dorthin, wohin sich die Blicke aller derjenigen richteten, welche eine echte Wiederbelebung des deutschen Geistes ersehnten. Mein Wunsch blieb unerfüllt: es wurde mir unmöglich gemacht, an die rechte Stelle zu gelangen.‹50 Ein geheimnisvolles Hindernis stellte sich allen seinen darauf gerichteten Bemühungen entgegen, als stünde über jenem noch ein höherer Herrscher.51 Übrigens ward ihm die Erfolglosigkeit einer solchen Unterredung von Leuten, die den König und seine Eigenheiten kannten, allseitig mit Bestimmtheit versichert. ›Als ich i. J. 1847 diesem geistreichen Monarchen meine Ideen mitteilen wollte, nahm man an, er würde, nachdem er mich verstanden, mir den Rat geben, mich mit dem Opernregisseur Stawinsky zu besprechen, – was immerhin von Friedrich dem Großen noch nicht einmal zu erwarten gewesen wäre Es kam aber weder zum Anhören noch zum Ratgeben.‹52

Inzwischen hatte eine vorlaut geschwätzige Journalistik von Spree-Athen sich beeifert, der Vertagung der Oper die sonderbarsten Deutungen unterzuschieben. Angebliche Beziehungen ihres Inhaltes zu gleichzeitigen römischen Verhältnissen sollten ihre Zurückstellung – ›wahrscheinlich für immer‹ (!) – veranlaßt haben usw. So fabelte der Berliner ›Figaro‹, nach ihm die Leipziger ›Signale‹, die Wiener Musikzeitung u.a. In verschwindend geringem Grade gelang es ihm, in der mißtrauisch frostigen Berliner Öffentlichkeit persönliche Anknüpfungen zu gewinnen: weder war die Intendanz ihm besonders freundlich gesinnt, noch vermochte er sich sonst in irgendwelche, seinen Absichten gedeihliche Beziehungen – etwa gar zu der kritisierenden [241] Welt der preußischen Hauptstadt! – zu setzen. Einzig zu Ernst Kossak trat er in freundschaftliche Beziehungen, die sich durch ein noch von Dresden aus an diesen gerichtetes Schreiben dokumentieren. Die Musikzeitschrift seines alten Freundes Gaillard war bereits von diesem aufgegeben und unter verändertem Titel in das Lager Meyerbeers übergegangen Unter den ganz wenigen, die in dem damaligen Berlin es wagten, der journalistischen Koterie des allvermögenden Berliner Generalmusikdirektors zum Trotz sich zu dem angefeindeten Meister zu bekennen, beobachten wir noch einen ganz jungen begabten Musiker, einen Schüler von A. B. Marx und früheren Mitarbeiter der Gaillardschen Zeitung, Carl Schröder aus Endorf im Unterharz.53 Mit Einsicht und unverkennbarem Wohlwollen trat er für ›Rienzi‹ in die Schranken,54 ob auf Grund irgend welcher persönlichen Bekanntschaft mit Wagner, oder lediglich durch Gaillard dazu angeregt, entzieht sich unserer Kenntnis. Das war alles. Es stand übel in der Hauptstadt der Intelligenz! Sie sollte dem Gralsritter keine Heimstätte bieten.

Die Leitung der ›Rienzi‹-Proben ließ dem Künstler viel freie Zeit zur Beobachtung und zum Verkehr übrig; doch vermochte er Vorurteil und Gleichgültigkeit auch mit der größten Selbstüberwindung nicht zu besiegen. Vergeblich legte er sich den Zwang auf, mit mancher schärferen Ansicht zurückzuhalten, den gerechten Stolz des Genius zugunsten seiner weitergehenden Pläne zu unterdrücken. ›Ich entsinne mich jetzt mit Schrecken‹, sagt er im späteren Rückblick auf diese Versuche ›in welchen Pfuhl von Widersprüchen der übelsten Art diese Besorgnis um äußeren Erfolg, bei meinen schon damals feststehenden künstlerisch menschlichen Gesinnungen mich brachte. Ich mußte mich dem ganzen modernen Laster der Heuchelei und Lügenhaftigkeit ergeben: Leuten, die ich in Grund und Boden verachtete, schmeichelte ich, oder mindestens verbarg ich ihnen sorgsam meine innere Gesinnung, weil sie, den Umständen gemäß, die Macht über Erfolg oder Nichterfolg meiner Unternehmung hatten. Klugen Menschen, die auf der meinem wahren Wesen entgegengesetzten Seite standen, und von denen ich wußte, daß sie mich ebenso mißtrauisch beargwöhnten, als sie selbst mir innerlich zuwider waren, suchte ich [242] durch künstliche Unbefangenheit Mißtrauen und Argwohn zu benehmen, wobei ich doch wiederum deutlich empfand, daß mir dies nie wirklich gelingen konnte. Dies alles mußte natürlich auch ohne den einzig beabsichtigten Erfolg bleiben, weil ich nicht anders als sehr stümperhaft zu lügen verstand: meine immer wieder durchbrechende Gesinnung konnte mich aus einem gefährlichen Menschen nur noch zu einem lächerlichen machen. Nichts schadete mir z.B. mehr, als daß ich, im Gefühl des Besseren, was ich zu leisten vermochte, in einer Ansprache an das Künstlerpersonal beim Beginn der Generalprobe, das übertriebene der Anforderungen für den Kraftaufwand, das sich im »Rienzi« vorfand, und dem die Künstler mit großer Anstrengung zu entsprechen hatten, als eine von mir begangene »künstlerische Jugendsünde« bezeichnete. Die Rezensenten brachten diese Äußerung ganz warm vor das Publikum und gaben diesem sein Verhalten gegen ein Werk an, das der Komponist selber als ein »durchaus verfehltes« bezeichnet hätte, und dessen Vorführung vor das kunstgebildete Berliner Publikum somit eine züchtigungswerte Frechheit sei.‹ Derartige böswillige Versuche, den Erfolg der Oper im voraus zu untergraben, bedurften, um durch die Aufführung selbst unschädlich gemacht zu werden, eines anderen, als des Berliner Publikums, dem man seine Werke bisher so sorgfältig vorenthalten hatte, und dem jede Achtung und Bewunderung für eine neue künstlerische Schöpfung erfahrungsgemäß immer erst abgetrotzt werden mußte.

