[1478] Neun und neunzigstes Schreiben.

Von Luneville, Nancy und dem Lothringischen Hofe.

Luneville war vor dem Jahre 1702 ein schlechter Ort, da aber die Franzosen zu Anfange dieses Jahrhunderts Guarnison in Nancy geleget hatten, begab sich der vorige Herzog von Lothringen, um dem Kaiser allen Verdacht einer Parteylichkeit zu benehmen, an den erstgedachten Ort, und legte daselbst ein Schloß an, worinnen er sich hernach wenigstens alle Sommer aufzuhalten pflegte. Rand links: Luneyille, Rand links: Schloß. Vor dreyzehn Jahren wurde dieses Gebäude durch eine Feuersbrunst großentheils verzehret, in kurzer Zeit aber noch prächtiger, wie ein Phönix aus[1478] seiner Asche, wieder hergestellet. Das neue Schloß war anfänglich mit eisernen Platten gedeckt, welchen man einen solchen Firniß gegeben zu haben glaubte, daß sie nicht das geringste vom Rost zu befürchten hätten; allein die Erfahrung hat das Gegentheil bewiesen, und weil über dieses gedachte Platten nicht hinlänglich zusammengefügt gewesen, drang der Regen hindurch und machte das nächste Holzwerk solchergestalt faul, daß der Herzog im verwichenen Jahre nach Comerci gehen mußte, damit man indessen ein neues Dach legen konnte, welches mehr als viermal hundert tausend Livres Unkosten erfodert hat.

Der Garten hinter dem Schlosse erstrecket sich längst dem Flusse Vezouse und ist artig eingerichtet. Die ganze umliegende Gegend ist etwas niedrig und morastig. Rand rechts: Hofstaat. Der Hof ist sehr prächtig, indessen aber hat sich jedoch seit dem Jahre 1716, da ich das erstemal in Luneville war, in diesem Stücke vieles verändert. Unter dem vorigen Herzoge war die Anzahl der Bedienten so groß, daß man über funfzig Kammerherren zählte, und würde es nicht möglich gewesen seyn solchen Staat auszuführen, wenn die Besoldungen dergestalt wären beschaffen gewesen, wie sie an andern Höfen eingeführet sind. Allein die Menge derer nach Ehrentiteln strebenden Leute, so nicht nur von der lothringischen, sondern auch von der französischen Nation, machte, daß man mit geringerm zukam, und genossen von denen itzterwähnten funfzig Kammerherren kaum zwanzig einige Besoldung, obgleich diese auch nur von sechshundert lothringischen Livres war, welche damals neunzig bis sechs und neunzig Reichsthaler ausmachten. Der erste Präsident des lothringischen Parlaments hatte zwey tausend Livres und ein Staatsminister eben so viel. Diese geringe Einnahme aber verursachte auch öfters, daß die Bedienten sich nicht Standesmäßig aufführten, und man Kammerherren fand, die keinen Diener erhalten konnten. Der itzige Herzog hat nur zwölf Kammerherren, deren jeder des Jahrs achtzehn hundert Livres zur Besoldung bekömmt.

Ehemals waren täglich vierzehn Tafeln bey Hofe, nämlich vier für die herzogliche Familie, eine für denGrand-Maitre, eine für den Sous-Maitre d'hotel, eine für die Kammerherren, eine für die Officiere, so die Garde haben, eine für die Aumoniers und Beichtväter etc. Rand rechts: Tafeln bey Hofe. Itziger Zeit aber sind niemals über vier Tafeln, worunter die erste für den Herzog und die Cavaliers, die er einladen läßt, ist; an der andern speiset die Herzoginn Frau Mutter mit den Prinzeßinnen und Damen; die dritte ist die Marschalltafel, an welche auch die Fremden, so nicht mit dem Herzoge speisen, nebst ihren Hofmeistern kommen; an der vierten speisen die Kammerherren und Officiers. Des Abends geht des Herzogs Tafel ab, weil er mit seiner Frau Mutter speiset, wobey er eine gewisse Zahl von Cavalieren, und die Herzoginn eben so viele Damen einladet. Nach der Tafel wird die Zeit gemeiniglich mit kleinen Spielen zugebracht, und wenn dabey die Gesellschaft in zwo Parteyen zu theilen ist, so führt der Herzog die eine, und Monseigneur (nämlich des Herzogs Bruder, der Prinz Karl) die andere. Unter denen zwo Prinzeßinnen Schwestern des Herzogs ist die jüngere, Anna, so im Jahre 1714 gebohren worden, von ungemeiner Schönheit. Rand rechts: Von den Prinzeßinnen. Die Frau Mutter ist gebohren im Jahre 1676, und aus dem Hause Orleans. Ihre Vermählung wurde nach dem Friedensschlusse zu Ryßwick von dem schwedischen Gesandten Herrn von Lilienroth, dem Hause Lothringen, als ein Mittel, in besserer Ruhe mit Frankreich zu leben, angerathen und bald zur Richtigkeit gebracht. Rand rechts: Herzogliche Frau Mutter. Sie liebet das Spiel, Komödien, Spazierenfahren und dergleichen Lustbarkeiten. Gegen die Deutschen hat sie sich niemals sonderlich geneigt bezeiget, da hingegen ihr Gemahl ihnen jederzeit viele Gnadenzeichen erwies. Unter denen Kartenspielen istLansquened dasjenige, welches Madame Royale jederzeit den andern vorgezogen hat; und obgleich solches sowohl als andere Glücksspiele, womit sich öfters junge Leute ruiniren;[1479] allenthalben im Lande verbothen ist, so spielet man es doch bey Hofe mit itztgedachter Herzoginn, und kann dabey ein jeder sein Glück versuchen, ohne daß er vorher seine Ahnen oder adelichen Bedienungen zu beweisen hat. Rand links: Charakter des Herzogs. Der itzige Herzog redet gut deutsch, auch diese Sprache lieber, als die französische. Er ist von mittelmäßiger Statur und trägt anitzt seine eigene gekrausete Haare, die von schwarzbrauner Farbe sind. Sein Herr Bruder ist etwas länger und blonder. Es ist zu vermuthen, daß der Herzog noch einer von den größten Regenten in Europa seyn werde, was sowohl die Macht als Regierung anlanget1. Die Klugheit und vorsichtige Aufführung, welche er bey seinen jungen Jahren in allen Gelegenheiten an den Tag leget, ist nicht genug zu rühmen. Gegen Fremde ist er überaus gnädig, und auf den Jagden so leutselig ja fast familiär, daß etliche unbedachtsame Reisende, weil sie wegen ihrer im kaiserlichen Ministerio sich befindenden hohen Verwandten etwas mehrers als andere zu seyn geglaubet, in den Irrthum gerathen, als könnten sie auch außer der Jagd und bey Hofe mit eben solcher Freyheit gegen den Herzog fortfahren; allein ein einziges Wort, eine Mine, ja ein bloßes Stillschweigen des Herzogs gab ihnen bald zu verstehen, daß sie sich in ihrer Rechnung betrogen. Er bemühet sich seine Gedanken zu verbergen. Zu Bedienungen suchet er selbst die Leute aus, und will nicht, daß man ihm mit vielem Anhalten etwas gleichsam abnöthige. Seine Kleidung ist ohne Pracht und gänzlich von der französischen Mode entfernet; da er aber vor einem Jahre wegen der Lehensempfängniß von Bar nach Paris gieng, ließ er sich daselbst sehr kostbare Kleider nach der neuesten Art machen, und brachte ihm davon sein Envoyé einen ganzen Kuffer voll eine Tagereise vor Paris entgegen, welche er nach seiner Abreise aus Paris niemals mehr getragen hat. So lange er sich am französischen Hofe aufgehalten, richtete er sich mit solcher Geschicklichkeit nach der dasigen Lebensart, daß man hätte glauben sollen, er sey von Jugend auf unter der französischen Nation und an ihrem Hofe erzogen. Wie er sich auch anderer Nationen Hochachtung durch kluge Gefälligkeiten zu erwerben wisse, hat man aus mehrern Exempeln genugsam erfahren. Die bey großen und zugleich jungen Herren gar rare Tugend der Keuschheit ist bey ihm in solchem Grade, daß man ihn noch niemals wegen einer Maitresse in Verdacht gezogen hat. Er höret seine Minister, läßt sich aber von keinem regieren.

Unter der vorigen Regierung war der Prince de Craon aus dem Hause Beauvau, in großem Ansehen, und der Herzog unterließ nichts, ihn reich zu machen, zu welchem Ende er ihm nicht nur die Herrschaft Craon, sondern auch die Bedienung von Grand-Ecuyer gab, ihn öfters im Billard und andern Spielen dreyßig und mehr tausend Livres auf einmal gewinnen, auch sonst nichts an andern Geschenken ermangeln ließ. Rand links: Von der Marquise de Craon. Seine Gemahlinn kann sich wirklich anitzt noch der Schönheit rühmen, ob sie gleich drey und zwanzig Kinder gebohren hat. Die älteste von ihren Töchtern ist Coadjutrice zu Remiremont. Der jüngsten schien ein besonderes Glück bescheret zu seyn, als der vorige Herzog eine Heirath zwischen ihr und dem Prinzen von Lixin aus dem Hause Lothringen-Harcourt stiftete. Rand links: Prinzeßinn von Lixin. Der Vater dieses Herrn nennte sichComte de Marsan, und seine Mutter war Katharina Theresia, eine Gräfinn von Matignon. Vor seiner Heirath commandirte er ein französisches Regiment, (welches er auch nachdem behalten) und ward wegen des Maltheserkreuzes so er trug, Chevalier de Lorraine genennt. Durch itztgedachte Vermählung bekam die Tochter des Prince[1480] de Craon, als eine Prinzeßinn von Lixin, die Ehre vom Tabouret bey derMadame Royale, und ihr Gemahl die Bedienung vonGrand-Maitre, welche ihm den nächsten Rang nach dem Herzoge gab, nebst einer Besoldung von vier und zwanzig tausend Livres, die ihm jährlich gezahlet wurden, um dafür täglich zweymal eine Tafel für zwölf bis vierzehn Personen zu unterhalten. Dieses geschah im Jahre 1721. So glücklich aber diese Heirath in ihren äußerlichen Umständen war, so wenig Vergnügen brachte sie den beyden Hauptinteressenten. Auf Seiten des jungen Prinzen war nichts weniger, als der freye Wille bey dieser Verbindung gewesen; und ob es gleich der Dame weder an Verstande noch an Schönheit mangelt, so ließ er sich doch niemals bewegen, mit ihr als mit seiner Frau zu leben2. Rand rechts: Conjugium Virgineum. Vor kurzer Zeit fügte es sich, daß er auf des Bischofs von Metz, Coislin, Landgut kam, ohne zu wissen, daß seine Gemahlinn auch daselbst sey. Der Bischof gedachte bey dieser Gelegenheit per piam fraudem ein gutes Werk zu stiften, und als gegen Mitternacht die Gesellschaft aus einander gieng, stellte er dem Prinzen mit weitläuftigen Entschuldigungen vor, wie leid es ihm sey, daß durch die vielen anwesenden Fremden alle Zimmer dergestalt besetzt wären, daß der Prinz sich würde gefallen lassen müssen, in einem Zimmer und Bette mit seiner Gemahlinn zu schlafen. Der Prinz antwortete mit aller Höflichkeit: er sey damit gar wohl zufrieden; und nachdem er vernommen, daß die Prinzeßinn ausgekleidet und im Bette sey, folgte er ihr in die Kammer. Des folgenden Morgens kam der Bischof, um der Prinzeßinn zu der vollzogenen Heirath zu gratuliren, diese aber gab bald zu verstehen, daß sie den Glückwunsch nicht annehmen könne, und fand es sich, daß der Prinz die ganze Nacht unausgekleidet in einem Lehnsessel zugebracht und geschlafen hatte.

Daß Lothringen ehemals zum deutschen Reiche gehöret, ist eine ausgemachte Sache, es ist aber auch bekannt, wie im vorigen Jahrhunderte dieses Land von seiner ehemaligen Verbindung abgezogen und zu einer Souveraineté gemacht worden. Rand rechts: Ceremoniel des Hofes. In Ansehung dieser Veränderung geht man mit dem Ceremoniel am lothringischen Hofe gar hoch, und giebt der Herzog in seinem eigenen Hause keinem regierenden Fürsten, er sey denn ein Churfürst (wie des vorigen Herzogs Herr Bruder war) die rechte Hand. Der Hof und die Bedienungen sind auf französische Art eingerichtet, und das höchste Gericht im Lande führt den Namen von Parlament. Aus dem Herzogthume Bar kann an das Parlament zu Paris appelliret werden, und giebt dieses kleine Land überhaupt wegen der Lehenspflicht, die es den Königen von Frankreich schuldig ist, dem Hause Lothringen vielen empfindlichen Verdruß, was sonderlich die Empfängniß dieses Lehens anlanget, welche von den Herzogen in eigener Person, ohne Degen, Hut und Stock, knieend auf einem carreau vor dem königlichen Throne verrichtet werden muß. Rand rechts: Appellationen aus dem Herzogthume Bar. Rand rechts: Lehensempfängniß von Bar. Nach dem Tode des Königes Ludwig des vierzehnten suchte der Herzog es dahin zu vermitteln, daß diese Handlung seiner Seits durch einen Gesandten möchte verrichtet werden können, und wie man vorgiebt, soll der Herzog Regent nicht ungeneigt dazu gewesen seyn; allein weil das Parlament zu Paris sich dagegen regete, so bestund alles, was zu erhalten war, nur in einem Aufschub, bis der junge König seine Regierung selbst würde angetreten haben, und solchem nach mußte sich der itzige Herzog in vorigem Jahre zu eben solchen unangenehmen Ceremonien bequemen, dergleichen sein Herr Vater im Jahre 1599 sich hatte müssen gefallen lassen. Ich weis nicht, ob es wahr, was man mir versichert, nämlich, daß bey der letzten Lehensempfängniß die Thüren des Gemaches eröffnet worden, da der Herzog[1481] auf den Knieen gewesen, ob man gleich versprochen hatte, solche den Zusehern nicht eher zu öffnen, bis der Herzog sich wieder aufgerichtet hätte.

Die deutschen Lehen, welche in Nomeny nebst etlichen andern Stücken und Rechten bestehen, hat der Herzog gleichfalls im vorigen Jahre und zwar durch einen Gesandten von Seiner Kaiserl. Majestät empfangen. Rand links: Deutsche Lehen. Die Herrschaft Commercy machet eine besondere Souveraineté aus, welche an den Prinzen von Vaudemont Karl Heinrich, ehemaligen Gouverneur von Mayland, gegen andere Foderungen abgetreten war, und im Jahre 1723 nach seinem Absterben ohne eheliche Leibeserben wieder an den Herzog von Lothringen gefallen ist. Rand links: Commercy.

Nicht nur die regierende oder herrschende, sondern auch die allein geduldete Religion in allen lothringischen Landen ist die römischkatholische, für welche der Eifer so weit geht, daß vermöge eines Edicts derjenige Unterthan, der sich gelüsten lassen würde, von derselben zur protestantischen Lehre überzutreten, den Strang zu gewarten hat, wenn er auch gleich keines andern Verbrechens schuldig ist. Rand links: Eifer wider die Protestanten. Dieses harte Gesetz kömmt vom Herzoge Karl dem zweyten, welcher General von der französischen Ligue gewesen und dadurch seine Orthodoxie der ganzen Welt hat vor Augen legen wollen. Seine Nachfolger in der Regierung erneuern von Zeit zu Zeit diese Verordnung, und wie ich von dem gelehrten Professore Juris Publici zu Geneve, Herrn Neccar unter andern Nachrichten habe, so hat es sich noch unter dem vorigen Herzoge begeben, daß einer, der sich zu rechter Zeit aus dem Staube ge macht hatte, wegen dieses Verbrechens in efligie aufgehenkt worden.

Bey diesen Umständen ist desto mehr zu verwundern, daß man der Gemahlinn des Herzogs Heinrich von Lothringen, Katharinen, einer Tochter des navarrischen Königes Anton, und einer Schwester des Königes in Frankreich Heinrich des vierten, ihren protestantischen Gottesdienst verstattet, wiewohl auch dieses nur auf dem Schlosse Mallegrange und in geheim geschehen mußte. Denen Protestanten, die sich als Reisende oder Fremde in Lothringen aufhalten, machet man zwar wegen ihres Glaubens nicht die geringste Schwierigkeit, allein wenn sie hier sterben, so müssen ihre Leichen außerhalb der Gränzen des Landes zur Beerdigung gebracht werden. Von dieser Regel war so gar der in hiesigen Diensten als geheimer Staatsminister lange Jahre gestandene und um den Herzog sehr meritirte Baron von Forstner nicht ausgenommen, und mußte dessen im Jahre 1724 verblichener Körper nach Markkirchen oder S. Marie aux mines, so eine Tagreise von Nancy liegt und halb Lothringisch und halb Birkenfeldisch ist, zum Begräbniß abgeführet werden.

Wenn das Venerabile oder le Bon Dieu vor einer Schildwache oder auch vor der Hauptwache vorbey getragen wird, fällt diese auf die Kniee und präsentiret mit entblößtem Haupte das Gewehr, indessen daß die Trummel dabey gerühret wird. Rand links: Verehrung des Venerabilis. Der Eifer der Katholiken geht zu Colln, im Stifte Trier und andern benachbarten deutschen Provinzen in manchen Stücken so weit, daß selbst die Katholiken aus andern Ländern vieles als aberglaubisch daran auszusetzen finden; man muß aber gestehen, daß die Lothringer ihnen wenig darinnen nachgeben. Mit den Franzosen haben sie indessen doch dieses gemein, daß sie den Missethätern keine Freystäte in geistlichen Orten und Gebäuden verstatten, wodurch vielen Misbräuchen vorgebauet wird.

Der Adel des Herzogthums Lothringen besaß ehemals viele herrliche Vorrechte, und hatten sie in corpore als Landstände bey den Anstalten des gemeinen Wesens mit zu sprechen; allein unter dem Herzoge Karl dem vierten sind sie um dieses Kleinod gekommen, und seit solcher Zeit haben sie ein großes von ihrem Ansehen verlohren, ob sie gleich noch einträgliche Lehengüter besitzen, auch die Gewohnheit eingeführet ist, daß ein bürgerliches oder Bauern-Gut, so der Contribution unterworfen ist, von derselben frey wird, sobald ein Edelmann solches[1482] an sich bringt, und behält es gedachte Freyheit so lange, bis es wieder in bürgerliche Hände geräth. Rand links: Keine Asyla. Im Herzogthume Bar wird derjenige schon für einen Edelmann geachtet, der nur eine adeliche Mutter hat, obgleich der Vater bürgerlichen Standes ist Rand rechts: An venter nobilitet.. Die Herzoge von Lothringen haben als souveraine Herren das Recht zu adeln, es ist aber leicht zu erachten, daß es damit nicht allezeit ohne Misbrauch abgegangen, und daß öfters schlechte oder unwürdige Leute, die für ein geringes Geld oder durch andere Mittel Patronen gefunden haben, in einen privilegirten Stand gesetzet worden, welcher billig nur wohlverdienten Leuten zu Theil werden sollte. Rand rechts: Neuer Adel. Der Prinz von Vaudemont als Souverain von Commercy, ertheilet gleichfalls Adelsbriefe. Es werden dadurch aber nach und nach entweder des Landesherrn Einkünfte verringert, oder den übrigen Unterthanen eine mehrere Last aufgebürdet, weil der adeliche Stand eine Freyheit von Imposten auf die Person und Güter mit sich bringt. Der alte Adel verachtet nicht nur den neuen, sondern auch was man gens de robe oder Leute, die von der Feder Profession machen, nennet, wenn sie gleich von guten alten Familien sind.

Zu Anfange dieses Jahrhunderts wurde dem Herzoge von Lothringen in dem Traité de Partage anstatt seiner itzigen Lande das Herzogthum Mayland zugetheilet, und der Herzog mußte sich aus Furcht vor Frankreich anstellen, als ließe er sich solches gefallen, er verlangte aber dabey, daß alle Potenzen von Europa ihre Einwilligung dazu geben sollten, und daß alle hohe Jura, die er in Lothringen besaß und mithin auch die Souveraineté dem Herzogthume Mayland beygeleget würden, bey welchen beyden Artikeln er billig solche Schwierigkeiten vermuthen konnte, daß nothwendig die Sache würde ins Stecken gerathen, wenn auch gleich keine andere Veränderung der europäischen Staatsverfassungen dazu gekommen wären. Die jährlichen Einkünfte des Herzogs belaufen sich etwan auf zwo Millionen rheinischer Gulden, zu welcher Summe die Salzwerke von Rosieres und Dieuze allein vierzehnmal hundert tausend Liores beytragen sollen. Rand rechts: Einkünfte des Herzogs. Salzwerke. Drey Livres und fünf Sols werden anitzt auf einen rheinischen Gulden gerechnet. Die herzoglichen Länder sind zwar sehr weitläuftig, dabey aber an vielen Orten von dem französischen Gebiethe durchschnitten und von einander abgesondert. Rand rechts: Beschaffenheit der Länder. An der Seite von der Franche-Comté und gegen das Gebirge Vogesus genannt, ist der Grund und Boden weniger fruchtbar, und zweifele ich, daß solches durch die wenigen Bergwerke von Eisen, Kupfer, Zinn und Silber, oder auch durch die Achate, Chalcedonier, Granate und andere dergleichen Edelgesteine, welche man daselbst findet, ersetzet werde. Rand rechts: Bergwerke. Edelgesteine.

Die Ritterakademie zu Luneville ist schon von langen Zeiten her in gutem Ruffe, anitzt aber insbesondere unter der Aufsicht des Baron von Schack gar wohl eingerichtet. Rand rechts: Anstalten der Ritterakademie zu Luneville. Es kommen auch Protestanten hinein, und verlanget man von ihnen nur, daß sie aus Gefälligkeit des Freytags und Sonnabends sich mit an die Fastenspeisen halten, es sey dann, daß sie solche nicht vertragen könnten. Die Tafel ist gut, und werden Mittags zu zehn Schüsseln nebst dem Confect und Desert, des Abends aber neun Schüsseln gegeben. Der Herr von Schack als Gouverneur speiset allezeit mit. Täglich werden etliche der Akademisten an des Herzogs Tafel gezogen, sie nehmen öfters Theil an den Jagdergötzungen, und läßt bey solchen Gelegenheiten der Herzog die Pferde dazu hergeben. Itziger Zeit sind funfzehn Cavaliers in der Akademie, und eben so viele junge Fremde halten sich außer derselben zu Luneville auf, theils um vom Hofe, theils um von der Privatinformation der hiesigen Lehrer und Meister zu profitiren. In der Akademie erlernet man die alte und neue Historie, die Geographie, Chronologie, Mathematik, Philosophie, die Physicam experimentalem, das Recht der Natur, das römische Jus Civile, das Jus Publicum von Deutschland, (von welchem Mr. Begnicourt, ein Discipel des alten Vitriarius, Professor ist) nebst der italienischen, französischen und deutschen Sprache. Anbey wird das Reiten, Fechten, Tanzen und Militar-Exercitium getrieben.[1483]

Ein jeder kann sich nach seinen Absichten wählen, worauf er sich vornehmlich legen will. In der Reitschule sind vierzig Schulpferde, es soll ihre An zahl aber auf sechszig vermehret werden.

Wer etliche Monate in Luneville zu bleiben gedenket, wenn er auch gleich nicht mehr von jungen Jahren ist, thut am besten, wenn er sich monatweise in die Akademie begiebt. Hält er keine Meister, so giebt er auch nichts dafür aus, und die übrigen Unkosten werden nach der Länge oder Kürze der Zeit, die er darinnen zubringt, angerechnet.

Ein Cavalier bezahlt für die Tafel jährlich 600 lothringische Livres.


Für die Exercitia jährlich – –600 Livres.

Für seinen Hofmeister – – –600 Livres.

Für einen Kammerdiener – – –350 Livres.

Für einen Lackey – – –260 Livres.

Für alle benöthigte Meublen– – –180 Livres.

Für die Entrée einmal für allemal –300 Livres.

Steigbügelgeld für die Stallknechte

einmal für allemal – –12 Livres.

Spießruthengeld jährlich – – –18 Livres.

Für die Messe, ein für allemal – –4 Livres.

Solchemnach da ein Cavalier für seine Tafel, Exercitia, Entrée, Meublen, Messe und Trankgelder der Reitschule (ohne was ihm ein Hofmeister und seine Bediente kosten) für das erste Jahr in allem tausend siebenhundert und vierzehn lothringische Livres, die anitzt fünfhundert acht und zwanzig rheinische Gulden ausmachen, zu bezahlen hat, so wird man ihm, wenn er nur einen Monat in der Akademie bleibt, nicht mehr als hundert zwey und vierzig Livres, sechszehn Sols und acht Deniers, oder vier und vierzig rheinische Gulden abfodern. In dem zweyten und folgenden Jahren belaufen sich die Unkosten für einen Monat nicht höher als auf hundert und siebenzehn Livres, sechszehn Sols und acht Deniers. In der Rechnung für den Hofmeister und Diener wird eben solche Proportion der Zeit beobachtet.

Die Externes oder diejenigen, so nicht in der Akademie sind, geben für den ersten Monat der Reitschule hundert Livres, für jeden der nachfolgenden vierzig Livres, und für die Spießruthen monatlich dreyßig Sols. Die Unkosten der Entrée betragen etliche und zwanzig Livres. Die Exercitien- und Sprachmeister, wie auch diejenigen, so in der Fortification und andern Theilen der Mathematik informiren, geben wöchentlich fünf Stunden, und dürfen von Fremden nicht mehr als monatlich zwanzig Livres fodern.

Niemand von denen Akademisten, die keinen eigenen Hofmeister bey sich haben, darf nach dem Abendessen aus der Akademie ohne Erlaubniß des Gouverneur von der Ritterschule gehen. Rand links: Gesetze. Hat einer seinen eigenen Hofmeister, so ist dessen Einwilligung zu solchem Ausgehen nöthig. Gleiche Erlaubniß wird erfodert, wenn ein Akademist die Nacht über aus der Akademie bleiben will. Nach Mitternacht wird die Pforte der Akademie nicht mehr ohne sonderbare Erlaubniß geöffnet. Niemand darf einen Hund in der Akademie halten. Niemand darf des Abends nach zehn Uhr und des Tages in den Stunden, so in der Akademie den öffentlichen Lectionen über das Recht, die Historie und Mathematik, imgleichen zum Tanzen und Fechten gewidmet sind, auf einem musikalischen Instrumente spielen. Niemand darf ohne Erlaubniß des Gouverneur und außer dem Fall, daß er krank sey, in seinem Zimmer speisen. Kein Miethlackey darf nach Mitternacht in der Akademie bleiben. Kein Cavalier darf mehr als ein Zimmer haben, wenn er gleich solche besonders bezahlen wollte. Jeder muß sein Zimmer wieder liefern in dem Stande, worinnen es ihm eingeräumet worden. Keinem Lackey, er mag in Librey gehen oder nicht, ist erlaubet einen Degen zu tragen,[1484] und wird solches nur den Kammerdienern verstattet. Jeder Cavalier versieht sich mit seinem eigenen Messer, Gabel und Löffel bey der Tafel. Niemand darf neue Schlüssel ohne Vorbewußt des Controleur machen lassen. Kein Bedienter darf Asche sammlen, wo er nicht solche alsbald aus dem Hause trägt; es soll sich auch kein Lackey in der Küche aufhalten, wo er nicht für seinen Herrn etwas darinnen zu verrichten hat, welches zu keiner andern als Essenszeit seyn kann. Jeder Cavalier, der krank wird, soll alsbald dem Gouverneur der Akademie davon Nachricht geben lassen, damit dieser einen Medicus schicke, und durch solchen einen eigentlichen Bericht von der Krankheit erlange. Die Zwistigkeiten, so unter den Akademisten entstehen, werden durch den Gouverneur entschieden, welcher nach Beschaffenheit der Umstände desfalls Ordre von dem Herzoge einholet. Allen Kaufleuten ist verbothen, denen in der Akademie sich aufhaltenden Cavalieren etwas zu leihen oder auf Credit zu geben, wo der Hofmeister des Cavaliers, und in Ermangelung dessen der Gouverneur der Akademie, nicht dafür gutsaget. Uebertreten die Kaufleute diese Verordnung, so sind sie desjenigen, was sie vorgestrecket haben, verlustig erkläret. An den Thüren werden keine Riegel oder Haken geduldet, welche verhindern möchten, daß der Gouverneur nicht jederzeit, wann er will, in die Zimmer der Akademisten kommen könnte. Alle Glücksspiele sind den Akademisten sowohl unter sich selbst, als mit andern, verbothen.

Damit die Hofmeister desto besser auf die Lebensart ihrer untergebenen Cavaliere Achtung geben können, haben sie allenthalben freyen Zutritt, und les entrées libres am Hofe, werden auch bey ihrer Ankunft mit denen Cavalieren denen herzoglichen Personen präsentiret. Rand rechts: Les entrées libres der Hofmeister. Solche Freyheit, die jungen Cavaliere zu begleiten, kann nicht anders als nützlich seyn, da man im Gegentheile an andern Orten den vielen Schaden leichtlich abnimmt, der daraus entsteht, daß wegen Ungleichheit des Standes die Hofmeister von solchen Gesellschaften ihrer Untergebenen ausgeschlossen worden, wo das wachsame Auge eines getreuen Hofmeisters am meisten vonnöthen wäre. Währenden letzten Carnavals zu Luneville wurde bey Hofe alle Abend eine besondere Tafel für die Hofmeister unterhalten. In der Komödie haben sie gleichfalls ihren angewiesenen Platz hinter ihren Cavalieren.

Fremde und Akademisten können täglich bey Hofe erscheinen; und weil Luneville ein kleiner Ort ist, so wird die geringste Thorheit, die ein junger Edelmann vornehmen mag, alsbald bey Hofe bekannt, und die Damen unterlassen nicht, diejenigen, so etwas versehen haben, auf eine kluge und bescheidene Art zu railliren. Die Furcht einer Correction machet, daß viele sich vor Fehltritten hüten und eines vorsichtigern Wandels befleißen.

Bey allen diesen guten Anstalten habe ich noch auszusetzen gefunden, daß die Deutschen, wie an andern Orten, also auchhier allzusehr beysammen sind, und unter sich nichts als Deutsch sprechen. Rand rechts: Was bey diesen Anstalten auszusetzen. Ferner incommodirt es manchen, daß man wegen der Festins und Galatäge bey Hofe sich öfters, als an andern Orten nöthig seyn würde, mit kostbaren Kleidern versehen muß. Endlich, obgleich die Glücksspiele untersaget sind, so gehen jedoch die jeux de commerce am Hofe für Leute, die keine sonderliche Meister im Spiele sind, ziemlich weit; und wer sich einmal sonderlich mit den Damen einläßt, kann ihnen hernach nicht leicht wieder entgehen, Man verliehrt zwar in einem Abend nicht mehr; als einen oder zween Louisdor, allein dergleichen Ausgaben kommen öfters, und machen endlich ansehnliche Summen aus.

Es sind aber diese angeführte Umstände solchergestalt beschaffen, daß ihnen nicht mit besondern Verordnungen kann abgeholfen werden. Nichts ist vollkommen in der Welt, und kömmt es in solchen Fällen hauptsächlich auf die Klugheit eines Reisenden an. Zu wünschen wäre es, daß man nur solche junge Leute auf Reisen sendete, die geschickt und tüchtig wären, sich die Besehung fremder Länder zu ihrem eigenen und des Vaterlandes Besten zu Nutz zu machen.[1485]

Bey Gelegenheit der Ritterakademie zu Luneville kann ich nicht umhin, die sonderbaren Schicksale des itzigen Professoris Historiarum und Geographiæ, Namens Du Val mit anzuführen. Rand links: Außerordentlicher Lebenslauf des Prof. Du Val. Er ist eines Bauern Sohn aus Bourgogne, und kam als ein Kind nach Lothringen, woselbst sein erstes Amt darinnen bestund, daß er vier Stunden von Nancy in einem Dorfe die Schafe hütete. Von seiner Kindheit an zeigete sich in ihm eine sonderbare Begierde zu wissen, und da er solche noch mit nichts anders zu stillen wußte, so sammlete er Schnecken, Raupen und andere dergleichen Thiere, um solche öfters und genauer zu betrachten. Niemand war im Dorfe, den er mit seinen neugierigen Fragen, woher dieses oder jenes komme, und aus was für Ursachen es also und nicht anders sey, verschonete; die Antworten aber waren, wie leicht zu erachten, gemeiniglich solchergestalt beschaffen, daß er nach denselben weniger als vorher wußte. Einsmals erblickte er bey einem andern Bauerbuben des Aesopus Fabeln mit Kupferstichen, die seine Begierde, etwas zu lernen, in außerordentliche Bewegung setzten. Lesen konnte er noch nicht, und die andern Jungen, welche etwan ihre Wissenschaften bis aufs Lesen gebracht, hatten nicht allezeit Luft, ihm die in Bildern vorgestellten Sachen zu erklären. In dieser Noth fassete er den Entschluß, nicht eher zu ruhen, bis er lesen könnte. Zu solchem Ende sparete und sammlete er bey allen Gelegenheiten etwas Geld, und gab es andern und ältern Bauerjungen, daß sie ihn im Lesen unterrichten mußten. Als er hierinnen seinen Endzweck erreichet hatte, kam er ohngefähr über einen Kalender, worinnen die zwölf Sternfiguren des Thierkreises gezeichnet waren. Diese suchte er am Himmel, vermeynte auch wirklich solche Figuren daselbst gefunden zu haben; und ob ergleich sowohl in diesen als mancherley andern Puncten sich irrige Begriffe machte, so gerieth er doch dabey auch auf viele Anmerkungen, die andere kaum nach vorhergegangenem Unterrichte recht zu fassen pflegen. Einsmals fügte es sich, daß er in Nancy vor dem Kaufladen eines Kupferstechers vorbey gieng, und daselbst eine ausgehängte Landkarte, welche die Erdkugel abbildete, bemerkte. Diese gab neue Gelegenheit zu speculiren, und nachdem er sie gekauft hatte, manche Stunde darüber zuzubringen. Anfänglich nahm er die im Zodiaco schwarz und weiß unterschiedene Gradus für französische Meilen an, da er aber überlegte, daß er schon aus Burgund nach Lothringen viele Meilen zurück geleget hatte, welche auf der besagten Karte einen viel kleinern Platz einnehmen müßten, als etliche solcher Abtheilungen austragen würden, so begriff er gar bald die Unmöglichkeit seiner ersten Muthmaßung, die eigentliche Bedeutungen aber dieser und vieler andern Zeichen auf denen Landkarten, deren er sich nach und nach mehrere anschaffte, konnten von ihm nicht anders als mit unglaublicher Mühe ausgeforschet werden. Unterdessen ward sein zur Stille geneigtes Temperament des Aufenthalts unter den wilden Bauerjungen müde, und er begab sich zu etlichen Einsiedlern, die eine halbe Stunde von Luneville im Holze wohnen, um ihnen aufzuwarten und die sechs bis acht Kühe, welche sie unterhalten, zuweyden. Diese Hermiten waren selbst Ignoranten, Du Val aber bekam bey ihnen Gelegenheit, verschiedene Bücher zu lesen, und von denen Leuten, die hinaus zu ihnen kamen, von einem und andern Dingen mehrern Unterricht einzuholen. Was er bey seinem geringen Dienste ersparen konnte, wurde auf Bücher und Landkarten gewendet. Unter etlichen von diesen letztern bemerkte er die Wapen großer Herren, und weil unter selbigen Greisen, doppelte Adler, Löwen mit doppelten Schwänzen und andere dergleichen Wunderthiere vorkamen, so erkundigte er sich bey einem Fremden, ob dergleichen Creaturen in der Welt wären. Auf die erlangten Nachrichten, daß diese Zeichen zu einer besondern Wissenschaft gehörten, welche man Blason nennete, schrieb er diesen ihm vorher unbekannten Namen auf einen Zettel, eilete damit nach Nancy in einen Buchladen, und kaufte daselbst ein Buch von der Wapenkunst, durch dessen Anleitung er hernach, ohne fernere Beyhülfe eines Lehrers, diese Wissenschaft aus dem Grunde studirte.[1486]

Bey itztgedachten Umständen seines Lebens hatte er schon das ein und zwanzigste Jahr seines Alters zurück geleget, als er im Jahre 1717 im Herbste einsmals im Holze die Kühe hütete und seinen Atlantem unter einem Baume bey sich hatte, da der damalige Prinz und itzige Herzo) von Lothringen auf der Jagd in dieser Gegend war, und es sich fügen mußte, daß der Hofmeister des Prinzen, Herr von Pfütschner, ein Mann von vielen Verdiensten, und der anitzt unter den Geheimen Räthen des Herzogs in besonderm Ansehen bey seinem Herrn ist, den Du Val in seinem Studiren antraf. Ein gemeiner Hirt mit braunen und langen herabhängenden Haaren in einem elenden leinen Kittel unter einer Menge Landkarten schiene dem Herrn von Pfütschner eine so ungewöhnliche Sache zu seyn, daß er dem Prinzen Nachricht davon gab, welcher gleichfalls hinzuritte, und den Hirten über seinen Zeitvertreib befragte. Du Val beantwortete alle Fragen mit guter Vernunft und zeigte dabey, daß er in verschiedenen Wissenschaften schöne Fundamente geleget habe. Der Prinz erboth sich, ihn mit nach Hofe und in seine Dienste zu nehmen;Du Val aber, der in etlichen moralischen Büchern gelesen hatte, wie schlimm es bey Hofe zugieng, und der auch in der Stadt beobachtet hatte, daß Lackeyen von vornehmen Herren sich vollgesoffen, gezanket, geschlagen und gefluchet, antwortete mit einer offenherzigen Freyheit: wenn er dem Prinzen aufwarten sollte, so verlange er nicht von seiner Heerde und wäre ihm lieber, daß er bey seinem ruhigen und vergnügten Stande im Walde bliebe; wollte man ihm aber Gelegenheit geben, daß er Bücher lesen und etwas lernen konnte, so sey er bereit, einem jeden zu folgen. Die Antwort gefiel dem Prinzen, welcher diesen Hirten nach Hofe kommen ließ, und bey dem Herzoge es dahin brachte, daß Du Val in das Jesuitercollegium zu Pont-a-Mousson geschickt wurde.

Die Begierde, den VARRONEMde re rustica zu lesen, machte, daß er in kurzer Zeit der lateinischen Sprache mächtig wurde, und mit dieser Beyhülfe war ihm nachmals nichts mehr schwer. Als er in Pont-a-Mousson mit vielem Ruhme seine Studia vollendet hatte, ließ ihn der Herzog nach Frankreich reisen. Seine vornehmsten Wissenschaften sind die alte und neue Historie, die Geographie, die Antiquitäten und alten Münzen. Ich habe ihn über das Reich der Karthaginenser lesen hören, und mich verwundern müssen über die Geschicklichkeit, womit er die Historie, Geographie, Sitten der Volker und merkwürdige alte Medaillen aufs gründlichste zu verknüpfen wußte. Die Professorstelle bey der Ritterakademie ist ihm erst kürzlich mit sieben hundert Livres Besoldung zu Theil worden. Als Bibliothecarius hat er tausend Livres und dabey freye Wohnung und freye Tafel am Hofe mit dem Beichtvater des Herzogs. Das rühmlichste an ihm ist seine Modestie und Hoflichkeit. Er schämet sich nicht seines ehemaligen geringen Standes, sondern erzählet gern, wie sich in seinem Verstande ein Begriff nach dem andern formiret, und er auch in seinen verächtlichen Umständen vergnügt gewesen. Er besuchet noch öfters mit guten Freunden die Hermitage, aus welcher ihn die Gnade des Herzogs gezogen, er hat seine Kammer noch daselbst und ist Willens ein kleines Haus dahin zu bauen. Seinen elenden Aufzug, worinnen ihn der Herr von Pfütschner unter einem Baume im Walde angetroffen, nebst der eigentlichen Abbildung der Gegend, und wie er mit dem Prinzen in Unterredung gewesen, hat er in ein Gemälde bringen und solches in des Herzogs Bibliothek aufhängen lassen. Rand rechts: Herzogliche Bibliothek. Von der Anlegung dieser neuen Büchersammlung erzählete er mir, daß des Rosenthal Werk de Feudis, welches in einer Lehenstreitigkeit mit Churpfalz wider das Haus Lothringen angeführet worden, die erste Gelegenheit dazu gegeben, weil man dieses sonst nicht rare Buch bey keinem Gelehrten in Nancy antraf und dem Hause Lothringen dennoch an der Untersuchung der angeführten Stelle gelegen war. Anitzt ist diese Bibliothek schon zu einer ansehnlichen Zahl auserlesener Werke angewachsen, und man unterläßt[1487] nicht, sie noch beständig zu vermehren. In dem Saale derselben stehen zween Globi vom P. Corronelli, deren der eine, nämlich der cœlestis, nach dem Urtheile des du Val, wegen der darauf gezeichneten Orbitarum etlicher Kometen gut und nützlich, der terrestris aber voll Fehler ist. Rand links: Münzkabinet. Bey der Bibliothek sind auch drey tausend und fünf hundert alte Münzen, worunter sonderlich die römischen wohl erhalten sind. Des du Val Verwandlung aus einem Kühhirten in einen gelehrten Professor hat gar besondere Umstände, in Ansehung der Hauptsache aber giebt die Historie mehrere dergleichen Exempel an die Hand.

Dominicus Mecherino, ein bekannter italienischer Maler, der aber berühmter unter dem Namen Beccafumo ist, lernete indessen, daß er die Schafe hütete, vor sich und ohne Anweisung das Zeichnen, und Laurentius Beccafumo, ein Edelmann aus Siena, zog ihn aus dieser niedrigen Lebensart, um ihn in der Malerey unterrichten zu lassen. Rand links: Parallele des Malers Beccafumo mit dem du Val.

Es ist auch du Val nicht der einzige in Luneville, der seine Wissenschaften mehr dem eigenen Triebe seines Naturels, als fremder Unterweisung zu danken hat, sondern man findet auch ein gleiches Exempel an einem Mathematico, Vareinge genannt, der bis in sein acht und zwanzigstes Jahr ein Bauer gewesen und hinter dem Pfluge gegangen, von Jugend auf aber große Liebe zum Drechslen und zur Mechanik gehabt hat, dergestalt daß er den Bauern in seinem Dorfe allerley nützliche Maschinen verfertigte. Rand links: Sonderbare Schicksale des Mathematicus Vareinge. Die genaue Betrachtung eines Bratenwenders, der ohne Gewicht getrieben wurde, brachte ihn auf die Uhrmacherey, und begab er sich endlich nach Nancy, woselbst er verschiedene künstliche Werke verfertigte, bis eine von ihm verfertigte Uhr, die nur drey Räder hatte, und dennoch nicht nur die Stunden zeigte, sondern auch schlug und repetirte, dem Herrn von Pfütschner in die Hände kam, der den Meister bey dem Herzoge recommendirte, und es dahin richtete, daß er auf des Herzogs Unkosten nach England geschickt worden, woselbst er dreyzehn Monate gewesen, und in der Mathematik des Unterrichts des berühmten Desaguillier genossen hat. Sein unermüdeter Fleiß und fähiger Kopf haben einen vortrefflichen Mechanicum aus ihm gemacht, und bekleidet er anitzt die Stelle eines Professoris Physices experimentalis bey der Ritterakademie mit einer Besoldung von zwölf hundert Livres. Die Kammer der Maschinen ist seiner Aufsicht anvertrauet und verdienet er das Lob eines höflichen und bescheidenen Mannes, der so wenig als du Val ein Geheimniß aus seinem vorigen Staude machet, sondern nebst ihm rühmet, wie sie beyde ihr Glück dem Herrn von Pfütschner zu danken haben. Bey dem Vareinge sah ich die mit wenigern Rädern glücklich verfertigte Nachahmung derjenigen Maschine, die der englische Mechanicus Roley für den Prinzen Eugen gemacht hat, und die das SystemaCOPERNICANVM vor Augen leget. Auf gleiche Art hat Vareinge die Maschine, so mit Hülfe des Feuers das Wasser in die Höhe treibt, verbessert. Der itzige Herzog sprach einsmals in Luneville von den Brennspiegeln, die er bey den Jesuiten zu Prag gesehen, und womit man ohne Sonnenstralen nur durchglüende Kohlen von einem Ende eines Zimmers bis zum andern etwas entzünden kann. Rand links: Systema Copernicanum. Rand links: Brennspiegel. Vareinge als er davon hörete, bath den Herrn von Pfütschner wegen Verfertigung dieser Brennspiegel nach Prag zu schreiben, die Jesuiten aber, die nicht gern ihre Kunst mittheilen wollten, antworteten nur, solche Spiegel würden nach derLinea Parabolica primi generis zubereitet. Sobald Vareinge dieses erfahren, ließ er nicht ab, bis er zween solcher Brennspiegel zuwege gebracht, die einander die Stralen auf zwanzig Schritte zuschickten und eine leicht Feuer fangende Materie entzündeten. Die itzt allhier befindlichen Brennspiegel dieser Art thun die gedachte Wirkung nicht auf eine so weite Entfernung, weil sie nicht gut und glatt genug verguldet sind, als worauf das meiste ankömmt. Zum Fundament ist die Glockenspeise am besten, woraus man auch die Cylindros, die bey etlichen optischen Versuchen nöthig sind, verfertiget.[1488]

Durch diese Spiegel können zwo Personen vernehmlich miteinander sprechen, ob sie gleich so leise reden, daß die in der Mitte stehenden Personen nichts davon vernehmen, wie man solche Experimente auch in elliptischen Gewölbern machen kann. Rand rechts: Lautes Sprechen durch Spiegel.

Von Luneville bis Nancy sind fünf Stunden, und wechselt man die Post in St. Nikolas, einem geringen Orte, wohin viele Wallfahrten wegen etlicher Reliquien des heil. Nikolas Bischofs von Mire, geschehen. Rand rechts: St. Nikolas. Eine halbe Stunde vor Nancy bleibt das herzogliche Lustschloß Mallegrange linker Hand auf einer kleinen Höhe liegen. Rand rechts: Mallegrange. Es hat solches eine angenehme Aussicht und das Gebäude selbst ist prächtig angefangen, aber noch nicht vollendet, auch nicht zu vermuthen, daß es jemals ausgebauet werde. Näher an der Stadt liegt eine Kapelle, Notre Dame de bon secours genannt, die wegen vieler Wunderwerke, so darinnen geschehen seyn sollen, in großem Ruffe ist. Rand rechts:N. D. de bon secours.

Nancy liegt in einer schönen Ebene, eine halbe Stunde vom Flusse Meortie, und wird in die alte und neue Stadt eingetheilet. Rand rechts: Nancy. Die letztere hat breite und gerade Straßen mit vielen schönen Häusern, die nach der hiesigen Landesart meistentheils so niedrige Dächer haben, daß man ohne Mühe darauf herumgehen könnte. In der alten Stadt hat der große lange Platz oder die breite Straße vor dem Schlosse ein gutes Ansehen. Die Befestigungswerke haben den Franzosen zu Gefallen geschleifet werden müssen und ist nichts davon übrig geblieben, als die Mauer und etliche Bastionen. Rand rechts: Fortification. In diesem Zustande ist die Stadt den Herzogen von Lothringen vermöge des ryswickischen Friedens wieder eingeräumet worden, und darf der Herzog weder Nancy noch einen andern Ort ohne Genehmhaltung des Königs in Frankreich fortificiren.

Von dem alten Schloßgebäude ist ein Theil abgebrochen, und hat der vorige Herzog einen neuen Pallast angefangen, sein Unternehmen aber wieder ins Stecken gerathen lassen, dergestalt, daß nur dasCorps de Logis davon steht, welches kein Portal, sondern anstatt desselben fünf nebeneinander befindliche Thüren hat, dergleichen man sieben an dem amsterdammischen Rathhause bemerket. Der itzige Herzog kömmt selten nach Nancy. Rand rechts: Schloß. Indessen sind in dem Schlosse achtzehn schöne Tapeten zu besehen, welche die Thaten des Herzogs Karl des vierten abbilden. Rand rechts: Tapeten. Man zeiget auch zween alte Säbel von denen Burgundern, die unter ihrem Herzoge Karl dem kühnen bey Nancy geschlagen worden, insonderheit aber dieses itztgedachten unruhigen Heldens Casquet, so mit rothem Sammet überzogen und nebst einer gelben Feder mit einer Binde von gelbem Taffet versehen ist. Rand rechts:Caroli Audicis Casker. Diese wird zum Andenken solches Sieges alle Jahre in einer Proceßion von dem Capitain der Schweizer herum getragen, und zween andere Schweizer tragen dabey die obgedachten zween Säbel. Bey dem Schlosse ist in einem Bastion ein Garten angelegt, aus welchem man eine angenehme Aussicht hat. Rand rechts: Garten. An den Garten stößt das Opernhaus, dessen Theater von dem italienischen Baumeister Bibiena, der auch das Wienerische gebauet hat, angegeben ist. Rand rechts: Opernhaus. In Ansehung der Größe hat solches nichts besonders, die Einrichtung aber ist wohlausgesonnen. Auf jeder Seite giebt ihm eine schöne Tribuna eine gute Zierde.

Was die geistlichen Gebäude der Stadt betrifft, so wird anitzt l'Eglise Primatiale aus Quadersteinen und auf italienische Art mit zween Thürmen und einer zierlichen Cuppola sehr prächtig gebauet. Rand rechts: l'Eglise Primatiale. Diese Kirche steht nicht unter dem Metropolitano des Herzogthums Lothringen, (welches der Bischof von Toul ist) sondern unmittelbar unter dem Pabste, daher sie auch den Namen Primatialis führet. Ihr Capitel besteht aus einem Primate und sechszehn Canonicis, welche letztern aber nicht nöthig haben, ihre Ahnen zu beweisen. Der Herzog ernennet den Primatem ohne sie darum zu fragen, und der Pabst bekräftiget ihn.[1489]

Seine Einkünfte erstrecken sich mit der Abtey de l'Isle (die mit der Würde des primatialis vereiniget ist) auf sechs und dreyßig tausend Livres, welche seit dem Jahre 1715, nämlich nach dem Tode des letzten Primatis, Herzogs Karl Joseph Ignatius, Churfürsten zu Trier und Bischofes zu Oßnabrück, mit Einwilligung des Pabstes zum Kirchenbau verwendet werden.

In der Kirche St. George ist der Herzog von Burgund, Karl der kühne, welcher am 5 Januar des Jahres 1477 vor der Stadt Nancy sein Leben in einer Schlacht einbüßte, begraben; es wollen aber etliche Nachrichten, daß seine Gebeine im Jahre 1550, von der ungarischen Königinn und Regentinn der Niederlande, Maria, nach Brüggen in Flandern geführet worden wären. Rand links: Kirche St. Georgii. Rand links: GrabCaroli Audacis. Sein Grabmaal zu Nancy stellet ihn mit zusammengefalteten Händen und mit dem Haupte auf einem Küssen liegend vor. Zu den Füßen zeiget sich ein Löwe. Chyträus und Merian geben Nachricht von den Inscriptionen dieses Monuments, und fängt das erste Carmen an:


Carolus hoc busto Burgundæ gloria gentis

Conditur, Europæ qui fuit ante timor.


Unter andern liest man auch:


Bella Ducum, Regumque & Cæsaris omnia spernens

Totus in effuso sanguine lætus erat.

Discite terrenis quid sit confidere rebus,

Hic toties Victor denique victus adest.


In der gedachten Kirche St. George sind auch die Begräbnisse der alten Herzoge von Lothringen; die neuern haben ihre Ruhestäte in der Kirche der Kapuziner. Rand links: Herzogliche Bregräbnisse.

Bey Nancy muß ich noch Meldung thun von dem berühmten Medailleur und Graveur des monoyes de S. Alt. Royale, Ferdinand St. Urbain, der in der Münze wohnet. Er ist aus Nancy bürtig und hat sich in beständiger Uebung seiner gedachten Wissenschaft und der Baukunst fünf und zwanzig Jahre lang unter den Päbsten Innocentius dem eilften, Alexander dem achten, Innocentius dem zwölften und Clemens dem eilften bey Hamerano in Rom aufgehalten; auch solchen Ruhm daselbst hinterlassen, daß der itzige Pabst, der noch als Kardinal und päbstlicher Schatzmeister ihn gekannt hat, nun den Stempel zu einer großen Medaille bey ihm verfertigen läßt3. Von dem Firnisse, welchen St. Urbain den kupfernen Medaillen zu geben weis, habe ich zu anderer Zeit schon Bericht abgestattet.

Ich reise von hier in Frankreich und England, und gedenke über die österreichischen und vereinigten Niederlande wiederum nach Hause zu kehren. Da ich nun weis, wie wohl diese Länder meinem Herrn bekannt sind, so habe ich Ursache zu befürchten, daß Ihnen die Beschreibungen, welche ich davon machen könnte, mehr verdrüßlich und langweilig als angenehm fallen würden. Ich schließe demnach diese Berichte und empfehle mich zu beständiger Gewogenheit– – –

Nancy, den 24 Jun. 1731.

Fußnoten

1 Daß dieses wirklich erfüllet sey, und daß sich der Bruder den Ruhm eines der größesten Helden unsers Jahrhunderts erworben habt; das sind Sachen, die alle unsre Leser wissen.


2 Der Prinz von Lixin blieb im Jahre 1734 am Rheinströme in einem Duell mit dem Duc de Richelieu, obgleich in den Zeitungen gesetzt wurde, er habe sein Leben in den Approchen vor Philippsburg eingebüßet. Seine hinterlassene Wittwe vermählte sich im Jahre 1739 mit dem französischen Gesandten am kaiserlichen Hofe, Marquis de Mirepoix.


3 Eben dieser Pabst hat ihn im März des Jahres 1735 zum römischen Ritter erkläret. Den 15 Octob. des itztgedachten Jahres wurde St. Urbain zum Mitgliede der gelehrten Gesellschaft zu Bologna aufgenommen.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 2. Hannover 1751, S. 1490.
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