[18] Fünftes Schreiben.

Reise durch Tirol, und Beschreibung der Stadt Inspruck.

Mein Herr!


Von Lindau bis an Tirol trifft man wenige schöne Gegenden mehr an, sondern meistentheils ungleiches Land, viele Waldung und üble Wege, sonderlich von Kempten nach Kemptenwald. Rand links: Ueble Wege durch Schwaben. Diese Wege sind nicht nur an sich selbst schlimm, sondern auch um des willen einem Reisenden, der sich seines eigenen Wagens bedienet, verdrießlich, weil die Fuhrgleise sehr enge, und sich nicht leicht ein fremder Wagen hieher schicket.

Füssen liegt an der Gränze gegen Tirol, ist wohl bebauet, und hat ebene und breite Straßen, und gehöret dem Bischofe von Augspurg. Rand links: Füssen. Ehe man hinein kömmt, fährt man lange Zeit längst dem Flusse Leck, welcher hier viele artige Wasserfälle machet.

Eine Vierthelstunde von Füssen gehen die Gebirge und das tirolische Gebieth an. Bey dem Kniepaß werden von den Reisenden die Pässe gefodert, unterschrieben, und zu Reuten, einer mittelmäßigen im Thal gelegenen Stadt, dem daselbst commandirenden Officier, so itzt der General Gaudenz von Rodisch ist, vorgezeiget, von welchem man ein Zeichen von der Größe eines halben Kartenblattes, worauf der tirolische Adler gestämpelt ist, bekömmt, ohne welches man nicht durch die Ehrenburgerclause gelassen wird. Rand links: Kniepaß. Gleiche Vorsicht wird auf den andern Seiten dieser Grafschaft gebraucht, und dadurch der Gouverneur in den Stand gesetzt, zu Inspruck täglich zu wissen, wer innerhalb vier und zwanzig Stunden das Land betreten habe. Rand links: Tirolische Gebirge und Pässe. Es hat solches keinen einzigen freyen und ebenen Eingang, sondern ist mit einem aneinander hängenden Gebirge umgeben, also, daß man oft von ferne nicht abmerken kann, wo ein Durchgang zu finden seyn werde. Kömmt man dann endlich durch viele Krümmen an eine Oeffnung der Gebirge, so ist selbige mit festen Bergschlössern verwahret. Der Churfürst von der Pfalz, Karl Philipp, der Kaiserinn Eleonorä Bruder, hat im Jahre 1712, da er Statthalter dieses Landes war, den Herrn geh. Rath von Forstner versichert, man könne das ganze Land mit siebentausend Mann wider allen feindlichen Anfall beschützen. Diejenigen, welche Tirol für die wichtigste Grafschaft[18] der Welt halten, gedenken nicht an Flandern. Rand rechts: Bergwerke und Edelgesteine. Indessen ist es doch eines von den einträglichsten Ländern des Kaisers, und pflegte Maximilian I, mit Rechte zu sagen: Tirol sey ein Bauerkittel mit zwar groben Falten, die aber trefflich warm hielten. Der ehemals so reichen Silber- und anderer Bergwerke zu geschweigen: so findet man noch hin und wieder in den Klüften Amethisten, Jaspis, Chalcedonier, Hyacinthen, Granaten, Malahiten und eine besondere Art Krystalles von solcher Härte, daß es an statt der Diamanten zum Glasschneiden gebraucht wird. Salz haben sie im Ueberflusse; und ob man gleich in dem mitternächtlichen Theile dieses Landes keinen Weinwachs findet, so ist doch derselbe gegen Trident und Bozzen sehr gut, und insbesondere der Traminerwein, welcher von dem nahe gelegenen Dorfe seinen Namen hat, allenthalben berühmt. Rand rechts: Weinwachs. Wenn man von Deutschland in diese Provinz kömmt, hat man Ursache, sich über die hohen Gebirge, welche man auch noch im Julius von dem Ulmermünster mit Schnee bedeckt erblicket, zu verwundern. Rand rechts: Höhe der Berge über den Wolken. In vielen Gegenden sieht man, sonderlich vormittags, nicht nur leichte Nebel, sondern auch schwere Wolken auf der Mitte der Berge ruhen, da in der zunehmenden Höhe der Berg ganz hell hervor blicket, und endlich sein Gipfel dennoch wieder mit Wolken bedecket ist. Ich habe mir bey etlichen ein Schattenbild von der Gestalt des untern Theils vom Berge Sinai, als das Gesetz gegeben wurde, vorgestellet. Diese Gebirge sind nicht mit hohen Bäumen, sondern nur mit kleinen Fichten und Buschwerke bewachsen; das oberste Theil ist gemeiniglich ein hoher steiler Fels. Mitten im Lande liegt der Verner oder Brenner, welcher niemals von Schnee und Eise entlediget wird. Die Gemsen haben in Tirol und im Salzburgischen gleichsam ihr Vaterland. Rand rechts: Gemsen. Des Sommers schießt man sie wenig, weil zu solcher Zeit ihr Fleisch nichts tauget. Die Jäger waffnen ihre Schuhe, ja bisweilen auch ihre Hände mit scharfen und krummen Eisen, um an den steilen Bergen dieses sehr flüchtige Thier desto besser verfolgen zu können. Die Kugeln1, welche man in ihrem Leibe findet, haben die Eigenschaften von Bezoar an sich, und werden hier im Lande für drey bis zehn Gulden verkaufet. Rand rechts: Hauser.

