109.

[154] Monsieur

mon trés cher Pére!


Ich hätte unmöglich den gewöhnlichen samstag erwarten können, weil ich schon gar zu lange das vergnügen nicht gehabt habe mich mit ihnen schriftlich zu untereden. Das erste ist daß ich ihnen schreibe, wie es mir und meinen werthen freunden in kirchheim-Poland ergangen ist. es war eine Vacans-reise, und weiter nichts. freytags morgens um 8 uhr fuhren wir von hier ab, nachdemm ich bey h: weber das frühstück eingenommen hatte; wir hatten eine galante gedeckte viersitzige kutsche: um 4 uhr kammen wir schon in kirchheim-Poland an. wir musten gleich ins schloss einen zetul mit unsere Näme schicken. Den andern tag frühe kamm schon der h: Concert-[154] meister Rothfischer1 zu uns, welcher mir schon zu Mannheim als ein grundehrlicher Mann beschrieben wurde; und ich fand ihn auch so. Abends giengen wir nach hof, das war samstag; da sang die Madselle Weber 3 arien. ich übergehe ihr singen – – mit einen wort vortreflich! – ich habe ja im neulichen brief von ihren verdiensten geschrieben; doch werde ich diesen brief nicht schliessen können, ohne noch mehr von ihr zu schreiben, da ich sie izt erst recht kennen gelernt, und folglich ihre ganze stärcke einsehe. wir musten hernach bey der officier-tafel speisen. den andern tag giengen wir ein ziemlich stück weege in die kirche, denn die katholische ist ein bischen entfernt. Das war sonntag. zu mittage waren wir wieder an der tafel. abends war keine Musique, weil sonntag war. Darum haben sie auch nur 300 Musiquen das jahr. abends hätten wir doch bey hofe speisen können, wir haben aber nicht gewollt, sondern sind lieber unter uns zu hause geblieben. wir hätten unanimiter von herzen gerne das essen bei hofe hergeschenckt; denn wir waren niemahl so vergnügt als da wir allein beysamm waren, allein wir haben ein wenig aeconomisch gedacht – wir haben so genug zahlen müssen. Den andern tag Montag war wieder Musique, Dienstag wieder, und mittwoch wieder; Die Madselle Weber sang im allen 13 mahl, und spielte 2 mahl Clavier, denn sie spiellt gar nicht schlecht. was mich am meisten wundert ist daß sie so gut Noten liest. stellen sie sich vor, sie hat meine schweren Sonaten, langsam aber ohne eine Note zu fehlen Prima vista gespielt. ich will bey meiner Ehre meine sonaten lieber von ihr als vom vogler spiellen hören. ich hab im allen 12 mahl gespiellt, und einmahl auf begehren in der lutherischen kirche auf der Orgel, und habe der fürstiñ mit 4 sinfonien aufgewartet, und nicht mehr als oflblnlouis d'or NB: fn ofeblr gled2, bekommen, und meine liebe arme weberin flni3 Das hätte ich mir wahrhaft nicht vorgestellt. auf viel habe ich mir niemahl hofnung gemacht, aber auf das wenigste ein jedes Mcut4. basta; wir haben nichts darbey verlohren; ich hab noch 42 fl. Profitt, und das unausprechliche vergnügen mit grund-Ehrlichen, [155] gut katholischen und christlichen leuten in bekanntschaft gekommen zu seyn. mir ist leid genug daß ich sie nicht schon lange kenne. Nun kommt etwas nothwendiges, wo ich mir gleich eine antwort darauf bitte.

Meine Mama und ich haben uns unteredet, und sind überein kommen, daß uns das wendlingische leben gar nicht gefählt.

Der wendling ist ein grund Ehrlicher und sehr guter Mann, aber leider ohne alle Religion, und so das ganze haus. Es ist ja genug gesagt daß seine tochteramftrlool5 war. Der Ramm ist ein brafer Mensch, aber ein libertin. ich kenne mich, ich weis daß ich so viell Religion habe, daß ich gewis niemahl etwas thun werde, was ich nicht im stande wäre vor der ganzen welt zu thun; aber Nur der gedancke, nur allein auf der Reise, mit leuten in gesellschaft zu seyn, deren Denckungs-art so sehr von der meinigen (und aller ehrlichen leute ihrer) unterschieden ist, schreckt mich. übrigens können sie thun was sie wollen. ich habe das herz nicht mit ihnen zu reisen, ich hätte keine vergnügte stunde; ich wüste nicht was ich reden sollte. denn, mit einem wort, ich habe kein rechtes vertrauen auf sie. freunde die keine Religion haben, sind von keiner Dauer. ich hab ihnen schon so einen kleinenPraegusto gegeben. ich habe gesagt, daß seit meiner abwesenheit 3 briefe gekommen sind, daraus ich ihnen weiter nichts sagen kann, als daß ich schwerlich mit ihnen nach Paris reisen werde. vielleicht werde ich nachkommen. vielleicht gehe ich aber wo anders hin. sie sollen sich auf mich nicht verlassen. Mein gedancke ist dieser.

Ich mache hier ganz Commode vollends die Musique für den de jean. Da bekomme ich meine 200 fl: hier kan ich bleiben so lange ich nur will. weder kost weder logis kost mir etwas. unter dieser Zeit wird sich herr weber bemühen sich wo auf Concerts mit mir zuEngagiren. Da wollen wir mit einander Reisen. wenn ich mit ihm reise so ist es just so viell als wenn ich mit ihnen Reisete. Deswegen habe ich ihn gar so lieb, weil er, das äusserliche ausgenommen, ganz ihnen gleicht, und ganz ihren Caractére und Denkunsart hat. Meine Mutter, wenn sie nicht, wie sie wissen, zum schreiben zu faul Commode [156] wäre, so würde sie ihnen das nämliche schreiben! Ich muß bekennen daß ich recht gern mit ihnen gereist bin. wir waren vergnügt und lustig. ich hörte einen Mann sprechen wie sie. ich durfte mich um nichts bekümmern. was zerrissen war fand ich geflickt; mit einem wort ich war bedient wie ein fürst.

ich habe diese bedruckte famille so lieb, daß ich nichts mehr wünsche, als daß ich sie glücklich machen könnte; und vielleicht kann ich es auch. mein rath ist daß sie nach Italien gehen sollten. Da wollte ich sie also bitten, daß sie, je ehender je lieber, an unsern guten freund Lugiati6 schreiben möchten, und sich erkundigen wie viell, und was das meiste ist was man einer Prima donna in verona giebt? – je mehr je besser, herab kann man allzeit – – vielleicht könnte man auch die Ascenza in venedig bekommen. für ihr singen stehe ich mit meinen leben, daß sie mir gewis Ehre macht. sie hat schon die kurze zeit von mir viellProfittirt, und was wird sie erst bis dahin Profittirn? – wegen der action ist mir auch nicht bang. wenn das geschieht, so werden wir, Mr. Weber, seine 2 töchter und ich die Ehre haben meinen lieben Papa und meine liebe schwester im durchreisen auf 14 täge zu besuchen. meine schwester wird an der Madselle Weber eine freundin und Cameradin finden, denn sie steht hier im Ruf, wie meine schwester in Salzburg wegen ihrer guten auführung, der Vatter wie meiner, und die ganze famille wie die Mozartische. es giebt freylich neider, wie bey uns, aber wenn es darzu kommt, so müssen sie halt doch die wahrheit sagen. redlich wehrt am längsten. Ich kann sagen das ich mich völlig freue, wenn ich mit ihnen nach salzbourg kommen sollte, nur damit sie sie hören. meine Arien von der de amicis, so wohl die bravura aria, alsParto, m'affretto, und dalla sponda tenebrosa, singt sie superb. Ich bitte sie machen sie ihr mögliches das wir nach italien kommen. sie wissen mein gröstes anliegen – opern zu schreiben.

Zu Verona will ich gern die Opera um 50 Zechini schreiben; nur damit sie sich ruhm macht; denn wenn ich nicht schreibe so fürchte ich wird sie sacrifizirt. Bis dahin werde ich mir schon durch andere [157] reisen, die wir miteinander machen wollen, so viell geld machen, daß es mir nicht zu wehe thut. Ich glaube wir werden in die Schweiz gehen, vielleicht auch nach Holland. Schreiben sie mir nur bald darüber. Wenn wir uns wo lange aufhalten, so taugt uns die andere tochter welche die älteste ist, gar zu gut, denn wir können eigene hauswirthschaft führen, weil sie auch kocht. A propos, sie müssen sich nicht zu viel verwundern, daß mir von 77 fl. nicht mehr als 42 übrig geblieben sind. Das ist aus lauter freude geschehen, daß einmahl wieder Ehrliche und gleichdenckende leute zusammen kommen sind. Ich habe es nicht anderst gethan, ich habe halben theil gezahlt, das geschleth aber nicht auf andern Reisen, das habe ich schon gesagt, da zahl ich nur für mich. Hernach sind wir 5 täge zu Wormbs geblieben. Dort hat der Weber einen schwager, nämlich der Dechant von Stift. NB der fürcht des h. Webers spitzige feder. Da waren wir lustig. Haben alle tage Mittags und Nachts beym H. Dechant gespeist. Das kann ich sagen, diese kleine Reise war ein rechts Exercisium für mich auf dem Clavier. der H. Dechant ist ein rechter braver vernünftiger Mann. Nun ist es zeit daß ich das schliesse, wenn ich alles schreiben wollte was ich dencke, so würde mir daß Papier nicht bleiben. Geben sie mir bald Antwort das bitte ich sie; vergessen sie meinen Wunsch nicht opern zu schreiben. Ich bin einem jedem neidig der eine schreibt. Ich möchte ordentlich für verdruß weinen, wenn ich eine aria höre oder sehe. Aber italieñisch, nicht teutsch, serios nichtBuffa. Den Brief von Heufeld7 hätten sie mir nicht schicken dürfen, er hat mir mehr verdruß als freude gemacht. Der Narr meint ich werde eine komische Oper schreiben; und so gerad auf ungewis, auf glück und Dreck. Ich glaub auch daß er seiner Edlerey keine Schande angethan hätte, wenn er der H. Sohn, und nicht ihr sohn geschrieben hätte. Nu, er ist halt ein wiener limmel; oder er glaubt die Menschen bleiben immer 12 jahr alt. Nun habe ich alles geschrieben, wie es mir ums Herz ist. Meine Mutter ist mit meiner Denkunsart ganz zufrieden. Ich kann ohnmöglich mit leüte reisen, mit einem Mann der ein leben führt, dessen sich der jüngste Mensch [158] schämen müsste; und der gedancke, einer armen famille, ohne sich schaden zu thun, aufzuhelfen, vergnügt mich in der ganzen seele. Ich küsse ihnen 1000 mahl die hände und bin bis in Tod

dero

gehorsamster sohn

Wolfgang Amadé Mozart.


Mannheim den. 4ten feb. 1778.

An alle gute freünde und freündinnen meine Empfehlung: absonderlich an meinen besten freund H. Bullinger8.

Fußnoten

1 Paul Rothfischer.


2 Auflösung der Chiffren: sieben louis d'or NB: in silber geld


3 fünf [?]


4 Acht


5 Auflösung der Chiffren: maitresse


6 S. den Brief des Vaters vom 7. Januar 1770.


7 Franz von Heufeld in Wien.


8 Folgt eine Nachschrift der Mutter (datiert 5. Februar). – Antwort des Vaters: 12. Februar.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 1. München/ Leipzig 1914, S. 159.
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