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[168] Smolanka, den 22. November 1810.


Lieber Bruder!


Deinen lieben Brief vom 21. October war ich so glücklich gestern zu erhalten, und ich glaube Dir nicht erst sagen zu müssen, wie viel Vergnügen er mir gemacht hat. Von unserer Mutter habe ich vor einigen Tagen den ersten Brief seit ihrer Abreise in Wien erhalten.1 Sie meldet mir, daß sie glücklich in Kopenhagen angekommen, daß sie sich sehr wohl befindet; mit einem Worte, sie scheint recht zufrieden zu seyn. In ihrem Enthusiasmus erhebt sie sogar die Gelindigkeit des dortigen Klimas. Gott gebe, daß alles[168] immer so bleibe und sich ja nichts zu ihrem Nachtheile ändere! Für unseres Vaters [Nissens] Wohlseyn bin ich weit weniger besorgt, denn schon das Glück, mit seinen Landsleuten zu seyn, hat ihn gewiß um zehn Jahre verjüngt. Wien zu verlassen und mit Kopenhagen umzutauschen, war, wie Du wohl wissen wirst, schon mehrere Jahre seyn Wunsch und einziges Bestreben. Du hast, wie Du sagst, wenig Hoffnung, unsere liebe Mutter zu sehen, das heißt, sie bald zu sehen. Ich leider auch nicht. Bis jetzt wenigstens lassen mich weder ökonomische noch andere Umstände diesen so glücklichen Zeitpunkt voraussehen, ja nicht einmal vermuthen. Mein Gehalt war vor zwey Jahren groß genug; jetzt aber, wo der Dukaten zu 30 Gulden steht, schmilzt er gewaltig zusammen. Aber, wirst Du fragen, trägt dir deine Composition nichts ein? Ja, lieber Bruder, es würde mir viel eintragen, aber ich componire – nichts. Das traurige einsame Leben, was ich hier führen muß, stumpft meine Sinne so sehr ab, daß ich mich oft tagelang martern muß, bis ich die geringste Kleinigkeit zu Stande bringe. Studieren lässt es sich hier trefflich, und dazu verwende ich auch den meisten Theil meiner Zeit. Jetzt studiere ich Kirnbergers Reinen Satz2. In den zwey Jahren, die ich hier bin, habe ich wenig vergnügte Augenblicke gehabt. Ich habe zwar keinen Mangel, bin unter guten Menschen, die mich zu lieben scheinen, und könnte mir daher als Mensch kein besseres Brot wünschen. Aber als Künstler? Als Künstler werde ich in einem Dorfe, in einem Lande, wo ich vielleicht der erste in meinem Fache bin, wenig profitiren. Hältst Du dieses für überspannt, für Eitelkeit, so ersuche ich Dich, selbst herzukommen und Dich zu überzeugen.

Anton Lange werde ich grüßen. Er hat keine Kinder. An Härtel werde ich mit nächstem schreiben. Meine Herrschaft läßt Dich unbekannter Weise grüßen. Wir haben auch eine sehr geschickte Zeichenmeisterin bey uns; sie heißt Karoline Roth. Ich habe Ihr so viel Schlechtes von Dir gesagt, (wie es immer meine Gewohnheit ist,) daß sie mir ebenfalls aufgetragen hat, Dich zu grüßen. Ich gebe gerne zu, daß Hr Lichtenthal3 Dich durch seine Gegenwart genirt, denn er ist in der That, wie ich ihm schon oft gesagt habe,[169] das Triplicatum von Prahlerey und Eitelkeit. Übrigens kann er Dir doch viel von unserer Mutter und unserer ganzen Familie erzählen, da er durch beinahe acht Jahre täglich in unser Haus kam. Frage ihn, ob er nicht zu mir auf eine Partie Wisth oder Tarock kommen will. Wovon lebt er denn jetzt?

Verzeihe, mein lieber Karl, wenn mein Brief nicht so lange wird wie der Deine, aber bedenke auch, daß Du in einer großen Stadt bist und ich hingegen in einem elenden Dorfe. Lebe wohl, aber auch fröhlicher als ich, und schreibe bald und viel! Lebe wohl! Es umarmt Dich Dein zärtlicher Bruder

Wolfgang.


[Nachschrift:] Correspondirst Du mit Sophie [Haibel]?

Obwohl ich in Smolanka bin, so adressire dennoch wie sonst nach Podkamién, aber nicht an Hrn. Gf. Bawarowski, sondern Baworowski.

Fußnoten

1 Vgl. Brief Nr. 57, S. 71 ff.


2 Johann Philipp Kirnberger (1721–1783), einer der angesehensten Theoretiker des 18. Jahrhunderts. Die »Kunst des reinen Satzes« (2 Bände) ist 1774–1779 erschienen.


3 Peter Lichtenthal; vgl. S. 42, 69 und S. 73 f.


Quelle:
Mozart, Constanze: Briefe, Aufzeichnungen, Dokumente 1782 bis 1842. Dresden 1922, S. 170.
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