65. Mozarteum.

[62] Augsburg 14. Oct. 1777.

– Mithin haben wir uns nicht in Dato geirret; denn wir haben noch vor Mittag geschrieben, und wir werden glaube ich künftigen Freytag als übermorgen wieder weg. Denn hören Sie nur wie schön generos die Hr. Augsburger sind! Ich bin noch in keinem Ort mit so vielen Ehrenbezeugungen überhäuft worden wie hier. Mein erster Gang war zum Hr. Stadtpfleger Longotabarro [Bürgermeister Langmantel]. Mein Hr. Vetter20, der ein rechter braver, lieber Mann und ein ehrlicher Bürger ist, hat mich hin begleitet und hatte die Ehre, oben im Vorhause wie ein Laquais zu warten, bis ich von dem Erz-Stadtpfleger herauskommen würde. Ich ermangelte nicht gleich von Anfang die unterthänigste Empfehlung vom Papa auszurichten. Er erinnerte sich allergnädigst auf Alles und fragte mich: »Wie ists dem Herrn immer gegangen?« Ich sagte gleich darauf: »Gott Lob und Dank recht gut, und Ihnen hoffe ich wird es auch ganz gut gegangen sein?« – Er wurde hernach höflicher und sagte »Sie«, und ich sagte »Euer Gnaden«, wie ich es gleich von Anfang gethan hatte. Er gab mir keinen Fried, ich mußte mit ihm hinauf zu seinem Schwiegersohn (im 2ten Stock) und mein Hr. Vetter hatte die Ehre unterdessen über eine Stiege im Pflez zu warten. Ich mußte mich zurückhalten mit allem Gewalt, sonst hätte ich mit der größten Höflichkeit etwas gesagt. Ich hatte oben die Ehre in Gegenwart des gestarzten Hr. Sohns und der langhachsigten gnädigen jungen Frau und der einfältigen alten Frau so beyläufig 3/4 Stunde auf einem guten Clavichord von Stein zu spielen. Ich spielte Phantasien und endlich alles was er hatteprima vista, unter andern sehr hübsche Stücke von einem gewissen Edlmann. Da war alles in der größten Höflichkeit, und ich[62] war auch sehr höflich; denn meine Gewohnheit ist mit den Leuten so zu sein wie sie sind; so kömmt man am besten hinaus. Ich sagte daß ich nach dem Essen zum Stein gehen würde. Der junge Hr. trug sich sogleich selbst an mich hinzuführen. Ich dankte ihm für seine Güte und versprach nach Mittag um 2 Uhr zu kommen. Ich kam, wir gingen mit einander in Gesellschaft seines Hrn. Schwagers, der einem völligen Studenten gleich sieht. Obwohl ich gebeten hatte still zu halten wer ich sey, so war Hr. v. Langenmantl doch so unvorsichtig und sagte zum H. Stein: »Hier habe ich die Ehre Ihnen einen Virtuosen auf dem Clavier aufzuführen« – und schmuzte darzu. Ich protestirte gleich und sagte ich wäre nur ein unwürdiger Scolar von Hrn. Sigl in München, von dem ich ihm viele 1000 Complimente ausgerichtet habe. – Er sagte nein mit dem Kopf – und endlich: – »Sollte ich wohl die Ehre haben den H. Mozart vor mir zu haben?« »O nein«, sprach ich, »ich nenne mich Trazom, ich habe auch hier einen Brief an Sie«. Er nahm den Brief und wollte ihn gleich erbrechen, ich ließ ihm aber nicht Zeit und sagte: »Was wollen Sie denn jezt da den Brief lesen? machen Sie dafür auf, daß wir in den Saal hinein können, ich bin so begierig Ihre Pianofortes zu sehen.« – »Nu, meinetwegen. Es sey wie es wolle; ich glaube aber ich betrüge mich nicht.« Er machte auf, ich lief gleich zu einem von den 3 Clavieren, die im Zimmer stunden. Ich spielte, er konnte kaum den Brief aufbringen vor Begierde überwiesen zu sein; er las nur die Unterschrift. O, schrie er und umarmte mich; er verkreuzigte sich, machte Gesichter, und war halt sehr zufrieden. Wegen seinen Clavieren werde ich nachgehends sprechen. Er führte mich hernach gleich in ein Kaffeehaus, wo ich wie ich hineintrat, glaubte, ich müßte wieder zurückfallen, vor Gestank und Rauch von Taback. Ich mußte halt in Gottes Namen eine Stunde aushalten. Ich ließ mir auch alles gefallen, obwohl ich in der Türkei zu seyn glaubte. Er machte mir dann viel Wesens mit einem gewissen Graf Compositeur (doch nichts als von Flötenconcerten); er sagte mir: »Das ist ganz was besonderes«, und was man halt Uebertriebenes sagen kann. Ich schwitzte an Kopf, Hand und ganzem Leibe vor[63] Angst. Dieser Graf ist ein Bruder zu den zwey, wo einer im Harz und der andere in Zürich ist. Er gab nicht nach und führte mich gleich zu ihm. Das ist ein ganz nobler Mann; er hatte einen Schlafrock an, wo ich mich nicht schämete auf der Gasse ihn zu tragen. Er setzt alle Wörter auf Stelzen und macht gemeiniglich das Maul eher auf, als er nur weiß, was man sagen will; – manchmal fällt es auch zu, ohne etwas zu thun gehabt zu haben. Er producirte nach vielen Complimenten ein Concert auf 2 Flöten; ich mußte die erste Violin spielen. Das Concert ist so: gar nicht gut ins Gehör, nicht natürlich, er marschirt oft in die Töne gar zu – plump, und dieß alles ohne die mindeste Hexerei. Wie es vorbey war, so lobte ich ihn recht sehr; dann er verdient es auch. Der arme Mann wird Mühe genug gehabt haben; er wird genug studieret haben. Endlich brachte man ein Clavichord aus dem Cabinet heraus (von Hrn. Stein seiner Arbeit) recht gut, nur voll Staub. Hr. Graf, welcher Director hier ist, stand da wie einer der immer geglaubt hat, ganz besonders in seiner Reise durch die Töne zu seyn, und nun findet daß man noch besonderer seyn kann, und ohne dem Ohr wehe zu thun. Mit einem Wort es war halt alles in Verwunderung. –

20

Leopold Mozart hatte einen Bruder dort, der Buchbinder war und eine Tochter, »das Bäsle«, hatte, die 2 Jahre jünger war als Mozart.

Quelle:
Mozarts Briefe. Nach den Originalen herausgegeben von Ludwig Nohl. Salzburg 1865, S. 62-64.
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