[198] Sieben und zwanzigstes Schreiben.

Von des Königs in Sardinien Lustschlössern um Turin.

Mein Herr!


Das Lustschloß, welches am meisten von der königlichen Herrschaft besuchet wird, ist die Venerie, als woselbst der Hof gemeiniglich vom Frühlinge bis in den December zu bleiben pfleget. Rand rechts: La Venerie. Sie liegt eine gute Stunde von Turin, der Weg ist gepflastert und mit Sande befahren, zwischen schönen Wiesen, Feldern und Weingärten, meistentheils in Alleen, die aber nicht beständig gerade zu gehen. Eine Vierthelstunde vor der Stadt kömmt man über die Campagne de nôtre Dame, wo man im Jahre 1706 durch das französische Retranchement (welches zwischen den Aeckern noch mit Marksteinen abgezeichnet ist) eingebrochen ist. Rand rechts: Ort der Bataille 1706. Vor dem königlichen Schlosse ist eine gerade Gasse von steinernen Häusern, zwey Stockwerke hoch in einer geraden Linie, außer welcher keine andere Bürgerhäuser anzutreffen sind. Von dem Schlosse selbst ist noch nichts fertig, als die eine Seite: und muß auch das itzt noch stehende Corps de Logis weggenommen werden, wenn man mit dem neuen Baue fortfahren soll. In zwo Kammern vor des Königs Zimmern sind in Lebensgröße die Portraite von dreyßig Vorfahren des itzigen Königs (von Beroaldo Saxone an) mit lateinischen Unterschriften, in welchen ihre vornehmsten Thaten enthalten sind, zu bemerken. Rand rechts: Gemälde. Ferner ist ein Zimmer mit Portraiten von deutschen Kaisern, ein anders von Königen von Frankreich, und noch ein anderes von englischen Königen, behängt.

Die Galerie ist, wasdie Zierrathen anlanget, noch nicht ausgebauet, übrigens aber sehr hoch, hundert und fünf und zwanzig Schritte lang und zwey und zwanzig breit. Rand rechts: Galerie. An jeder Thüre stehen zwo große Seulen von rothem und weißem Marmor, die unten her gewundensind, und über dem Eingange das königliche Wapen mit einem Brustbilde. Der Fußboden ist mit abwechselnden grünen und weißen Quadersteinen von Marmor belegt. Der Baudirector Filippo hat diesen Bau, der sehr gerühmt wird, angegeben. Der König geht hier vor der Mittagsmahlzeit gemeiniglich spazieren, sonderlich wenn es schlimmes Wetter ist; und alsdann kann man leicht Gehör haben. Aus dieser Galerie kömmt man in das Gebäude, worinnen der Prinz von Piemont mit seiner Gemahlinn wohnet, und hernach in die Hofkapelle. Hinter denselben ist die Orangerie und der Marstall in ein Gebäude gebracht, so zwey hundert und dreyßig Schritte in der Länge hat. Rand rechts: Orangerie. Marstall. Indem Marstalle stehen über zweyhundert und zwanzig Pferde: und muß man die Handschuhe abziehen, ehe man hineingeht, wenn man nicht derselben oder eines Trinkgeldes verlustig seyn will.

Was mir à la Venerie am besten gefallen, ist die Schloßkapelle, welche Filippo angegeben. Rand rechts: Treffliche Schloßkapelle. Die Cuppola ist schön hoch, und unten herum stehen die aus Rom gekommenen Statuen St. Anbrosii, St. Chrysostomi, St. Augustini und St. Hieronymi, aus weißem Marmor in Riesengröße, auf rothen, grünen und gelben marmornen Fußgestellen. Der große Altar ist gleichfalls vortrefflich, und findet man kaum eine Farbe von Marmor, so in dieser Kirche bey Seulen und Altären nicht angebracht sey.

Der Garten am Schlosse besteht itzt nur in Hecken und Alleen; Rand rechts: Garten. ehemals waren schöne Wasserwerke und Grotten, la Fontaine d'Hercule und der Tempel Dianä darinnen zu[199] sehen, davon man auch die Beschreibung und Kupfer im Nouveau Theatre de Piemont hat; allein alles dieses ist eingegangen. Theils sind diese Dinge von den Franzosen ruiniret worden, theils hat der König sie abtragen lassen, um etwas neues dafür anzulegen: und dieses letzte ist noch nicht erfolget, wird auch vermuthlich so bald nicht geschehen.