Das gemeine Bauervolk zieht in Tirol gar elend auf, und sieht den Zigeunern nicht gar unähnlich. Rand rechts: Der Bauren Tracht. Charakter. Manns- und Frauenspersonen tragen Hüte von allerley Farben; sie sind übrigens in ihrer Religion gar eifrig, und ihrem Herrn getreu, wovon sie noch zu Anfang dieses Jahrhunderts gegen den Churfürsten von Bayern treffliche Proben gegeben haben. Die Bauerhäuser und Viehstallungen sind in Vergleichung mit andern Ländern sehr elend, oben mit Brettern fast ganz platt gedeckt, und mit schweren Steinen belegt, damit der Wind das Dach nicht so leicht abwerfe.

Von Füssen hat man zwo gute Stunden zu fahren, bis man an die Ehrenberger-Clause kömmt, welche unten her besser befestiget als Hohentwiel, übrigens aber nicht so hoch ist, auch nicht so gut ins Auge fällt. Rand rechts: Ehrenberger Clause. Die Kupferstecher stellen diesen Paß gemeiniglich als zwey gegen einander über liegende Schlösser vor, allein ohne Grund, weil der Fels, welcher linker Hand des Thals liegt, ganz kahl und ohne Befestigung ist.[19]

Von Füssen sind sechs Posten bis Inspruck, welche man in einem Tage zurück legen kann. Rand links: Gute Wege und natürliche Wasserfälle. Die Wege sind vortrefflich, weil man alle Steine aus denselben auf die Seite geräumet, und öfters die Breite mit vielen Kosten in den Felsen eingehauen hat, also, daß bey allen krummen und wunderlichen Umschweifen, die man bisweilen um ein Thal, einen Felsen oder See machen muß, die Reise sehr angenehm bleibt. Vor andern hat mir der Weg von Lermes bis Nazareith gefallen. An der linken Seite desselben sind gräuliche Klippen, an welchen man oft auf hundert Schritte weit nicht die geringste Oeffnung zur Durchfahrt wahrnehmen kann. Wenn man aus dieser Gegend heraus, so kömmt man in ein treffliches Thal, worinnen verschiedene angenehme natürliche Wasserfälle ein großes Geräusch verursachen. Der Weg bleibt beständig an der mittlern Höhe des Berges, und ist theils mit hölzernen Schranken, (zwischen welchen öfters steinerne Pfeiler das Werk beständiger halten) theils bey einer halben Vierthelstunde lang mit steinernen Mauren eingefasset, also, daß weder der Wagen ausweichen, noch ein Pferd bey dem steilen Abgrunde des Thals scheu werden kann. Dieser Weg dauret bis an das alte unter einer natürlichen Grotte an Thal liegende und itzt öde stehende Schlößchen Wernstein, bey dessen Zoll, rechter Hand des Weges, eine artige natürliche Cascade zu sehen, woraus durch eine hölzerne Röhre das Wasser in eine darunter stehende Statue des Herrn Christi, und aus seiner Seite wieder mit großer Gewalt heraus stürzet.

Auf der letzten Post, eine starke Stunde vor Inspruck, kömmt man durch den Flecken Züri, und bald darauf nächst bey dem Innfluß, (also daß nur der Fuhrweg zwischen beyden ist) an den Felsen, worauf sich Maximilian der erste, bey allzuhitziger Verfolgung eines Gemsen dergestalt verstiegen haben soll, daß er nicht anders, als durch Hülfe und Führung eines Engels aus der augenscheinlichen Todesgefahr habe befreyet werden können. Rand links: Martinswand. Fabel von Maxim. I. Gemsenjagd. Auf dem Schlosse Ambras, wird die Monstranz noch verwahret, in welcher man damals dem Kaiser die geweihete Hostie zu seinem Troste von weitem gezeiget haben soll. In der Höle an solchem Zürlberge, der auch wegen seiner perpendicularen Steile die St. Martinswand genennet wird; woselbst der Kaiser, nach der gemeinen Erzählung gestanden, ist ein hölzernes Kreuz von vierzig Fuß hoch, nebst denen in Lebensgröße dabey stehen den Bildern St. Johannis und Maria aufgerichtet, von welchen aber wegen der großen Höhe, und weil man fast gerade darunter steht, das Kreuz kaum zween Fuß hoch von unten auf zu seyn scheint. Die Aufrichtung dieses Denkmaales hat Gelegenheit gegeben, daß der Steig dazu etwas bequemer gemacht worden, und anitzo kriechen öfters die Bauerjungen von den Seiten des umliegenden Felsen in dieses Loch, welches von der Erde höchstens zweyhundert Fuß entfernet seyn mag. Die Geschichte beschreiben Stephan Pighius, Birken, Sabinus, Merian, und nach ihnen noch andere; wenn man aber die Sache nach den Regeln einer unparteyischen Beurtheilung untersuchen wollte, würden sich wohl die meisten dabey angegebenen Umstände unter die Zahl der gemeinen Mährchen müssen zählen lassen. Weder Cuspinian in dem Leben dieses Kaisers, noch der Probst Pfinzing im Theuerdank, melden von solcher Abentheuer. Pfinzing setzt nur, dem Kaiser sey auf der Gemsenjagd bey Inspruck keine geringe Gefahr zugestoßen, indem ihm auf einer großen Höhe der Schafft und alle Zinken an seinem Fußeisen entgangen, einen einzigen ausgenommen, welcher sich zwar sehr umgebogen, aber doch noch haftend geblieben. Heuter schreibt zwar von dieser Versteigung auf der Gemsenjagd, gedenket aber dabey keiner andern Umstände, als daß der Kaiser durch Bauren mit Seilen von dem hohen Felsen habe müssen herab gelassen werden. Mein Herr kann hievon auch nachsehen das unlängst gedruckte vier und zwanzigste[20] Stück der Münzergötzungen dieses Jahres, welche der gelehrte Historicus Köhler wöchentlich herausgiebt.

Inspruck ist eine schöne Stadt, die mit ebenen Gassen und großen Pallästen, welche nach italiänischer Art mit platten Dächern gebauet sind, pranget. Rand rechts: Inspruck. Das Jesuitercollegium und Franciscanerkloster, nehmen ganze Straßen ein. Rand rechts: Klöster. Die Regierung und das landschaftliche Haus sind gleichfalls treffliche Gebäude. Rand rechts: Regierung.

In dem Rittersaale der Residenz sind Herkuls Thaten auf nassem Kalke oder à fresco wohl gemalet. Rand rechts: Residenz. Der Hofgarten hat etliche artige Säle, die zu Assembleen dienen. Man findet darinnen auch eine schöne metallene Bildseule des Herzogs Ferdinand zu Pferde, welches ganze Werk ungeachtet seiner großen Schwere, nur auf den hintern Füßen des Pferdes ruhet.

Das berühmte goldene Dächlein ist nur über einem Aerker der Hofkanzley. Rand rechts: Goldenes Dächlein. Die Stücken Kupfer, aus welchen es besteht, sind mit Goldbleche überzogen, und mag dessen Verfertigung etwan zweymal hundert tausend Thlr. gekostet haben. Daß aber, wie das gemeine Volk glaubet, das Kupfer durch die Länge der Zeit, wegen des mit ihm verbundenen Goldbleches auch selbst in Gold verwandelt worden sey, ziehe ich billig in Zweifel.

Die Pfarrkirche ist wegen ihrer schönen Stuccadorarbeit, hohen Gewölber und marmornen Seulen nicht vorbey zu gehen. Die Jesuiter haben an ihrer Kirche auch vieles Geld verwandt. Absonderlich aber ist die Franciscanerkirche sehenswürdig, wegen des trefflichen Denkmaals, so dem Kaiser Maximilian dem ersten, (dessen Körper in der Domkirche der wienerischen Neustadt ohne einige Grabschrift begraben liegt) hier aufgerichtet worden. Rand rechts: Grabmaal Maximil. I. Oben auf selbigem stellet eine metallene Statue diesen Kaiser knieend vor, zwischen vier andern kleinern Bildern, welche vier Tugenden abbilden, von gleichem Metalle. An dem Mausoläo selbst sind in erhabener Arbeit oder bas reliefs, von weißem Marmor die vornehmsten Thaten Maximilians I. ausgedrücket. Der Künstler davon, Alexander Collin, war aus Mecheln gebürtig, und die Arbeit ist so trefflich, als wenn alles aufs glücklichste in Wachs getrieben wäre. In dem mittlern Gange der Kirche stehen in zwoen Reihen acht und zwanzig metallene Statuen, von mehr als Lebensgröße, wie denn viele derselben zehn Schuhe hoch sind. Rand rechts: Metallene Statuen der Franciscanerkirche. An einigen sind die Namen derjenigen, welche vorgestellet werden, angemerkt, als 1)Clodovæi. 2) Godfrid von Bouillon. 3) Alberti I. 4)Alberti II. 5) Frid. III. Imperat. 6) Ferdinandi Catholici Hispan. 7) Caroli Burgund. 8) Alberti sapientis Austriaci. 9) Friderici Ducis Austriac. & Comitis Tirol. 10) Mariæ Blancæ. 11) Johannæ von Castilien, Königs Philippi I. Gemahlinn. 12) Elisabethæ, Kaisers Alberti II. Gemahlinn. Die übrigen Bildnisse haben keine Unterschriften, und machen die Mönche daraus, was sie wollen, wie sie denn auch eine Statue des Arthurus zeigen, ohne zu wissen, ob es der angebliche alte brittannische König, oder Heinrichs VIII. ältester Bruder seyn soll. Für diesen letzten streitet die Verwandschaft und Heirath mit der arragonischen Prinzeßinn Katharine, für jenen aber die große Einbildung, so man von seinen Thaten jederzeit gehabt hat, welche Ursache auch dem Clodoväo und Gottfried von Bouillon allhier einen Platz verschaffet haben mag.

Rechter Hand in dieser Kirche ist eine Kapelle, welche die silberne genennet wird; weil der Altar mit silbernen Tafeln, worein verschiedene Geschichte gestochen sind, ausgezieret ist. Daselbst sind auch die Grabmaale des Kaisers Ferdinand, und der Philippine Welserinn. Rand rechts: Grab der Philippinä Welserinn. An dem letzten stehen die Worte: Ferdinandus D. G. Archidux Austriæ, Dux Burgundlæ. Comes Tyrol. Philippinæ Conjugi Charissunæ fieri curavit. Obiit 24. M. Aprilis, Anno[21] salutis 1580. Diese unglückselige Person mußte unverschuldet ihr Leben in dem nahe gelegenen Schlosse Ambras lassen, da man ihr Opium eingab, und hernach die Adern öffnete. Rand links: Art ihres Todes. Ihr Verbrechen war, daß sie denenjenigen, welche eine ordentliche Landesfürstinn und in der Regierung rechtmäßig folgende Prinzen verlangten, allzulang und mit allzugroßer Fruchtbarkeit lebte. Daß sie aber keine bloße Maitresse gewesen, zeigt der Titel, Conjugis Charissimæ, genugsam an; obgleich nach den Familienverträgen dieaus solcher Ehe erzeugten Kinder, keine Erben der fürstlichen Würde und Länder seyn konnten. Aus ihrer Ehe sind zween Söhne bekannt, Karl, Markgraf von Burgau, und Andreas ab Austria, Bischof zu Costniz und Brixen, im gleichen Cardinal und Statthalter in den spanischen Niederlanden, der im Jahre 1600 aus dieser Zeitlichkeit abgeschieden ist. Rand links: Des Cardinals Andreas Söhne. Dieser ließ vier seiner Kinder, wie man sagt, castriren, und Hofmusikanten daraus machen: von einem fünften kömmt Rigas, der itzige Burggraf der Residenz zu Inspruck her, welcher kein Geheimniß aus diesem seinen Ursprunge machet. Markgraf Karl von Burgau starb im Jahre 1618, und hinterließ auch unehliche Nachkommen, welche unter dem Namen derer von Hohberg bekannt, und im Jahr 1677 in den freyherrlichen Stand erhoben worden sind. Ihre Güter besaßen sie aus des Karl von Burgau Testament, bey Rotenburg in der Grafschaft Hohberg. Rand links: Abkunft der hohbergischen Familie. Sie haben alle ein gutes Lob hinterlassen, und sind durch besondere Unglücksfälle im 1728sten Jahre in der vierten Generation, von Karln angerechnet, ausgestorben. Da mir des Markgrafen Karls von Burgau Testament in die Hände gerathen, so kann ich nicht um hin, folgende Stelle wegen ihrer besondern Ausdrückung anzuführen: Weil wir aus menschlicher Blödigkeit, ledigen Standes zween Söhne und eine Tochter gezeuget haben, auch von unserm Bruder christseligen Angedenkens, dem Cardinal Andrea dergleichen Filius naturali etc. vorhanden ist, so wollen wir etc. etc. Rand links: Merkwürdige Stelle in Karls von Burgau Testamente. Die Tochter Karls von Burgau bekam fünf und zwanzig tausend Gulden: Albizius auch so viel, und ein Haus in Inspruck. Von diesem Albizio habe ich weiter nichts in Erfahrung bringen können; vielleicht aber ist er der Stammvater des obgedachten Rigas. Nach dem Tode der Philippine vermählte sich zwar der Erzherzog Ferdinand zum andernmale mit einer Prinzeßinn aus dem mantuanischen Hause; weil aber aus solcher Ehe keine mannlichen Erben erfolgten, so fiel die Grafschaft Tirol wieder an die österreichische Linie zurück.


Ich bin – – –

Inspruck, den 7 Jun. 1729.


P. S. Nach Schließung meines Schreibens, halte der Mühe noch werth zu seyn, daß ich einen weitläuftigern Auszug aus des Markgrafen Karl zu Burgau letztem Willen beylege, weil er meines Erachtens noch wenig bekannt ist, und die Genealogie in etlichen Dingen dadurch erläutert wird. Rand links: weitläuftiger Auszug aus Karls von Burgau Testamente. Nach dem ordentlichen Laufe der Welt heißt es insgemein: Die Mutter sey allezeit gewiß, bey dem Vater aber habe es mehr Schwierigkeit, und komme es auf gute Treue und Glauben an; allein bey der Mutter der Kinder Karls,[22] Markgrafens zu Burgau, findet sich eine so große Ungewißheit2, daß noch niemand ihren Stand oder Namen anzugeben gewußt hat, und man daher auf die Muthmaßung gerathen, sie sey eine Nonne gewesen, welche ihren geistlichen Stand und das Gelübde der Keuschheit der Liebe aufgeopfert habe. Die orthographischen Fehler des Testaments habe ich lieber beybehalten, als überflüßige Aenderungen machen wollen.


Im Nahmen der allerhayligsten und unzertheilten Dreyfaltigkeit, Gottes Vaters, Sohns, und hayligen Geists. Amen


Wir Carle von Gottes Gnaden, Marggrave des hayligen Römischen Reichs zue Burgaw, Landtgrawe zue Nellenburg, Grave zue Hochenberg, Herr zue Veldtkhürch, Bregenz und Hocheneegg etc. bekhennen offentlich für uns und unsere Erben, und thuen khundt allermänniglich mit dem Brieff, das wür aus sonderlicher und inniglicher Betrachtung und Bewegung unsers Gemüeths wüssentlich und hochbetrachtlich zue Herzen geführt, das einem jeeden Menschen einmahl zue sterben ahngebohren und aufferlegt, und nichts gewüssers, dann der Todt, herentgegen nichts ungewüssers dann die Stund desselben ist; So haben wür freyen guethen Wüllen, mit kheinen Arglüsten noch Gefärdten hintergangen, auch ungenöth und ohngezwungen, bey guetter Vernunfft unserer Sinnen dißen unseren letsten Wüllen und Geschäfft, wie es nach unserem Absterben aus dießer Welt, mit unseren aigenen, ligenden Haab und Güether, Pfandschafften und Vahrenus, so wür hinder uns verlassen, gehalten werden solle, geordnet, gesetzt, und gemacht etc. Ordnen, setzen und machen solches auch hiemit in bestern und kräfftigster Formb der Rechten, wie solches zum crässtigsten und beständigsten imer seyn soll, khann und mag, wie hernach geschrieben volgt. etc.

Und dieweilen wür aus menschlicher Blödigkeit ledigen Standts zwey Söhne, als Carl und Ferdinand, und eine Tochter, Nahmens Anna Elisabetha von Hochenberg, erzeugt, und dergleichen Filius Naturalis auch von unsern Herrn Bruedern, Herrn Andrea, Cardinal von Oesterreich etc. Christseeligem Angedenckhens vorhanden mit Nahmen Hannß Geörg Albizi, und wür Ihnen der natürlichen Billigkhait nach ihre alimenta zu verordnen schuldig, Als verschaffen wür ihnen beeden Gebrüdern, Carl und Ferdinandt unsere zwey aigenthümbl. Dörffer, Buebishaimb und Holtzhaimb, welche ihnen unverzogentlich eingeraumbt werden und aigenthumblich zuständig seyn sollen, da aber ein Dorff mehr als das ander werth, solle einer dem andern nach billigen Dingen entgegen gehen und hierinnen ein Gleichhait halten. Zuedeme solle dem Carl unser Schloßlein Weyherburg bey Ynnsprug, und dem Ferdinand unser aigenthumbl. Mühl zu Weithingen in unser Graffschafft Hochenberg gelegen, hiemit verschaffen seyn.

Dem Albizi verschaffen und verordnen wür fünff und zwanzig taussendt Gulden, welche ihme loco alimentorum also paar erlegt oder an sichere Orth gelegt und verpensioniert werden[23] sollen; item, das Bixenhauß zu Ynnsprugg mit welchem Geldt und Hauß er als mit seinen freyen Aigenthumb zue schalten und zue walthen Macht haben solle.

Der Anna Elisabetha verordnen und verschaffen wür, wegen ihrer alimenten fünff und zwanzig taußendt Gulden, mit welchen es, wie in erst angeregter des Albizi Puncten, eine gleiche Meinung hat, Item verschaffen wür Ihnen drey obgenanten als Carl, Ferdinandt und Albizi, unser guarda robba und Satel-Cammer, welche unter Ihnen dreyen zue gleichen Thailen ausgethailt werden solle.

NB. So bitten wür auch hiemit das löblich Hauß Oesterreich, das wölle sie vier ernante Persohnen von unsert wegen allezeit in gnädigsten Befehl haben, ihnen guette Befürderung thun, und sie ihrem Patrocinio, Schutz und Schirmb, Hulden, Gnaden und Diensten erhalten. etc. etc.

Was nun alsdann nach Abrichtung vorbeschriebener Legata und Verschaffungen, so wohl Bezahlungen unserer verbrüessten und laifftiger Schulden (welche letztere fürderlich abzurichten wür innständig begehren und bitten thuen, damit uns und dem löbl. Hauß darum nit übel nachgeredt werde) ahn unseren Haab und Güethern, ligendten und fahrendten, Schulden actionum & jurium weither überig und bevor sein und bleiben würde, das alles und jedes solle auff unser löblich Hauß Oesterreich etc. (als von deme wür alles Gueths empfangen, und auf welches wür allezeit unser Aufsehen gehabt, auch all unser Thuen und Lassen zue des Hauß Nutzen, Hocheit und reputation gemaint und gericht haben) khommen undt fallen, dann wür es solcher unserer übrigen Haab und Guth zu unseren wahren und rechten Erben eingesetzt haben wöllen, thuen auch dasselb wüssentlich im Crafft dis Brieffs, höchster und bester Formb, Weis, Mas und Gestalt, wie wür es immer thuen sollen und mögen. Das alles und jedes so hie oben gemeldt und geschrieben stehet, ist unser Geschäfft und letster Will, das solches alles gehalten undt vollzogen werde, soll auch jetzo und hernach vor allen Leuthen, Richtern und Gerichten, gaist- und weltlich, guette Crafft und Macht haben und vollkhommentlich gehalten werden, wie das in cräfftigster Formb, Weis und Gestalt, jetzt und khünfftig beschehen kann, soll und mag. Im Fahl disse unsere Disposition undt letster Will, aus villeicht Mangel der hierzue gehörigen requisiten und Solennitæten, (dessen wür uns doch nit versehen) als ein Testamentum nit cräfftig und gültig sein solle, So setzen undt wöllen wür doch hiemit austruckhentlich, das die Disposition undt unser letzte Willen gelten und cräfftig sein solle, nach den Rechten Codicillorum, donationis inter vivos, vel ex causa mortis und eines jeden letsten Willens, wie der gehaissen sein soll, für alles Widerthailen und Absprechen allermänniglichs. Doch so haben wür uns hierinnen den Gewalt und das Recht ausgedingt und vorbehalten, das wür disses unser Geschäfft und Gemächt nun fürohin über khurz oder lange Zeit wohl mindern, mehren, änderen, verkheren, wüderrüessen oder gänzlich abthuen und von newen ordnen mögen, wie es uns jederzeit für gelegen und ansehen würde. Wofern wür auch einem oder dem anderen mehr vermachen und verschaffen wolten und des ein Zettel oder Uhrkhundt mit unserer Hand geschriben oder unterschriben, beylegten, solle es eben die Crafft haben, als wann wür es expresse dissem unserem Testament inseriret hätten. Undt verordnen hiemit undt in Crafft disses me Executorn disses unsers letsten und enndtlichen Wüllens, den Durchleuchtigsten Großmächtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Ferdinandten, den Andern, König zue Hungernundt Böheimb, Erz-Herzog zue Oesterreich, Herzogen zue Burgundt, Steür, Cärnnten, Croyin und Württenberg, Graffen zue Habspurg, Tyroll; Leichtigen, Hochgebohrnen Fürsten, Herren Maximillian, Ertzhertzogen zue Oesterreich, Hertzogen zue Burgundt, administratoren des Hochmeisterthumbs[24] im Preussen, Großmaistern des teutschen Ordens in Teutsch- undt Welschlanden, Grawen zue Tyrol etc. als regierendten Herrn undt Lands-Fürsten oberer und vorder Oesterreichischen Landen, unsere gnädigste Herrenundt freundlich lieben Herren Vätteren, als zue denen wür das gantze hohe Vertrawen setzen, undt ersuchen dieselbe hiemit gehorsamb und Vätterlich, auch umb Gottes Barmhertzigkeit und des jüngsten Gerichts wüllen, Sye wöllen sich mit disser Execution bemühen undt solch obbegrüffener Massen aufs beste und fleißigste auch also fürderlich ahnstellen undt vollziehen, wie sie vor GOtt, der Welt, ihrem Gewüssen undt bey den grossen und strengen Tag des Herren zue verantworthen wissen, auch ein jeder gern haben wollen, das es in dergleichen Fählen mit Ihme und den Seinigen also gehalten würdte.

Dis zue wahrem und vösten Urkhundt haben wür uns mit aigener Handt undterschriben undt unßer Fürstl. Ring-Pittschafft auftruckhen lassen, undt zue mehrer Bekräfftigung undt Bestandt, disses unsers letsten Willen zue Zeugen undt specialiter ad hunc actum berueffen undt erbetten, die Ehrwürdige, Edlen, Gestrenge, Vöste, Ersame, Gelehrte und Weisse M. Christophorum Ullanum, Theologum, Probsten, und Pfarrern, des Collegiat-Stüffts S. Nicolai in Yberlingen, Andream Waibel, Burgermaister des Hayl. Röm. Reichs Stadt Yberlingen, Jacoben Kessering, alten Bürgermaistern in bemelten Yberlingen; Johann Schulthaiß Stüblin, Herrn Onophrium, Steurbahrhabere, Johann von Freyburg Spithal-Pfleegern; und des Raths, Andream Meßmer, beider RechtenDoctorem undt Syndicum in offtgedachten Yberlingen, daß Sy sammendt undt sonders disses unsers letsten Wüllens Zeugen sein, diß Libellum darinn solcher begrüffen mit-undt neben uns unterschriben und mit auffgetruckhten ihren Pettschafften bekhräfftigen helffen wöllen, welches uno contentu und wie es sich von Rechtswegen gebührt, alles verrichtet worden.

Beschehen in des Hayl. Röm. Reichs Statt Yberlingen den 20ten Octobr. nach Christi unßers lieben Herrn undt Seeligmachers Geburth Im Sechzehen hundert und achtzehenden Jahr.

Fußnoten

1 Die schönste Abhandlung von diesen Kugeln liefern die ephem. nat. cur. dec. II. an. I. de rupicaprarum interaneis et ægagropilis. Daß man sich durch dieselben wider Hiebe und Stiche fest machen könne, gehöret unter die Gedichte des betrogenen Pöbels. Selbst in der Arzneykunst sind die Kräfte dieser Kugeln bey weitem so groß nicht, als man gemeiniglich glaubet. ETTMULLERin comment. adLudouici pharmac. p. 12 hat gar recht erinnert: Rupicaprarum glomi, si rite considerantur, sunt nihil aliud quam filamenta tenaciora graminum, radicum et fructuum, quibus vescuntur rupicapræ, inviscata muco quodam chyloso in ventriculo, hinc consistentiam mollem repræsentantia. Ceterum horum globulorum vires paucæ sunt, præsertim quum et non raro in nostrarum caprarum ventriculis reperiantur.


2 So selten und merkwürdig diese Nachricht ist, so hat sie doch auch ihres gleichen. Der bekannte Don Juan ab Austria war ein naturlicher Prinz Kaiser Karls des fünften. Don Juan glaubte anfänglich im ganzen Ernst, daß Magdalena Ulloa, eines vornehmen Spaniers, des Ludwig Quixsada Gemahlinn, seine rechte Mutter sey. Er erfuhr mit der Zeit das Gegentheil, und wußte nicht anders. als daß er sein Daseyn der regensburgischen Jungfer Barbara Blomberginn zu danken hatte. Famian. STRADAde bell. Belg. dec. 1. l. 10. behauptet, es sey diesem Prinzen niemals recht kund geworden, daß er unter dem Herzen der Maria, des Kaisers Schwester, gelegen habe. Außer dem Vater und der Mutter wußte niemand um dieses Geheimniß, als der Hofmarschall von Quixsada, bis endlich auch Philipp der zweyte, des Kaisers ächter Prinz, dasselbe aus dem Munde seines sterbenden Vaters zuverläßig erfahren, und hernachmals dieses Familiengeheimniß nicht allzustrenge bewahret hat. Daraus erhellet zugleich, wie ungegründet das Vorgeben einiger Ausländer sey, welche die fromme Neapolitanerinn Katharine von Cardonna zur Mutter des Prinzen machen.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 25.
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