Es war am Dienstag, dem 24. Oktober 1847, als ›Rienzi‹, trotz aller Vertagungen und gegen ihn eröffneten Vorpostengefechte der Journalistik, über die Bretter der Berliner Hofbühne ging. Meyerbeer war kurz zuvor höchst eilig abgereist, der König, auf dessen besonderen Befehl die Aufführung stattfand, nicht dazu anwesend. Vor einem, trotz der doppelten Preise, von oben bis unten dichtbesetzten Hause begann um sechs Uhr die Aufführung unter Wagners eigener Leitung. Die an ergreifenden Zügen so reiche Ouvertüre fand nur schwachen Beifall, der ästhetische Gerichtshof schien noch nicht mit sich einig, ob er Dornenkrone oder Lorbeerkranz zu erteilen habe. Fast alle Nummern des ersten Aktes wurden mit Beifall aufgenommen, und zum Schluß des zweiten Aufzuges erfolgte ein Hervorruf des Komponisten, der sich wiederholte, als um elf Uhr der Vorhang zum fünften Male gefallen war. Die Träger der Hauptrollen waren auf stürmisches Verlangen mehrmals erschienen. Dennoch täuschte der Autor sich nicht, wenn er nach den vorausgegangenen Erfahrungen das sichere Vorgefühl hatte, als würde sich die Oper, ganz wie es einst dem ›fliegenden Holländer‹ ergangen war, nicht dauernd auf dem Repertoire erhalten Erst nach der Aufführung begann der eigentliche dagegen gerichtete allgemeine Feldzug der Rezensenten: Melodie- und Formlosigkeit, Gewaltsamkeit der Instrumentierung, das waren die Vorwürfe, die vernichtenden Donnerschläge des kritischen Gewitters, welches sich [243] über dem Haupte des letzten Tribunen entlud.55 Diesem Ansturm gegenüber bewährte das Werk immerhin noch seine charakteristische Zugkraft, indem es doch erst nach acht Aufführungen vom Repertoire abgesetzt wurde. Drei davon hat Wagner noch selbst dirigiert, weshalb er noch bis in den Anfang November hinein seinen Berliner Aufenthalt aus dehnte. Er würde dies sicherlich nicht getan, sondern sein Werk dem ihm bereiteten Schicksal überlassen haben, hätte er nicht von Vorstellung zu Vorstellung darauf zählen müssen, daß der König, der seine Werke wiederholt in Dresden angehört und dessen Befehl ihn zu der gegenwärtigen Aufführung mit so unbeschränkten Vollmachten ausgestattet hatte, nun doch auch eine dieser Vorstellungen durch seine Gegenwart auszeichnen würde. Aber es geschah nicht. Hierauf trat, in Übereinstimmung mit dem Wüten der Berliner ›Kritik‹, eine größere Pause ein; denn die ferneren fünf Aufführungen des ›Rienzi‹ in Berlin entfallen zum Teil bereits auf das nächstfolgende Jahr.56 Dann – war es überhaupt aus; das ›sichere Vorgefühl‹ des Autors hatte ihn nicht getäuscht. Die neunte Aufführung des ›Rienzi‹ in Berlin erfolgte erst i. J. 1865. Also wiederum – ganz wie beim ›fliegenden Holländer‹ – unmittelbar nach Meyerbeers [244] Tode, nicht aber zu dessen Lebzeiten! Der Feldzug der Berliner ›Presse‹ aber war diesmal noch einmütiger als beim ›Holländer‹; nur ganz vereinzelte Stimmen – rari nantes in gurgite vasto! – erhoben sich, die überhaupt auch nur den Versuch einer sog ›objektiven‹ Würdigung des Werkes machten, und namentlich nach Dresden eilten dem dahin zurückkehrenden Komponisten die ungünstigsten und gehässigsten Berichte über den Berliner ›Mißerfolg‹ voraus, wo nach die Niederlage der Oper weit dezidierter sich ausnahm, als in der Wirklichkeit.

Rienzi hatte nicht gesiegt; und dies war um so nachteiliger, als ein solcher Sieg seinem Schöpfer eben jetzt für Dresden selbst von so großem Nutzen hätte sein können. Aber noch bei weitem schlimmer und wirklich entmutigend war es für ihn, sich nunmehr eingestehen zu müssen, daß alle seine bisherigen auf Berlin gerichteten Hoffnungen mit diesem einen Schlage völlig und unwiderruflich gescheitert waren. ›Es war ein gräßlicher Zustand, in welchem ich von Berlin zurückkehrte; nur diejenigen, welche meine oft anhaltenden Ausbrüche einer ausgelassenen ironischen Lustigkeit mißverstanden, konnten sich darüber täuschen, daß ich mich jetzt um so unglücklicher fühlte, als ich selbst mit dem notgedrungenen Versuche zu meiner Selbstentehrung – gemeinhin Lebensklugheit genannt – durchgefallen war. Nie ward mir der scheußliche Zwang, mit dem ein unzerreißbarer Zusammenhang unserer modernen Kunst- und Lebenszustände ein freies Herz sich unterjocht und zum schlechten Menschen macht, klarer als in jener Zeit. War hier für den Einzelnen ein anderer Ausweg zu finden, als – der Tod?‹ – In Dresden fand er alles im alten Geleise; sogar eine neue Oper hatte man während seiner, fast zweimonatigen Abwesenheit zustande gebracht, die fünfaktige historische Oper eines ›deutschen Kunstkollegen‹ (S. 212): ›Konradin, der letzte Hohenstaufe‹, und Johanna Wagner darin die Titelrolle gesungen. Wo in aller Welt wäre auch die ›deutsche Kunstkollegenschaft‹ geblieben, wenn es nicht Herr Ferdinand Hiller ebensowohl mit einem letzten Hohenstaufen hätte wagen dürfen, als Richard Wagner mit einem letzten Tribunen? Lagen doch Raupachs sechzehn Hohenstaufenstücke so verlockend zur Auswahl da. Mißlang es, so konnte sich der Autor aufs leichteste dadurch trösten, daß er den Dresdenern seine ›Zerstörung Jerusalems‹ zum besten gab. Welchen Trost aber fand der Künstler, der die Bühne nicht als Versuchsstation ansah, dem die Aufführung einer seiner Opern kein Experiment, sondern ein folgerechter Schritt in seiner Entwickelung war, und dem eine unnachgiebig ›einseitige‹ Begabung den Salto mortale von der Oper auf das Oratorium weigerte? Ihn konnte nur das Bewußtsein aufrecht erhalten, daß seine Kunst ihm eben nicht ein Mittel zum Ruhm- und Gelderwerb, sondern zur Mitteilung an fühlende Herzen war. Und so vertraute er der Partitur seines ›Lohengrin‹, an dessen instrumentale Ausführung er sogleich nach seiner Rückkehr ging, die [245] inneren Erlebnisse seiner Seele, den Ausdruck der Empfindung der tragischen Erfahrung an, die sich ihm soeben in Berlin erneut und sich in seinem engeren Wirkungskreise fortsetzte. In welchem Maße gerade dieses Werk aus dem eigensten Innern des Künstlers floß, hat H. S. Chamberlain57 mit besonders ergreifender Beredtheit ausgeführt. ›Mit göttlicher Kraft ausgerüstet – denn in jedem Worte des Genius vernehmen wir Gottes Stimme (Carlyle) – kann er nichts, gar nichts vollbringen, wenn ihm nicht Vertrauen entgegengebracht wird. Er, der alles vermag, geht betteln; er bettelt bei denen, die nichts können, um Vertrauen! Er – von dem heute so mancher sich sagt: »wissend bin ich nur, weil ich dich liebe« – er geht betteln, um ein wenig Liebe betteln!‹ Die Sehnsucht seines Helden nach ›Verstandensein durch die Liebe‹ blieb ihm, wie Jenem, unerfüllt, der Glaube an seine Sendung versagt. Als den poetischen Grundzug seines Lohengrin bezeichnet er selbst, wie im Tannhäuser, die hohe Tragik der Entsagung;58 aus dieser Kraft der Entsagung leitet nun Chamberlain jene ›unvergleichliche Keuschheit und Strenge des Stiles‹ ab, ›die oft fast herbe Einfachheit, welche jeglichen überflüssigen Schmuck verachtet und aus welcher, wie aus hohem Granitfelsen, der klare durchsichtige Quell reinster Melodie hervorsprudelt‹. ›Wer nun‹, fährt er dann fort, ›nach der verzehrend üppigen Erregtheit der Tannhäuserzeit und auf das Todesurteil, das jenes Drama seinem Verfasser einbrachte, ein so erhaben hehres, göttlich reines, aller weltlichen Leidenschaft so ganz entrücktes Werk schreiben kann – ich sage »weltliche« Leidenschaft, denn der »menschlichen« ist Lohengrin voll, aber überirdisch verklärt – wer das vollbringt, der ist nicht bloß ein Dichter, der nur mit den größten aller Zeiten verglichen werden kann, sondern er ist ein unvergleichlich edler, reiner, hoher Mensch!59