Rivoli ist das andere königliche Lustschloß, drey Stunden von Turin gegen Suse zu. Rand links: Rivoli. Der ganze Weg ist zwischen Feldern, Wiesen und Weinwachs, in einer schnurgeraden Allee, die vielleicht ihres Gleichen nicht hat, und erst nach dem Entsatze von Turin, nämlich im Jahre 1712 angelegt worden, nachdem die Franzosen währenden ihres feindlichen Aufenthalts alle Bäume in der ganzen Gegend ausgerottet hatten. Die Aussicht dieser Allee ist nicht zu verbessern. An dem einen Ende liegt das Schloß Rivoli auf einer Höhe, am andern die Stadt Turin, und zwo Stunden über selbige hinaus in gerader Linie die prächtige Kirche Superga. Rivoli hat die besten Zimmer und Gemälde; die königliche Herrschaft wohnet daselbst viel besser als à la Venerie oder in Turin; die Luft ist immer heiter und gesund; man hat vielen Appetit zum Essen, allein auch wegen der subtilen Luft wenigern Schlaf, Sollte der Bau dieses Schlossesausgeführet werden: so würde er noch über fünf Millionen Livres de Piemont erfodern, weil sonderlich zu Anlegung des Gartens ein großer Hügel abgetragen werden müßte. Das Gebäude liegt erhöhet an einem Berge, und wenn der König itzt spazieren gehen will, muß er erst bergan steigen, bis er in eine artige ebene Allee zwischen lauter Weinreben kömmt. Der Chevalier de Visq hat sie angegeben, daher sie auch L'Allee de Visq genennet wird. Es sind schon viele Jahre verflossen, da man weder in Rivoli noch à la Venerie den Bau mit Ernste fortsetzet. Der König widmet jährlich nicht allzugroße Summen dazu: und wenn diese verbraucht sind, so hat das Bauen seinen Anstand, sollte man auch erst im Monate Junius sich befinden. Rand links: Gelübde der Kirche Superga. Die Hauptursache, warum der Schloßbau in Ruhe liegen bleibt, mag wohl die Kirche Superga seyn, welche der König als ein Gelübde von der Zeit der letzten Belagerung, gern vor andern zu Stande bringen will. Es liegt solche auf dem höchsten Berge in der ganzen Gegend von Turin: es war also der Ort sehr bequem, daß der König von daraus die französische Armee und die feindlichen Retranchements in Augenschein nahm. Man brauchet anderthalb Stunden, um dahin zu reiten; wenn man aber einen Wagen nehmenwill, so hat man einen großen Umschweif zu machen, und an statt dreyer piemontesischen Meilen achte zurück zu legen. Weilalle Materialien auf einen hohen Berg, wo noch niemand wohnet, gebracht werden müssen: so kann man leicht erachten, was dieses Werk für unglaubliches Geld gekostet, und daß noch mehr als eine Million Livres de Piemont zu dessen Ausführung erfodert werde. Das Gewölbe der Kirche liegt zwischen zween artigen Thürmen, und ruhet dessen Cuppola auf achtgrossen korinthischen grauen oder vielmehr graugrünlichen Seulen aus Marmor, deren Fußgestelle mannshoch und von dergleichen mit weiß vermischtem Marmor sind. Die vördere Seitendieser Fußgestelle sind mit großen Tafeln von weißem und rothem Marmor ausgelegt, und zwar so artig, als wenn man Achattafeln, die einerley Figuren und Adern haben, zusammen gesetzt hätte; wie denn auch nicht zu leugnen, daß die meiste Arbeit von Backsteinen und nur mit Marmorblättern oder Tafeln überzogen oder, wie man es nennt, incrustiret ist. Von Altären ist noch kein einziger fertig; alle aber sind angefangen. Ueber den acht gemeldeten hohen Seulen geht ein Umgang innerhalb der Cuppola herum, welcher acht Fenster in seiner Rundung hat. Er hält hundert gemeine Schritte und hat man etliche und achtzig Stuffen hinauf zu steigen, woraus die Höhe der acht Seulen zu ermessen ist. Wo das Gewölbe eng zusammen geht, stehen in einem Zirkel die Worte: Victorius Amadeus[200] Rex Anno Salutis MDCCXXVI. Der Dom hat außen her drey Umgänge übereinander; die untersten sind mit steinernen Geländern, das oberste aber mit einem eisernen Gitterwerke versehen. Rand rechts: Aussicht von Superga. Die Aussicht hievon kann nicht schöner erdacht werden. Das Kapucinerklster auf dem Berge, Le Valentin, Rivoli mit der dahin gehenden Allee, das Thal nach Suse, die auf solcher Seite befindlichen Schneegebirge, der Lauf des Po, der Doire und Stura, und längst diesen Flüssen die schönsten Ebenen, so weit das menschliche Auge reichen kann, die über Montcallier gelegenen Thäler und Ebenen, ferner die ganz in der Nähe befindlichen artigen kleinen Hügel voll Weinberge, Gärten und Lusthäuser, und endlich Turin selbst in einer großen Ebene, stellen sich dem Auge mit solcher Schönheit vor, daß man diesen angenehmen Platz kaum verlassen kann.

