62. Mozarteum.

[50] München 2. Oct. 1777.

Gestern als den 1. October war ich abermals beim Graf Salern, und heut speiste ich gar da. Diese 3 Tage spielte ich mir genug, aber doch recht gern. Der Papa darf sich aber nicht einbilden, ich wäre gern wegen – – beim Salern. Nein, dann diese ist leider in Dienst, mithin niemals zu Haus. Aber morgen werde ich frühe um 10 Uhr en Compagnie der Mad. Hepp vormalige Tosson Fräulein zu ihr nach Hof gehen. Denn am Samstag verreist der Hof und kommt erst den 20. wieder. Morgen speise ich bei der Fr. und Frl. de Branca, welche jetzt eine halbe Scolarin bey mir ist, denn Sigl kommt selten, und Becke ist nicht hier, der ihr sonst mit der Flauten hilft. Beym Graf Salern spielte ich die 3 Tage durch viel[50] Sachen vom Kopf, dann die 2 Cassationen für die Gräfin und die Finalmusik mit dem Rondo auf die letzt auswendig. Sie können sich nicht einbilden, was der Graf Salern für eine Freude hatte. Er versteht doch die Musique, denn er sagte allzeit Bravo, wo andere Cavaliere eine Prise Tabak nehmen, sich schnäutzen, räuspern, oder einen Discurs anfangen. – Ich sagte ihm: »Ich wünschte nur daß der Churfürst da wäre, so könnte er doch was hören. – Er weiß nichts von mir, er weiß nicht was ich kann. Daß doch die Herrn einem Jeden glauben, und nichts untersuchen wollen! Ja, das ist allzeit so! – Ich lasse es auf eine Probe ankommen; er soll alle Componisten von München herkommen lassen, er kann auch einige von Italien und Frankreich, Deutschland, England und Spanien verschreiben, ich traue mir mit einem Jeden zu schreiben.« – Ich erzählte ihm, was mit mir in Italien vorgegangen ist; ich bat ihn, wenn ein Discurs von mir wäre, diese Sachen anzubringen. Er sagte: »Ich bin der Wenigste, aber was bei mir besteht, von ganzem Herzen.« – Er ist halt auch der Meinung, daß wenn ich so hier bleiben könnte, unterdessen die Sache hernach von sich selbst ging. Für mich allein wäre es nicht unmöglich mich durchzubringen, denn von Graf Seeau wollte ich wenigstens 300 Fl. bekommen. Für das Essen dürfte ich mich nicht sorgen, denn ich wäre immer eingeladen, und wäre ich nicht eingeladen, so machte sich Albert eine Freude mich bey sich zu Tisch zu haben. Ich esse wenig, trinke Wasser, auf die letzt zur Frucht ein klein Glas Wein. Ich würde den Contract mit Graf Seeau (alles auf Anrathen meiner guten Freunde) so machen: Alle Jahre 4 deutsche Opern, theils buffe und serie zu liefern; da hätte ich von einer jeden eine Sera oder Einnahme für mich, das ist schon so der Brauch. Das würde mir allein wenigstens 500 Fl. tragen, das wäre mit meinem Gehalt schon 800 Fl. – aber gewiß mehr; denn der Reiner, Comödiant und Sänger, nahm in seiner Sera 200 Fl. ein, und ich bin hier sehr beliebt. Und wie würde ich erst beliebt werden, wenn ich der deutschen National-Bühne in der Musik empor hälfe! – Und das würde durch mich gewiß geschehen, denn ich war schon voll Begierde zu schreiben, als ich das deutsche Singspiel hörte. Die erste Sängerin heist[51] Keiserin, ist eine Kochs-Tochter von einem Grafen hier, ein sehr angenehmes Mädl, hübsch auf dem Theater; in der Nähe sah ich sie noch nicht. Sie ist hier geboren. Wie ich sie hörte, war es erst das dritte Mal, daß sie agirte. Sie hat eine schöne Stimme, nicht stark, doch auch nicht schwach, sehr rein, eine gute Intonation. Ihr Lehrmeister ist Balesi; und aus ihrem Singen kennt man, daß ihr Meister sowohl das Singen als das Singenlehren versteht. Wenn sie ein paar Tacte aushält, so hab ich mich sehr verwundert, wie schön sie das Crescendo und Decrescendo macht. Den Triller schlägt sie noch langsam, und das freut mich recht; denn er wird nur desto reiner und klarer, wenn sie ihn einmal geschwinder machen will; geschwind ist er ohnehin leichter. Die Leute haben hier eine rechte Freude mit ihr – und ich mit ihnen. Meine Mama war im Parterre, sie ging schon um halb 5 Uhr hinein, um Platz zu bekommen. Ich ging aber erst um halb 7 Uhr, denn ich kann überall in die Logen gehen; ich bin ja bekannt genug. Ich war in der Loge vom Haus Branca, ich betrachtete die Keiserin mit einem Fernglas, und sie lockte mir öfters eine Zähre ab. Ich sagte oft Bravo, bravissimo. Denn ich dachte immer, daß sie erst das dritte Mal auf dem Theater ist. – Das Stück hieß »Das Fischermädchen«, eine nach der Musik des Piccini sehr gute Uebersetzung. Originalstücke haben sie noch nicht. Eine deutsche Opera seria möchten sie auch bald geben, – und man wünscht halt, daß ich sie componirte. Der gemeldte Professor Huber ist auch von den wünschenden Personen. Nun muß ich ins Bett; es thuts nicht mehr anders. Just Puncto 10 Uhr! – Baron Rumling machte mir neulich das Compliment: »Spektakel sind meine Freude. Gute Acteurs und Actricen, gute Sänger und Sängerinnen und dann einen so braven Componisten dazu wie Sie.« – Das ist freylich nur geredet, und reden läßt sich viel. Doch hat er niemals mit mir so geredet.

