13.

Diese Skizze wird genügen um für die Erkenntniß und Würdigung von Mozarts Leistungen in der Opera seria die nothwendigen Voraussetzungen und den richtigen Maßstab zu [274] gewinnen1. Er fand eine bis ins geringste Detail der Form und Technik feststehende Satzung vor, an der zu rütteln ihm, dem Jüngling, der eine so eben ihm eröffnete Laufbahn betrat, nicht in den Sinn kam, um so weniger als die außerordentliche Leichtigkeit und Fruchtbarkeit seiner Erfindung ihm eine gegebene Form nie als eine lästige Beengung erscheinen ließ, sondern als eine Anforderung, was er mit und aus derselben zu machen im Stande sei. Es bedurfte daher schwerlich der Ermahnungen seines Vaters den hergebrachten Formen gerecht zu werden, die sicherlich nicht ausgeblieben wären, wenn der Jüngling die Schranken des Herkommens niederzuwerfen Miene gemacht hätte. Allein das entsprach auch dem Entwickelungsgange Mozarts nicht, welcher nicht sprungweise und in einzelnen Explosionen sich manifestirte, sondern ruhig und stetig fortschritt, und die verschiedenartigen Elemente seiner Zeit in sich aufnahm und verarbeitete, um das Wahre und Echte in denselben um so sicherer und klarer zur schönsten Vollendung reisen zu lassen. Mozart fand ferner die Oper vollständig in den Händen der Sänger und Sängerinnen, und zwar hatte die Bravur damals bereits über die Charakteristik im Wesentlichen den Sieg davon getragen. Er nahm den Krieg mit diesen Mächten und dem Publicum nicht auf, sondern erkannte das fait accompli an; allein er suchte sich auf billige Bedingungen zu stellen. Es war seine ausgesprochene Absicht den Sängern zu Dank zu schreiben, ihre Virtuosität geltend zu machen, allein in einer Weise daß die [275] musikalische Schönheit, Adel und Würde in den Melodien, in der Harmonie, in der ganzen Führung, welche er nicht als jenem Erforderniß absolut widersprechend ansah, zugleich ihr Recht behaupteten: beiden Anforderungen gleichmäßig und zugleich zu genügen sah er als seine eigentliche Aufgabe an. Auch die dramatische Charakteristik war damit keineswegs aufgegeben, aber sie trat allerdings häufig in die zweite Linie zurück. Fast in allen diesen Opern sind einzelne Momente und Partien, welche mit einer vollkommenen, ergreifenden Wahrheit des dramatischen Ausdrucks aufgefaßt und dargestellt sind, und zwar nie auf Kosten der Schönheit und des Ebenmaßes. Allein dies ist keineswegs durchgehends und in gleichem Maße der Fall und nicht selten tritt die Charakteristik vor dem Wohlklang und der Virtuosität zurück. Nun darf man zwar nicht übersehen daß die Begriffe von dramatischer Wahrheit und Charakteristik nach Zeiten und Nationen verschieden sind; man darf sich nur die poetische Behandlung der damaligen Opern vergegenwärtigen um zu begreifen, daß eine Zeit, welche diese für wahr und dramatisch erkannte, auch an die Charakteristik der Musik und Action ganz andere Anforderungen machen mußte, als wir es jetzt thun; man muß endlich nicht vergessen, daß der Vortrag vortrefflicher Künstler auch nach dieser Seite hin zu beleben vermochte, was uns jetzt als todter Notenkram erscheint2. Allein damit ist auch[276] zugleich zugegeben daß die Opern Mozarts aus dieser Periode unter dem Einfluß einer bestimmten, und in ihrem Geschmack vielfach verderbten Zeit stehen, welche der jugendliche Meister noch nicht beherrschte, und es versteht sich von selbst, daß das Abfinden mit vielen nur äußerlichen und conventionellen Forderungen dem Kunstwerk die Spuren derselben mitunter ebenso tief und tiefer eindrückte als die des schöpferischen Genies. Es ist deshalb auch erlaubt, diese Werke, die alle sehr bestimmt den Charakter ihrer Gattung tragen, in diesem Sinne summarischer zu behandeln und nur Einzelnes besonders hervorzuheben. Eins tritt dabei sehr klar hervor, daß es die Aufgabe jener Zeit war, durch das Streben nach einer dramatischen Charakteristik, welche in der Natur der menschlichen Empfindung und Leidenschaft, aber nicht minder auch im Wesen der Musik als einer Kunst begründet wäre, sich von einem conventionellen Formalismus zu befreien und einer nur auf materiellen Wohlklang gerichteten Schönheit Gehalt und Bedeutung zu verleihen. Die Spuren dieses Strebens, welches in dem innersten Kern von Mozarts künstlerischer Natur begründet war, lassen sich schon in diesen Opern unverkennbar nachweisen. Unsere heutige Opernmusik schreitet dagegen im einseitigen Streben nach Charakteristik, indem sie Schönheit und Ebenmaß aufgiebt, mit unleugbarem Erfolg auf die Karikatur zu.

Der Text zu der ersten Oper Mitridate Re di Ponto war vom Abbate Parini nach Racine bearbeitet3. Der Inhalt [277] ist kurz folgender4: Auf die Nachricht von dem Tode des Mitridate übergeben die Bewohner von Nimfea seinem Sohne Sifare die Schlüssel der Stadt. Aspasia verlangt von ihm Schutz gegen die Bewerbungen seines Bruders Farnace, wobei sie ihre Neigung für Sifare verräth, welche dieser im Herzen erwiedert. Als Farnace Aspasia zwingen will sich zu vermählen, stürzt Sifare sich dazwischen; die kämpfenden Brüder trennt Arbate mit der Nachricht, daß Mitridate so eben gelandet sei; sie versöhnen sich und beschließen was vorgefallen ist dem Vater zu verschweigen. Dann tritt Marzio auf und verspricht dem ehrgeizigen Farnace die Hülfe der Römer gegen seinen Vater.

Mitridate erscheint, muthig und stolz, ohne durch die erhaltenen Niederlagen erschüttert zu sein, und wird von seinen Söhnen empfangen; er stellt dem Farnace seine Braut Ismene vor, welche dieser kühl empfängt. In Mitridate wird durch das Benehmen seiner Söhne das Mißtrauen rege, daß sie um Aspasia sich bewerben; als Arbate ihm dies von Farnace bestätigt, geräth er in die äußerste[278] Wuth. Farnace erklärt der Ismene daß er sie nicht mehr liebe, was sie, in ihrem Stolz wie in ihrer Liebe gleich sehr verletzt, dem Mitridates klagt. Dieser beschließt ihn zu strafen, und da Aspasias kaltes Benehmen ihn vermuthen läßt, daß sie die Liebe des Farnace erwiedere, trägt er dem Sifare auf über Aspasia zu wachen. Natürlich gestehen sich die Liebenden nun ihre Neigung, aber tugendhaft, wie sie sind, fordert Aspasia zugleich Sifare auf sie auf immer zu vermeiden, um ihr die Erfüllung ihrer Pflicht nicht zu erschweren.

Mitridate beräth darauf mit seinen Söhnen um ihre Gesinnungen zu erforschen die Fortsetzung des Kriegs, und erräth das Einverständniß des Farnace mit den Römern. Da er befiehlt ihn einzukerkern, giebt Ismene den Rath ihn wenn es nöthig wäre selbst zu tödten; Farnace gesteht zwar seine Schuld ein, klagt aber Sifare der großern Schuld eines Einverständnisses mit Aspasia an. Um sie zu prüfen erklärt Mitridate ihr, er wolle großmüthig auf ihre Hand verzichten und sie dem Farnace vermählen, was ihr das Geständniß ihrer Liebe zu Sifare entlockt; das setzt den Mitridate in solche Wuth, daß er beide Söhne und Aspasia zutödten beschließt. Hier ist nun der passende Moment mit einem Duett, in welchem die Liebenden den Tod der Trennung vorzuziehen erklären, den zweiten Act zu beendigen.

Im dritten Acte sucht Ismene, die ihre Aufwallung wieder bereuet, Mitridate zur Milde zu bewegen, auch Aspasia bittet um Sifares Leben, dessen Unschuld sie betheuert; da sie aber sich weigert Mitridate ihre Hand zu geben, bleibt dieser bei seinem Entschluß, und während er den Römern, die einen Angriff auf die Stadt machen, entgegen zieht, sollen die Schuldigen sterben. Aspasia ist eben [279] im Begriff den Giftbecher zu leeren, als ihr Sifare, den Ismene befreiet hat, denselben entreißt und sich dann den Feinden entgegenstürzt. Auch Farnace, den die eindringenden Römer aus seinem Thurm befreien, wird von Reue ergriffen, kehrt zum Gehorsam zurück und steckt die Flotte der Römer in Brand. Sie werden besiegt, aber Mitridate ist im Gefecht tödtlich verwundet worden; vor seinem Ende vereinigt er Aspasia mit Sifare und verzeiht Farnace, der sich mit Ismene wieder ausgesöhnt hat.

Die Oper besteht mit Ausschluß der Ouverture aus vier und zwanzig Nummern, lauter Arien, mit Ausnahme eines Duetts und des Quintetts am Schluß. Die Originalpartitur scheint verloren gegangen zu sein, eine Abschrift befindet sich in der Bibliothek des Conservatoriums in Paris, eine von derselben genommene Copie im Besitz der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien hat Sonnleithner benutzt; dieselbe lag auch mir vor. Das Schlußquintett und eine im Textbuch angegebene Arie der Aspasia im dritten Act fehlen aber auch in dieser Partitur. Dagegen finden sich im Nachtaß bei André (Verz. 32) mehrere einzelne Nummern dieser Oper in einer von der in die Partitur aufgenommenen verschiedenen Composition, welche um so interessanter sind, als sie zeigen, daß Mozart bei dieser wie bei der ersten Oper, um sich und mehr vielleicht um den Sängern zu genügen, wieder verschiedene Anläufe und Versuche machen mußte. Zu der ersten Arie des Mitridate (n. 7):


Se di lauri il crine adorno

fide spiaggie a voi non torno


sind vier verschiedene skizzirte Entwürfe vorhanden; die Arie der Aspasia (n. 13):


Nel grave tormento

che il seno m' oppreme

[280] mancare già sento

la pace del cor


ist in einer verschiedenen Composition angefangen, die aber schon im ersten Tempo bald abbricht; fünf andere Nummern sind in vollständiger Ausführung vollendet und haben späteren Bearbeitungen Platz gemacht5.

Bei einer flüchtigen Musterung sieht man sogleich, daß die Oper ganz und gar in den oben bezeichneten Rahmen der [281] damals gangbaren Opera seria paßt. Fangen wir beim Aeußerlichen an. Die musikalische Etikette ist gewahrt, die ersten und zweiten Partien sind in der üblichen Weise geschieden; die der Secondarier sind nicht bloß leichter (nicht immer einfacher), wie es die Kräfte der Ausführenden verlangen mochten, sondern ihrem Charakter nach blasser und unbedeutender – sie sind durchgehends schwächer instrumentirt – sie sollten eben nicht hervortreten, sondern den Hauptpartien zur Folie und als Bindeglieder dienen. Die Hauptsänger aber mußten namentlich gleich beim Auftreten Gelegenheit haben ihre Kunst zu entfalten, – der Dichter mochte für eine entsprechende Situation sorgen –; außerdem mußte in jedem Act wenigstens zu einer großen Arie Veranlassung sein. Dafür finden wir denn auch hier hinreichend gesorgt, und wir können uns von den Stimmmitteln und der Gesangskunst namentlich der Bernasconi und des d ' Ettore die günstigste Vorstellung machen; die Partien gehen bis ins hohe c und geben alle Gelegenheit eine vielseitig ausgebildete Gesangskunst zu zeigen; nicht in gleichem Maaße hervortretend sind die beiden Castratenpartien. Unleugbar hat das bewußte Bestreben den verschiedenen Richtungen der Singekunst gerecht zu werden der musikalisch künstlerischen Gestaltung Eintrag gethan. Die allgemeine Form der Arien in zwei Sätzen, von denen, wenn nicht beide, doch der erste wiederholt wird, ist schon charakterisirt, sie ist auch hier die herrschende. Ihre Anlage begünstigt, da sie nicht von einem Hauptgedanken als dem Mittelpunkt aus das Ganze gliedert, das Zerfallen in Einzelnheiten; dies wird durch jenes Bestreben noch mehr befördert. Zunächst was derbravura eigentlich angehört, die Passagen erscheinen als etwas ganz Selbständiges; es ist nicht ein durchstehend gleichmäßig reich figurirter Gesang, bei welchem aus dem Kern der Hauptmelodie die verzierenden [282] Passagen herauswachsen und dieselbe umranken und umspielen, wie in der architektonischen Ornamentik, sondern sie treten neben dieselbe, sind als ein für sich Bestehendes ihr angereiht. Der Geschmack in den hiefür angewendeten Figuren, wie viel Erfindsamkeit und seine Berechnung sich auch darin zeigen mag, ist vor allem wandelbar, weil er am meisten von der individuellen Fertigkeit des Sängers und der da durch influirten Richtung der Zeit abhängig ist: das seiner Zeit Dankbarste wird meistens am raschesten undankbar. Aber auch in der den Passagen gegenüberstehenden Cantilene macht sich diese Zerstückelung bemerkbar, zum Theil weil die verschiedenen Gesangsmanieren geltend gemacht werden sollten, die Kunst lang gehaltener Töne, getragener Melodie, weiter Sprünge, syncopirter Notengänge, die damals beliebt waren u. dgl. m. Da man nun diese verschiedenen Dinge nicht ohne Weiteres neben einander setzen konnte, wurden die einzelnen Motive der Arie dazu benutzt, welche aber dadurch gegen einander zu verschiedenartig und in steh zu abgeschlossen erscheinen. Ohne Zweifel hat damals grade da der Reichthum der Abwechslung entzückt, wo wir jetzt einen Mangel an Einheit und organischer Gliederung empfinden. Dieser wird noch gesteigert durch den allzuhäufigen Abschluß der einzelnen Glieder durch eine volle oder halbe Cadenz, an welche sich häufig noch ein Zwischenspiel anschließt, so daß jedesmal ein vollständiger Abschnitt entsteht. Noch dazu sind die harmonischen Wendungen im Allgemeinen monoton und dürftig, die Form der Cadenz mit dem Triller ebenso stereotyp, wie heute die mit der überhängenden Serie: Sänger und Publicum verlangten es so und warteten ungeduldig darauf. Allerdings mag die Freiheit, welche dem Sänger beim Vortrag gelassen war, manchem eine ganz andere Gestalt gegeben haben, wie ja die Ausführung der Cadenz ganz ihr Werk war; allein die Mängel, [283] welche im Grundriß, in der ganzen Conception lagen, konnten dadurch wohl versteckt, aber nicht gehoben werden. Eine andere Schwäche, die sich nicht selten offenbart und ebenfalls ihren letzten Grund in dieser Zerstückelung hat, ist die der rhythmischen Gliederung, welche ganz ähnlich der harmonischen Gestaltung sehr oft zu keiner Freiheit und Sicherheit kommt, sondern plötzlich abgeschwächt wird und gleichsam einknickt.

Alle diese Mängel der formellen Behandlung sind nicht etwa durch jugendliche Unsicherheit Mozarts entstanden, sie sind vielmehr aus der herrschend gewordenen Auffassung hervorgegangen, er theilt sie mit den erfahrensten Meistern jener Zeit und man hat sie damals schwerlich als solche empfunden. Wohl aber treten neben denselben auch Vorzüge hervor, welche bereits den Mozart charakterisiren, der jene Mängel zu überwinden berufen war. Unwillkührlich fragt man sich, was es denn war, das in diesen Jugendopern Mozarts nicht allein das Publicum entzückte, sondern auch einem Meister wie Hasse die Aeußerung entlockte, der Jüngling werde Alle vergessen machen. Ein befreundeter geistreicher Künstler pflegt zu sagen, das Publicum wolle immer etwas Neues, aber das Neue müsse schon dagewesen sein; wer ihm etwas wahrhaft Neues biete, muthe ihm eine Anstrengung zu, der es sich nicht unterziehen möge. So wird denn auch damals das große Publicum am meisten dadurch angesprochen sein, daß die Oper so bereitwillig auf seine gewohnten Ansprüche einging, daß sie dies mit Geschick und Geschmack und mit einer gewissen jugendlichen Frische that, welche dem Hergebrachten den Reiz einer Neuheit gab, den wir gar nicht mehr empfinden, höchstens in einzelnen Fällen einsehen können. Daneben mochte es denn auch die einzelnen Züge von tieferer Bedeutung und höherem Adel ahnen, in welchen Hasse die Keime [284] einer künftigen Entwickelung erkannte, und die wir, in denen das lebendig ist was Mozart geworden ist, nicht ohne Mühe aus dem Ganzen hervorsuchen, das uns fremd ist. Aber sie sind da, theils in einzelnen Theilen und Abschnitten, wo uns eine edle, freie Zeichnung in der Melodie überrascht, die echt Mozarisch ist und aus ihrer Umgebung, freilich nur vorübergehend, hervorleuchtet – häufig besonders in den zweiten Theilen und namentlich in den Sätzen in Moll, die meistens einfacher und charakteristischer sind –; theils in einigen Arien. Nicht alle sind Bravurarien, einzelne sind bestimmt den Charakter der Situation dramatisch auszusprechen; diese sind einfacher in der Form, in einem Satze, und nicht bloß kürzer sondern mehr zusammengedrängt und in sich einig; hier machte der Componist dem Sänger keine besonderen Zugeständnisse, sondern folgte seinem eigenen Impulse, sie haben daher den am meisten eigenthümlichen Charakter. Die vorzüglichste unter ihnen ist die Arie der Aspasia (n. 4)6. Auf die Nachricht daß Mitridate angelangt sei, wodurch ihre stille Liebe zu Sifare, den sie in Gefahr sieht, aller Hoffnung beraubt ist, richtet sie an diesen die Worte:


Nel sen mi palpita dolente il core.

mi chiama a piangere il mio dolore.

non sò resistere, non sò restar.

Ma se di lagrime umido è il ciglio,

è solo, credimi, il tuo periglio

la cagion barbara del mio penar.


In einem einzigen, unaufhaltsam hinströmenden Satz (Allegro agitato) ist dieser Schmerz, der mehr ahnen läßt als er ausspricht, mit so ergreifender Wahrheit ausgedrückt, daß wenn man sich das Lob vergegenwärtigt, welches der Bernasconi [285] als dramatischer Sängerin gegeben wird, die Wirkung außerordentlich gewesen sein muß. Die Art aber, wie diese mit den einfachsten Mitteln erreicht wird, der Fluß der ausdrucksvollen Melodie und der reichen Harmonie, das schöne Maaß im Ausdruck, der nur einigemal zu scharfen Accenten sich steigert, – das Alles ist echt Mozartsch. Die Begleitung ist ebenfalls eigenthümlich, besonders in der schönen Figur der Geigen; auch die Oboen sind seiner angewendet als sonst gewöhnlich. Hier fehlt nichts zur Vollendung.

Was die dramatische Charakteristik im Allgemeinen anlangt, so darf man sich nur erinnern daß die beiden Liebhaber Sopran und Alt singen, man darf sich nur aus der oben gegebenen Skizze die Anlage der Charaktere und Situationen und dazu die Art der italiänischen Opernpoesie vergegenwärtigen, um zu wissen daß das heroische Wesen der Oper stark mit Galanterie, und zwar mit Galanterie im Puder und Reifrock versetzt ist, was natürlich auch auf die Musik großen Einfluß haben mußte. Versetzt man sich aber in diese Auffassungsweise, welche damals allgemeingültig war, hinein, so wird man gestehen müssen, daß nach Abzug alles Virtuosenwesens, ein allgemeiner Charakter von dignité und noblesse – die französischen Ausdrücke passen hier besser als die entsprechenden deutschen – sich ausspricht, der allerdings mehr von höfisch ausgebildeter Etikette als vom classischen Alterthum abgeleitet ist, aber ein fest ausgeprägter, dem Sinn der Zeit und Nation entsprechender und künstlerisch nicht schlechthin unbedeutender ist. Mitridate, der nebst Aspasia am bestimmtesten charakterisirt ist, vergißt zwar, wie Sonnleithner richtig bemerkt, über dem König und Helden nie daß er erster Tenorist ist, allein man kann auch umgekehrt sagen, daß er über dem Tenoristen nie ganz den König vergißt.

Fußnoten

1 Leop. v. Sonnleithner hat in einer Reihe von Aufsätzen in der Cäcilia (XXIII S. 233ff. XXIV S. 65ff. XXV S. 65ff.) über die früheren Opern Mozarts gründlich und mit Urtheil gehandelt. Soweit es das ihm zu Gebet stehende Material gestattete, hat er sie im Detail charakterisirt und ein thematisches Verzeichniß der einzelnen Nummern gegeben.


2 Auch wer moderne italiänische Musik, deren Ausdrucksweise dem deutschen Gefühl oft unnatürlich und unwahr erscheint, von guten italiänischen Sängern hat vortragen hören, wird neben der Befriedigung, welche Wohlklang und Vortrag hervorrufen, nicht verkennen können, daß im Ausdruck der Leidenschaften und Empfindungen ein nationales Clement sich geltend mache, das als solches wahr und berechtigt ist. Ebenso ist es mit der französischen komischen Oper, in welcher ebenfalls die nationale Wahrheit in Auffassung und Darstellung unbestreitbar ist. Auf deutschen Bühnen werden aber italiänische und französische Opern hauptsächlich durch das freilich unvermeidliche Hineinmischen deutscher Empfindung und Vortragsweise unwahr und unnatürlich und wirken dann allerdings auf die Bildung des Geschmacks schädlich und verwirrend ein.


3 Sonnleithner hat das gedruckte Textbuch benutzt, das mir fehlt.


4 Das Personenverzeichniß ist folgendes:


Mitridate, Re di Ponto e d'altri regni, amante d'As-

pasia.

Aspasia, promessa sposa di Mitridate, e già dichia-

rata Regina.

Sifare, figliuolo di Mitridate e di Stratonice, amante

d'Aspasia.

Farnace, primo figliuolo di Mitridate, amante della

medesima.

Ismene, figlia del Re de' Parti, amante di Farnace.

Marzio, tribuno Romano, amico di Farnace.

Arbate, governatore di Ninfea.

Sign. Cav. Gugl. d' Ettore virtuoso di camera (Teno-

re).

Sign. Antonia Bernasconi (Prima Donna. Soprano).

Sign. Pietro Benedetti, detto Sartorino (Soprano.

Primo uomo).

Sign. Giuseppe Cicognani (Contralto).

Sign. Anna Francesca Varese (Seconda Donna. So-

prano).

Sign. Gasp. Bessano (Tenore).

Sign. Pietro Muschietti (Soprano)


5 Es sind folgende:


n. 1 Arie der Aspasia


Al destin che la minaccia

togli oh Dio quest' alma oppressa


in G-dur, lang ausgeführt, mit vielen Passagen, ziemlich steif.


n. 8 Arie der Ismene


In faccia al oggetto,

che m'arde d'amore,

dovrei sol diletto

sentirmi nel core


in B-dur 3/4, mit einem Mittelsatz in G-moll 2/4 Allegretto; recht hübsch ohne ausgezeichnet zu sein.


n. 12 Arie des Sifare


Lungi da te mio bene

se vuoi che porti il piede,

non ramentar le pene,

ch' io provi, o cara, in te


in D-dur, Adagio, eine lange gehaltene Cantilene, die aber nicht recht frisch ist. Im Mittelsatz G-dur 3/4, bricht sie ab.


n. 17 Duett, in Es-dur viel länger ausgeführt. Auf das Adagio folgt ein Allegro in C-moll, das in B-dur schließt, worauf das Adagio mit einigen Veränderungen wiederholt wird, dann beginnt wieder das Allegro in F-moll und schließt in Es-dur. Das Duett ist reichlich mit Terzenpassagen ausgestattet, übrigens etwas steif.


n. 19 Arie des Mitridate


Vado incontro al fato estremo,

crudo ciel, sorte spietata!

ma fra tanto un' alma ingrata

l'ombra mia precederà


in F-dur. Der Ausdruck ist stolz und kräftig, die Harmonien sind ungewöhnlich kühn und frappant. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb der Sänger sie verschmäht hat; die Arie welche an ihre Stelle getreten ist, geht gerade in dieser Hinsicht über das Gewöhnliche nicht hinaus.


6 Sie ist im Klavierauszug von Sonnleithner in der Cäcilia mitgetheilt.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 1, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
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