An der Kirche hängt das viereckige große Gebäude, so zu den Wohnungen der königlichen Herrschaft, wenn solche ihren geistlichen Uebungen in der Einsamkeit obliegen will, aufgeführet wird. Der König hat zu verschiedenen malen schon einige Wochen in der Fasten allhier zugebracht. Die Zimmer werden ohne Pracht zugerichtet, und die Galerien gehen, wie in Klöstern, um den ganzen Hof herum. Rand rechts: Baudirector Filippo. Von allen ist Don Filippo Juvara, aus Meßina gebürtig, ein geschickter Angeber und Aufseher. Der itzige König von Portugall ließ ihn einsmals nach Lissabon kommen, um einen Riß zu einem neuanzulegenden königlichen Schlosse zu machen. Dieses geschah; und die Unkosten beliefen sich der zum voraus gemachten Rechnung nach, auf sieben und zwanzig Millionen Stücke von Achten. Der König wurde darüber ungeduldig, sagte, der Kerl müsse ein Narr seyn, daß er sich einbilde, man lasse ihn so weit kommen, um nur eine elende Hütte aufzubauen, und sollte er einen Riß von einem kostbarern Baue übergeben. Dieß geschah; der Anschlag kam auf zwey und achtzig Millionen Stücke von Achten: damit war der König in Portugall zufrieden, schenkte dem Filippo vier tausend Pistolen, ließ ihn zurück reisen, und dabey blieb alles. Diese Umstände kann ich für gewiß ausgeben, weil sie der General von Leutrum aus dem Munde des itzigen Königs von Sardinien hat.

In vorigen Zeiten war das Lustschloß Valentin, so nur eine halbe Vierthelstunde außer der Stadt vor derPorte neuve liegt, der Ort, wo die meisten Erlustigungen des Hofes gehalten wurden. Rand rechts: Schloß Valentin. Es führete auch den Namen Valentin derjenige Cavalier, welcher einer jeden Dame zu ihrer Aufwartung und Begleitung zugegeben wurde, wie man noch aus den Memoires du Comte deGRAMMONT sieht. Beyde Benennungen haben ihren Ursprung von St. Valentins Tage, welcher im Monate Februar einfällt, und an welchem sich fast durch ganz Italien das ledige Frauenzimmer einen Aufwärter oder Scherzamanten aus ihren guten Freunden aussuchet, welcher sie mit Bouqueten und andern Bagatellen beschenken, und in Gesellschaften oder Spazierfahrten bedienen muß. Diese Verpflichtung dauret nicht länger als ein Jahr, und findet niemand was dawider zu sagen. Aus solchen Scherzverliebten wirdzuweilen ein eheliches Paar: übrigens aber geben die Aeltern auf ihrer Töchter Aufführung nicht weniger Acht, und geht alles insgemein so wohl und in Ehren zu, daß auch die Mönche kein Bedenken tragen, die Bedienung eines Valentins anzunehmen. Vielleicht haben sie auch die meiste Ursache, diesen Umgang des beyderseitigen Geschlechtes für höchst unschuldig auszugeben.