Den 3. October schreibe ich dieses. Morgen verreist der Hof und kommt vor dem 20. nicht zurück. Wenn er hier geblieben wäre, hätte ich immer meine Schritte gemacht, wäre noch eine Zeit hier geblieben. So aber hoffe ich mit meiner Mama kommenden Dienstag meine Reise fortzusetzen; doch so,[52] daß unterdessen die Compagnie-Historie veranstaltet wird, von welcher ich neulich geschrieben habe, damit wir, wenns uns nicht mehr freut zu reisen, einen sichern Ort haben. Hr. von Krimmel war heut beym Bischof in Chiemsee, er hat mit ihm viel zu thun, ebenfalls auch wegen dem Salz. Er ist ein kurioser Mann, hier heißt man ihn Euer Gnaden, das ist Bediente. Er der nichts mehr wünschte als daß ich hier bliebe, sprach mit dem Fürsten sehr eifrig wegen meiner. Er sagte mir: Lassen Sie nur mich gehen, ich rede mit dem Fürsten, ich kann schon recht mit ihm reden, ich habe ihm oft viel Gefälligkeiten erwiesen. – Der Fürst versprach ihm, daß ich gewiß in Dienst kommen werde. Aber so geschwind kann die Sache nicht gehen. Er wird bey der Retour des Hofs mit dem Churfürsten mit allem Ernst und Eifer reden. – Heut um 8 Uhr frühe war ich beym Graf Seeau, machte es ganz kurz, sagte nur: »Ich bin nur da, Euer Excellenz mich und meine Sache recht zu erklären. Es ist mir der Vorwurf gemacht worden, ich sollte nach Italien reisen. Ich war 16 Monate in Italien, habe 3 Opern geschrieben, das ist genug bekannt. Was weiter vorgegangen, werden Euer Excellenz aus diesen Papieren sehen.« Ich zeigte ihm die Diplomata. »Ich zeige und sage Euer Excellenz dieses Alles nur, damit wenn eine Rede von mir ist und mir etwa Unrecht gethan würde, sich Euer Excellenz mit Grund meiner annehmen können.« Er fragte mich, ob ich jetzt nach Frankreich ginge. Ich sagte, ich würde noch in Deutschland bleiben, er verstand aber in München und sagte vor Freude lachend: »So, hier bleiben Sie noch?« – Ich sagte: »Nein, ich wäre gern geblieben, und die Wahrheit zu gestehen, hätte ich nur dessentwegen gern vom Churfürsten etwas gehabt, damit ich Euer Excellenz hernach hätte mit meiner Composition bedienen können und ohne alles Interesse. Ich hätte mir ein Vergnügen daraus gemacht.« – Er rückte bey diesen Worten gar seine Schlafhaube.

Um 10 Uhr war ich bei der Gräfin Salern bei Hof. Hernach speiste ich im Haus Branca, der Hr. Geheimrath von Branca war beym französischen Gesandten eingeladen, folglich nicht zu Haus. Man heist ihn Excellenz. Die Frau ist eine[53] Französin, kann fast gar nichts Deutsch, mit ihr habe ich beständig Französisch gesprochen. Ich sprach ganz keck, sie sagte mir, ich rede gar nicht schlecht, und ich hätte eine gute Gewohnheit das ich langsam spräche, denn durch dieses mache ich mich sehr gut verstehen. Sie ist eine recht brave Frau, voll Lebensart. Die Fräulein spielt artig, das Tempo fehlt ihr noch. Ich habe geglaubt, sie oder ihr Gehör sey die Ursache, aber ich kann keinem Menschen Schuld geben, als ihrem Lehrmeister, er hat zu viel Nachsicht, er ist gleich zufrieden. Ich habe heut mit ihr probirt, ich wollte wetten, daß wenn sie 2 Monate bey mir lernte, sie recht gut und accurat spielen würde. Um 4 Uhr gieng ich zur Fr. von Tosson, wo meine Mama schon dort war und auch Fr. von Hepp. Da spielte ich bis 8 Uhr. Dann gingen wir nach Haus. Beyläufig um halb 10 Uhr kam eine kleine Musique von 5 Personen, 2 Clarinetten, 2 Corni und 1 Fagotto. Hr. Albert (dessen Namenstag morgen ist) ließ mir und ihm zu Ehren diese Musique machen. Sie spielten gar nicht übel zusammen, es waren die nämlichen Leute, die bey Albert im Saal aufmachen, man kennt aber ganz gut, daß sie von Fiala abgerichtet worden. Sie bliesen Stücke von ihm, und ich muß sagen, daß sie recht hübsch sind; er hat sehr gute Gedanken. Morgen werden wir eine kleine Schlakademie zusammen machen, auf dem elenden Clavier Nota bene. Auweh! auweh! auweh! – Ich wünsche halt eine rechte ruhsame Nacht und bessere einen guten Wunsch in hören, bald zu hoffen, daß der gesunde völlig Papa ist. Ich Verzeihung bitte wegen meiner abscheulichen Schrift, aber Dinten, Eile, Schlaf, Traum und alles halt. – Ich Papa Ihnen mein allerhändigster küsse 1000 mahl die liebsten, und meine umarme die Herzen, Schwester ich von ganzem Canaglien und bin von nun an bis in Ewigkeit Amen

Wolfgang gehorsamster Dero

Amade Mozart Sohn.19

19

Dergleichen Wortverstellungen waren früh und spät sein kindisches Vergnügen.

Quelle:
Mozarts Briefe. Nach den Originalen herausgegeben von Ludwig Nohl. Salzburg 1865, S. 50-54.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mozarts Briefe
Mozarts Briefe

Buchempfehlung

Goldoni, Carlo

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Die Prosakomödie um das Doppelspiel des Dieners Truffaldino, der »dumm und schlau zugleich« ist, ist Goldonis erfolgreichstes Bühnenwerk und darf als Höhepunkt der Commedia dell’arte gelten.

44 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon