12.

[3] Durch die letzte Betrachtung sind wir bereits auf Mozarts Klavierspiel geführt worden. Daß er der größte und genialste Klavierspieler seiner Zeit war ist oft und laut genug bezeugt. Zwar ist der Ruhm schnell vorüberrauschender Virtuosenleistungen meist glänzender und allgemeiner als der unvergänglicher Compositionen, allein auch die begeisterten Berichte der Zeitgenossen lassen von jenen nur ein schattenartiges Bild zurück. Obgleich es nicht möglich ist von Mozarts Klavierspiel eine bestimmte und anschauliche Vorstellung zu geben, wird es doch nicht ohne Interesse sein, einige charakteristische Züge desselben, soweit sie nachweisbar sind, zusammenzustellen.

»Er hatte kleine schöne Hände«; sagt Niemtschek (S. 44) »bei dem Klavierspielen wußte er sie so sanft und natürlich an der Klaviatur zu bewegen, daß sich das Auge daran nicht minder als das Ohr an den Tönen ergötzen mußte1. Es ist [3] zu verwundern, wie er damit so vieles, besonders im Baß greifen konnte. Diese Erscheinung muß man der trefflichen Applicatur, die er nach eigenem Geständniß dem fleißigen Studium der Bachschen Werke zu danken hatte, zuschreiben.«2 In der That scheint Mozart frühzeitig die Klaviersachen Ph. Em. Bachs gespielt zu haben – sein Vater bestellt in seinen Briefen an Breitkopf häufig die neuesten Compositionen desselben – und äußerte in einer Gesellschaft bei Doles als von Bachs Spiel die Rede war: »Er ist der Vater; wir sind die Bubn. Wer von uns was Rechts kann, hats von ihm gelernt; und wer das nicht eingesteht ist ein ....«3 Schon aus [4] früheren Aeußerungen Mozarts über das Spiel von Nanette Stein (II S. 65) und Vogler (II S. 111) geht hervor, welchen Werth er auf guten Fingersatz legte, der denn freilich die nothwendige Grundlage eines sicheren, fertigen und ausdrucksvollen Klavierspiels ist; und daß die von Ph. Em. Bach4 nach den Grundsätzen seines Vaters5 ausgebildete Applicatur die Entwickelung der eigentlichen Klaviertechnik begründete ist ebenso bekannt, als daß Mozart – neben und nach ihm Clementi – den ersten wesentlichen Fortschritt auf der so betretenen Bahn that6. Vor allen Dingen sollte der Spieler eine »ruhige und stette Hand« besitzen, deren »natürliche Leichtigkeit, Gelenkigkeit und fließende Geschwindigkeit« (III S. 54) so ausgebildet war daß die Passagen »fortfließen [5] wie Oel« (II S. 65); Kunststücke, welche diese wesentlichen Vorzüge zu beeinträchtigen drohten rieth er nicht zu sehr zu üben. Correctheit, Deutlichkeit und Bestimmtheit in allen Einzelnheiten, »alle Noten, Vorschläge etc. mit der gehörigen Expression und Gusto auszudrücken« (II S. 111), waren ihm die er sten Erfordernisse; daher warnte er ganz besonders vor allem Uebereilen, dessen nothwendige Folge Verhudeln sei. Es sei viel leichter eine Sache geschwind als langsam zu spielen, bemerkt er (II S. 110); »man kann in Passagen etliche Noten im Stich lassen ohne daß es Jemand merkt, ist es aber schön? – man kann in der Geschwindigkeit in der rechten und linken Hand verändern ohne daß es Jemand sieht und hört – ist es aber schön?« Daher warnt er, nicht allein bei gebundener Schreibart (III S. 378) sondern wo nur ein Vergreifen möglich schien, vor zu geschwindem Tempo (III S. 104)7. Eng verbunden mit dieser Forderung der Deutlichkeit und Präcision ist die des strengen Takthaltens. Nanette Stein, meinte er (II S. 66), werde die Hauptsache in der Musik, das Tempo, niemals bekommen, weil sie sich von Jugend auf völlig beflissen habe nicht auf den Takt zu spielen. Und bei seinem Spiel erregte das vor allem Bewunderung, daß er immer accurat im Takt blieb, daß bei einemtempo rubato im Adagio die linke Hand nicht nachgab, sondern unbekümmert um die rechte streng am Takt festhielt, daß er dabei doch mit vollendetem Ausdruck und inniger Empfindung spielte – und alles ohne dazu Grimassen [6] zu machen8. Allerdings ist Correctheit in den verschiedenen Richtungen des Spiels erst die nothwendige Voraussetzung virtuosenhafter Leistungen – obgleich diese Anforderung, wenn man sie streng nimmt und in ihrem ganzen Umfang geltend macht, außerordentlich viel in sich faßt –, Fertigkeit und Sicherheit in der Ueberwindung ungewöhnlicher technischer Schwierigkeiten9, Feinheit und Geschmack im Vortrag müssen hinzukommen, und vor allem die Kraft das Spiel durch jenen belebenden Hauch zum wahren Ausdruck des innerlich Empfundenen und Verstandenen zu erheben, welche den genialen Virtuosen momentan dem schaffenden Künstler an die Seite stellt. Daß Mozart nach diesen verschiedenen Seiten hin auch als Virtuos auf einer Höhe stand, welche ihm Niemand streitig machte, dürfen wir dem übereinstimmenden enthusiastischen Beifall des Publicums und der Kenner10, wie dem Ausspruche urtheilsfähiger [7] Künstler glauben. Wenn Clementi erklärte, so geist- und anmuthsvoll wie Mozart habe er Niemand spielen hören, Dittersdorf in seinem Spiel Kunst und Geschmack vereinigt fand (III S. 53), und Haydn mit Thränen versicherte Mozarts Spiel sei ihm unvergeßlich, weil es »aus Herz ging« (III S. 314), so sind die einfachen Aeußerungen solcher Männer beredter als emphatische Hyperbeln, wie sie nachgerade alltäglich geworden sind.

In Mozart waren Virtuos und Componist vereinigt, die Reproduction des Virtuosen war daher in einem höheren und bedeutenderen Sinn ein Nach- und Wiederschaffen als es meistens der Fall ist. Von dieser vereinigten Leistung lassen uns seine Klaviercompositionen nur ein sehr unvollkommenes Bild fassen, theils weil der belebende Hauch der genial künstlerischen Ausführung unwiederbringlich entschwunden ist, theils weil ein großer Theil derselben unter dem Einfluß äußerer Verhältnisse geschrieben ist, welche weder dem Componisten noch dem Klavierspieler freien Spielraum gewährten.

Es ist bereits wiederholt erwähnt worden daß Variationen über ein bekanntes Thema zu jener Zeit eine beliebte Form der freien Improvisation waren, so daß Variiren und Phantasiren nicht selten als gleichbedeutend erscheint11. Das Interesse, welches auch ein weniger gebildetes Publicum an dieser Form nimmt, ist wohl begreiflich. Ein einfaches Thema, entweder schon bekannt oder so gebildet daß es sich leicht einprägt, bietet dem Hörer einen sicheren Halt, daß er sich mit Behagen der Unterhaltung überlassen kann dasselbe unter mannigfachen Verkleidungen zu erkennen und zu verfolgen. Eigentliche Durchbildung und Verarbeitung eines [8] Motivs in einem stetigen Zusammenhang, der auch den Zuhörer nöthigt mit stetiger Aufmerksamkeit zu folgen, ist nicht die Aufgabe dieser galanten Variation; vielmehr kommt es darauf an durch Beibehalten und Hervorheben eines charakteristischen Elements im Thema – dies mag nun in der Harmonienfolge oder im Rhythmus oder in der Melodienbildung liegen – fortwährend die Erinnerung an dasselbe festzuhalten um im Gegensatz dazu, soweit der knappe, festbegränzte Raum es gestattet, ein freies Spiel der Phantasie zu entfalten. Die ganze Weise der Behandlung hat eine gewisse Verwandtschaft mit der Arabeske und ähnlichen Ornamenten in der Architektur; an ganz bestimmte, scharf begränzte, enge Räume gebunden entwickeln sie ein so reiches, vielverschlungenes, phantastisches Spiel vegetabilischer und animalischer Formen, daß dieser üppige Reichthum die knappe Strenge der Grundform durch den Schein der Willkühr verhüllt. In ähnlicher Weise sucht auch die Variation durch den glänzendsten und mannigfaltigsten Schmuck zu verstecken daß sie an gewisse Grundzüge des Themas gefesselt ist; der scheinbare Widerstreit dieser verschiedenen Richtungen, die Ueberraschungen, welche dadurch hervorgerufen werden, bilden einen Hauptreiz dieser musikalischen Form; der Einfall, die Pointe sind hier am Ort, und da dergleichen sehr leicht an eine geschickte und geistreiche Behandlung technischer Schwierigkeiten anzuknüpfen ist, so findet auch der Virtuos bei diesem Genre leicht seine Rechnung.

Mozart hat durchweg nur diese leichte Art der Variationen cultivirt12; da dieselben bei den Dilettanten besonders [9] beliebt waren, sah er sich öfter veranlaßt für seine Schülerinnen (III S. 67) oder für gesellige Zwecke dergleichen zu componiren. Er selbst legte keinen Werth darauf, desto mehr Beifall fanden sie beim Publicum13, und obwohl er sich um ihre Veröffentlichung nicht zu kümmern pflegte, wurden sie um die Wette gedruckt, wobei sich Frl. Aurnhammer thätig erwies (III S. 219); es ist begreiflich daß solche Publicationen nicht sorgfältig und genau gemacht wurden und daß selbst manches auf Mozarts Namen in Umlauf gesetzt wurde was nicht von ihm herrührte14. In allen, auch den in mancher Hinsicht [10] bedeutenderen, ist der Zweck offenbar eine mehr spielende Unterhaltung, die namentlich auch durch den Contrast der [11] einzelnen Variationen in einer Weise erreicht wird, wie sie seitdem durch den Wechsel von Tempo und Takt, Dur und Moll, Beschäftigung der linken und rechten Hand lange Zeit bis zum Ueberdruß angewendet ist. Eine tiefere Bedeutung in die Folge der Variationen, etwa durch die Entfaltung verschiedener und doch nah verwandter Stimmungen, zu legen ist Mozart ebenso wenig eingefallen als mit humoristischer Laune einem einfachen Thema eine Reihe bizarrer Einfälle weniger zu entlocken als aufzuheften. Es läuft vielmehr im Wesentlichen auf eine reiche und geschmackvolle, melismatische Verzierung des Themas hinaus; harmonische und contrapunktische Wendungen fehlen zwar nicht, allein sie sind nur angedeutet und als eine flüchtige Würze verwendet. In manchen früheren Variationen (4. 6. 7. 8. 14) tritt die Technik in den Vordergrund; gewisse damals beliebte Schwierigkeiten, wie das Ueberschlagen der Hände, lang ausgehaltene Triller oder Trillerketten in der einen Hand, während die andere das Thema hat u. dgl., fehlen selten; die Passagen, die freilich jetzt weder Neuheit noch Schwierigkeit beanspruchen können, erweisen sich, wenn man sie genauer darauf ansieht, durchgängig als elegant und eigenthümlich. Bemerkenswerth ist die sehr gleichmäßige Ausbildung der beiden Hände, welche überall vorausgesetzt ist, und der linken Hand wird allerdings eine nicht unbedeutende Fertigkeit zugemuthet, wie man sie ja in Mozarts Spiel vorzüglich bewunderte. In späteren Variationen (12. 17. 18. 19. 20) tritt das Bravurmäßige fast ganz zurück; die Aufgabe eines leichten, zierlichen und graziösen Spielens mit dem gegebenen Thema wird sehr anmuthig gelöst, und in der That ist es wohl ein richtiges Gefühl, eine Darstellungsform, die ihrem Wesen nach der thematischen Verarbeitung an tiefer Bedeutung nachsteht und nur unter [12] eigenthümlichen Bedingungen eine höhere Würde erlangen kann, in der Regel leicht zu behandeln und ihr nicht ein Gewicht anzuhängen, das ihr fremd ist. Als eine der ansprechendsten und gelungensten Compositionen dieser Art dürsen die vierhändigen Variationen (13) gelten, welche ebenso anmuthig und elegant als unterhaltend sind.

Mitunter machen Variationen auch einen Bestandtheil – bald den Mittel-, bald den Schlußsatz – einer Sonate, sowohl mit15 als ohne Begleitung16 aus. Sie sind auch hier nicht wesentlich anders behandelt, nicht größer angelegt noch freier ausgeführt, auch nicht durch Zwischenglieder mit einander verbunden und zu einem zusammenhängenden Ganzen erweitert, wie dies von Haydn und Beethoven mit Erfolg geschehen ist. Die von Mozart frei erfundenen Themas sind meistens frischer und anmuthiger als die entlehnten, auch tritt entsprechend dem Charakter des ganzen Musikstücks die Bravur als solche zurück; in den begleiteten Sonaten ist nicht allein durch die Vermehrung der Stimmen ein größerer Reichthum gegeben, sondern nicht selten wird, indem eine Stimme das Thema unverändert festhält, der Charakter einer freien contrapunktischen Behandlung desselben schärfer ausgesprochen. Indessen sind dies wie gesagt keine wesentlichen Modificationen: die Form der Variation ist auch hier als ein leichtes unterhaltendes Spiel aufgefaßt17.

Für bestimmte Veranlassungen und Personen waren wohl auch einige einzelne kleine Sätze für Pianoforte geschrieben18, [13] wie die drei Rondos19. Von diesen sind die beiden in F- und D-dur20 – leicht zu fassen und zu spielen, recht freundliche Musik, aber nicht hervorstechend; sehr schön und eigenthümlich ist das dritte in A-moll21. Das Thema hat durch Rhythmus und harmonische Behandlung etwas Pikantes, das an fremde Volksmelodien erinnert – eine Art der Charakteristik die bei Mozart wie bei Beethoven nicht eben häufig ist –, und überrascht, so oft es wiederkehrt, jedesmal von Neuem, zumal da es nicht an dem Reiz eigenthümlicher Modificationen fehlt; auch das zweite Thema ist nicht bloß durch den Contrast gegen das erste wirksam, sondern an sich schön und bedeutend und giebt zu einer harmonisch und klaviermäßig interessanten Ausführung Veranlassung. Der kleine Mittelsatz in A-dur ist zwar leichter gehalten, klingt aber durch einige besondere Wendungen sehr sein an das Hauptthema an, zu welchem er durch eine frappante Modulation [14] zurückführt. Das Ganze hat einen durchaus originellen Charakter und der Ton von Wehmuth, der zu Grunde liegt und überall hervorbricht, hält die Gegensätze der Beweglichkeit und Beruhigung auf die anziehendste Weise zusammen.

Sehr schön ist auch das kleine Adagio in H-moll (Oeuvr. VI, 7) – componirt 9. März 1788 – von ernstem, gehaltenem Ausdruck, der durch eine Beimischung trüber Empfindung seine eigenthümliche Farbe erhält, in der Ausführung namentlich durch die harmonischen Wendungen interessant. Obgleich dieses Stück in ganz regelmäßiger Form, in zwei Theilen mit einer Coda, geschrieben ist, hat es doch in seiner ganzen Haltung etwas Eigenthümliches, das an die Improvisation erinnert, wie dieses allerdings noch deutlicher in den sogenannten Phantasien hervortritt, die wiederum ihre bestimmte Form haben. Es ist schon bemerkt worden, daß man Präludien oder Phantasien verschiedenartigen Compositionen als Einleitung vorangehen ließ, entweder in freier Improvisation oder auch ausgearbeitete Stücke die bei verschiedenen Gelegenheiten benutzt werden konnten. Eine Phantasie der Art, welche der schönen C-dur Fuge vorgesetzt ist, wurde bereits (III S. 384) erwähnt, sowie das für seine Schwester componirte, bis jetzt nicht bekannt gemachte Präludium (III S. 168); zwei andere Phantasien, welche vor 1784 componirt sein müssen, da sie in Mozarts Verzeichniß nicht vorkommen, verdienen eine kurze Besprechung.

Die erste derselben in C-moll (Oeuvr. XVII, 2) ist, wie Mozart einmal seiner Schwester schreibt (I S. 136), »kein Präludium um von einem Ton in den anderen zu gehen, sondern nur so ein Capriccio um das Clavier zu probiren.« – Der wesentliche Charakter in der modulatorische; ohne daß [15] eine ausgebildete Melodie hervorträte, ohne ein bestimmtes Motiv das durchgeführt würde, bewegt sich das Ganze in einem Wechsel verschiedenartiger, geschickt gruppirter Arpeggien und Figuren – nur momentan wird einmal eine Figur festgehalten –, die eine reiche Fülle rasch wechselnder, oft fremdartiger und auffallender und namentlich durch Vorhalte aller Art scharf gewürzten Harmonien entfalten, wie auf einem in Krümmungen und Windungen dahinfließenden Strom die Ansicht derselben Gegend in jedem Augenblick wechselt. Denn auch bei diesem scheinbar fessellosen Umherschweifen in mannigfaltigen Harmonien gewahrt man nicht allein eine feste Organisation in der Folge der Modulationen wie in der Verbindung der Figuren, sondern es ist die bestimmte Form eines zweitheiligen Sonatensatzes zu Grunde gelegt, welche nur in den einzelnen Elementen der Gestaltung ganz frei behandelt ist.

Von etwas verschiedener Anlage ist die zweite Phantasie in D-moll (Oeuvr. XVII, 3), insofern das melodische Element hier allerdings zur Geltung kommt, allein anfangs nur in mehrfach sich wiederholenden Ansätzen, die vor einer vollständigen Ausbildung zur Cantilene jedesmal durch den Eintritt eines contrastirenden Motivs oder einer ganz unvermittelt dazwischenstürmenden raschen Passage unterbrochen wird. Der Charakter der allmählichen Sammlung und Concentration der Kraft ist deutlich darin ausgesprochen. Das anmuthig zarte Thema, welches zuletzt hervortritt und volle Gestalt gewinnt, kann aber noch keineswegs als das eigentliche Endresultat solcher Vorbereitung angesehen werden; es wird auch nicht weiter ausgeführt, sondern erst abgebrochen, dann rasch zum Schluß geführt, der allerdings beruhigt, aber nicht befriedigt und so auch das Ganze nur als die Ankündigung eines Größeren erscheinen läßt.

[16] Weiter ausgeführt und in jedem Betracht bedeutender ist die bekannte Phantasie in C-moll (Oeuvr. VI, 1)22. Fünf Sätze von verschiedenem Tempo, in denen auch Ton- und Taktart wechseln, sind untereinander durch überleitende Passagen oder harmonische Wendungen zu einem Ganzen eng verbunden. Jeder derselben hat, obwohl er nicht vollständig abschließt, doch eine gewisse Selbständigkeit, ausgebildete Melodien treten in jedem hervor, die auch wohl zu einer einfachen Liedform abgerundet sind, allein nirgends zeigt sich eine Ausführung oder gar Durcharbeitung eines Motivs, es drängt immer vorwärts, jeder Abschluß führt nothwendig auf ein Folgendes hin, das dann einen lebhaften Contrast zu dem Vorhergehenden bildet. Dadurch erhält das Ganze, trotzdem daß die langsamen Tempos überwiegen, einen unruhigen Charakter; und obgleich der Schluß zu dem ernsten und gehaltenen Anfang wieder zurückkehrt, so wird auch dadurch keine volle Befriedigung, sondern mehr nur ein vorläufiger Abschluß erreicht. Auch hier ist das Wesen der ganzen Phantasie modulatorisch; die Harmonien wechseln häufig, oft Takt für Takt, rasch und frappant, und hierin liegt das bewegende Element – Figuren, Passagen, zum Theil auch die Melodien sind wesentlich bestimmt dasselbe zur Geltung zu bringen; von eigentlich Thematischem kann nicht die Rede sein. Trotz ihrer Ausdehnung bewahrt diese Phantasie also doch den Grundcharakter des Einleitenden und Vorbereitenden, womit natürlich so wenig gesagt sein soll, daß sie nicht [17] auch für sich eine gewisse Befriedigung gewährte als daß sie allein die Sonate einzuleiten bestimmt gewesen sei, mit welcher sie gedruckt ist23. Die Stimmung, welche sich in den beiden ersten Takten des Adagio


12.

so vernehmlich ausspricht, ist in der ganzen Phantasie festgehalten: ein trüber Ernst, der fragend und zweifelnd, kämpfend und ringend, nach Befreiung von einem schweren Druck, nach Klarheit und Befriedigung strebt, ohne dieselbe durch sanften Trost oder muthiges Widerstreben ganz gewinnen zu können, und am Ende nach vergeblichen Anstrengungen sich in sich selbst verschließt. Eine titanische Vermessenheit, die die Welt aus den Angeln heben möchte um sich unter ihren Trümmern zu begraben, oder eine humoristische Selbstironie, die das eigne Wesen, weil sie mit demselben nicht fertig werden kann, verspottet und negirt, ist hier nicht zu finden; die Fassung eines Mannes, der wenn er auch in und mit sich zu kämpfen hat, doch die Herrschaft über sich selbst nicht aufgiebt, durchdringt die ganze Stimmung dieser Phantasie, wie die wenn gleich freie Form derselben durch den sich selbst beherrschenden Künstler harmonisch und maaßvoll ausgebildet ist.

[18] Neben diesen einzelnen Sätzen für Klavier ist ganz besonders die Sonate für Klavier allein und mit Begleitung eines oder mehrerer Instrumente von Mozart cultivirt worden24. Seitdem Kuhnau und Domenico Scarlatti den Grund zu der eigentlichen Sonate in mehreren zu einem Ganzen vereinigten Sätzen und zu der bestimmten Form, in welcher wenigstens der Hauptsatz der Sonate behandelt zu werden pflegt, gelegt, Scarlatti auch als ein ausgezeichneter Techniker die dem Charakter des Klaviers entsprechende Behandlungs- und Darstellungsweise zur Geltung gebracht hatte, wurde von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an diese Gattung von Compositionen in dem Maaße als das Klavier immer mehr als Soloinstrument, besonders der Dilettanten, in den Vordergrund trat, mit wachsender Vorliebe gepflegt. Namentlich waren es Ph. Em. Bach und von ihm angeregt Jos. Haydn, welche die Form der Sonate im Wesentlichen fest bestimmten, die durch freie und geistreiche Behandlung und Durchbildung der einzelnen Elemente, durch Kraft und Bedeutung der Erfindung, Feinheit und Geschmack der Ausführung, zu einer Entwickelung gedieh, welche alle in derselben ruhenden Keime lebenskräftig sich entfalten ließ. An sie schließt Mozart sich an, der auch seinerseits die Sonate in eigenthümlicher Weise fortbildete25.

[19] Es ist bereits darauf hingewiesen worden (I S. 549ff.) daß die Grundformen der selbständigen Symphonie, wie der verwandten Instrumentalcompositionen, identisch mit denen der Sonate, namentlich durch die freiere Entwickelung der Klaviersonate zur Ausbildung gelangten, so wie natürlich auch der Fortschritt auf jenem Gebiet wiederum fördernd auf die Klaviersonate einwirkte. Hier wird es deshalb genügen die Hauptpunkte kurz zu berühren.

Die Sonate bezeichnet jetzt eine Composition für Soloinstrumente, welche aus mehreren durch Tempo, Takt und Tonart verschiedenen, aber der ursprünglichen Anlage und Haltung nach zu einem Ganzen verbundenen Sätzen besteht. Während in früherer Zeit nicht selten zwei Sätze eine Sonate ausmachten, sind später drei oder vier Sätze die regelmäßige Zahl geworden. Von diesen Sätzen ist einer in langsamem Tempo, welches für den Ausdruck einer ruhigen und gefaßten, ernsten oder weichen Stimmung das naturgemäße erschien. Es wurde bald eine fast ausnahmslose Regel diesen Satz in die Mitte zu stellen, nach dem ganz richtigen und natürlichen Gefühl eine Stimmung, die in ihrem Grundcharakter eine ruhige, nach innen gekehrte ist, als das Resultat einer energisch und lebendig sich aussprechenden Empfindung oder Leidenschaft hervortreten zu lassen, also diese zuerst und darauf jene darzustellen. Ließ man ja dem bewegteren Satz einen langsamen vorangehen, so hatte dieser nur die Bestimmung der Einleitung und Vorbereitung auf jenen, also keine selbständig abgeschlossene Bedeutung. Der zweite Satz von lebhafter Bewegung diente zum Abschluß und hatte durchgängig einen fröhlichen, ja lustigen Charakter; diese Gattung der Musik war vorzugsweise für die gesellige Unterhaltung bestimmt und sollte daher einen angenehmen, heiteren Eindruck zurücklassen. Wenn [20] man einen vierten Satz anwandte, so hatte auch dieser wesentlich denselben Zweck, seine Form war regelmäßig die des durch J. Haydn ausgebildeten Menuetts, er wurde dem langsamen Satz meistens nach-, mitunter auch vorangestellt. Mozart hat in seinen Sonaten für Klavier allein und mit Begleitung eines oder mehrerer Instrumente stets nur drei Sätze zusammengestellt, während er in den Symphonien, Quintetts und Quartetts – es ist hier nur von den Compositionen der Wiener Periode die Rede – immer auch den Menuett hinzugefügt hat.

Die drei Sätze der Sonate haben erst allmählich ihre jetzt bestimmte Form erhalten; eine der früheren Sonaten Mozarts in A-dur (Oeuvr. I, 2) besteht aus einem Andante mit Variationen, einem Menuett und Rondo; eine andere in D-dur (Oeuvr. I, 5) hat als Mittelsatz ein Rondo en Polonaise, auf welches ein Thema mit Variationen folgt. Später ist die regelmäßige Form der Sonate von ihm festgehalten, als deren charakteristischer Theil der erste Satz erscheint, dessen eigenthümliche Structur deshalb auch als die Sonatenform im engeren Sinn bezeichnet wird, der eigentliche Ausgangspunkt für die Entwickelung der modernen Instrumentalmusik. Es ist schon bemerkt worden daß die wesentlichen Elemente desselben die Gliederung der Hauptmotive des ersten Theils und die Durchführung derselben im zweiten Theil sind. Nachdem die contrapunktische Bearbeitung eines Themas in streng geschlossener Form aufgegeben war, tritt in der Entwickelung der Sonate als der springende Punkt die charakteristische Ausbildung bestimmter Motive gegenüber dem freien Spiel mit Figuren und Passagen hervor, namentlich neben dem Hauptthema ein selbständig ausgesprochnes, durch scharfe Abgränzung hervorgehobenes zweites Thema, das nach einer bald fixirten Regel in der Dominante [21] der Hauptdurtonart (C-dur – G-dur) oder in der Parallele der Hauptmolltonart (C-moll – Es-dur) auftritt. Dieses sind die beiden Hauptpfeiler des Satzes; die weitere Ausführung derselben, ihre Verbindung durch Zwischenglieder, der Abschluß des Theiles, wurden nicht weiter durch bestimmte Normen geregelt als daß auch der Abschluß des Theils in der Dominante erfolgte. An die Stelle eines mehr oder weniger ausgeführten Uebergangs in die Haupttonart um den ersten Theil zu wiederholen trat sodann der wichtige zweite Theil, die Durchführung. Eins oder mehrere der im ersten Theil benutzten, auch wohl ganz neue Motive werden einer bald vorherrschend harmonischen bald mehr thematischen Behandlung unterworfen, welche, indem sie aus den im Früheren liegenden Keimen mit lebendig treibender Kraft Blüthe und Frucht herauswachsen läßt, das Interesse steigert und zugleich die Rückkehr zum ersten Theil organisch vermittelt: hier ist auch die künstlerische Kraft concentrirt, in der Durchführung und in der Rückkehr zum ersten Thema bewährt sich vor allem Genialität und Meisterschaft. Die Wiederholung des ersten Theils geschieht unter manchen Modificationen, die zum Theil schon dadurch bedingt werden daß das zweite Thema nun in der Haupttonart erscheint, in welcher der Satz schließt; außerdem können Veränderungen in der Gruppirung der einzelnen Elemente, Erweiterungen und Abkürzungen im Einzelnen, insbesondere aber eine Verlängerung und Steigerung des Abschlusses angebracht werden, welche den wiederholten ersten Theil nicht bloß der Ordnung sondern auch der Bedeutung nach als den dritten Theil erscheinen lassen.

Mozart fand diese Elemente und ihre Gliederung bereits vor, allein er hat sie in einer seiner Natur entsprechenden Weise fortgebildet und ausgeprägt. Das zweite Thema, [22] worauf es hier hauptsächlich ankommt, tritt bei ihm nicht allein als ein selbständiges auf, wie es denn auch stets sehr bestimmt angekündigt wird, sondern seinem ganzen Charakter nach als ein Gegenthema dem Hauptthema gegenüber, das als solches aus der Masse des ganzen Theils in bemerkenswerther Weise hervorsticht. In der Bildung der Themen aber zeigt sich vorzüglich die Mozartsche Eigenthümlichkeit: ihr hervortretender Charakter ist das Gesangmäßige, in welchem Nägeli (Vorlesungen üb. Musik S. 156ff.) einer einseitigen Ansicht vom freien Tonspiel der Instrumentalmusik zufolge Stilunfug und Verfall des Klavierspiels sah. Vielmehr hat Mozart das was Ph. E. Bach als die Aufgabe des Klavierspielers und Componisten betrachtete (I S. 16) und Haydn von ihm übernahm, gesangmäßig zu schreiben, wesentlich gefördert. Dabei ist es nicht ohne Bedeutung, daß Mozarts musikalische Bildung vom Gesang ausgegangen war, daß seine Neigung ihn zum Gesang leitete – in höherem Grade als es bei jenen Männern der Fall war. Sowie der Klaviercomponist die polyphone Schreibweise aufgab, sowie es nicht mehr auf die Erfindung eines Thema ankam, das in bestimmten Formen schulgerecht zu bearbeiten war, sondern auf freie Melodie, welche durch Schönheit und Ebenmaaß an sich der entsprechende Ausdruck der künstlerischen Empfindung zu werden fähig war, mußte der Gesang der Ausgangspunkt für die Melodiebildung werden. Nicht als ob bestimmte für den Gesang geschaffene Formen ohne Weiteres auf das Klavier übertragen werden sollten; diese konnten dafür nur eine Analogie bilden, die ihnen zu Grunde liegenden Gesetze mußten den in der Natur des Instruments liegenden Bedingungen gemäß angewendet werden. Daher finden wir in Mozarts Klavier- und Instrumentalcomposition überhaupt nirgends die Formen der italiänischen Cantilene angewandt; ein flüchtiger Blick auf seine italiänischen Opern [23] wird die Verschiedenheit in der Behandlung der Melodie erweisen. Wo sich in den Instrumentalwerken Verwandtschaft mit Gesangscompositionen findet, weist sie auf die deutsche Oper, namentlich die Zauberflöte hin, und dies ist sehr begreiflich. Denn Mozart gab in seiner Instrumentalmusik seiner Empfindung den nächsten, natürlichen Ausdruck ohne an irgend wel che bestimmte Form, wie in der italiänischen Oper, gewiesen zu sein; als er in der deutschen Oper mit gleicher Freiheit den Gesang behandelte, konnte es nicht fehlen, daß die bereits ausgebildeten Formen der deutschen Instrumentalmusik ihm vielfach Anhalt und Analogie darboten. Die allgemeinen Bedingungen einer schönen Melodie, wie sie in dem einander gegenseitig bedingenden Verhältniß der Intervalle, der Rhythmik und Harmonie begründet sind, kamen in den Klaviercompositionen vollständig zur Geltung. Jede einzelne Melodie ist, vollkommen ausgebildet, ebenmäßig gegliedert und hat an sich Charakter und Bedeutung, ein Vorzug der formellen Bildung, welcher durch jenen eigenthümlichen Zauber des Wohllauts und der Feinheit, der von Mozarts Wesen unzertrennlich ist, noch gehoben wird. In dem Vortrag solcher Melodien mochte der schönste Vorzug von Mozarts Klavierspiel, das was nach Haydns Ausspruch zum Herzen ging, besonders zur Geltung kommen; es ist mitunter überraschend, wie z.B. in den Concerten die Hauptwirkung auf den Vortrag einer langen, einfachen getragenen Melodie concentrirt ist, was er meisterhaft verstanden haben muß.

Diesem Fortschritt in der gesangmäßigen und bedeutenden Behandlung der einzelnen Melodie gesellt sich ein außerordentlicher Reichthum an Melodien zu. Mozart läßt nämlich an die Stelle jener verbindenden Mittelglieder, welche gewöhnlich aus den Hauptmotiven abgeleitete oder auch frei eintretende Gänge und Passagen bilden, in der [24] Regel wiederum vollständig ausgebildete Melodien treten, so daß er einen Kranz von schönen Melodien windet, wo man sonst musikalische Wendungen zu hören gewohnt war. Man machte ihm diesen Reichthum zum Vorwurf, wie Dittersdorf sagt (Selbstbiogr. S. 237): »Mozart ist unstreitig eins der größten Originalgenies und ich habe bisher noch keinen Componisten gekannt, der einen so erstaunlichen Reichthum von Gedanken besitzt. Ich wünschte, er wäre nicht so verschwenderisch damit. Er läßt den Zuhörer nicht zu Athem kommen; denn kaum will man einem schönen Gedanken nachsinnen, so steht schon wieder ein anderer herrlicher da, der den vorigen verdrängt, und das geht immer in einem so fort, so daß man am Ende keine dieser Schönheiten im Gedächtniß aufbewahren kann.« Wenn man auch der Klage über Verschwendung in diesem Sinne heutzutage schwerlich beistimmen wird, so ist doch nicht zu leugnen daß die durchgeführte Ausbildung selbständiger Melodien zwar ein wesentlicher und nothwendiger Fortschritt, aber nicht die letzte Stufe der Entwickelung war. Diese einzelnen Melodien sind freilich nie zusammenhangslos aneinander gereihet, sie sind vielmehr äußerlich verbunden und innerlich zusammengehörig und dem Ganzen eingeordnet; allein namentlich in den kleineren Sonaten, wo sie nicht ausgeführt sind, erscheinen sie fast wie die bestimmt markirten Punkte eines Planes, der im Detail nicht mit dem reichen Schmuck ausgeführt ist, dessen er fähig ist26.

Allein es waren zwei wesentliche Vortheile gewonnen. Durch dieses scharfe Nebeneinanderstellen der ausgebildeten Melodien war die musikalische Phrase, die nur vermittelnde [25] Wendung, das bloße Spiel mit Figuren um vorwärts zukommen ausgeschlossen oder doch sehr beschränkt. Dergleichen ist bei Mozart überhaupt verhältnißmäßig sehr selten, Figuren und Passagen pflegt er meistens nur zum Ornament zu gebrauchen, das einen bestimmten festen Kern umschlingt und verziert, aber nicht als selbständige Glieder des Ganzen; und wo bloße Uebergangsformeln unerläßlich schienen, wendet er sie meistens ohne viel Umstände an, wie in der Architektur die Stütze als künstlerische Motive so angewendet wird, daß ihre constructionelle Bedeutung klar heraustritt. Dahin gehört z.B. die nachdrückliche und breite Behandlung der Schlüsse und Halbschlüsse, welche jetzt so auffallend sind, daß sie manchen als specifische Eigenthümlichkeit des Mozartschen Stils erscheinen. Das sind sie nun zwar nicht; sie waren damals allgemein und gingen aus dem Bedürfniß fest und bestimmt in der Tonart gehalten zu werden hervor, welches sich in jener Zeit entschieden geltend machte. Daß man in dieser Beziehung freier geworden ist und an die Stelle eines derben Gemeinplatzes mannigfach reizende und spannende Uebergangswendungen zu setzen gelernt hat ist ein unzweifelhafter Fortschritt; daß es aber auch Mozart an seinen und interessanten Wendungen nicht fehlt, davon kann man sich überzeugen, wenn man seine Rückgänge zum Thema im zweiten Theil und z.B. nur den Reichthum beobachtet, zu welchem die einfache Grundform des Orgelpunkts in den schönsten und reizendsten Anwendungen ausgebildet erscheint.

Der zweite Vortheil war die übersichtliche Klarheit der Anlage eines musikalischen Satzes, welche wie in einem architektonischen Grundriß faßlich erscheint, und die im Großen wie im Kleinen einer der unveräußerlichen Vorzüge Mozartscher Kunst ist. Es waren dadurch die Hauptpunkte einer durchgebildeten Gliederung fixirt, welche an sich nothwendig und dem Zweck genügend wiederum die Stützpunkte für eine reiche [26] Ausführung werden konnten, und ehe eine solche detaillirte Durchbildung möglich war mußte das einfache Schema klar und sicher hingestellt werden. Mozart selbst hat den Gehalt der von ihm so begründeten Darstellungsform keineswegs erschöpft; andere haben nur das nachgeahmt, was er selbst gemacht hatte, Beethoven hat die geistige Erbschaft angetreten und gezeigt, welche Tiefe und Fülle dieselbe in sich barg, und wie staunenswerth er auch mit diesem Pfunde gewuchert hat, so sind doch noch keineswegs alle Keime vollständig entwickelt. Unsere Zeit, deren Erfindung und Geschick sich überwiegend in interessanten und seinen Uebergangsformen und in einem consequenten Ausspinnen kleiner Motive, die nur auf einen untergeordneten Platz in einem großen Ganzen Anspruch haben, zu Tage tritt, ist vor allem darauf hinzuweisen, daß ausgebildete, fest gegliederte Melodien die Grundelemente einer Composition sein sollen.

In der Wahl und Anordnung derselben, so daß eine die andere in der verschiedensten Weise hebt, zeigt sich durchgehends Mozarts seiner Sinn. Besonders weiß er da, wo man es am wenigsten erwartet, durch eine neue Melodie von besonderer Schönheit zu überraschen, z.B. wenn unmittelbar nach dem ersten Thema, welches eine gewisse Befriedigung zu bringen pflegt, ein ganz verschiedenes Motiv auftritt. Vor allem aber erreicht er dadurch eine unnachahmliche Wirkung, daß er, wenn alles zum Schluß drängt, eine mit allem Reiz der Frische und Süßigkeit ausgestattete Melodie hervortreten läßt, welche nicht allein das Interesse wieder erregt, sondern dem Ganzen eine neue Wendung giebt. Um nur ein schlagendes und allen bekanntes Beispiel zu wählen, erinnere ich an den ersten Satz der C-dur Symphonie; wer hat sich nicht mit einer stets sich erneuernden Ueberraschung durch die zuletzt eintretende Melodie entzücken lassen, die wie ein glänzendes [27] Meteor eine Fülle von Licht und Heiterkeit ausstrahlt? Aehnliche, wenn gleich nicht überall so glänzende Effecte, sind auch sonst nicht selten; sie sind von keinem anderen erreicht, kaum versucht worden. Dagegen ist nicht zu verkennen, daß die Vorliebe, mit welcher Mozart den Schluß und einige andere sonst weniger hervortretende Punkte ins Licht stellt, dem eigentlichen sogenannten zweiten Thema Schaden gebracht hat: dies ist gewöhnlich die schwächste Stelle. Das rührt vielleicht zum Theil davon her daß es im Gegensatz zum Hauptthema einen zarteren, leichteren Charakter haben soll; allein häufig ist es im Verhältniß zu den übrigen Motiven nicht bedeutend genug und macht mitunter wohl gar den Eindruck als sei es vernachlässigt.

Die weitere Fortbildung des so gewonnenen Grundschemas konnte nun nicht etwa dadurch geschehen daß zwischen den Hauptgliedern nur äußerlich verbindende Phrasen eingeschoben wurden, sondern durch eine Entwickelung des in ihnen liegenden Gehalts mittelst thematischer Behandlung. Wir haben schon oben gesehen, in welcher Weise Mozart durch das Studium Bachs und Händels auf diesen Weg ge leitet wurde, und in späteren Klaviersachen tritt diese Richtung sehr bestimmt hervor27. Es erscheint aber nicht als die Rückkehr zur gebundenen Schreibart in gewissen strengen Formen, wie des Canons und der Fuge, sondern als die freie Ausbildung der allgemeinen Gesetze, durch welche das [28] Wesen der polyphonen Darstellung und der contrapunktischen Form überhaupt bedingt ist. Die Instrumentalmusik und ganz besonders die Klaviermusik war, nachdem sie sich von der Fessel der strengen Form befreit hatte, in der Gefahr einseitig die Richtung der homophonen Darstellung zu verfolgen und dadurch zu verflachen. Es ist ein Verdienst Mozarts die polyphone und thematische Behandlungsweise in den Modificationen, welche der veränderte Charakter der Auffassung und Darstellung überhaupt und die Natur der Instrumente erheischte, in freien und schönen Formen zur Geltung gebracht zu haben. Dies tritt, wie es in der Natur der Sache liegt, ganz vorzugsweise in den Durchführungssätzen hervor, auf die nothwendig das Hauptgewicht fallen mußte und welche durch diese Behandlung erst zu ihrer wahren Bedeutung gelangen konnten. Obgleich Mozart ihnen die Ausdehnung und mächtige Ausführung nicht gegeben hat, zu welcher sie durch Beethoven entwickelt sind, so erscheinen sie bei ihm – selbst da, wo sie in knapper Ausführung noch wesentlich als ein Uebergang auftreten – schon als der Culminationspunkt des ganzen Satzes, in welchem die bewegenden Kräfte desselben sich zu einer regeren Thätigkeit concentriren. Die Art der Behandlung ist frei wie die Wahl der Motive, welche hier zur Geltung gebracht werden; aber fast immer ist es wesentlich eine thematische Bearbeitung, oft eine sehr kunstreich angelegte und verschlungene, auf welcher die Wirkung beruht. Gegen diese tritt nun das harmonische Element keineswegs zurück – die kühnsten und originellsten Modulationen pflegen bekanntlich besonders an dieser Stelle zu erscheinen –, bei genauerer Untersuchung wird man aber wahrnehmen, daß das eigentlich belebende Element das thematisirende ist und daß die gestaltenden Impulse von dieser Seite kommen. So entwickelt sich ein frisch belebtes Treiben, [29] und wenn auch nicht immer eine überwältigende Katastrophe eintritt, so wird doch ein Knoten geschürzt auf dessen Lösung man gespannt wird, die dann jedesmal mit wohlthuender Sicherheit und Leichtigkeit erfolgt28.

Der langsame Mittelsatz und der Schlußsatz haben nicht die bestimmte und feste Formentwickelung des ersten Satzes erhalten. Zwei ihrem Wesen nach leichtere Formen sind in mannigfachen Modificationen hauptsächlich für dieselben in Anwendung gebracht, die der Variation und des Rondo. Dem langsamen Satz liegt in der Regel das Lied zu Grunde, es ist daher oft seiner ersten Anlage nach zweitheilig, aber nur ausnahmsweise hat diese Anlage eine ähnliche breite und reiche Entwickelung erhalten, wie sie im ersten Satz zur Regel geworden ist; die ein- oder mehrmalige Wiederholung des Grundthemas, welche nach damaliger Sitte nicht leicht ohne Ausschmückungen und Verzierungen geschah29, führte leicht [30] zu variationenartiger Behandlung. In jedem Falle war hier die Erfindung eines dem Gehalt wie der Form nach bedeutenden melodiösen Satzes, der nicht bloß als Motiv durch die Bearbeitung, nicht durch die Verbindung mit anderen erst seine eigentliche Geltung erlangen sollte, sondern an und für sich der Stimmung den vollen und befriedigenden Ausdruck gab, das erste Erforderniß. Es ist schon darauf hingewiesen (I S. 557), wie die Richtung der Empfindung jener Zeit die Ausbildung grade solcher Sätze begünstigte, die unzweifelhaft auch bei Mozart zu seinen schönsten Schöpfungen gehören. Diese einfachen und ausdrucksvollen, schön gegliederten und fest geführten Melodien, die wie in einem langen vollen Athemzug ausklingen, voll warmer und tiefer Empfindung ohne sentimentale Weichlichkeit, scheinen ein glückliches Erbtheil jener Zeit die auch die reinsten Klänge unserer lyrischen Poesie hervorbrachte. In der Ruhe welche sie meistens durchdringt spricht sich der Genuß und die Befriedigung [31] des künstlerischen Schaffens in seltener Weise aus; auch an der mühelosen und leichten Weise, wie durch theilweise Ausführung der Grundgedanken, durch Variation derselben, durch frei eingeführte oft contrastirende Nebentheile, diese Sätze ausgebauet werden, ohne aus der einmal angeschlagenen Grundstimmung herauszutreten, spült man, wie natürlich und frei diese Weise des Ausdrucks aus der musikalischen Empfindung hervordrang um sich zu solcher Höhe emporzuschwingen. Ohne auf Details der Ausführung hier einzugehen mag nur noch auf die Feinheit und Anmuth hingewiesen werden, mit welcher Mozart auch hier den Schluß vorzubereiten und dann so auszuführen weiß, daß er den Hörer in einem fortlaufenden Zuge der völligen Befriedigung entgegenführt.

Wenn diese Mittelsätze einen Glanzpunkt der Mozartschen Instrumentalcompositionen bilden, so kann man das nicht in gleichem Maaße von den Schlußsätzen rühmen. Sie sind der überwiegenden Mehrzahl nach in der leichteren Rondooder auch Variationenform gehalten. Es fehlt daher in ihnen nicht an einer Fülle von Melodien, vielmehr bewährt sich die unglaubliche Leichtigkeit, mit welcher Mozart gutgebildete und wohlklingende Melodien ausschüttete, grade hier sehr oft in der glänzendsten Weise, allein theils werden sie nicht ausgeführt und locker mit einander verknüpft, theils erhebt sich der Charakter derselben meist nicht zu einer bedeutenden Höhe. Die Aufgabe, welche ursprünglich diesem letzten Satz gestellt war, durch einen munteren Tanz oder etwas dem ähnlichen die Zuhörer zu erheitern, tritt auch hier noch in den meisten Fällen als maaßgebend hervor, und es läßt sich nicht läugnen, daß die Stimmung, welche sich in demselben ausspricht, häufig die einer mehr oder weniger angeregten Lustigkeit ist, welche weder aus einer tiefen Gemüthsstimmung [32] hervorgeht noch durch humoristische Laune gehoben wird. Wenn wir hören, daß Mozart Neigung und Fähigkeit besaß im geselligen Kreise an Tanzen, Spielen, Scherzen unbefangen Theil zu nehmen und ein wahres Vergnügen daran fand sich in Possen und Kindereien gehen zu lassen, so kann es nicht Wunder nehmen diese Seite seines Wesens auch in künstlerischen Leistungen ausgesprochen zu finden. Wenn nun die Reinheit und Anmuth der Form auch in solchen Sätzen stets gewahrt bleibt, so ist das nur ein neuer Beweis, daß der wahrhafte Künstler in seinen Productionen immer noch ein Eignes bewahrt, durch welches er eben den Aeußerungen seines Wesens den künstlerischen Ausdruck verleiht. Uebrigens bedarf es dieser allgemeinen Beobachtung gegenüber kaum der Wahrung, daß Ausnahmen keineswegs fehlen, wo auch den Mozartschen Schlußsätzen eine höhere Bedeutung nicht abzusprechen ist. Dies gilt schon von allen denen, in welchen er eine strengere Form der Ausführung gewählt hat, die auch eine größere Vertiefung des inneren Gehalts voraussetzt; aber noch in manchen anderen spricht sich eine erhöhete Stimmung in bedeutenderer Weise aus.

Die Zahl der Sonaten für Klavier allein, welche Mozart in Wien geschrieben hat, ist nicht sehr groß. Von den zuerst erschienenen kann es zweifelhaft sein, ob sie nicht theilweise schon früher componirt sind30; die meisten, wenn nicht alle, [33] scheinen durch bestimmte Veranlassungen hervorgerufen. Ohne Frage die bedeutendste ist die bekannte in C-moll, durch Feuer und Leidenschaft, welche auch den letzten Satz gleichmäßig durchdringen, alle überragend und auf das hinweisend, was durch Beethoven aus der Klaviersonate werden sollte. Die zweite in B-dur ist angenehm und hell; namentlich ist die Durchführung im ersten Satz frei und reich; die dritte in D-dur ist sehr munter und leicht, und für Passagen mehr als gewöhnlich gesorgt.

Ferner sind drei vierhändige Sonaten31 vorhanden. Das vierhändige Klavierspiel hatte in jener Zeit beiweitem noch nicht die Ausbreitung, welche es späterhin, namentlich durch die Arrangements von ursprünglich nicht für [34] das Klavier bestimmten Compositionen gewonnen hat, deren Reproduction die hauptsächlichste musikalische Nahrung der modernen Dilettanten bildet. Wer Klavier spielt um des Klavierspielens willen, sich darin ausgebildet hat und geltend machen will, der wird sich nicht gern so einseitig beschränken lassen, wie es beim vierhändig Spielen der Fall ist, sondern das Instrument ganz beherrschen wollen. Jene Gattung galt daher nur für eine exceptionelle Unterhaltung, die denn allerdings auch ihren eigenthümlichen Reiz hat. Diesen muß ihr der Componist besonders dadurch geben, daß er nicht nur die völligeren Mittel zu einer reicheren und glänzenden Ausführung benutzt, sondern die beiden Spieler in einer Weise beschäftigt daß durch Abwechslung und Vertheilung der Wetteifer erregt werde. Dies wird zunächst auf künstlerischem Wege durch die selbständige Behandlung der beiden Partien erreicht, welche jeder ihre eigenthümliche, auf angemessene Weise hervorzuhebende Bedeutung verleiht; sodann ganz äußerlich dadurch daß beide Spieler dieselben Motive und Passagen abwechselnd vorzutragen haben. Mozart, bei dem jene Behandlungsweise vorherrschend ist, wendet auch dieses Mittel regelmäßig an und zwar so, daß er auch ganze Cantilenen mit ihrer Begleitung in die Baßstimme überträgt, was aber, wie Marx (Lehre von der musik. Kompos. III S. 601) sehr richtig hervorhebt, nicht immer eine gute Klangwirkung hat. Von den beiden großen Sonaten ist die in F-dur bei weitem die vorzüglichere, und zwar fällt hier das Hauptgewicht nicht auf den ersten Satz, sondern das Adagio und ganz besonders auch der letzte Satz, obwohl in Rondoform, erregen durch schöne Motive und tüchtige, ernste bis zum Großartigen gesteigerte Behandlung derselben, welcher die breite Anlage und Ausführung entspricht, ein erhöhtes Interesse. Die andere Sonate in C-dur ist, obwohl [35] gleichfalls nicht klein angelegt, doch mehr auf brillantes Spiel und einen heiteren, angenehmen Eindruck berechnet.

Unterhaltender für den Klavierspieler, weil es ihm mehr Spielraum giebt, sind die Compositionen für zwei Klaviere; aber freilich findet ihre Ausführung mehr äußere Schwierigkeiten und deshalb ist dies Genre wenig ausgebildet. Mozart scheint eine Zeitlang, wahrscheinlich durch äußere Umstände veranlaßt, besonderes Vergnügen daran gehabt zu haben. Die Fuge in C-moll für zwei Klaviere ist schon (III S. 385ff.) erwähnt, sie war am 29 Dec. 1783 componirt, und zu Anfang des Jahrs 1784 die Sonate in D-dur (Oeuvr. XIV, 1)32, ein frisches, tüchtiges Bravurstück für jene Zeit, das auch heute noch Wirkung machen und die Spieler durch das lebhafte und geschickte Ineinandergreifen der beiden Partien unterhalten wird. Der erste Satz ist der bedeutendste, die Durchführung zwar nicht ausgeführt aber kräftig und wirkungsvoll; das Andante ist durch die vollständige Wiederholung des ersten Theils etwas zu gedehnt geworden. In dieselbe Zeit fallen aber noch einige Anfänge unter den Skizzenblättern des Salzburger Mozarteums. Einer zweiten Fuge in G-dur ist schon (III S. 375f.) gedacht worden; besonders lassen die Ansänge eines Allegro in C-moll (Beil. XXII, 37) und eines Adagio in D-moll (Beil. XXII, 31) durch ihre Großartigkeit und Kraft bedauern daß sie nicht vollendet sind, während ein Schlußsatz in B-dur (Beil. XXII, 36) einen ruhig heiteren Charakter zeigt. Es ist merkwürdig, wie schon diese wenigen Takte unverkennbar die Beobachtung bestätigen, daß die [36] Wahl einer Molltonart bei Mozart regelmäßig einen eigenthümlichen Schwung der productiven Stimmung verräth.

Wenig zahlreicher sind die Klaviersonaten mit Begleitung der Violine, welche Mozart in Wien componirte33, auch [37] diese größtentheils durch Schülerinnen veranlaßt. Denn die Mehrzahl der Klavier spielenden Dilettanten bildeten damals die Damen und es war gewöhnlich, daß der Lehrer oder Freunde und Verwandte dieselben mit der Violine begleiteten, welche von Männern damals wohl noch mehr gespielt wurde als das Klavier; diese Gattung von Musik bildete auch in den socialen Verhältnissen ein verbindendes Element34. Daher erklärt es sich sehr wohl, daß diese Sonaten durchgängig weder tief leidenschaftlich noch gelehrt gearbeitet sind, während sie reich an schönen, innig empfundenen Melodien, an überraschenden harmonischen Wendungen und für beide Spieler gleichmäßig interessant, zum Theil sehr brillant sind. Von den ersten sechs Sonaten wurde bald nach ihrem Erscheinen in einer Anzeige in Cramers Magazin der Musik (I S. 485) gesagt: »Diese Sonaten sind die einzigen in ihrer Art; reich an neuen Gedanken und Spuren des großen musikalischen Genies des Verfassers, sehr brillant und dem Instrument angemessen. Dabei ist das Accompagnement der Violine mit der Klavierpartie so künstlich verbunden daß beide Instrumente in beständiger Aufmerksamkeit erhalten werden, so daß diese Sonaten einen ebenso fertigen Violin als Clavierspieler erfordern. Allein es ist nicht möglich eine vollständige Beschreibung dieses originellen Werks zu geben. Die Liebhaber und Kenner müssen sie selbst erst durchspielen und alsdann werden sie erfahren daß wir nichts übertrieben haben.« Man sieht, daß man gewohnt war die Violinstimme als die untergeordnete, recht eigentlich begleitende behandelt zu sehen; davon ist in den Mozartschen Sonaten nicht mehr die Rede, sie ist vollkommen selbständig, dem Klavier ebenbürtig und so behandelt daß sich die Eigenthümlichkeit des [38] Instruments geltend macht. Uebrigens ist der ganzen Anlage dieser Sonaten gemäß eine künstliche Verschlingung der Stimmen, namentlich in strengen contrapunktischen Formen, fast durchgängig vermieden35, selbst die einfache Form der Nachahmung verhältnißmäßig selten angewendet; die Stimmen lösen sich ab, tauschen Melodien und Passagen mit einander, gehen wieder in freier Bewegung zusammen, stets klar und durchsichtig36. Es ist daher auch nicht die thematische Verarbeitung, welche diesen Sonaten einen eigenthümlichen Reiz giebt, sondern die reiche Ausbildung des harmonischen Elements. So wird die Durchführung im ersten Satz der Sonate in Es-dur (10) durch die seine Harmonisirung eines uns schon bekannten Lieblingsmotivs (I S. 475)


12.

gebildet, das hier ganz frei eintritt und deshalb mit sehr richtigem Gefühl nachher wieder verwandt ist um den ganzen Satz abzuschließen. Auch in der Sonate in B-dur (9) ist das Interesse der Durchführung wesentlich das harmonische; der Rückgang ins Thema ist heute noch so überraschend als er es nur zu jener Zeit sein konnte. Aehnliche Züge, welche [39] uns vollkommen begreiflich machen, wie sehr diese Sonaten damals durch Neuheit und Kühnheit frappiren mußten, finden sich häufig. Unter den sechs Sonaten, welche zuerst veröffentlicht wurden, würde man die in C-dur (2) und in B-dur (4), auch wenn keine äußere Notiz vorläge, als früher componirte daran erkennen daß sie weniger reich und voll, auch hie und da weniger elegant als die übrigen sind. Daß alle für eine Sammlung bestimmt waren giebt sich auch darin kund daß die äußere Anlage der einzelnen, offenbar der Abwechslung wegen, verschieden ist. So fängt die Sonate inG-dur (5) mit einem ausgeführten Adagio an, welches ins Allegro in G-moll überleitet – der Tiefe der Empfindung nach sind dies wohl die schönsten Sätze dieser Sammlung –, Variationen machen den Beschluß; in der Sonate in F-dur (3) sind Variationen in die Mitte gestellt, ein Tempo di Minuetto rondoartig ausgeführt bildet den Schlußsatz. Der erste Satz tritt besonders in den Sonaten in F-dur (3) und Es-dur (6) hervor. Die später einzeln geschriebenen Sonaten sind, abgesehen von der kleinen Sonate für Anfänger (12), bedeutender als die früheren; die leichteste unter ihnen, aber ungemein klar und schön ist die in Es-dur (10). Den ersten Rang behaupten auch hier die langsamen Mittelsätze durch den unvergleichlich schönen Gesang ihrer Melodien, an deren reinem und stetem Fluß man namentlich die auf diesem Gebiet so schwere Kunst nicht bloß gut anzufangen, sondern fortzufahren und abzuschließen bewundern und studiren kann. Eine im Einzelnen seine und geschmackvolle Begleitung, wie die reiche und kühne harmonische Behandlung – ich erinnere nur an die effectvollen enharmonischen Verwechslungen im Andante der Sonate in B-dur (9) und im Adagio der in Es-dur (10) – geben den einfachen Contouren ein warmes und glänzendes Colorit. Jeder dieser Sätze ist in seiner Art schön, [40] doch ist durch ernste Haltung das Andante der Sonate in A-dur (11) ganz besonders anziehend.

In derselben Reihe stehen auch die Trios, oder wie Mozart sie nennt Terzetts, für Klavier, Violine und Violoncell, welche ebenfalls hauptsächlich für die geselligen Kreise der Liebhaber bestimmt waren. Daß auch sie auf bestimmte Veranlassungen geschrieben wurden läßt sich schon daraus abnehmen, daß alle fünf im Sommer und Herbst 1786 und 1788 componirt sind37. Im Juni des letzten Jahrs fragte Mozart bei seinem Freunde Puchberg an, ob er nicht wieder eine kleine Musik in seinem Hause machen wolle, er habe ein neues Trio geschrieben (III S. 490). Dies war das Trio in E-dur (3), und wenn später ein für Puchberg geschriebenes Trio mehrmals mit Auszeichnung genannt wird (III S. 479. 493), so ist wohl eben dieses zu verstehen. Wenigstens ist ohne Frage der Anlage und Erfindung nach wie durch die effectvolle Behandlung der Instrumente dieses Trio von allen das bedeutendste. Der erste Satz ist voll Feuer und Kraft, – namentlich wird die imitatorische Durchführung des zweiten Themas durch eine kühne harmonische Wendung außerordentlich gesteigert –; der zweite, welcher etwas vom Charakter einer Nationalmelodie hat, ist[41] ungemein frisch und reizend und durch rhythmische wie harmonische Pointen in einer Art pikant, die ganz modern erscheint. Dem letzten Satz kann man Feinheit nicht absprechen, auch fehlt ihm Kraft und Ausdruck nicht, obwohl er an lebendiger Energie doch dem ersten nachsteht, auch ist er wohl etwas zu lang, zumal da eine besonders auf Brillanz berechnete Partie nicht mehr recht wirkt. Bei den äußeren Einflüssen, welche sich fast immer geltend machten, darf man sich nicht wundern, wenn die Reihenfolge der Trios keineswegs eine stetige Fortentwickelung zum Größeren und Bedeutenderen zeigt. Die beiden letzten stehen nicht allein gegen das ebenerwähnte, sondern auch gegen die beiden früheren zurück, in denen wie gewöhnlich die Mittelsätze sich auszeichnen38; das Trio in C-dur (4) ist ganz besonders leicht gehalten und scheint auf bestimmte Personen berechnet. Das letzte ist dadurch bemerkenswerth daß Mozart dasselbe ursprünglich als eine Sonate für Klavier allein geschrieben hatte und vermuthlich durch eine äußere Veranlassung bestimmt wurde die beiden Saiteninstrumente hinzuzusetzen. Er ließ, wie das Manuscript bei André ausweist, die ursprüngliche Composition von einem Abschreiber copiren, setzte die Violin- und Violoncellstimmen hinzu und änderte in der Klavierpartie was zu ändern war. Wer sich das Trio darauf ansieht wird im Ganzen die ursprüngliche Sonate leicht wieder herstellen, nur an wenigen Stellen hat die Redaction tiefer eingegriffen. Die nothwendige Folge ist daß der Charakter des nur Begleitenden hier mehr hervortritt und die einzelnen Instrumente, namentlich die Saiteninstrumente, mit Ausnahme [42] der Variationen weniger Selbständigkeit zeigen. Ueberhaupt zeigen die Trios nicht einen gleichen Fortschritt in der selbständigen Behandlung beider Saiteninstrumente dem Klavier gegenüber, wie die Violinsonaten in der Emancipation der Violinstimme; das Violoncell bleibt hier zurück. Zwar ist es nicht mehr auf die Rolle beschränkt den Klavierbaß zu verstärken, und auch wo dieses geschieht, ist doch schon auf die Eigenthümlichkeit des Instruments Bedacht genommen, allein es ist noch weit davon entfernt der Violine und dem Klavier ebenbürtig gegenüberzustehen. Es ist überwiegend als Baßinstrument behandelt, nur ausnahmsweise führt es die Melodie in der Tenorlage oder zeichnet sich in selbständiger Stimmführung aus, an der Bravur betheiligt es sich so gut wie nie; daher treten die eigenthümlichsten, schönsten Wirkungen, welche den so combinirten Instrumenten abzugewinnen sind, nur in einzelnen Fällen hervor39. Da Mozart sonst grade in der Gliederung und Behandlung solcher Sätze, welche durch drei Stimmen oder Stimmengruppen gebildet werden, ein eigenthümliches Geschick bewährt, so ist ein Hauptgrund, welcher die volle Entwickelung des Trios zurückhielt, wohl darin zu suchen daß es damals in den Kreisen, für welche diese Musikstücke bestimmt waren, an tüchtigen Violoncellisten fehlte. Hier hat Beethoven seine schöpferische Kraft bewährt.

[43] Bedeutender und eigenthümlicher ist das am 5 Aug. 1786 für Franziska von Jacquin (III S. 326) componirte Trio in Es-dur für Klavier, Clarinette und Bratsche40. Schon die ungewöhnliche Zusammenstellung dieser Instrumente, mag sie auch durch zufällige Umstände veranlaßt sein, erforderte eine eigenthümliche Behandlung. Die Bratsche ist kein Baßinstrument und mußte durchgehends für die Mittelstimme verwendet werden, diese Partie ist daher von der gewöhnlichen Violoncellstimme wesentlich verschieden; dadurch wurde nun aber überhaupt eine verschiedene Anlage und Ausführung bedingt, deren Wirkung die so eigenthümlich helle Färbung und durchsichtige Klarheit wurde. Uebrigens ist die Bratsche mit sichtbarer Vorliebe behandelt, sowohl begleitend als melodieführend, selbst durch eine gewisse Bravur macht sie sich überall vortheilhaft geltend; wenn man sich erinnert daß Mozart selbst gern die Bratsche übernahm, so darf man, da Franziska von Jacquin eine tüchtige Klavierspielerin war, wohl annehmen daß er für die Ausführung in diesem ihm so lieben Familienkreise sich selbst auch mit einer guten Partie bedacht habe. Auch die Clarinette ist ganz ihrem Charakter gemäß behandelt; da aber die tiefern Töne der Bratsche wegen gar nicht benutzt sind, so ist ihr wesentlich die Melodie anvertraut, welche dem vollen, saftigen Ton des Instruments gemäß gebildet ist. Das Trio verliert sehr, wenn statt der Clarinette die Violine, noch mehr, wenn das Violoncell für die Bratsche eintritt. Die Anlage der Sätze ist ebenfalls von der gewöhnlichen Weise abweichend. Der erste ist kein Allegro sondern Andante 6/8 –, wobei man sich freilich erinnern muß daß damit früher kein langsames sondern ein mäßig bewegtes Tempo bezeichnet wurde –, das ohne Wiederholung des ersten Theils grade durchgeht; es zerfällt vielmehr in drei [44] ziemlich gleiche Theile, in jedem werden die beiden schönen breiten Hauptmotive in leichter aber anziehender Behandlung zur Geltung gebracht, namentlich verliert man das Eingangsmotiv


12.

kaum aus dem Gehör; der im Ganzen knapp zusammengehaltene Satz verklingt leise in einer kurzen Coda. Der zweite Satz ist ein Menuett, der einzige dieser Art in Mozarts Klavierstücken, ernsthaft und ziemlich breit gehalten, namentlich im Trio etwas ausgeführt, dessen Motiv auch in der Coda wieder aufgenommen wird – ein sehr schöner und charakteristischer Satz. Das Schlußrondo ergeht sich in hübschen Melodien und glänzenden Passagen, die einzelnen Stimmen sind aber auch hier sein und selbständig behandelt.

Einen verhältnißmäßig viel höheren Rang als die Mehrzahl der Trios nehmen die beiden Quartetts für Klavier, Violine, Viola und Violoncell ein, von denen das erste in G-moll am 19 Oct. 178541, das zweite in Es-dur am 3 Juni 1786 componirt ist42. Sie sind, wie es die Vermehrung der Mittel mit sich brachte, von vornherein größer und breiter angelegt, die Motive völliger und bedeutender, die harmonische Behandlung reicher und, was durch die selbständige Behandlung der einzelnen Stimmen bedingt wird, die thematische Behandlung tritt mehr in den Vordergrund. Es geht hier entschieden aufs Ganze und aus einem [45] inneren Kern entwickelt sich das Einzelne, daher ist nicht allein trotz der ausführlicheren Behandlung die ganze Darstellungsweise bestimmter und schärfer zusammengefaßt, sondern der innere Gehalt ist bedeutender, der Ausdruck der Stimmung kräftiger und bei reicher Detailausführung innig und klar. Da man heutigen Tags, nachdem durch Beethoven die Kammermusik dem Gehalt nach wie in den Formen und Mitteln der Darstellung so außerordentlich gesteigert worden ist, mehr die formelle Schönheit im Ganzen und in einzelnen Zügen, die wohl ihre hinreißende und tief ergreifende Wirkung nie verlieren können43, als die Kraft und Tiefe wie die Originalität im Ausdruck der Empfindung anzuerkennen geneigt ist, so mag an ein Urtheil erinnert werden, das von Rochlitz über diese Mozartschen Compositionen im Jahr 1800 gefällt wurde. »Sie sind« heißt es A. M. Z. III S. 27 »von festem Charakter, hoch gedacht, tief gefühlt, unerschütterlich gehalten, oft wahrhaft leidenschaftlich. In diesen Compositionen, durchaus nur für erwählte kleinere Zirkel, geht der Geist des Künstlers in seltener, fremdartiger Weise, groß und erhaben einher wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt; und schmilzt er auf Momente in Wehmuth dahin oder tändelt in fröhlicher Laune: so sind es nur Momente, nach denen er – wär' es auch gleichfalls nur auf Momente – sich wieder aufreißt in kühner, zuweilen wilder Kraft, oder sich windet in bitterm, schneidendem Schmerz, der dann nach dem Siege zu triumphiren oder im Kampfe zu ersterben scheint. Damit man das nicht für leere Schwärmerei halte, sondern gleich in Einem beisammen finden könne, höre man ganz gut executiren (was nur von Personen [46] geschehen kann, die außer der erforderlichen beträchtlichen Geschicklichkeit ein Herz und einen für Musik sehr reif gebildeten Verstand haben) Mozarts Quartett für Klavier, Violin, Viola und Violoncell aus Es-dur – man höre es, studiere es dann und höre nun es wieder.« Als Beleg für den kräftigen Ausdruck leidenschaftlicher Empfindung, der auch Härte und Herbigkeit nicht scheut, würden wir wohl lieber den ersten Satz des Quartetts in G-moll anführen. Welche Anziehungskraft diese Quartetts als ganz originelle Erscheinungen in manchen Kreisen damals ausübten, wie große Theilnahme und Bewunderung sie fanden mag ein Bericht aus Wien »über die neueste Favoritmusik in großen Concerten« vom Jahr 1788 zeigen, der zugleich deutlich durchblicken läßt, daß man sich auch wiederum dadurch sehr abgestoßen fühlte.