Gleich wie aber zu Turin diese Art bey Hofe mit dem Frauenzimmer umzugehen gänzlich abgekommen: also wird auch das Schloß Valentin wenig mehr besucht und unterhalten. Auf den Treppen sieht man noch etliche alte marmorne Brustbilder, und über dem Eingange des Hauptgebäudes liest man folgende Schrift:
[201]

Hic ubi Fluviorum Rex

Ferocitate deposita placide quiescit

Christina a Francia

Sabaudiæ Ducissa, Cypri Regina

Tranquillum hoc suum Delicium

Regalibus Filiorum Otiis

Dedicavit

Anno pacato MDCLX.


Gegenüber, an der Seite der Kapuciner auf dem Berge, liegt an einem Hügel La Vigne de Madame Royale, wohin sie selbst aber wenig gekommen ist. Rand links: La Vigne de Madame Royale. Der wegen seiner Baukunst und Bildhauerarbeit sehr berühmte Bernini hat dieses Gebäude für das beste in und um Turin gehalten. Unter der Vormundschaft, welche die Regentinn Christina1 führte, wurde dieser Ort und Garten zu vielen Wollüsten und sündlichen Unordnungen gemisbrauchet, daher der itzige König bey zunehmendem Alter und äußerlichem Religionseifer, wozu vielleicht des Beichtvaters Zureden gekommen, einen solchen Haß auf dieses Schloß geworfen, daß er es nach dem Tode der Madame Royale an das Hospital geschenket. Rand links: Warum sie gleichsam zerstöret worden. Die Vorsteher desselben haben gehoffet aus den Materialien vieles Geld zu lösen, und daher angefangen, es abzubrechen. Weil aber der erwartete Vortheil nicht so groß, als sie gehoffet, war, hat man wieder eingehalten, und sieht also das Gebäude einer halben Wüsteney nicht unähnlich, weil man weder an den eingebrochenen Mauern noch sonst irgendwo etwas verbessert oder in baulichen Würden erhält.

Näher an der Stadt vor der Rüe du Po, liegt la Vigne de la Princesse de Piemont an einem Hügel sehr angenehm. Rand links: La Vigne de la Princesse de Piemont. Das Gebäude ist nicht groß aber regular; und der Garten in der Form eines Amphitheaters. Man geht durcheineangenehme Allee hinaus. Andere königliche Lusthäuser um Turin herum sind mir nicht bekannt. Rand links: Montcallier. Montcallier ist ein weitläuftiges Schloß auf einer Höhe über dem Po, eine Stunde von Turin. Das Gebäude ist ins Gevierte aufgeführet, und hat auf jeder Seite einen großen viereckichten Thurm. Der Berg und die Gegend herum gegen Alexandria sind angenehm und mit Weinbergen und Gartenhäusern wohl bebauet; allein die königliche Herrschaft kömmt itzt niemals mehr hieher.

Fußnoten

1 Diese Herzoginn Christina starb zu Ende des Jahres 1663, und ihre Schwiegertochter, des Herzogs Karl Emanuels erste Gemahlinn Francisca Magdalena aus dem Hause Orleans, gleich darauf zu Anfange des Jahres 1664. Rand links: Grabschrift der Herzoginn Christina. Auf die erste las man an dem Castro Doloris:


Magnæ Christinæ a Francia

Carolus Emanuel Filius

Ineluctabili jacturæ vix superstes

Pientissimæ parenti piissime parentat,

Hoc uno Matri non obsecutus.


* * *


Heu fallacior fortuna quo felicior

Christina a Francia

Regum Filia, Regiæ Sol,

Ad summum felicitatis evecta cardinem

Momento in occasum devergit.


Auf des Herzogs Gemahlinn:


Franciscæ a Francia

Carolus Emanuel Conjux desolatissimus

Nondum siccis ex orbitate oculis

Lacrymas continuat.


* * *


Heu fugacem formæ gloriam!

Francisca a Francia

Regum Flos, florum Regina

Suo consimilis lilio

Sero data, cito erepta

Nil nisi lacrymas peperit.

Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 198-202.
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