Bereits in Berlin war die Kunde von dem am 3. November 1847 so unerwartet plötzlich eingetretenen Tode Mendelssohns zu ihm gedrungen, den er noch im Sommer des Vorjahres bei seinem Besuche in Leipzig in voller Kraft und Gesundheit zuletzt gesehen. Er war erst kürzlich in London, wo er auf die Aufforderung des Sacred harmonic Society seinen ›Elias‹ dirigiert, mit Triumphen und Lorbeeren überschüttet worden. So wenig persönliche Sympathie er von je für den berühmten Kunstgenossen empfunden, so schroff ablehnend sich dieser von je gegen ihn und seine Bestrebungen verhalten, so unendlich fern lag es doch Wagner nach seiner ganzen Natur, sich bei solchem Anlaß selbst in vertrautestem Kreise lieblos über einen Dahingeschiedenen auszusprechen. Es war ihm daher, trotz seiner stets gehegten [246] Verachtung gegen anonyme Zuschriften, eine empfindliche Kränkung, sich in einem ununterzeichneten Schreiben aus Leipzig mit höchster Gemeinheit die Art vorgeworfen zu sehen, wie er sich über Mendelssohns Tod geäußert haben sollte, woraus er zu schließen hatte, daß irgend eine Niedrigkeit ihm angedichtet und verbreitet sein mußte.60 ›Was soll ich tun?‹ teilt er sich darüber brieflich an Kittl mit. ›Daß ich in Dresden eine starke Anzahl Feinde habe, ist natürlich: das Schlimme ist, daß ich meinem Wesen nach nichts tun kann, sie mir zu versöhnen. Vielleicht wäre nichts leichter als das, ich brauchte eben nur geselliger zu sein und mehr unter die Leute zu kommen. Die große Zurückgezogenheit meiner Lebensweise ist an allen albernen Gerüchten über mich schuld. Ich lebe außer dem Dienst nur in meinem Hause, das jetzt auch sehr abgelegen ist; jeder boshaften Verleumdung meiner Person wird daher um so williger geglaubt, als sehr wenige imstande sind, entschieden zu widersprechen, weil sehr wenige in meine Nähe kommen. So ist mir oft schon das Unglaublichste über mich zu Ohren gekommen, – wie viel mag ich aber erst gar nicht erfahren! Hier gibt es nur zwei Wirkungen, der tiefste Kummer oder der größte Ekel: ich bin fast schon bei dem letzteren angekommen.‹ Ganz gewöhnlich war es, daß der Stoff zu ähnlichen Klätschereien von seinen Dresdener Gegnern, um deren Ursprung zu verwischen, zuerst in auswärtige Blätter gebracht wurde, um dann aus diesen wieder an Ort und Stelle neu reproduziert zu werden.61

[247] Einmal hieß es bei solcher Gelegenheit, er sei von dem König von Preußen durch eine Ordensverleihung ausgezeichnet worden.62 Natürlich entbehrte auch dieses Gerücht jeder tatsächlichen Begründung; doch blieb es dem Meister immerhin eine rätselhafte Erfahrung, daß der preußische Monarch, der sich den ›Rienzi‹ wiederholt in Dresden angehört (S. 114 und 229), dessen Befehl die langverzögerte Berliner Aufführung und seine eigene Berufung zu derselben veranlaßt, der dann aber bei den dortigen Aufführungen durch Abwesenheit geglänzt hatte, – sich nun in der zweiten Hälfte des November abermals in Dresden einfand, um einer vortrefflichen Vorstellung des ›Tannhäuser‹ mit dem lebhaftesten Interesse beizuwohnen. ›Ich scheue mich nicht zu bekennen, daß mir diese Oper an dem Abende große Freude machte‹, schreibt Wagner darüber unterm 23. November an Kossak, als ihm dieser über die inzwischen erfolgten Fortschritte seines ›Rienzi‹ in Berlin berichtet ›Erst jetzt bin ich allmählich dazu gekommen, von allen üblen Berliner Eindrücken mich so ziemlich frei zu machen. Mit meinem Berliner Ehrgeiz hat es ein Ende genommen, und was mich beruhigt, ist, daß ich mir bewußt werde, auch ohne diesen Ehrgeiz mit mir weiter zu kommen.‹ Aus einem, dem Zusammenhang eben dieses Briefes entrissenen, viel abgedruckten einzelnen Satze hat man wohl entnehmen wollen, daß er schon jetzt – mithin vor den Ereignissen des Jahres 1848 – aus eigenem Antrieb jede weitere Hoffnung, auch für Berlin, an einen von ihm vorausempfundenen politischen Umsturz geknüpft habe, – bloß weil das Wort ›Revolution‹ darin begegnet. Wir lassen deshalb diesen Satz zum erstenmal in seinem vollen Zusammenhang folgen, aus welchem sich, allem wohlfeilen Sensationsbedürfnis zum Trotz, deutlich ergibt, daß es sich darin keineswegs um einen gewalttätigen Umsturz von unten, sondern um einen noch nicht aufgegebenen Umschwung von oben handle, also nicht um einen politischen, sondern um einen rein künstlerischen Vorgang. ›Bester Freund, was ist all unser Hineinpredigen in das Publikum? Hier ist ein Damm zu durchbrechen, und das Mittel heißt: Revolution! Die positive Basis muß gewonnen werden; was wir für gut und recht halten, das muß das Gegebene, Feste und Unabänderliche werden; dann löst sich das jetzt herrschende Schlechte von selbst zur albernen, leicht besiegbaren Opposition auf. Ein einziger vernünftiger Entschluß des Königs von Preußen für sein Operntheater, und alles ist auf einmal in Ordnung!‹63 Ganz im Sinne des bereits (S. 231) von uns angeführten Satzes: ›endlich darf man annehmen, daß ein König, wenn der Zufall es so will, einen Tüchtigen [248] ebenso gut gewähren läßt, als einen Unfähigen.‹ Nicht mit ›Hineinpredigen in das Publikum‹ also, nicht mit unfruchtbarem Reden, Diskutieren und Kritisieren, sondern einzig durch die künstlerische Tat könne hier geholfen, ›das Publikum durch Tatsachen gebildet‹ werden. Genau dem entsprechend lauten auch die Schlußworte des Briefes: ›Sie haben gewiß viel auszustehen? Wehren Sie sich nicht, es ist nicht der Mühe wert! Grüßen Sie den guten Gaillard, und er soll Küstner ungeschoren lassen; wie demütigend, von solch einem Lumpen nicht einmal gefürchtet zu werden!‹64

Aus einem Briefe an Spohr vom 2. Dezember65 erfahren wir von einem Krankenlager, das ihn einige Zeit darniedergehalten; dieselbe Krankheit, die ihm ›hart zugesetzt‹ habe, wird auch noch einmal in einem Briefe an Kittl vom 4. Januar 1848 erwähnt. Sie scheint demnach mit ihren Belästigungen sich auch noch durch den Schluß des Jahres gezogen und die Arbeit am ›Lohengrin‹, den einzigen göttlichen Trost in aller Entbehrung, auf längere Zeit unterbrochen zu haben. Fast schlimmer noch als das rein physische Leiden aber bedrängte ihn die alte schwere Sorgenlast, die je länger, je peinigender auf ihm drückte. Weit und breit fand sich niemand, der sie ihm abnehmen wollte! Und seine Dresdener Amtsstellung bereitete ihm, durch eine immer schroffer sich gestaltende Verkennung seines künstlerischen Wesens, wahrlich keine Freuden, die ihn für solche Nöte hätten entschädigen können. Das Schwerste und Bitterste aber mußte es für ihn sein, in seiner eigenen häuslichen Umgebung kein Mitgefühl, keinen lindernden Trost, sondern seine eigene Frau auf der Seite Derer zu finden, die seine künstlerischen Überzeugungen für eitel Überspanntheit und Ideologie hielten, von ihm nur weitere Opern nach Art des ›Rienzi‹ verlangten, im übrigen aber Nachgiebigkeit und Unterwürfigkeit gegen den Geschmack des Publikums und die hochwohlweisen Beschlüsse seines Vorgesetzten, des Herrn von Lüttichau! ›Seit meiner Anstellung in Dresden‹, so schreibt er ihr später in einem seiner ergreifendsten Briefe, ›tritt Deine wachsende Mißstimmung genau mit der Zeit und in dem Grade ein, als ich – meinen persönlichen Vorteil vergessend – im Interesse meiner Kunst und meiner künstlerischen wie menschlichen Unabhängigkeit den elenden Direktionsverhältnissen jener Kunstanstalt mich nicht mehr zu fügen vermochte. [249] In dieser entscheidenden Periode meines Lebens wird jeder, der mich genau beobachtete und zu verstehen suchte, zugestehen müssen, daß alles was ich tat, eine unausbleiblich richtige Konsequenz meines künstlerischen Wesens war. Daß ich endlich nicht nur als Künstler, sondern auch als Mensch mich gegen all die lasterhaften Zustände empörte, die – bei meiner leidenschaftlichen Natur – niemand zu größerer Qual empfinden konnte, das muß demjenigen höchst erklärlich und daher gewiß auch nicht tadelnswürdig erscheinen, der mir genau gefolgt wäre, wie ich Schritt für Schritt, nicht sprungweise, zu dem Standpunkt als Künstler und Mensch gelangte, den ich jetzt einnehme: er hätte erkennen müssen, daß ich hierin nicht willkürlich und aus Eitelkeit verfuhr, denn er hätte beobachtet, wie ich darunter litt, und mein Weib hätte dies getan, wenn sie sich Mühe geben wollte mich zu verstehen, wozu sie keineswegs der Büchergelehrsamkeit bedurfte, sondern nur der Liebe! – Wenn ich von einem neuen Ärger, von einer neuen Kränkung, von einem neuen Mißlingen, tief verstimmt und erregt nach Hause kam, was spendete mir da dieses mein Weib anstatt des Trostes und erhebender Teilnahme? Vorwürfe, neue Vorwürfe, nichts als Vorwürfe! Häuslich gesinnt, blieb ich dennoch zuhaus; aber endlich nicht mehr, um mich auszusprechen, mich mitzuteilen und Stärkung zu empfangen, sondern um zu schweigen, meinen Kummer in mich hineinfressen zu lassen, um – allein zu sein! Dieser ewige Zwang, unter dem ich so lange schon lebte, und der mir nie erlaubte, nach einer Seite hin mich ganz gehen zu lassen, ohne zu den heftigsten Auftritten zu gelangen, lastete auf mir und zehrte an meiner Gesundheit. Was ist alle körperliche Pflege, die Du mir allerdings reichlich angedeihen ließest, gegen die notwendige geistige für einen Men schen von meiner inneren Erregtheit? Entsinnt sich wohl meine Frau, wie sie es einst über sich vermochte, acht Tage lang mich auf dem Krankenbette zu pflegen, kalt und ohne Liebe, weil sie mir eine heftige Äußerung vor meiner Erkrankung nicht vergeben konnte?‹66 – – –

Trotz Krankheit und Sorgen sehen wir ihn, in dem eben (S. 247) erwähnten Briefe an Kittl, u.a. lebhaft mit dessen (nunmehr in der Komposition vollendeten) Oper ›Die Franzosen vor Nizza‹ beschäftigt. So entschieden er es sich verbeten hatte, öffentlich als Textdichter der Oper genannt zu werden, so wenig entzieht er dem Werke des Freundes das gleichsam väterliche Interesse, das ihn noch immer mit dieser seiner älteren Geistesschöpfung verband. Er hätte gewünscht, die Oper zuerst in Dresden aufführen zu können, jedenfalls wäre er ›gern bei einigen Proben zugegen gewesen‹. Er hofft nunmehr, wenigstens zur ersten Aufführung nach Prag kommen zu können. Vor allem peinigt ihn eine von Kittl beabsichtigte [250] Textänderung durch eine unzeitige Hinzufügung in der Partie des Giuseppe. ›Weißt Du, was der Schluß einer Oper ist? – Alles! Ich hatte auf das heftig Ergreifende, Sturmschnelle des Schlusses sehr gerechnet: die schreckliche Katastrophe beim Gange aus der Kirche darf mit nichts mehr versüßt werden, – das einzige furchtbar Erhebende ist das Daherschreiten eines großen Weltgeschickes, hier personifiziert in der französischen Revolutions-Armee, welches in fürchterlicher Glorie über die zertrümmerten alten Verhältnisse (der Familien) dahinzieht. Diese Beziehung darf nach meiner Ansicht in nichts geschwächt werden, wenn der Schluß, wie ich mir es dachte, der erhebendste Moment des Ganzen sein soll; wird er so festgehalten, wie ich mir ihn dachte, so liegt die große Versöhnung im Erscheinen der Franzosen darin, daß wir hier mit offenen Augen ersichtlich eine neue Weltordnung eintreten sehen, deren Geburtswehen jene Schmerzen waren, die bis dahin die Bewegung des Dramas bildeten. Das gewöhnliche Publikum braucht gar nicht so tief auf die Sache einzugehen; kommt das Richtige deutlich und drastisch zur Erscheinung, so erhält es den richtigen Eindruck durch Instinkt. Daß Giuseppe nicht mit dem Vorwurf des Vaterlands-Verrates entlassen werden soll, ist bei diesem ergreifenden Schluß durchaus ohne Wichtigkeit; er büßt seine Schuld genug durch das soeben Erlebte. Soll es aber durchaus sein, so muß dies aber wenigstens so kurz wie möglich abgemacht sein: – laß ihn bei dem Rufe: »schließt die Tore! die Franzosen!« sich schnell aufraffen und mit dem Ausdruck eines von rasender Verzweiflung Gepackten, der sich um jeden Preis den Tod geben will, unter das Volk rufen: »Zu mir, wer seinen König liebt!« Hiermit mag er an der Spitze einiger vom Adel, welche im Brautzug waren, nach dem Tore stürzen: eine Salve der eindringenden Franzosen, und er fällt. Nur aber um Gotteswillen hier keine Länge, nichts Zartes oder Schmachtendes mehr; von dem oben bezeichneten Schreckensrufe an darf keine anhaltende Unterbrechung mehr erfolgen; von da an ist der letzte Strom entfesselt, den nichts mehr aufhalten darf, wenn die ergreifende Wirkung nicht gänzlich erkalten soll. Verbietet die Zensur den Marseiller Marsch, so mußt Du dazu einen ganz ähnlichen extemporieren. – Ich bitte Dich dringend, beachte, was ich Dir wohlmeinend hier sage!‹ – Es erging dieser dringenden Bitte, wie es den meisten wohlgemeinten Ratschlägen Wagners an seine komponierenden Zeitgenossen gegangen ist. Sie fand bei dem Komponisten, der vor allem an die rein musikalische Ausgestaltung seines letzten Finales dachte, kein Gehör. Seine Schlußmelodie für Arie und Chor, zu der er sich die wenigen Reimzeilen offenbar selbst gedichtet, war ihm wichtiger, als alle dramatische Wirkung.

Zu Krankheit, Sorge und Ärgernissen aller Art, die ihn zeitweilig von der Versenkung in die Wundertiefen seines ›Lohengrin‹ fernhielten, kam dann noch, wenige Tage nach dem soeben erwähnten Briefe an Kittl, ein [251] ganz unerwarteter, tief betrübender Schlag: der am Sonntag, 9. Januar 1848 in Leipzig erfolgende Tod seiner guten alten Mutter, im vollendeten und überschrittenen dreiundsiebzigsten Lebensjahr. Sie hatte in den letzten sechs bis acht Jahren, wo sie für die Außenwelt stumpfer und abgeschlossener wurde, im stillen nur in der geistigen Gesellschaft ihrer Kinder und Enkel gelebt, wenn sie mit ihren Gedanken allein in ihrer einsamen Stube saß. Ihr einziger Wohn-und Lebensgenosse war derjenige ihrer Söhne, der es durch eigene Trägheit in seiner praktischen Lebenstätigkeit zu nichts gebracht hatte und gleich der Mutter einzig durch Unterstützung von Friedrich Brockhaus lebte, der damals mehr als vierzigjährige Julius Wagner.67 Zwischen ihr und dem Gatten ihrer Tochter Luise68 bestand von je das beste und herzlichste Einvernehmen; stets erkannte sie rühmend an, wem sie die Behaglichkeit ihres nun in so engen Verhältnissen verlaufenden Lebens verdankte.69 Bis zu dem letzten Sonntag ihres Lebens, den sie noch gesund verbrachte (2. Januar), war sie regelmäßiger Mittagsgast im Hause ihrer Kinder und hatte bei der Tafel ihren Platz neben ihrem Schwiegersohn. Da es mit ihren Augen nicht mehr zum besten bestellt war, war er ihr während der Mahlzeit liebevoll behilflich, legte ihr gute Bissen vor und machte sie ihr mundrecht, wofür sie ihm in gerührter Weise dankte: ›Warten Sie nur, Fritz, wenn ich zum lieben Gott komme, will im ihm erzählen, was Sie für ein guter Mensch sind.‹ Vorahnungen ihres Todes, die sie schon geraume Zeit mit sich herumgetragen, waren in der letzten Zeit häufiger in ihr aufgetaucht; ängstlicher als sonst erkundigte sie sich bei etwaigem längeren Ausbleiben ihres Sohnes Julius, ob er denn noch nicht zu Hause sei, und ging ihm einmal, als er sich eben wieder entfernte, bis an die Saaltür nach, wo sie ihm mit den Worten um den Hals fiel: ›Ach, lieber Julius, mir ist jetzt immer, wenn du fortgehst, als säh' ich Dich nicht wieder.‹ Sie war zeitlebens keine eifrige Kirchengängerin gewesen, dennoch aber von hoher Religiosität; so war – nach der Schilderung Albert Wagners – ›auch ihr Tod ein heiteres, herrliches, in Gott ergebenes Dahinscheiden, wenn auch kein Priester bei ihr stand‹. Heiter und gefaßt habe sie ihrem Ende entgegengesehen und am Abend zuvor ihre Töchter um sich versammelt und sie voll Liebe ihre ›guten Engelstöchter‹ genannt. Dann sei (immer nach demselben Bericht), nachdem sie still für sich gebetet, eine Art himmlischer Vision über sie gekommen, in der ihr die schönsten, reinsten Bilder erschienen seien. ›O, wie ist alles so hell und schön um mich, [252] welch herrliche Erscheinungen!‹ habe sie ausgerufen. ›Ach, wie ist es mir so wohl ergangen, und wie geht es mir jetzt so wohl, umgeben von meinen guten Kindern, – wie habe ich solche Gnade verdient!‹ In der darauf folgenden Nacht habe sie dann wohl ein paarmal über Schmerzen oder Aufregung geklagt, sei dann aber gegen Morgen sanft eingeschlafen und aus diesem Schlaf nicht wieder erwacht Sanft war sie hinübergeschlummert, und als wenn der Tod auch nicht die kleinste Widerwärtigkeit für sie haben sollte, hatte er sie auch noch in ihrer Gesichtsbildung verschönert: die Haut war weißer geworden, die Falten geglättet, und der schöne Oberkopf trat so edel hervor; nur der Mund war wegen Zahnmangel eingefallen. So heißt es in einem Briefe Alberts an seine Tochter Franziska,70 in Übereinstimmung mit den eigenen Erinnerungen Wagners, dem ihre letzten Augenblicke durch die Geschwister berichtet wurden, als er gleich nach ihrem Tode von Dresden zu ihrer Bestattung herüberkam und gerade noch vor dem Schließen des Sarges ihre Gesichtszüge noch einmal erblicken und sich für immer einprägen durfte.

›Mein guter lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe‹, so hatte sie ihn einige Jahre zuvor in einem schönen lieben Briefe angeredet, als sie ihn um die herannahende Weihnachtszeit dazu anregte, für seinen Bruder Julius aus seinen Mitteln etwas zu tun, da ›das arme Tier so ganz abgerissen sei‹. Er bildet nach unserer Kenntnis das letzte Glied in der Folge brieflicher Ergüsse des Mutterherzens aus seiner Magdeburger, Rigaer, Dresdener Periode – unterbrochen nur während der drangvollen Pariser Zeit, in deren harten Nöten selbst die Tröstung der Mutterstimme ihm verwehrt blieb, – so sehr war er damals für die Seinen verschollen und von ihnen aufgegeben! Durch allen Wechsel und Wandel in dem Leben des Meisters, der Briefe sonst nicht aufzubewahren pflegte (wie er auch die Aufbewahrung der seinigen durch ihre Empfänger nicht voraussetzte71), haben sich diese Zeugnisse ernster, rührender Mutterliebe doch, als treu gehegtes Kleinod, bis zuletzt in seinem Besitze erhalten. Daß in seiner Dresdener Zeit, offenbar durch die Leipziger Verwandten, ›mancherlei Wunderliches‹ zwischen ihn und die ›gute alte Mutter‹ getreten sei,72 erfahren wir aus seinem oft abgedruckten Geburtstagsbrief an [253] sie, dem wir im vorausgehenden eine charakteristische Stelle entnahmen (S. 182). Doch hatte er es bei keinem seiner Leipziger Besuche unterlassen, vor allem sie aufzusuchen; durch sie hing er fast einzig noch mit seinen dortigen Angehörigen zusammen (›nur in dem Bewußtsein, daß Du noch unter uns weilst, können Deine Kinder sich noch recht deutlich als eine Familie fühlen‹). Und gewiß war eine zarte Rücksicht auf sie mit unter den Faktoren wirkend, die ihn so lange in seiner Dresdener Stellung erhielten, deren künstlerische Hoffnungslosigkeit sich ihm immer deutlicher aufdrängte. Bezeichnend ist die rein tatsächliche Fügung des Geschickes, daß jene Bewegungen, deren weltgeschichtliche Bedeutung sich in jenen Tagen und in seiner produktiven Einbildungskraft soviel weitreichender ausnahm, als sie sich in Wirklichkeit leider erwiesen ihren ersten, für seine Lebensschicksale auf unabsehbar lange hinaus entscheidenden Einfluß auf ihn erst nach dem Tode der Mutter äußerten. Mit diesem Verlust, der sich in dem Leben eines jeden nur einmal ereignet, war gleichsam die letzte Brücke hinter ihm abgebrochen, die ihn an die Vergangenheit seiner bisherigen Lebensführung kettete, und die völlige Einsamkeit des, Genius, der seine ganze Zukunft in sich selber bildet und trägt, ward ihm nur um so fühlbarer.

Kaum ein Vierteljahr nach dem zuletzt bezeichneten Opfer an die Vergänglichkeit war – gegen Ende März – die Partitur des ›Lohengrin‹ vollendet Was sich bis zu diesem Zeitpunkt in seinem äußeren Leben zutrug, wird uns im folgenden Kapitel beschäftigen; wie er sich unter den Erfahrungen der letzten Zeit rein physisch befand, bekundet uns recht augenscheinlich die zufällig erhaltene briefliche Bemerkung Schumanns an den eben abwesenden Hiller: ›Ich sprach ihn vor kurzem; er sieht nicht gut aus, will aber bald an Lohengrin‹ (Jan. 1848). Diese Dresdener ›Kunstkollegen‹ unterhalten sich in ihrer Korrespondenz viel von Wagner und lassen nicht leicht einen seiner Pläne und Schritte unbesprochen. Nur fehlt es in diesen Äußerungen an jedem Anzeichen einer wärmeren Teilnahme, – man hört aus ihnen nur den Ton des kalten Beobachters.

Fußnoten

1 Agamemnon–Mitterwurzer, Klytämnestra–Schröder-Devrient, Iphigenie–Johanna Wagner, Achilleus–Tichatchek, Kalchas–Dettmer, Artemis–Frl. Marpurg.


2 Iphigénie en Aulide, tragédie opéra en trois actes, dédié au Roy par Mr. le Chevalier Gluck. Paris, Le Marchand, 298 Seiten Folio.


3 Beschreibung von Wagners Handexemplar dieser Partitur im Liepmannsohnschen Autographen-Katalog vom Dezember 1886.


4 Hanslick, die moderne Oper S. 7/9 (Iphigenia in Aulis).


5 Vgl. über diesen Vortrag den Aufsatz Wagners: ›Glucks Ouvertüre zu »Iphigenia in Aulis.«‹ Eine Mitteilung an den Redakteur der ›N. Zeitschrift für Musik‹ (Ges. Schr. V, S. 143 ff.).


6 Man halte hierzu den auf S. 189/90 dieses Bandes angeführten Vorwurf Bancks: Wagner verstünde überhaupt nie ein richtiges Tempo zu nehmen oder festzuhalten.


7 Vgl. die angeführte Abhandlung Wagners über ›Glucks Ouvertüre zu Iphigenia in Aulis‹ S. 152.


8 Siehe S. 212 dieses vorliegenden Bandes, oben!


9 Vgl. Paul Ehlers, Die Ouvertüre zu Glucks Iphigenie in Aulis, im Mus. Wochenblatt 1901 Nr. 14 v. 28. März.


10 Ges. Schr. V, S. 148.


11 1. Jan. 1847 (Brief an den jungen Hanslick).


12 Vgl. Band I, S. 53–54. Bekanntlich dient es heute mit seinen ausgedehnten Räumlichkeiten und prächtigen Gartenanlagen hinter dem Hause als städtisches Krankenhaus. Wagners Arbeitszimmer lag nach hinten zu, mit dem Ausblick auf den Garten (das jetzige Krankenzimmer Nr. 94, über dem Balkon).


13 Charakteristisch ist es, daß sie sich für den Zweck dieser Abschiedsvorstellung eigentlich die Rolle der Valentine ausersehen hatte, in welcher sie in jüngeren Jahren so oft Triumphe gefeiert. ›Da Fräulein Wagner krank ist, so wird der Aufführung wohl kein weiteres Hindernis im Wege stehen, als die Laune von Herrn Tichatschek, die vielleicht für diesen Fall eine günstige sein könnte‹, heißt es in ihrem Schreiben an die General-Direktion. Doch konnte der scheidenden Künstlerin ihr Wunsch nicht erfüllt werden.


14 Am 29. August 1847 ließ sie sich zum größten Entsetzen aller ihrer Freunde mit dem ehem. Kgl. Sächs. Leutnant Herrn v. Döring zu Kleinzschocher bei Leipzig trauen. Noch an demselben Tage hatte ihr ein fürstlicher Gönner (leider zu spät) eine briefliche Warnung zugerufen. Kurz vor der Trauungszeremonie unterschrieb sie den von Döring aufgesetzten Ehekontrakt, ohne ihn auch nur gelesen zu haben. Daß sie ihm damit alles, was sie besaß und je besitzen würde, ja selbst die Hälfte ihrer Dresdener Pension verschrieben hatte, sollte sie nur allzu bald erfahren; denn kaum war dieser letzte entscheidende Schritt getan, so warf er – nach ihren eigenen Worten – ›die Maske ab und stand vor ihr, ein vollkommener Teufel‹! (Vgl. A. v. Wolzogen, Wilhelmine Schröder-Devrient, S. 316–17.)


15 Band I des vorliegenden Werkes, S. 392.


16 Fr. Pecht, Aus meiner Zeit I, S. 205–6, 291.


17 Wie heillos vielmehr die in seinem Kopfe herrschende Konfusion über das Wollen und Schaffen des Künstlers war, beweist seine noch i. J. 1875(!) dem Druck übergebene Reproduktion einer damaligen Unterhaltung mit Wagner (!), die von dem charakteristischen Bekenntnis ausgeht, ›die charmante Polonaise (!) ausgenommen, habe ihm der Tannhäuser langweilig geschienen‹. ›Dem Schöpfer selbst aber‹, fährt er fort, ›sagte ich damals am Dippoldiswalder Platz: »Warum haben Sie sich bei Ihrem Wartburgkrieg den Klingsor entgehen lassen? Dieser gehörte doch zum Text. Sie würden eine kräftige Baßpartie à la Bertram im ›Robert der Teufel‹ mit ihm gewonnen haben und für die Handlung einen Vertreter des Dämonischen, der in dramatischer Form (!) auf den Tannhäuser wirkt! Daß nun alles aus dem Tannhäuser allein, aus seinen Reminiszenzen herauskommen soll, ist wahrlich nicht dramatisch!« Nach dieser Offenherzigkeit (!!) meinerseits fand keine Begegnung mehr statt.‹ (Gutzkow, Rückblicke auf mein Leben, S. 319.)


18 ›Gutzkow gewann zunächst keinen rechten Boden im Vertrauen der Kunstgenossenschaft und verlor den wenigen, den er besaß, als er sich nicht enthalten konnte, den alten Fehler zu begehen: Zeitungsartikel über das Theater, das er vertrat, zu schreiben‹ (Geschichte der deutschen Schauspielkunst, V, S. 118).


19 Bekanntlich war und blieb dies späterhin nicht minder mit dem berühmten Brockhausschen ›Konversationslexikon‹ der Fall. Vgl. Bayreuther Blätter 1895, S. 366 ff. und 1896, S. 201 ff.; Allg. Musikzeitung 1896, Nr. 3, S. 40/41.


20 Das ›Dresdener Tageblatt‹ war damals der Dreifuß, auf welchem sich Karl Banck (vgl. S. 189 dieses Bandes) als rezensierende Pythia vernehmen ließ.


21 Buchstäblich diesen Ausdruck braucht ein Bericht der Leipziger Signale v. 21. Juli: ›Unsere Oper ist nur der Spielball einer Partei, und wer eigentlich Intendant ist, scheint bald unklar zu werden ... Eben gastiert Mme. Küchenmeister, von Gutzkow als Sängerin ersten Ranges empfohlen Möge Apollo Herrn Gutzkow nicht strafen! Die Stimme der Fr. Küchenmeister ist zwar dramatisch belebt‹ usw.


22 Spöttisch bemerkten dazu die Leipziger ›Signale‹: ›Der Dresdener Oper hat ein Verlust gedroht; die Sache ist aber jetzt glücklicherweise zum Heile Deutschlands wieder geordnet. Herr Kapellmeister Wagner hatte gekündigt, weil er sich mit dem Dramaturgen (Gutzkow) überworfen. Auch Tichatschek schmollt mit Herrn Wagner; das sind für Dresden wichtige Dinge‹ (Signale f. d. musik. Welt 1847, Nr. 39, S. 309).


23 R. Prölß, Geschichte des Hoftheaters zu Dresden, S. 505/06. Vgl. Wagner an Uhlig ›Es fehlt ihm vollständig an Naivetät, er hat nicht einen Blutstropfen vom Künstler in sich: oder ist er Künstler? Er beweist, wie weit es bei vollkommener Unproduktivität ein klar rechnender Kompilator bringen kann; das Neue, Unwillkürliche muß ihm durchaus fremd bleiben. Er hat kein Herz dafür, d.h. sein Herz reicht genau bis zur Theaterschule, und für alles weitere behilft er sich mit der Unvollkommenheit der menschlichen Natur hienieden‹ usw. (Briefe an Uhlig, S. 188–189.)


24 Ges. Schr. II, 321. VII, 370. IX, 158. 222/23. 259.


25 Briefe an Uhlig, S. 189. 109.


26 Briefe an August Röckel, S. 81. 79.


27 Vgl. S. 114 des gegenwärtigen Bandes.


28 Der Wiederholung am 7. August wohnte Robert Schumann bei und schrieb noch an demselben Abend in sein Theaterbüchlein, es sei ›eine Oper, über die sich nicht so in Kürze sprechen läßt; gewiß, daß sie einen genialen Anstrich (!) hat. Wäre Wagner ein so melodiöser Musiker, wie er ein geistreicher, er wäre der Mann seiner Zeit‹.


29 Bd. I des vorliegenden Wertes, S. 423/24.


30 Briefe an Ferd. Heine, S. 378.


31 Im Original-Partiturentwurf fehlt die Jahreszahl, doch ist ein Zweifel darüber ausgeschlossen.


32 Über die ursprüngliche Herkunft dieser Vorfahren aus Dithmarschen, beziehungsweise Holstein, gibt Friedrich Rösch in seiner Biographie Alexander Ritters (Mus. Wochenbl. 1898, S. 65/66) genauere Angaben. Vgl. außerdem Alexander Ritter, ein Bild seines Charakters und Schaffens von Siegmund v. Hausegger (Berlin, Marquardt & Co. 1909).


33 Miß Jessie Taylor, später Madame Laussot, nachmals mit dem Schriftsteller Karl Hillebrand vermählt, eine ›durch ungewöhnlichen Geist, musikalische Begabung und tätigen Kunstenthusiasmus ausgezeichnete Persönlichkeit‹, nahm an dem frühesten musikalischen Unterricht Bülows in gemeinschaftlichen Übungen teil (Bülow, Briefe I, S. 12).


34 Seine rechtzeitige Abreise war nur dadurch möglich, daß sich Kollege Reißiger, der die Sommermonate auf Urlaub verbracht, etwas zurückbeeilte. Darauf bezieht sich Reißigers briefliche Äußerung an Böhme: ›Ich blieb noch acht Tage in Berlin und projektierte, noch einige Tage in Dessau und Leipzig zu verleben; allein mein Kollege Wagner bat mich flehentlich zurückzukehren, weil er seinen »Rienzi« in Berlin einstudieren wolle. Da mußte denn der arme Reißiger hübsch kollegialisch verfahren und alle seine Pläne aufgeben‹ ... ›Beiliegend erhalten Sie mein 18. (!) Trio – Gott Lob voller Melodie!‹ (Schreiben an den Musikverleger Böhme vom 19. Nov. 1847, Original in Oesterleins Wagner- Museum).


35 Daß die gleichzeitigen öffentlichen Besprechungen den Berliner Sänger des Rienzi ausnahmslos sehr günstig beurteilen, fällt gegen die eigenen Erinnerungen des Meisters leider nicht ins Gewicht. Destomehr aber steht mit diesen letzteren der seltsame Umstand in Übereinstimmung, daß die Handlung der Oper ›Rienzi‹ seinen kritischen Gegnern – nicht etwa für überladen und mit Katastrophen und plötzlichen Wendungen überfüllt, sondern für – langweilig gelten konnte!


36 Die kleineren Männerrollen waren durch die Herren Krause, Böttcher, Zschiesche, Heinrich und Fischer genügend besetzt; den Friedensboten sang ein Frl. Brexendorf.


37 Briefe an Minna Wagner I, S. 36.


38 Ebendaselbst S. 37.


39 Briefe an Minna Wagner I, S. 38.


40 Wagners Dresdener Hündchen, das, während er arbeitete, immer hinter ihm auf dem Stuhle saß.


41 Briefe an Minna Wagner I, S. 41. 44. 41.


42 Band I des vorliegenden Werkes, S. 24. 28/29. 113.


43 Briefe an Minna Wagner, S. 42.


44 Band I des vorliegenden Werkes, S. 96. 113.


45 Bülow fügt diesem Verdikt, das ihm durch seinen Vater zugekommen zu sein scheint, seinerseits die Reflexion hinzu: ›Das erregt mir erstens nur das achselzuckende Gefühl: »Schuster, bleib bei deinem Leisten« und zweitens das schmerzliche über die Hartnäckigkeit und Trägheit gegen das Neue, was die Menschen nicht sogleich verstehen und deshalb geringschätzen. Doch ich will weder in Gedanken noch Worten mich über das Urteil (?) dieser Art ästhetischer »Kenner« ärgern; es ist das nicht wert und Wagners Heiligkeit bleibt unangetastet‹ (Bülow, Briefe I, S. 95). –


46 Briefe an Minna, S. 43.


47 Ebendaselbst, S. 39.


48 In seinen Briefen an Uhlig bezeichnet er Berlioz ausdrücklich als ›Meyerbeers Leibeigenen‹ (an Uhlig, S. 32); so sehr hatte der geschäftskundige Diplomat sich den einflußreichen Kritiker des Pariser ›Journal des Débats‹ durch seine gelegentlichen ›Gefälligkeiten‹ zu umspinnen gewußt!


49 Briefwechsel mit Liszt I, S. 125.


50 Brief an den Vorstand des Wagner-Vereins Berlin, vom 18. März 1873, enthalten in der ›Festgabe des Wagner-Vereins Berlin zur Feier des 25jährigen Bestehens der Bayreuther Festspiele‹ (Berlin 1901) S. 12/13.


51 Wir können hier immer nur wieder auf die – im Kleinen – durchaus entsprechenden Erfahrungen Laubes mit seinem Trauerspiel ›Struensee‹ verweisen, welches er gegen den Willen und die force majeure Meyerbeers in Berlin durchzusetzen sich vergeblich mühte: er fand ›unermeßliche Schwierigkeiten, obwohl der Intendant es wollte, obwohl einige Leute in der Nähe des Königs es wollten, ja obwohl am Ende der König selbst es wollte‹. (Vgl. Band I des vorliegenden Werkes, S. 512.)


52 Ges. Schr. X, S. 167.


53 Ganz wie Gaillard selbst († Jan. 1851), wurde auch Schröder (geb. 1. Mai 1823, also zehn Jahre jünger als Wagner) allzufrüh – im Februar 1850 – durch ein Brustleiden dahingerafft; ihnen folgte (Jan. 1853), als Opfer der gleichen tückisch schleichenden Krankheit der, Wagner allerdings persönlich so sehr viel näher stehende, Theodor Uhlig! Meyerbeers Soldschreiber und Leibtrabanten erfreuten sich einer zäheren Lebensdauer! Dagegen hat die Wahrnehmung etwas Tragisches, wie das Lebensgeschick Wagners, indem es ihm wiederholt seine besten Freunde durch ein frühes Ende eben dann entzog, wenn sie ihm ihre Dienste am verheißungsvollsten darzubieten schienen, konsequent auf seine Isolierung hingearbeitet hat.


54 Sein Artikel über den ›Rienzi‹ in Berlin ist mit den Anfangsbuchstaben seines Namens C. S. unterzeichnet.


55 Außer den Berliner Lokalblättern brachten eingehende Berichte über die Aufführung u.a. auch die Leipziger ›Signale‹, aus der Feder R. Wüersts, eines Schülers von Mendelssohn und David, der unter dem Pseudonym ›Nante‹ seine faden Witze und trivialen Späße zum besten gab. Nachdem er Wagners ›umsichtige und sehr energische Leitung‹ erwähnt, fährt er fort: ›Denken Sie sich nun ein Orchester von 24 Violinen usw., doppelt besetzten Blasinstrumenten, sogar 4 Trompeten, drei Posaunen und Tuba, ein Serpent und Janitscharenmusik nicht zu vergessen. Dieses Riesenorchester macht nun fünf Stunden lang, also von sechs bis elf Uhr, mit wenigen Unterbrechungen fortwährend den möglichst größten Lärm, ja in feierlichen Momenten kommt sogar noch eine Bande von 50 Mann mit 8 Trommeln oder eine sechzehnfüßige Orgel auf der Bühne dazu, die Sänger gar nicht einmal gerechnet, da es überhaupt größtenteils gleichgültig ist, ob diese singen oder nur den Mund aufsperren. Denken Sie sich ferner, daß Sie dies mit anhören müssen, ohne durch mehr als höchstens zwei behaltbare Melodien erquickt zu werden; denken Sie sich ferner alle Musikstücke der Oper formlos, die Melodien barock und die Handlung langweilig im höchsten Grade (!), so werden Sie mir zugestehen, daß selbst eine vorzügliche Aufführung dafür nicht entschädigen kann. In dramatischer Beziehung bietet die Oper allerdings Anerkennungswertes dar, aber in musikalischer gar nichts. Weshalb schreibt Herr Wagner denn eine Oper, wenn er nicht Musik machen will?‹ (Sign. 1847, Nr. 45 vom 3. Nov.). Und in Nr. 47 vom 17. Nov. heißt es: ›Sonst gibt es nichts Neues, als daß die Leute, die sich erst so sehr zu Wagners »Rienzi« drängten, jetzt durch Gensdarmen ins Opernhaus getrieben werden, damit die Oper nicht vor leeren Bänken spiele. Man hat bereits den Vorschlag gemacht, die gefangenen Polen in den »Rienzi« zu schicken, indem man von dieser famosen Oper bessere Wirkung auf die Übeltäter erwartet als von dem zuerst bei ihnen angewandten pennsylvanischen System. Mieroslawski soll blaß vor Schrecken gewesen sein, als man ihm den Entschluß verkündet hat, ihn durch »Rienzi« zum Geständnis zu bringen‹ usw.


56 Man vergleiche hierzu den Artikel O. Eichbergs ›Zum fünfzigjährigen Jubiläum des Rienzi‹ im ›Bay reuther Taschenbuch‹ 1892, S. 78.


57 In seinen neun ›Lohengrin-Briefen‹, anläßlich der über alles vollendeten Darstellung des Werkes zu Bayreuth in dem denkwürdigen Sommer 1894, in der Wiener Ostdeutschen Rundschau.


58 Wagners Briefe an Aug. Röckel, S. 66.


59 Chamberlain a.a. O.


60 Vielleicht lag eine Verwechselung mit Reißiger vor, der allerdings in einem erhaltenen gleichzeitigen Schreiben vom 19. November 1847 an seinen Musikverleger Böhme die Ansicht ›vieler verständiger und ruhiger Musiker‹ anführt, Mendelssohns schneller Tod sei ›für seinen Ruhm zur rechten Zeit‹ erfolgt; seine neuen Kompositionen, selbst sein Elias, den er zweimal gehört, seien ›etwas matt und ärmer an Erfindung‹. ›Ich habe nie mit ihm Abgötterei getrieben; – das ist der einzige Fehler, den ich mir gegen ihn vorzuwerfen habe‹, heißt es in derselben Zuschrift (Autograph im Eisenacher Wagner-Museum).


61 Allein die Dresdener, ›Abendzeitung‹ (J. Schladebach?) bringt in der stillen Zeit der Entstehung des ›Lohengrin‹ eine ganze Blütenlese solcher Klätschereien und Witzeleien, zum Teil mit ableitender Berufung auf auswärtige Quellen. ›In der Wiener Musikzeitung 1847, Nr. 101 heißt es aus Dresden: Ein komponierender Kapellmeister, der den Stil oder Unstil Berlioz' in die deutsche Oper zu verpflanzen sucht, gab seine erste Oper einem Musikalienhändler in Verlag, als derselbe noch Bel-Etage wohnte. Kaum war die Oper ein Jahr heraus, so mußte der Verleger eine Treppe höher ziehen. Die zweite Oper des fruchtbaren Komponisten trieb den Verleger wieder eine Treppe höher und die dritte Oper noch eine Treppe, so daß er jetzt in der Tat vier Treppen hoch wohnt und die vierte Oper durchaus verschmäht, um nicht unter das Dach zu kommen‹ (11. Nov.). ›Die bald vollendete Oper des Herrn Kapellmeister Wagner soll schon ein merkliches Steigen des Preises der Violinsaiten um so mehr zur Folge haben, als der deutsche Enthusiasmus für den großen Tonkünstler sich immer gewaltiger Bahn bricht‹ (2. Dez.). ›Die neue, im Texte nach der Gralsage bearbeitete Oper des Kapellmeisters Wagner: Lohengrin, ist nun beendet. Der geniale Komponist hat sich die Kgl. preußische Ordensritterwürde ertannhäusert.‹ Weder war um diese Zeit der ›Lohengrin‹ beendet, noch beruhte das letztere Gerücht auch nur auf dem schwächsten Fundamente von Wahrheit.


62 Siehe die vorige Anmerkung.


63 Dieser entscheidende letztere Satz, der dem Vorausgehenden einen ganz anderen Sinn gibt (wie auch alles Folgende) war bei jenen früheren Zitationen – aus den oben näher bezeichneten Gründen – einfach weggelassen worden!


64 Wir sind Herrn Regierungsrat H. Steger in Wien, dem Besitzer der Originalhandschrift dieses Briefes, aufrichtig dafür dankbar, daß er uns durch gütige Mitteilung einer wortgetreuen Kopie (aus seiner reichhaltigen Sammlung von Wagnerbriefen) instand setzte, einer durch das beliebte sensationelle Herausreißen eines einzelnen Passus herbeigeführten, bis zu diesem Augenblick siegreichen Fälschung seines wahren Sinnes entgegenzutreten!


65 Es ist ein herzliches Empfehlungsschreiben des jungen Fischer, des Sohnes seines alten Freundes W. Fischer, der sich um den erledigten Posten eines Chor- und Musikdirektors am Kasseler Hoftheater zu bewerben wünschte, nachdem er bis dahin in gleicher Funktion in Köln und Mainz tätig gewesen war.


66 Briefe an Minna Wagner I, S. 72/73.


67 Vgl. Band I des vorliegenden Werkes S. 38. 65. 80. 192. 438.


68 Ebendaselbst S. 108. 120. 129. 238. 402. 463.


69 Soweit diese Brockhaussche Unterstützung sie selbst betraf, bestand sie in einer festen, ihr alljährlich ausgezahlten Rente, die Friedrich Brockhaus ihr seit seiner Vermählung mit Luise zukommen ließ, und welche er selbst als ›nicht mehr denn recht und billig‹ anerkannte, da durch Luisens Abgang von der Bühne ihre bisherige Sustentation in Wegfall kam.


70 Dieser briefliche Bericht findet sich abgedruckt im Anhang von Siegmund von Hauseggers bereits erwähntem Büchlein: ›Alexander Ritter, ein Bild seines Charakters und Schaffens‹ (in der Monographiensammlung ›Die Musik‹, Berlin 1909).


71 Vgl. seine Bemerkung in den Briefen an Uhlig, Fischer und Heine S. 338.


72 Von diesem ›mancherlei Wunderlichen‹ tritt uns sogar in dem eben zitierten Briefe Alberts noch ein sprechender Zug des Unverständnisses entgegen, indem der einzige auf ihn bezügliche Passus daselbst also lautet: ›Nachdem ich zum Dienstag nach Dresden den Tag der Beerdigung gemeldet, kam Richard Dienstag abends in Leipzig an, indem ihn mein Brief, der ihm sagte, daß Mutter so schön im Tode aussähe, dazu bestimmt, sie noch einmal zu sehen. Er war sehr ergriffen, und der alte Richard war wieder ganz da, der ja früher (!) seine Mutter so lieb hatte‹ (!!). Wir enthalten uns jedes weiteren Kommentars: der hier in der Auffassung eines der Allernächststehenden, durch engste Bande des Blutes Verbundenen, hervortretende verständnislose und bloß eingebildete Gegensatz zwischen dem, mit allen Kräften in heftigem Ringen für seine reformatorische Lebensaufgabe begriffenen Künstler und dem ›alten Richard‹, der ›früher seine Mutter so lieb hatte‹, – tritt schmerzlichst offen zutage.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 207-254.
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