»In der Liebhaberei der Damen« wird hier berichtet44 »gilt auf dem Pianoforte vor allen Kozeluch, doch fängt Pleyel an ihm den Rang abzulaufen. Allerdings ist in Pleyels Musik viel Humor und mehr neue originelle Erfindung als in Kozeluchs, obgleich auch diesem Componisten ein regelmäßiger Satz, Eleganz und ein gewisser Fluß natürlicher Gedanken nicht abzusprechen ist. – Mozart ist nun auch als kais. Kapellmeister nach Wien gegangen. Er ist ein merkwürdiger Mann für jeden philosophischen Liebhaber der Tonkunst. Er war ein äußerst frühzeitiges Genie und componirte und spielte schon in seinem neunten Jahr (ja noch früher) als wahrer Virtuos zu jedermanns Verwunderung. Was aber sehr selten ist, er war nicht nur ungewöhnlich früh ein geschickter Musikus, sondern reiste auch glücklich fort und zeigte sich in bleibender Gedeihlichkeit als Mann. Man kennt [47] die vorüberblitzenden schnellen Genien aus leidiger Erfahrung! Wo sind die Früchte zu rechter Zeit? und Dauer in Solidität? Nicht so bei Mozart! Jetzt nur ein paar Worte über ein bizarres Phänomen, das er (oder seine Berühmtheit) veranlaßt. Es kam vor einiger Zeit ein einzelnes Quadro (für Clavier, Violine, Viola und Violoncell) gestochen heraus, welches sehr künstlich gesetzt ist, im Vortrage die äußerste Präcision aller vier Stimmen erfordert, aber auch bei glücklicher Ausführung doch nur, wie es scheint, Kenner der Tonkunst in einer musica di camera vergnügen kann und soll. Der Ruf: Mozart hat ein neues gar besonderes Quadro gesetzt, und die und die Fürstin besitzt es und spielt es! verbreitete sich bald, reizte die Neugierde und veranlaßte die Unbesonnenheit diese originelle Composition in großen lärmenden Concerten zu produciren und sich damit invita Minerva zum Prunk hören zu lassen. Manches andere Stück soutenirt sich auch noch bei einem mittelmäßigen Vortrag; dieses Mozartsche Product aber ist wirklich kaum anzuhören, wenn es unter mittelmäßige Dilettantenhände fällt und vernachlässigt vorgetragen wird. Dies ist nun im vorigen Winter unzähligemal geschehen; beinahe wo ich auf meiner Reise hinkam und in einige Concerte eingeführt wurde kam ein Fräulein oder eine stolzirende bürgerliche Demoiselle oder sonst ein naseweiser Dilettant in rauschender Gesellschaft mit diesem Quadro angestochen und prätendirte daß es goutirt werden sollte. Es konnte nicht gefallen; alles gähnte vor Langerweile über dem unverständlichen Tintamarre von vier Instrumenten, die nicht in vier Takten zusammenpaßten und bei deren widersinnigem concentu an keine Einheit der Empfindung zu denken war; aber es mußte gefallen, es mußte gelobt werden. Mit welchem Eigensinne man dies beinahe allerwärts zu erzwingen gesucht hat, kann ich Ihnen[48] kaum beschreiben. Diese Thorheit eine ephemerischemanie du jour zu schelten sagt zu wenig, weil sie fast einen ganzen Winter hindurch gewährt und sich (nach allem dem was ich noch nebenzu erzählungsweise vernommen habe) viel zu wiederholt gezeigt hat. – – Welch ein Unterschied, wenn dieses vielbemeldete Kunstwerk von vier geschickten Musikern, die es wohl studirt haben, in einem stillen Zimmer, wo auch die Suspension jeder Note dem lauschenden Ohr nicht entgeht, nur in Gegenwart von zwei oder drei aufmerksamen Personen höchst präcis vorgetragen wird! Aber freilich ist hierbei an keinen Eclat, an keinen glänzenden Modebeifall zu denken, noch conventionelles Lob zu lucriren«45.

Eine Composition von ganz eigenthümlich reizender Wirkung ist das Quintett für Klavier, Oboe, Clarinette, Horn und Fagott in Es-dur (Oeuvr. XIV), welches Mozart am 30 März 1784 für eine Akademie schrieb die er im Theater gab, wo es, vortrefflich ausgeführt, außerordentlichen Beifall erhielt; auch hielt er es, wie er gegen den Vater äußerte (III S. 207), für das Beste was er noch in seinem Leben geschrieben habe und wählte es aus um es Paisiello vorzuspielen (III S. 193). Man darf dasselbe nicht nach den verschiedenen Arrangements beurtheilen, welche davon bekannt gemacht sind46, es ist durchaus und auf das Feinste auf die [49] Instrumente berechnet, für welche es ursprünglich geschrieben ist. Die Klangeffecte, welche durch die einsichtigste Benutzung und Combination der verschiedenen Blasinstrumente hervorgebracht werden, sind von überraschender Schönheit, und diesen singenden und klingenden Rivalen gegenüber ist auch die Klavierpartie in einer eigenthümlichen Weise gehalten, welche den Vortheil der rascheren Beweglichkeit geltend macht. Das Ganze ist bei einer Menge seiner Detailzüge sehr leicht und klar gehalten und von Anfang bis zu Ende ein wahrer Triumph des reinsten Wohlklanges, welcher auf der durchaus naturgemäßen Anwendung der Instrumente, die mehr sein als virtuosenmäßig behandelt sind, beruht; weshalb auch ungeachtet des fremdartigen Charakters keine Ermüdung eintritt. Auf diesem Reiz des Klanges und der interessanten, mitunter ziemlich stark accentuirenden harmonischen Behandlung beruht allerdings das hauptsächliche Interesse dieses Musikstückes, die thematische Erfindung tritt nicht in gleicher Weise hervor. Bemerkenswerth ist daß hier in der Melodienbildung einigemal Anklänge an italiänische Weise sich zeigen, während die schon berührte deutsche Weise, die vorzugsweise an die Zauberflöte erinnert, in den vorher besprochenen Quartetts sehr entschieden vorherrscht47. Bekanntlich [50] hat Beethoven in seinem Quintett (Op. 16) mit diesem Mozartschen gewetteifert; vielleicht tritt bei keinem seiner Werke in gleicher Weise heraus daß er sich ein Muster gesetzt hatte um es nachzubilden; übertroffen hat er es diesmal nicht48.

Auf einen etwas anderen Standpunkt stellt uns die Betrachtung der Concerte für Klavier, deren Mozart in Wien siebzehn geschrieben hat49, die meisten in den Jahren [51] 1783 bis 1786, wo er viel in Concerten spielte, für seinen eigenen Gebrauch, einige auch für andere50. Schon daraus geht hervor daß sie verschiedenartig nach Anlage und Charakter sein müssen. Von den drei ersten, welche bestimmt waren gleich unter das Publicum zu kommen, schrieb er selbst dem Vater, während er noch daran arbeitete (23 Dec. 1782): »Die Concerten sind das Mittelding zwischen zu schwer und [52] zu leicht, sind sehr brillant, angenehm in die Ohren, natürlich ohne in das Leere zu fallen – hier und da können auch Kenner allein Satisfaction erhalten, doch so daß die Nichtkenner damit zufrieden sein müssen, ohne zu wissen warum«. Man sieht, er wußte sehr wohl, was er wollte. Ueber die späteren schrieb er ihm (24 Mai 1784): »Ich bin nicht im Stande unter den beiden Concerten ex B und D [N. 5. 6] eine Wahl zu treffen. Ich halte sie beide für Concerte die schwitzen machen; doch hat in der Schwierigkeit das ex B den Vorzug vor dem ex D. Uebrigens bin ich sehr begierig, welches unter den drey Concerten B, D und G dur [N. 7] Ihnen und meiner Schwester am besten gefällt; denn das ex Eb [N. 4] gehört gar nicht dazu, welches ein Concert von ganz besonderer Art ist und mehr für ein kleines als großes Orchester geschrieben. Also ist die Rede nur von den drey Concerten und ich bin begierig, ob Ihr Urtheil mit dem hiesigen allgemeinen und auch meinem Urtheile übereinkömmt. Freylich ist es nöthig, daß man sie alle drey mit allen Stimmen und gut producirt hört«51.

Bedeutsam ist der Nachdruck, welchen Mozart auf das Orchester legt. Allerdings beruht sein wesentliches Verdienst, das, wodurch er in seinen Concerten ein Neues schuf, auf der Verbindung des Orchesters und des Soloinstrumentes zu einem Ganzen, welches durch das zweckgemäße Zusammenwirken [53] aller einzelnen selbständigen Elemente hervorgebracht wird52. Nicht etwa nur daß das Orchester in der reicheren Zusammensetzung und wirksamen Vermischung sämmtlicher Saiten- und Blasinstrumente53, welche Mozart [54] ihm gegeben hatte, in den größeren Partien, in welchen es dem Klavier selbständig gegenübertritt, also in den sogenannten Tuttisätzen der Ritornelle, vollständig zur Geltung kommt und diesen einen symphonischen Charakter giebt, sondern auch da wo das Klavier als Soloinstrument auftritt greift das Orchester fortwährend durch kleinere Zwischensätze und durch unmittelbare Betheiligung an dem Gange der Klavierpartie in einer Weise ein, daß Klavier und Orchester eine nicht zu scheidende Totalität bilden, wie man denn auch ganz richtig diese Concerte vielmehr Symphonien genannt hat, bei welchen das Klavier mitwirkt54. Diese Kunst der Verschmelzung aller Klangfarben des Orchesters, welche dem alten Vater beim Anhören eines neuen Klavierconcerts Thränen entlockte (III S. 266), die uns in den Opern Mozarts durch die Verbindung mit den Singstimmen und die höhere Aufgabe dramatischer Darstellung in gesteigerter Entwickelung entgegentritt, zeigt zunächst einen ungemein seinen und durch die genaueste Kenntniß der Instrumentaleffecte unterstützten Sinn für den Wohlklang. Das Klavier mit seinem wenig ausgiebigen, spröden Ton ist gegen die einzelnen Saiten- und Blasinstrumente, geschweige ihr Zusammenwirken im Nachtheil, war es zu jener Zeit in Folge der mangelhafteren Mechanik noch viel mehr; es bedarf großer Einsicht und Kunst damit dasselbe nicht allein neben, sondern vor dem Orchester sich geltend mache. Man braucht nur zu beachten, wie geschickt beim Eintritt des Klaviers nach einem ausgeführten, glänzenden Ritornell, welches das Ohr des Zuhörers vollauf gesättigt hat, durch die größte Einfachheit oder eine klaviermäßig brillante Passage ein Contrast[55] hervorgebracht wird, der den Hörer für den eigenthümlichen Reiz des neu eintretenden Elements gewinnt und seine Spannung erregt, die dann auch durch den Wetteifer der mit einander rivalisirenden Kräfte unterhalten wird. Denn es ist natürlich nicht die Absicht des Componisten das Orchester in den engsten Gränzen eines bescheidenen Accompagnements zurückzuhalten – wozu hätte er dasselbe dann so ausgestattet? –, sondern es soll in seiner ganzen Fülle hervortreten, die Klavierstimme tragen und heben aber auch durch den Gegensatz zu derselben seine eigne Macht geltend machen. Der Reichthum von schönen und reizenden Effecten, welchen diese unausgesetzte Wechselwirkung zu Tage fördert, ist außerordentlich. Indem das Orchester die Mängel des Klaviers ergänzt und deckt, entwickelt es durch die sichere Führung der Harmonie in gehaltenen Accorden, welche einem leichten Figuren- und Passagenspiel, auch wenn es in kühnen Harmonienfolgen sich bewegt, eine feste Basis geben, durch den Vortrag getragener Melodien, oder das Festhalten und Durchführen der Motive in ihren einfachen Grundzügen neben dem reicheren Schmuck des Klaviervortrags, durch die intensive Kraft oder den zarten Duft seiner Klangmittel gegenüber der leichten und glänzenden Beweglichkeit und der Klarheit und Schärfe des Klaviers seine eigenthümlichen Vorzüge zur schönsten Wirksamkeit. Um wenigstens ein Beispiel nahmhaft zu machen – denn die bezeichneten Vorzüge sind überall durchgehende, sind die eigentlich charakteristischen Eigenschaften dieser Gattung – führe ich das wunderherrliche Andante des Concerts in C-dur (12) an. Hier ist die Orchesterpartie nicht allein überreich an dem frappantesten harmonischen Detail, sondern von der schönsten, vollsten und eigenthümlichsten Klangwirkung, die das Ohr völlig bezaubert und kaum eine Steigerung zuzulassen scheint; ihr gegenüber [56] steht eine überraschend einfache Klavierstimme, welche ohne alle technische Schwierigkeit und Künstlichkeit die Eigenthümlichkeit des Instruments in einer Weise geltend macht, daß sie, obgleich unauflöslich mit der Begleitung des Orchesters verbunden, wie ein höheres geistiges Element über derselben zu schweben scheint. Der glückliche Wurf in verinnerlichen Vereinigung der verschiedenen Instrumentalkräfte zu einem Ganzen ist so vollkommen gelungen, daß nach dieser Seite hin auch Beethoven – der auf Mozarts Klavierconcerte, wie jeder der sie genauer kennt leicht wahrnimmt, ein sehr gründliches Studium gewandt hat – im Wesentlichen nicht darüber hinausgekommen ist; die höhere Bedeutung seiner großen Klavierconcerte ist anderweitig begründet.

Freilich kam dabei noch etwas mehr in Betracht als bloß der sein gebildete Sinn für die rechte Mischung der Klangfarben: die Erfindung, Ausführung und Vertheilung der Motive waren durch die Beschaffenheit der Mittel für die Darstellung derselben bedingt, im ersten Entwurf mußten die verschiedenen Kräfte wohl bedacht sein, wenn sie in der Ausführung zu ihrem Recht kommen sollten, schon im Keim mußte den einzelnen Motiven die Fähigkeit gegeben sein, sich unter verschiedenen Bedingungen frei zu entwickeln. Kaum wird in einem Concert ein wesentliches Motiv nur dem Orchester oder nur dem Klavier zugewiesen erscheinen, sie sind stets beiden gemeinsam, aber so daß bei manchen bald das Orchester bald das Klavier das Uebergewicht behauptet. Wenn ein Thema vom Orchester breit und ausführlich behandelt in den Ritornellen in den Vordergrund gestellt ist, so pflegt dasselbe in der Klavierpartie zurückzutreten und in ganz einfacher Weise mehr nur angedeutet zu werden, während andere Motive welche das Orchester gewissermaßen [57] ankündigt erst im vollen Schmuck des Klavierspiels ihre volle Bedeutung gewinnen. Dieser Wettstreit verschiedener Kräfte tritt natürlich am lebendigsten und Wirksamsten bei einer eigentlichen Durchführung und Verarbeitung der Motive hervor, allein auch bei glänzendem Passagen- und Figurenwesen bildet bald das Orchester eine sichere Stütze für das üppigste Gerank, bald erscheint die Klavierpartie als der arabeskenartige Schmuck des wohlgegliederten Baues, welchen das Orchester aufführt. So beruht der Hauptreiz dieser Concerte, die ihrem Namen recht eigentlich entsprechen, auf dem lebendigen Ineinanderwirken der entgegengesetzten Elemente, wodurch die einzelnen Motive wie unter einer stets wechselnden Beleuchtung zu einem reichen und glänzenden Gemälde gruppirt werden.

Die Anlage der Concerte in drei Sätzen, sowie die Form der einzelnen Sähe nach Analogie der Sonate war bereits gegeben und ist von Mozart nur bestimmt ausgebildet worden. Der erste und Hauptsatz zeigt die Hauptbestandtheile der Sonatenform, das zweite bestimmt ausgeprägte Thema und den Durchführungssatz, aber sie ist freier und, wie es die bedeutenderen hier zur Verwendung gebrachten Mittel erheischen, reicher ausgeführt. Ein scharf abgeschlossener erster Theil, der wiederholt würde, ist nicht vorhanden; etwas Analoges findet sich im ersten Ritornell und dem dazugehörigen Solosatz. Denn in beiden werden die Hauptmotive des ersten Satzes theils ausgesprochen theils ausgeführt; allein dies geschieht nicht in einfacher Wiederholung, vielmehr ist die Gruppirung und Behandlung der Motive nach den bereits angedeuteten Gesichtspunkten eine verschiedene, der Eintritt des Soloinstruments bringt in jeder Beziehung eine Steigerung hervor. Durch ein kürzer gefaßtes Ritornell wird dieser Theil abgeschlossen und die Durchführung eingeleitet, [58] an welcher sich Klavier und Orchester gleichmäßig betheiligen, und in welcher auch hier sich das Hauptinteresse concentrirt. Die strengeren contrapunktischen Formen kommen selten und nur vorübergehend zur Anwendung, das harmonische Element, durch welches die reiche Figuralbehandlung Leben und Interesse erhält, ist meistens vorherrschend, überall aber herrscht eine durchaus freie Mischung der polyphonen und der homophonen Schreibweise, durch welche die Hauptmotive in geistreicher Weise wie in einer belebten Unterhaltung unter wechselnden Gesichtspunkten verknüpft und ausgeführt werden. Dieser Mittelsatz führt wieder in die Haupttonart und zum Anfangsritornell zurück; gewöhnlich ist dasselbe abgekürzt, auch sonst wird der erste Theil nicht gradezu, sondern mit mannigfachen Modificationen in Anordnung und Ausführung wiederholt. Den Abschluß bildet die in der herkömmlichen Weise eingeleitete Cadenz (I S. 301. 615), welche allerdings auch an anderen Ruhepunkten eintreten konnte, hier aber regelmäßig ihren Platz fand und, wie schon bemerkt (III S. 463) zu einer freien Improvisation Veranlassung gab, die außer glänzenden Passagen nach Art eines Capriccio entweder ein Thema des Satzes ausführlicher zu variiren oder mehrere Motive in gedrängter Behandlung zu einem Resume des Ganzen zusammenzufassen pflegte55. So bildet die Cadenz die abschließende Coda von Seiten der Klavierpartie, welche nun auch durch das Orchester in ähnlicher Weise wie es mit dem [59] Ritornell einleitet mehr oder minder ausführlich zu Ende gebracht wird. Man sieht daß die bestimmte Form, welche dem ersten Satz des Concerts gegeben ist, aus der allgemeinen Sonatenform durch die richtige Beobachtung der Bedingungen, welche aus der Gegenüberstellung des Klaviers und Orchesters hervorgingen, in eigenthümlicher Weise entwickelt ist, welche sie von den ersten Sätzen des Quartetts und der Symphonie endlich unterscheidet.

Die beiden anderen Sätze sind durchgehends einfacher angelegt und ausgeführt. Der langsame Mittelsatz hat Liedform, die Ausführung ist mitunter mehr rondoartig, mitunter variirt, fast immer sehr einfach und klar gehalten, aber überreich an den reizendsten Detailzügen. Auch in diesen Sätzen hat Mozart einen Schatz reicher und tiefer Empfindung in den schönsten und reinsten Formen ausgesprochen, und zwar kommt das phantastische oder romantische Element, eine träumerische Hingabe an Schmerz und Sehnsucht, das Bestreben das individuellste Gefühl auf die eigenste Weise selbst überschwänglich auszudrücken vielleicht nirgends sonst in seinen Compositionen in ähnlicher Art zur Geltung. Ueberraschende harmonische Fortschreitungen, hineingeworfene scharfe Züge der pikantesten Art neben Ausdrücken einer edlen Sentimentalität, wie man sie nur in modernster Zeit suchen möchte, rhythmische Neckereien geben diesen Sätzen einen um so größeren Reiz, als die Fülle der eigenthümlichsten Detailzüge die Einheit der Empfindung sowenig beeinträchtigt als die Reinheit der Form. Als Belege möge nur die einfach schöne Romanze des Concerts in G-dur (7), oder die anmuthige, höchst eigenthümliche Siciliana des Concerts inA-dur (13) angeführt werden. Wahrhaft groß aber ist das bereits erwähnte Andante des Concerts in C-dur (11). So hoch und rein ist die Empfindung, daß die schmerzlichen [60] Regungen aus welchen sie sich emporringt, obwohl sie in aller Herbigkeit wie in dieser Stelle


12.

12.

[61] ausgedrückt sind, doch nur wie Erinnerungen an ein längst überwundenes Leid hindurchklingen, das die wahrhaft überirdische Reinheit und Klarheit einer Stimmung nicht mehr trüben kann, die noch über das Gefühl einer edel gefaßten Resignation hinaus zu einer seligen Freudigkeit verklärt ist. Dies Beispiel kann unter vielen lehren daß die Schönheit und Süßigkeit nicht in dem negativen Abwehren und Fernhalten des Herben und Scharfen beruhet, sondern in der vollkommenen Reise der Stimmung, aus welcher das Kunstwerk hervorgeht, und der Harmonie aller Bedingungen, durch welche es zur Darstellung kommt. Denn so gereifte Früchte konnte auch der vollendete Künstler nur bieten wenn er dem Leben den wahren Seelenfrieden abzuringen vermochte.

Der letzte Satz des Concerts ist der leichteste, meistens [62] in Rondo-, seltener in Variationenform, von lebhaftem munterem Charakter, wie es allgemein Sitte war, meistens im leichten Zweivierteltakt, der den ursprünglichen Charakter des Tanzes festhält, häufig auch im Sechsachteltakt, sodaß wohl noch die Weise des Jagdliedes hervortritt, wie denn das Rondo des Concerts in B-dur (5) mit einer vollständigen Jagdfanfare in einem langen Crescendo schließt56. Im Allgemeinen sind diese Sätze in ihrem munteren Wesen ungleich bedeutender als in den übrigen Klaviercompositionen, wie das schon die reicheren Mittel bedingen, und an anmuthigen, neckischen, selbst humoristischen Zügen reich, wofür der letzte Satz des Concerts in C-moll (14) einen Beleg abgeben mag, dessen Thema namentlich durch die harmonische Führung einen eignen fremdartigen Charakter erhält, dem zum Schluß noch durch eine neue Wendung ein überraschender Reiz abgewonnen wird. Auch in dem Concert in D-moll (10) bestätigt sich eine oft wiederholte Beobachtung, daß die Sätze in den Molltonarten sich durch größere Tiefe und Bedeutung auszeichnen, denn der letzte Satz desselben ragt durch Feuer und intensiven Gehalt vor den meisten hervor57. Dagegen stehen in diesen beiden Concerten die Mittelsätze in Es- undB-dur, obwohl ihnen Anmuth nicht abzusprechen ist, den anderen beiden Sätzen an Kraft und Leidenschaft nach58.

[63] Für Mozarts Würdigung als Klaviercomponist bieten nun die Concerte den eigentlichen Maaßstab dar. Die Mehrzahl derselben, welche er ohne Rücksicht auf andere in seiner besten Zeit für sich selbst geschrieben hat, nimmt unter seinen Klaviercompositionen den ersten Rang ein59. Sie sind dem Hauptcharakter der Stimmung nach sehr verschieden; einige, wie die in B-dur (5), G-dur (7), A-dur (2. 13) sind heiter und graziös, leidenschaftlich erregt besonders die Concerte in D-moll (10) und C-moll (14), wieder andere ernst und gehalten wie die Concerte in Es-dur (12) und B-dur (17), glänzend und prächtig, wie die Concerte in C- und D-dur (15. 16) und schwunghaft bis zum Großartigen, wie das mehrerwähnte Concert in C-dur (11). Jedes derselben kann als ein in Stimmung und Haltung einiges, wohl organisirtes Ganze gelten, das demgemäß aufgefaßt und wiedergegeben sein will; übrigens sind sie echt klaviermäßig, dankbar und brillant, dabei nach der heutigen Entwickelung der Technik leicht, insofern nicht etwa eine einseitige Ausbildung in moderner Technik gewisse Schwierigkeiten machen sollte. Denn Mozart verlangt außer klarem, gesangreichem Vortrag der oft lang ausgesponnenen Melodien besonders die »ruhige, stette Hand«, welche die Passagen »wie Oel hinfließen läßt«, und seine Passagen beruhen fast alle auf der Scala und gebrochenen Accorden; eigentliche Bravurstückchen [64] in Sprüngen, Uebersetzen u. dgl. kommen nur ganz ausnahmsweise vor. Mozart hat hauptsächlich die eine wesentlichste Seite des Klavierspiels, die Grundlage einer ferneren Entwickelung, ausgebildet, aber er hat seinem Instrument bei weitem nicht alle Vortheile abgewonnen. Octaven-Sexten-Terzengänge, mit welchen Clementi solches Aufsehen erregte, verschmähte er wie wir sahen (III S. 53f.) absichtlich, weil er davon Nachtheil für die Haupterfordernisse einer guten Technik fürchtete; was durch die Ausbildung nach dieser Seite hin für das Klavierspiel zu gewinnen sei hat sich später gezeigt. Ueberhaupt nicht war Vollgriffigkeit, keine Art von massenhafter Wirkung sein Streben, sondern Klarheit und Durchsichtigkeit. Dabei ist allerdings auch die Beschaffenheit der damaligen Instrumente mit in Anschlag zu bringen, und wenn die Richtung der modernen Technik dahin geht das Klavier selbständig gewissermaßen zum Orchester zu machen, so geht Mozarts Bestreben vielmehr dahin die specifischen Eigenthümlichkeiten des Klaviers dem Orchester gegenüber klar und unvermischt zu entfalten; jedenfalls war damit der richtige Weg zur Entwickelung der Klaviertechnik eingeschlagen.

Die hauptsächlichste Bedeutung der Concerte aber liegt nicht auf Seiten der Technik sondern in ihrem musikalischen Gehalt. In Conception und Ausführung offenbaren sie einen hohen Schwung und volle Freiheit; es ist klar daß nicht allein die größeren und bedeutenderen Mittel eine entsprechende geistige Thätigkeit hervorriefen, sondern daß Mozart sich hier mit um so größerem Behagen frei gehen ließ, weil er selbst diese Compositionen zur Ausführung brachte. Der Umstand daß es Concerte waren, die auf das Publicum eine augenblickliche Wirkung machen sollten, bei denen auf ein allmähliches Eindringen durch öfteres Hören [65] nicht so wie bei anderen Werken gerechnet werden konnte, erklärt es auch daß Mozart in der Anwendung stark reizender Ausdrucksmittel sich hier mehr gestattet als sonstwo, und es ist sehr charakteristisch daß er diese Wirkung nicht durch virtuosenmäßige Klaviereffecte, sondern durch den gesteigerten Reiz des musikalischen Ausdrucks zu erreichen sucht. Wer auf das Detail achtsam eingehen will, wird eine Fülle der pikantesten Wendungen finden und gar Vieles das in modernster Zeit große Wirkung macht schon vorweggenommen sehen, nur daß dergleichen Züge hier nirgends als das Wesentliche, oder als Merkmale einer bestimmten Manier sondern stets nur als vorübergehende Momente einer schärferen Würze erscheinen. Namentlich in harmonischer Beziehung ist hier soviel in Orgelpunkten, Vorhalten, durchgehenden Noten Gewagtes und Frappantes daß man kaum zweifeln kann, Oulibicheff würde, wenn er die Concerte nicht ganz bei Seite gelassen hätte, von den Chimärenaccorden die er bei Beethoven entdeckt zu haben glaubt schon hier die untrüglichen Spuren gefunden haben60.

Fußnoten

1 Unwillkührlich hielt und bewegte er wie die meisten Klavierspieler auch sonst seine Hände meist in der Lage als spiele er Klavier. Im Schlichtegrollschen Nekrolog wird sogar bemerkt, seine Hände hätten eine so feste Richtung für das Klavier gehabt, daß er deshalb nur mit äußerster Mühe und Furcht sich bei Tische das Fleisch zu zerschneiden im Stande gewesen sei! (vgl. III S. 170.) – Mit der Liebe des Großvaters und dem Sinne des Künstlers schreibt Leop. Mozart seiner Tochter über ihr Söhnchen (11. Nov. 1785): »Ich kann die rechte Hand des Kinds ohne Rührung niemals ansehen. Der geschickteste Clavierspieler kann die Hand nicht so schön auf die Claviatur setzen, als er beständig die Hand halt; so oft er die Finger nicht bewegt, so oft stehen alle Finger mit dem ausgebogenen Händchen in der Spielsituation, und so schlafend hat er das Händchen liegen, als wären die Finger, sogar mit der proportionirtesten Ausspannung und Biegung der Finger, wirklich auf den Claviertasten – kurz! man kann nichts Schöneres sehen. Ich bin wirklich oft traurig, wenn ichs sehe, und wünschte daß er wenigstens nur 3 Jahr schon alt wäre, so natürlich meine ich er sollte gleich spielen können.«


2 Auch A. M. Z. I S. 157 wird versichert, Mozart habe oft gesagt, daß er sich durch das Spielen der Bachschen Arbeiten so vervollkommnet habe und dessen Fingersetzung für die einzig richtige halte.


3 So erzählt Rochlitz (Für Freunde der Tonk. IV S. 309f.) und diese Aeußerung klingt ganz nach Mozart; was sonst dort berichtet wird ist ein neuer Beweis, wie unzuverlässig Rochlitz ist. Es heißt nämlich: »Mit dem was er macht – fuhr Mozart fort – kommen wir jetzt nicht mehr aus: aber wie ers macht – da steht ihm keiner gleich. Mich hat er darum auch am liebsten auf der Orgel gehört, obgleich ich schon lange her wenig Uebung darauf habe. Das war ihm recht; und da hat er mich einmal übers andere an sich gedrückt, daß ich hätte schreien mögen.« Vorher hatte Rochlitz erzählt daß Mozart, als er nach Leipzig kam, kurz vorher in Hamburg gewesen sei und daselbst Bach fleißig besucht, auch diesen auf seinem Silbermannschen Instrument einigemal phantasiren gehört habe. Nun wissen wir aber daß Mozart auf dieser Reise, die wir aus seinen Briefen an die Frau (Beil. XIX) ganz genau verfolgen können, seinen Weg über Prag und Dresden nach Leipzig nahm, wo er am 19. April 1789 ankam, dann 8 Tage später nach Berlin reiste, am 8. Mai schon wieder in Leipzig war, den 18. Mai noch einmal nach Berlin zurückging, und von da am 28. Mai direct über Dresden nach Wien heim reiste. Er ist also auf dieser Reise gar nicht nach Hamburg gekommen; und wäre er auch – Rochlitz selbst sagt ja kurz vorher (S. 290) daß Ph. Em. Bach schon 1788 gestorben war. Daß Mozart auch früher nie in Hamburg gewesen ist steht fest; von Wien war er vorher nur nach Salzburg (1783) und zweimal nach Prag (1787) gereist.


4 Sein Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen erschien zuerst im Jahr 1752; seine zahlreichen und allgemein verbreiteten Klaviercompositionen trugen vor Allem dazu bei, die richtigen Grundsätze auch praktisch zur Geltung zu bringen.


5 Eine Charakteristik von J. Seb. Bachs Klaviertechnik giebt Forkel (üb. J. S. Bach S. 11ff.); Notizen über die früher übliche Applicatur Becker (Hausmusik in Deutschland S. 58ff.). Indessen kann man sich kaum vorstellen daß nicht auch andere große Klavierspieler jener Zeit, wie Dom. Scarlatti und Händel, ihre Applicatur durch eigene Erfindung verbessert haben sollten. Das Verdienst vollständiger Durchbildung und Ueberlieferung würde freilich Bach wohl immer bleiben.


6 A. E. Müller hat in seiner Anweisung zum genauen Vortrag der Mozartschen Klavierkonzerte (Leipz. 1796) die Grundsätze der Bachschen Applicatur auf die schwierigen Stellen in fünf Concerten Mozarts angewandt und danach den Fingersatz derselben bestimmt und nachgewiesen.


7 »Ueber nichts klagte Mozart heftiger als über Verhunzung seiner Compositionen bei öffentlicher Aufführung, hauptsächlich durch Uebertreibung der Schnelligkeit der Tempos« berichtet Rochlitz (A. M. Z. I S. 84f.). »Da glauben sie, hiedurch solls feurig werden – sagte er – ja, wenns Feuer nicht in der Composition steckt, so wirds durch Abjagen wahrlich nicht hineingebracht.«


8 Wie Mozart in allem Maaß hielt, so war ihm auch das Grimassiren beim Klavierspiel widerwärtig; er spottete schon über die kleine Nanette Stein, die ihre Empfindung nicht im Spiel sondern durch Geberden und Körperbewegungen ausdrückte.


9 »Es war sein größtes und oft von ihm selbst beklagtes Leiden«, sagt Rochlitz (A. M. Z. I S. 49) »daß man gewöhnlich von ihm nur mechanische Hexereien und gaukelhafte Seiltänzerkünste auf dem Instrument erwartete und zu sehen wünschte [vgl. II S. 110], aber dem hohen Fluge seiner Phantasie und seinen gewaltigen Ideen nicht folgen konnte oder nicht folgen wollte.« Also auch diesem Theile des Publicums, das damals wie heute sich für Schwierigkeiten interessirte weil es das Schöne weder empfand noch verstand, wußte er doch Genüge zu thun.


10 »Mozart ist der fertigste, beste Clavierspieler den ich je gehört habe« schreibt ein Berichterstatter aus Wien 1787 (Cramer Mag. f. Mus. II S. 1273). »Nimmermehr werde ich den himmlischen Genuß vergessen,« sagt Rochlitz (A. M. Z. I S. 113) »den er auch mir theils durch den Geist seiner Compositionen theils durch den Glanz und dann wieder durch die herzschmelzende Zartheit seines Vortrags verschaffte.« Aehnliche Aeußerungen sind bereits mehrfach angeführt worden und werden auch im Folgenden noch zur Sprache kommen.


11 Vgl. III S. 16. 52f. 203f.


12 In einer Anzeige der Variationen in G-moll (Oeuvr. XI, 7) wird der Wunsch ausgesprochen, er möchte »nicht bloß Variationen des Melismatischen, sondern nach Art der beiden Hrn. Bach, mit sinnreichen Inversionen und Nachahmungen, in der gebundenen Schreibart variirte Sätze« schreiben (mus. Real-Ztg. 1788 S. 49).


13 Torricella kündigte 1785 Neueste Fantasie-Variationen von Mozart in folgender Weise an: »Die Begierde, mit der man aller Orts nach den Arbeiten dieses berühmten Meisters sich sehnt, und die auszeichnend durch Kunst und Annehmlichkeit die Achtung des Kenners erringen und die Seite unsers Herzens so sanft melodisch berühren, bewog mich diese sehr schönen Variationen mir eigen und bey den schäzbaresten Musikliebhabern dadurch ein neues Verdienst zu machen, da ich ihnen neue Arbeit erbiete, die dem Verfasser neuerdings Ehre macht. – So ich mich nach und nach bestreben werde alle übrigen Variationen dieses vortrefflichen Meisters dem hochachtbaren Publicum gestochener in die Hände zu liefern.«


14 Von den gedruckten Variationen Mozarts gehören nachweislich früherer Zeit an


1. 2 Oeuvr. XVII, 4. 5 im neunten Jahr componirt.

3 Oeuvr. II, 11 über Fischers Menuett, schon 1774 componirt (II S. 611).

4 Oeuvr. II, 5 Je suis Lindor, vor 1781 componirt (III S. 11). Es ist bereits bemerkt daß damals schon 3 Airs variés in Paris gestochen waren; ob diese und welche etwa von den übrigen dazu gehören mögen kann ich nicht entscheiden. Für die sonst noch bekannten Variationen finde ich zum Theil in Mozarts thematischem Verzeichniß, zum Theil durch Ankundigungen in der Wiener Zeitung 1785 und 1786, sowie das bis zum Jahr 1787 reichende Supplemento XVI dei cataloghi di Breitkopf einigen Aufschluß. Im Juli 1781 erwähnt Mozart drei Arien mit Variationen, welche er aber nicht näher bezeichnet. Ins Jahr 1784 gehören


5 Oeuvr. XVII, 6 Come un agnello (III S. 304).

6 Oeuvr. II, 4 »Unser dummer Pöbel« (III S. 194. 204).


Im Jahr 1785 bereits erschienen waren


7 Oeuvr. II, 2. Lison dormoit.

8 Oeuvr. II, 3. La belle Françoise.

9 Oeuvr. II, 10. Salve tu domine.

10 Oeuvr. XI, 6. La bergère Silimène (mit Violine).

11 Oeuvr. XI, 7. Hélas, j'ai perdu mon amant (mit Violine).


Im Jahr 1786 componirt sind


12 Oeuvr. II, 12. d. 12 Sept.

13 Oeuvr. VIII, 3 (vierhändig) d. 4 Nov.


und im selben Jahr als gedruckt angekündigt


14 Oeuvr. II, 1. Marche des mariages Samnites (von Gretry) im Jahr 1787 noch angezeigt

15 Oeuvr. II, 9. Ah, vous dirais-je maman

16 über das Thema


12.

nicht abgedruckt in den Oeuvres, und mir nicht bekannt.


Dann folgen


17 Oeuvr. II, 7 über ein Menuett von Duport, comp. 9. Apr. 1789.

18 Oeuvr. II, 8. »Ein Weib ist das herrlichste Ding,« comp. 8. Apr. 1791.


Ohne allen äußeren Nachweis bin ich über


19 Oeuvr. VI, 10. Mio caro Adone.

20 Oeuvr. VI, 12.

21 Oeuvr. XVII, 8.


Dagegen steht es fest daß die Variationen über ein Thema von Dittersdorf (Oeuvr. VI, 11) von Eberl sind, wie dieser im Hamburger Correspondenten (25 Juli 1798 N. 118 Beil.) erklärt hat, und ihm gehören auch die oft unter Mozarts Namen gedruckten Variationen über das Thema: »Zu Steffen sprach im Traume« an. Ferner rühren die Variationen über ein Thema aus Sartis I finti eredi (Oeuvr. VI, 9) von Förster her. Mozarts Wittwe behauptete auch in Briefen an Hartel (25. Mai; 15. Juni 1799) mit Berufung auf wohlunterrichtete Freunde aufs bestimmteste, die Variationen Une fièvre brulante (Oeuvr. II, 6), über deren Echtheit auch Siebigke (Mozart S. 68) Zweifel äußerte, seien nicht von Mozart, und gewiß mit Recht. Eine neue Ausgabe der echten Variationen ist kürzlich bei Breitkopf u. Härtel erschienen.


15 In den Sonaten für Klavier und Violine Oeuvr. IV, 3. 5. IX, 1 (Peters 9. 11. 16), in den Trios Oeuvr. X, 4. XII, 1 (Part. 5. 1).


16 Oeuvr. I, 2. 5.


17 Man vergleiche die Bemerkungen von Marx über Mozarts Variationen (Lehre von der musik. Kompos. III S. 84ff.).


18 Unter dem Titel Zwölf Klavierstücke von Mozart sind diese einzelnen Sätze – nämlich drei Rondos, vier Phantasien, Ouverture (oder vielmehr Suite III S. 378), Adagio, Marsch, Gique und Menuett – in einer neuen Ausgabe bei Breitkopf und Härtel erschienen.


19 Diese drei Rondos sind


1. in D-dur, vor 1784 componirt und nirgend erwähnt, Oeuvr. VI, 4.

2. in F-dur, comp. 10. Juni 1785, Oeuvr. III, 7p. 61, wo es willkührlich, aber nicht eben unpassend, mit zwei anderen am 3. Jan. 1785 componirten Sätzen zu einer Sonate verbunden ist.

3. In A-moll, comp. 11. März 1787, Oeuvr. VI, 5.


Das zweite Rondo in F-dur (Oeuvr. VI, 3) ist, wie schon bemerkt (III S. 389) ursprünglich für ein Walzenwerk geschrieben, und im leichten Charakter der beiden ersten gehalten.


20 Eine Eigenthümlichkeit des Rondo in D-dur ist daß das oft wiederholte Thema, wie dies häufig bei Ph. Em. Bach geschieht, in verschiedenen Tonarten wiederkehrt, was natürlich in den Zwischensätzen eine wechselnde Modulation voraussetzt.


21 Dies Rondo ist analysirt von Marx (Lehre v. d. mus. Kompos. III S. 150ff.).


22 Sie ist 29. Mai 1785 componirt und von Mozart zugleich mit der schon 14. Oct. 1784 componirten Sonate in C-moll (Oeuvr. VI, 2) als Op. 11 veröffentlicht. Ueber den Vortrag dieser Phantasie schrieb Mozart die Briefe an Frau v. Trattner (III S. 65), deren Wiederauffindung von großem Interesse sein würde; durch seine Art sie zu spielen setzte er Jos. Frank in so großes Erstaunen (III S. 194).


23 Von ähnlicher Anlage scheint das schon erwähnte Präludium für seine Schwester gewesen zu sein nach der Angabe Stadlers (III S. 509, 23): »Es hebt an mit Allegretto, geht dann über in ein Capriccio, worauf ein Andantino folgt; dann kommt ein Cantabile und ein Capelecio Allegro macht den Beschluß.«


24 Interessante und genaue Belehrung über die Geschichte der Klaviersonate giebt Im. Faißt (Cäcilia XXV S. 129f. 201ff. XXVI S. 1ff. 73ff.).


25 Faißt führt drei Klaviersonaten von Leop. Mozart an, welche in den bei Haffner in Regensburg zwischen 1755 und 1765 gedruckten Oeuvres melées erschienen sind. Sie sind bemerkenswerth, insofern sie das zweite Thema klar und bestimmt hinstellen, ein wesentlicher Punkt in der Entwickelung der Sonatenform (Cäcil. XXVI S. 20f.), und in der ganzen Haltung und im Geist so vorgeschritten daß man nach Faißts Urtheil schon seinen großen Sohn zu hören meint (Cäcil. XXVI S. 82f.).


26 Vgl. die treffenden Bemerkungen von Marx (Lehre von der musik. Komposit. III S. 588f.) sowie dessen näher eingehende Erörterungen (ebend. III S. 215ff.).


27 Interessant sind in dieser Hinsicht die beiden 3. Jan. 1788 componirten Sätze in F-dur, Allegro und Andante (Oeuvr. III, 7 wo wie schon S. 14 bemerkt ein nicht dazu gehöriges Rondo hinzugefügt ist), welche durchweg contrapunktisch gehalten sind. Aber auch in leicht gehaltenen Sonaten, wie in B-dur (Oeuvr. IX, 5) und D-dur (Oeuvr. XVII, 1), macht sich doch das Wesen der selbständigen Stimmführung in manchen Einzelnheiten charakteristisch geltend.


28 Daß diese Weise der Behandlung die Zeitgenossen vielfach befremdete sieht man z.B. aus einer Kritik in der musik. Real-Zeitg. 1788 S. 50, wo es über die Sonate für Klavier und Violine in Es-dur (Oeuvr. IX, 4 Pet. 16) heißt: »Auch diese Sonate des Hrn. M. wird wegen ihrer gefälligen Manier bei den Liebhabern der Kunst ihr Glück machen. Nur wäre zu wünschen, Hr. M. ließe sich weniger vom Modegeschmack unsers Zeitalters fesseln: seine Arbeiten würden dadurch noch einen allgemeineren und zugleich dauerhafteren Werth erhalten. Und daß es Hrn. Moz. nicht an guten Grundsätzen der Harmonie noch an Reichthum der Phantasie fehlt uns stärkere Speise vorzusetzen, dafür bürgt uns diese und mehrere bekannte Arbeiten desselben.« Der Kritiker ist derselbe, welcher Variationen in Bachscher Weise wünschte (S. 9), er vermißte also die strenge contrapunktische Form; dagegen kam ihm der Durchführungssatz viel zu lang vor. »Man hat zwar in dem System der Tonwissenschaft keine bestimmte Vorschrift in solchen Fällen, doch sieht man daß ein Unterschied von 3 Seiten kein wahres Verhältniß ist.«


29 Ph. E. Bach sagt in der Vorrede zu seinen Sechs Sonaten fürs Clavier mit veränderten Reprisen (Berlin 1759): »Das Verändern beim Wiederholen ist heut zu Tage unentbehrlich. Man erwartet solches von jedem Ausführer. Einer meiner Freunde giebt sich alle mögliche Mühe ein Stück, sowie es gesetzt ist, treu und den Regeln des guten Vortrags gemäß herauszubringen, sollte man ihm wohl den Beifall versagen können? Ein anderer, oft aus Noth gedrungen, ersetzt durch seine Kühnheit im Verändern das was ihm am Ausdruck der vorgeschriebenen Noten fehlet; nichtsdestoweniger erhebt ihn das Publicum vor jenem. Man will beinahe jeden Gedanken in der Wiederholung verändert wissen, ohne allezeit zu untersuchen, ob solches die Einrichtung des Stücks und die Fähigkeit des Ausführers erlaubt. Bloß dies Verändern, wenn es zumal mit einer langen und zuweilen gar zu sonderbar verzierten Cadenz begleitet ist, preßt oft den meisten Zuhörern das Bravo aus. Was entsteht nicht daher für ein Mißbrauch dieser zwo wirklichen Zierden der Ausführung.« Bach schrieb deshalb die Wiederholungen in der Art verziert hin, wie er es angemessen fand. Diese durchgeführte Manier zu verzieren kam wohl später ab, es ward Sache des Componisten anzugeben, inwieweit bei Wiederholungen das ursprüngliche Motiv ausgeschmückt werden sollte; doch blieb noch lange dem Spieler ungleich mehr Freiheit als ihm jetzt zugestanden wird.


30 Zuerst erschienen als Opus 6 III Sonate da W. A. Mozart (Oeuvr. I, 1. 2. 3); das Autograph von 1 und 3 (André Verz. 234. 235) trägt von Mozarts Hand eben diese Zahlen. Die früher von mir geäußerte Vermuthung daß diese Sonaten Jugendarbeiten Mozarts seien (I S. 611) ist mithin unbegründet und unwahrscheinlich, weil Mozart dergleichen sonst nicht selbst veröffentlicht hat. – Hierauf kamen als Op. 7 im Jahr 1784 drei Sonaten heraus, deren dritte die für die Strinasacchi componirte mit obligater Violine war (III S. 292); die beiden anderen sind Oeuvr. I, 4 (André Verz. 237); 5 (André Verz. 236, 6). – Dann folgen die durch Mozarts thematisches Verzeichniß bestimmten


1 comp. 14 Oct. 1784 in C-moll (Oeuvr. VI, 2), mit der bereits S. 17ff. besprochenen Phantasie 1785 als Op. 11 herausgegeben.

2 comp. 3 Jan. 1788 in F-dur, zwei Sätze (Oeuvr. III, 7).

3 comp. Juni 1788 »eine kleine Klaviersonate für Anfänger« in C-dur, meines Wissens nicht gedruckt.

4 comp. Febr. 1789 in B-dur (Oeuvr. IX, 5), »auf Klavier allein«; mit einer offenbar nicht von Mozart herrührenden accompagnirenden Violinstimme gedruckt (Pet. 14).

5 comp. Juli 1789 in D-dur (Oeuvr. XVII, 1).


31 In einem Brief vom 24 Nov. 1781 wird eine vierhändige Sonate erwähnt, welche für eine Soiree der Aurnhammer componirt war (III S. 67. 138); dies kann wohl nur die in D-dur (Oeuvr. VII, 3) sein, obgleich sie dafür fast zu leicht erscheint. Dann finden sich im thematischen Verzeichniß

1 comp. 1 Aug. 1786 in F-dur (Oeuvr. VII, 2).

2 comp. 29 Mai 1787 in C-dur (Oeuvr. VIII, 4).

Eine vierhändige Sonate in G-dur, von welcher Mozart den ersten Satz und Variationen theilweise niedergeschrieben hatte, ist von Jul. André abgeschlossen und herausgegeben worden. – Der vierhändigen Variationen in G-dur (Oeuvr. VIII, 3) ist bereits S. 13 gedacht.


32 Auf dem Autograph (André 239) steht von Mozarts Hand: di Wolfgango Amadeo Mozart 1784; sie war also vor dem 9 Febr. componirt, mit welchem das eigenhändige Verzeichniß beginnt.


33 Die Violinsonaten Mozarts außer den frühesten Jugendarbeiten sind auch in einer eleganten Partiturausgabe in Leipzig bei Peters erschienen, deren Nummern ich neben der der Oeuvres angeben werde. Im November 1781 erschien als Opus 2 (III S. 32. 65f.) die erste Sammlung von 6 Sonaten für Klavier und Violine, die zum Theil schon früher componirt waren; es sind


1 Oeuvr. IV, 1 (Peters 7) in F-dur (André Verz. 230).

2 Oeuvr. IV, 2 (Peters 8) in C-dur (André Verz. 226), componirt 1778 in Mannheim (II S. 134).

3 Oeuvr. IV, 3 (Peters 9) in F-dur, auf dem Autograph (André Verz. 229) als Sonata 3 bezeichnet.

4 Oeuvr. IV, 4 (Peters 10) in B-dur (André Verz. 291), in Salzburg componirt (III S. 65).

5 Oeuvr. IV, 5 (Peters 11) in G-dur (André Verz. 228).

6 Oeuvr. IV, 6 (Peters 12) in Es-dur, auf dem Autograph (André Verz. 227) alsSonata I bezeichnet.

7 Im Jahr 1782 fing er eine Sonate für seine Constanze in C-dur an; ein zweitheiliges Andante, das wahrscheinlich variirt werden sollte, ist niedergeschrieben und der Anfang eines Schlußsatzes, welchen André mit einigen Takten abschloß und die Kleinigkeit als Sonatine herausgab.

8 Das Bruchstück einer Sonate in A-dur, mit einem einleitenden von Mozart ganz vollendeten Andante, auf welches eine Fuge in A-moll folgt, welche nur zur Hälfte ausgearbeitet war (Beil. XXII, 21), ist mit Stadlers Ergänzung gedrucktOeuvr. IX, 1 (Peters 13); es gehört gewiß in die Zeit des ersten Verkehrs mit van Swieten (III S. 374).


Hiernach folgen die aus dem thematischen Verzeichniß bekannten


9 comp. 21 April 1784 für die Strinasacchi (III S. 291f.), in B-dur, Oeuvr. IX, 3 (Peters 15).

10 comp. 12 Decbr. 1785 (in Es-dur) (André Verz. 232), Oeuvr. IX, 4 (Peters 16).

11 comp. 24 April 1787 in A-dur (André Verz. 233), Oeuvr. IX, 2 (Peters 17).

12 comp. 10. Juli 1788 »eine kleine Violinsonate für Anfänger« in F-dur (Peters 18).


34 Man vergleiche nur die Erzählung in C. Pichlers Denkwürdigkeiten I S. 90f.


35 Den Anfang eines streng fugirten Allegro (8) hat Mozart nicht vollendet, man kann daher auch nicht sagen wie er diesen Satz ausgeführt haben würde, schwerlich so wie Stadler ihn ergänzt hat. Das ausgeführte Adagio, welches demselben als Einleitung dient, ist sehr schön und ernst gehalten und bereitet auf etwas Bedeutendes vor.


36 Um sich das Verhältniß klar zu machen kann man die Sonate in B-dur (Oeuvr. IX, 5. Pet. 14) vergleichen, welcher man, weil sie sehr leicht und durchsichtig gehalten ist, später noch eine Violinstimme zugesetzt hat. Dies ist mit Geschick gemacht, allein bei genauerer Betrachtung wird man finden, daß die Violinstimme der ursprünglichen Anlage nach nirgends nothwendig, sondern nur möglich ist; bei den eigentlichen Violinsonaten ist dagegen dieselbe, auch wenn die Anlage noch so einfach ist, immer als eine zum Ganzen wesentliche aufgefaßt.


37 Die Trios sind außer in den Oeuvres auch in einer eleganten Partiturausgabe bei Breitkopf u. Härtel erschienen, deren Nummern ich hinzusetze. Der Zeit nach ordnen sie sich so


1 comp. 8 Juli 1786, in G-dur. Oeuvr. XII, 1. Part. 1.

2 comp. 18 Nov. 1786, in B-dur (André Verz. 221). Oeuvr. X, 1. Part. 2.

3 comp. 2 Juni 1788, in E-dur (André Verz. 222).Oeuvr. X, 3. Part. 3.

4 comp. 14 Juli 1788, in C-dur (André Verz. 223). Oeuvr. X, 2. Part. 4.

5 comp. 27 Oct. 1788, in G-dur (André Verz.

224). Oeuvr. X, 4. Part. 5.


38 Im ersten Satz des Trios in B-dur (2) ist auffallend daß kein neues zweites Thema eintritt, sondern an dessen Stelle das erste Motiv, nur etwas anders gewendet; dafür eröffnet den zweiten Theil eine ganz neue selbständige Melodie.


39 Ein bemerkenswerthes Beispiel der Art ist im letzten Satz des ersten Trios die Stelle in G-moll, wo die Violine melancholisch den Takt


12.

viermal wiederholt und dann bis zum g herabschleicht, während das Violoncell in Viertelnoten einen ausdrucksvollen Baßgang ausführt, wozu das Klavier über beiden Instrumenten zweistimmig in Achteln sich bewegt: eine Wirkung des Klangs und Motivs, welche in neuester Zeit als etwas Eigenthümliches vielfach in Anspruch genommen ist.


40 Es ist gedruckt Oeuvr. XII, 2. Part. 7 (André Verz. 220).


41 Auf dem Originalmanuscript (André Verz. 219) ist die eigenhändige Bemerkung: Di Wolfgango Amadeo Mozart Vienna li 16 d'Ottobre 1785; im thematischen Verzeichniß ist es nach der maurerischen Trauermusik vom Monat Juli mit der Ueberschrift detto eingetragen. Ob dies ein Versehen sei, oder ob Mozart es damals angefangen und später vollendet habe möchte kaum zu entscheiden sein.


42 Sie erschienen zuerst, wie schon (III S. 222) bemerkt ist, in den von Hoffmeister in Wien unter dem Titel Prenumeration pour le Pfte herausgegebenen Monatsheften, dann in den Oeuvres, das in G-moll XIII, 1, das in Es-dur XIII, 2.


43 Um doch ein Beispiel zu erwähnen erinnere ich an die wunderbare harmonische Fortschreitung von tief sehnsüchtigem und weichem, fast träumerischem Ausdruck im Larghetto des Quartetts in Es-dur.


44 Journal des Luxus und der Moden 1788 S. 230ff.


45 Forkel, der sonst von Mozart gar keine Notiz nimmt, sagt doch von diesem Aufsatz, man merke daß der Verfasser ein Dilettant sei, dem es an Kunstkenntniß fehle und der also nur nach einem gewissen äußeren Anschein zu urtheilen vermöge (musik. Alman. 1789 S. 119).


46 Als Quartett für Klavier und Saiteninstrumente arrangirt kam es ohne Mozarts Wissen in Wien heraus (III S. 218f.) und ist auch so in die Oeuvres XIV aufgenommen. Als Concertante pour Violon principale Hautbois Clarinette Cor Basson Violoncelle Alte et Basse par W. A. Mozart wurde es in Augsburg bei Gompart u. Comp. gedruckt. Die Blasinstrumente sind unverändert geblieben, die Klavierpartie ist unter die Saiteninstrumente vertheilt, dies ist aber auf eine so ängstlich mechanische und ungeschickte Weise ausgeführt, Begleitungsfiguren und Passagen sind so ohne alle Rücksicht für den Charakter des Instruments auf die Violine übertragen, daß es nicht zweifelhaft sein kann, daß Mozart selbst daran völlig unbetheiligt war. Handschriftliche Stimmen, in denen die Partie der Clarinette einer zweiten Violine, die des Horn's einer zweiten Bratsche übertragen waren, habe ich gesehen; ich weiß nicht, ob sie gedruckt sind, doch soll es noch andere Arrangements dieses Quintetts geben.


47 Ein zweites Quintett für Klavier, Oboe, Clarinette, Bassethorn und Fagott war von Mozart nur angefangen worden (Beil. XXII, 12).


48 Es hat sich eine Art von Legende unter den Reminiscenzensuchern gebildet daß die nichts bedeutenden Anklänge an Mozartsche Motive, auffüllend namentlich im zweiten Satz, von Beethoven beabsichtigt seien als eine Huldigung Mozarts! – Eine Parallele beider Quintetts giebt in seiner Weise Lenz Beethoven III S. 160ff.


49 Die vollständigste Sammlung Mozartscher Concerte, in welche auch einige frühere aufgenommen wurden, erschien bei Breitkopf u. Härtel in 20 Heften, deren Nummern ich angeben werde sowie die der Opuszahl, mit welcher sie einzeln bei André in Offenbach herausgekommen sind. Eine Ausgabe von Mozarts Klavier-Concerten in Partitur ist von einem Verein von Tonkünstlern und Musikgelehrten (Offenbach bei André) begonnen, bis jetzt zwei Suiten von je 6 Heften. Ihre chronologische Folge ist diese:


1. comp. Ende 1782 in F-dur (André Verz. 200) N. 12.

2. comp. anfangs 1783 in A-dur (André Verz. 201) N. 10.

3. comp. anfangs 1783 in C-dur (André Verz. 202) N. 3.

Diese drei Concerte gab er im Januar 1783 auf Subscription in Abschrift heraus (III S. 216), später erschienen sie bei Artaria als Op IV gedruckt (in der Reihenfolge 2. 1. 3.).

4. comp. 9 Febr. 1784 in Es-dur (André Verz. 203 »di Wolfg. Amadeo Mozart per la Sgra. Barbara de Ployer Vienna li 9 di Febr. 1784«). N. 14. Op. 23.

5. comp. 15 März 1784 in B-dur. N. 4. Op. 67. Part. 5.

6. comp. 22 März 1784 in D-dur (André Verz. 204). N. 13. Op. 20.

7. comp. 12 April 1784 in G-dur (André Verz. 205 »di Wolfgango Amadeo Mozart Vienna li 12 d'Aprile 1784 per la Sgra. Barbara Ployer«). N. 9. Op. 15. Part. 2.

8. comp. 30 Sept. 1784 in B-dur (André Verz. 206). N. 11. Op. 21.

9. comp. 11 Dec. 1784 in F-dur (André Verz. 207). N. 3. Op. 44. Part. 10.

10. comp. 10 Febr. 1785 in D-moll. N. 8. Op. 54. Part. 3.

11. comp. 9 März 1785 in C-dur (André Verz. 208 »di Wolfgango Amadeo Mozart nel Febraio 1785«). N. 1. Op. 82, 6. Part. 6.

12. comp. 16 Dec. 1785 in Es-dur (André Verz. 209 »di Wolfgango Amadeo Mozart Vienna li 18 di Dec. 1785«). N. 6. Op. 82, 4. Part. 1.

13. comp. 2 März 1786 in A-dur (André Verz. 210). N. 2. Op. 82, 5. Part. 4.

14. comp. 24 März 1786 in C-moll (André Verz. 211). N. 7. Op. 82, 3. Part. 7.

15. comp. 4 Dec. 1786 in C-dur (André Verz. 212). N. 16. Op. 82, 1. Part. 8.

16. comp. 24 Febr. 1788 in D-dur (André Verz. 213). N. 20. Op. 46. Dies Concert wird unter dem Namen Krönungsconcert angeführt, weil Mozart es 1790 in Frankfurt während der Krönungsfeierlichkeiten gespielt habe; nach anderen N. 9. Vgl. S. 555.

17. comp. 5 Jan. 1791 in B-dur (André Verz. 214).

N. 15. Op. 82, 2. Part. 9.


Außerdem legen die Entwürfe zu Klavierconcerten (Beil. XXII, 2–9) Zeugniß von seiner lebhaften Beschäftigung mit dieser Gattung von Compositionen ab. Ein Concertrondo mit der Aufschrift di Wolfgango Amadeo Mozart Vienna 19 Oct. 1782 ist fast ganz vollendet (André handschr. Verz. C 1). Eine Sammlung von 20 Mozartschen Klavier-Concerten in Partitur ist in Paris bei Richault erschienen.


50 Für Barbara von Ployer waren zwei geschrieben (N. 4 und 7 vgl. III S. 193f.), eins für Frl. Paradies, wahrscheinlich N. 8 (III S. 208).


51 Wie diese Urtheile lauteten wissen wir nicht; ein späterer Recensent empfahl das Concert in B-dur (N. 5) als ein sehr gefälliges, wohlklingendes, eben nicht ungeheuer schweres und doch ziemlich brillantes, das zwar nicht so sehr gearbeitet sei als manche bekannte und neuere Concerte Mozarts, aber wegen der schwächeren und im Ganzen leichteren Instrumentalbegleitung sehr brauchbar sei (A. M. Z. II S. 12f.). Mir scheint von jenen drei Concerten das in G-dur den ersten Rang zu behaupten.


52 Dies ist ganz richtig von Rochlitz hervorgehoben, der es in folgender Weise ausführt (A. M. Z. III S. 28f.): »In den Concerten ging Mozart von der bis auf ihn einzigen Form ab und schuf allein eine neue. Bis auf Mozart war es ohne alle Ausnahme allen Componisten für diese Gattung Grundsatz (deshalb auch in die Theorien einzig aufgenommen und, wie es nun geht, als einzig möglich in ihnen deducirt): im Concert ist die Solostimme das einzig Bedeutende, ist Alles. Das Accompagnement ist allein begleitend und nur da jene desto mehr glänzen zu machen. Dies (mithin auch Ritornell u.s.w.) muß absichtlich, auch in Idee und Ausführung, geschwächt, alles Erhebliche muß aufgespart, höchstens dunkel und flüchtig angedeutet werden, um den Solospieler und seine vorzüglich gearbeiteten Sätze desto herrlicher hervorgehen und seinen Vortrag desto mehr wirken zu lassen. Mozart erwählte und that das Gegentheil (ob mit hinlänglichem Grunde ist hier der Ort nicht auszumachen). Er nahm an: Das Concert ist das Höchste der Musik im Zartern – als Gegensatz der Symphonie, des Höchsten im Großen. Alles, was zur Erreichung dieses Zwecks beitragen kann, muß in höchstmögliche Bewegung gesetzt werden; mithin müssen alle Stimmen vollkommen gearbeitet sein, der Solospieler muß nur die hervorstechendste unter diesen haben, die Ritornelle müssen große Erwartungen erregen, den Geist spannen, beflügeln; auch die natürlichen Reize aller Instrumente zum Accompagnement müssen in hervorstechendes, anmuthiges Spiel gesetzt werden u.s.w. (Es ist wohl nicht erst nöthig anzumerken daß der für Wissenschaften und Kunstphilosophie so gar nicht gebildete Mozart diese Grundsätze nicht deducirte, diese Plane nicht entwickelte und berechnete, sondern ihm gab es in dämmernder Ahnung sein Gefühl – der Gott in ihm. Und so ists auch schon recht.) So wurden diese in ihrer Art auch jetzt noch [1800] fast einzig dastehenden Werke geschaffen. Sehen wir auf ihren Charakter und auf ihr Vollendetes, so findet sich – alles Zufällige allerdings abgerechnet – die größte Aehnlichkeit in Geist, Tendenz und reinem Kunstwerth mit den vollendetsten Quartetten Mozarts.«


53 Mozart hat übrigens bei den Concerten nur ausnahmsweise alle Blasinstrumente verwandt, meistens nur einige in verschiedener Auswahl; die von ihm benutzten treten aber allemal sehr hervor und sind vielfach obligat behandelt.


54 Siebigke Mozart S. 69.


55 Unter dem Titel Cadences ou points d'orgue pour le Pianoforte composées par W. A. Mozart et se rapportant à ses Concerts sind bei André in Offenbach 35 Cadenzen zu mehreren Concerten erschienen. Sie scheinen von Mozart für Schüler niedergeschrieben zu sein, welche seine Concerte spielten; sie sind weder sehr schwierig noch im Detail ausgeführt und geben von der Bedeutung seiner improvisirten Cadenzen gewiß keine Vorstellung.


56 Im Concert in F-dur (1) ist der letzte Satz ein rondoartiges Tempo di Menuetto nach älterer Weise (I S. 606), wie es auch in einer Violinsonate (3) sich findet.


57 Die Skizze des Anfangs von einem anfangs für dies Concert bestimmten Rondo, im Archiv des Musikvereins in Wien, ist vor der Partitur des Concerts in B-dur (5) mitgetheilt. Mozart hat das ungleich feurigere Thema des jetzigen Rondo sicherlich mit Recht später vorgezogen.


58 Grade von dem Andante des Concerts in C-moll erfahren wir daß es bei der Aufführung hatte wiederholt werden müssen (III S. 209). Dazu mochte außer den wirklich schönen Melodien wohl besonders die glänzende, obligate Behandlung der Blasinstrumente beitragen, welche damals wo das etwas ganz Neues war freilich eine andere Wirkung als jetzt machen mußte.


59 Die ersten drei für das größere Publicum bestimmten sind, wie Mozart sie ganz richtig bezeichnet, von leichterem Charakter, sowie das für Frl. Ployer geschriebene Concert in Es-dur (4), das wahrscheinlich für Frl. Paradies bestimmte Concert in B-dur (8); diesen am nächsten stehen die Concerte in D-dur (6) und F-dur (9).


60 In Reichardts musik. Wochenblatt (1791 S. 19) berichtet C. Spazier über Hrn. C. Rick, »der ein Concert von Mozart auf dem Pianoforte spielte und darin die empfindungsvollen Stellen sowohl als auch die eigenthümlichen Züge dieses reichen Künstlers gut aushob, der – wie alle größern Genies, welchen die Kunst zu der bizarresten Seelenschwelgerei zu Gebote stehen muß – sich zuweilen in den seltsamsten Paradoxien gefällt. Es macht viel Vergnügen ein Kunstgenie dieser Art einen seltenen Gang mit Leichtigkeit nehmen zu sehen, wobei man die Ahnung hat daß es Andern die ungeheuerste Anstrengung kosten würde«.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 4, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1859, S. 1.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon