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[165] Podkamién, den 22. Jänner 1809.


Bester Bruder!


Wie sonderbar das Schicksal mit den Menschen spielt! Leibliche Brüder wie wir beyde, die einander so herzlich lieben (wenigstens wie ich Dich), kommen an zwey so verschiedene Pole und haben gar keine Hoffnung, sich nach einer achtjährigen Trennung wiederzusehen. Unsere Mutter hat Dir vielleicht schon geschrieben1, daß ich seit drei Monathen nicht mehr in unserer lieben Vaterstadt, sondern in Galizien, einige Meilen hinter Lemberg bei einem Grafen2 angestellt bin, um seinen beiden Töchtern täglich vier Stunden zu geben. Dafür habe ich 1000 Gulden, und Tafel, Logis, Holz, Licht, Wäsche etc frey. Hier werde ich mich bemühen, meine Kunst nach Kräften zu vervollkommen, und dann, wenn es anders die Umstände zulassen, werde ich eine Reise unternehmen.

Ich bin hier seit meinem dreimonathlichen Aufenthalte sehr zufrieden und werde es noch mehr seyn, wenn ich durch eine Antwort werde versichert seyn, daß Du meinen Brief erhalten.

Unsere Mutter hat mir – ich weiß nicht warum? – noch nicht geschrieben. Was macht die Musik? Ich bin sehr neugierig, etwas von Deiner Composition zu sehen. Du vielleicht auch. Ich möchte Dir gerne davon etwas mittheilen, wenn ich nur Gelegenheit fände. Lebe wohl, Bester, und schreibe bald Deinem Dich herzlich liebenden Bruder

Wolfgang Moz[art].

Fußnoten

1 Vgl. Brief Nr. 41 auf S. 44 f.


2 Graf Viktor Baworowski.


Quelle:
Mozart, Constanze: Briefe, Aufzeichnungen, Dokumente 1782 bis 1842. Dresden 1922, S. 165.
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