235. [an L. Hagenauer in Salzburg]

[207] Ludwigsburg den 11ten Julij 1763


Augspurg hat mich lange aufgehalten und mir wenig, ja nichts genützet. Denn was einkahm, das gieng auch wieder weg, weil alles ungemein Theuer ist. ob mich gleich der Gastgeber zu den 3 Mohren h: Linay, der der artigste Mann der Welt ist, recht gut hielt. h: Weiser ist zeuge davon, und was ins Concert kam, waren fast lauter Lutheraner. ausser h: Provino, der alle 3 mahl mit der Madame Berinet kam, und h: Calligari, der par reputation einmahl erschien, sahe ich keinen Cathol: Kaufmann, als den Mr: Mayr, nämlich den Herrn der muralt: Lisette: alles andere wahr luth: – – – wir giengen den 6ten von Augspurg ab, kamen abends nach Ulm, wo wir nur über Nacht und den andern Mittag blieben. wir würden den Mittag nicht geblieben seyn, wenn wir nicht wegen Pferde weiter zu kommen Anstand gehabt hätten. Nun kommt eine Fatalitet! Da wir auf die Post-Station-Plochingen kammen, hörten wir, daß der Herzog den Augenblicklichen Entschluß gefast habe den 10 in der Nacht nach seinem Jagschloß Grafenegg abzugehen, welches 14 Stund entlegen ist. ich entschloß mich demnach geschwind, statt nach Sluggard, gleich über Constatt nach Ludwigsburg zu gehen, um den Herzog noch anzutreffen. Den 9ten abends langte ich in Ludwigsburg spät an. Ich sahe noch ein Stück von der Französ: Comoedie. Ich konnte aber eher nicht, als den 10 morgens den Ober Capellmeister Jomelli und den OberjägermeisterBaron v Pölniz sprechen, an welche beyde ich briefe vom h: grasen v Wollfegg hatte: allein, kurz zu sagen! [207] Es war nichts zu machen. h: Tomasini, der 14 vor mir da war, kam auch nicht dazu, sich hören zu lassen. Und wie ich durchaus vernehme, hat der Herzog auch die schöne Gewohnheit die Leute lange warten zu lassen, bis er sie hört, und alsdann lange warten zu lassen, bis er sie beschenkt: alleine ich sehe die ganze Sache als ein Werk des h: Jomelli an, der sich alle Mühe giebt, die Teutschen an diesem Hofe auszurotten, und nichts als Italiäner einzuführen. Es hat ihm auch schon fast gelungen, und wird ihm auch gänzlich gelingen, da er nebst 4000 f Jährlichen Gehalt, Portion für 4 Pferde, holz und licht, einem Hause in Stutgard und einem Hause in Ludwigsburg noch die gnade des Herzogs im ersten Grade besitzet, und seiner Frau sind nach dessen Tode 2000 f Pension accordiert. wie gefällt ihnen eine solche Capellmeister Stelle? – – über das hat er bey seiner Musik unumschränckte Macht: und das ist es, was die Musik gut macht. Wie sehr aber Jomelli für seine Nation eingenohmen ist können sie daraus schlüssen, weil er und andere seine Landsleute, deren sein Haus immer voll ist, um ihm aufzuwarten, sich vernehmen liessen, daß es zu verwundern und kaum glaub: seye, daß ein kind teutscher Geburt so ein Musik: genie und so viel geist und feuer haben könne. ridete amici! Nun weiter! – – Mein Umstand war nun darauf böser oder schlimmer, weil der Herzog alle Pferde von der Post und den Lohngutschern weg hat. ich bin also gezwungen heute noch hier zu bleiben; und eben da ich schreibe, geschieht solches mit beständig unterbrochener bemühung Pferde aufzutreiben, da ich alle Egge und Winckl von Ludwigsburg ausschicke um Pferde aufzutreiben. Sie sehen also, daß ich bis itzt weitres keinen Vortheil habe, als Länder und Stätte und verschiedene Leute gesehen zu haben. Ulm ist ein abscheulicher altvätterischer, und so abgeschmackt gebauter Ort, daß ich vielmahl an Sie gedacht und gewunschen habe, daß Sie ihn sehen sollten. stellen sie sich nur Häuser vor, wo sie von aussen das ganze Stock- und alles holzwerk, so wie es angelegt ist sehen müssen, und wenn es hoch komt, solches mit einer farbe überstrichen, das Mauerwerk aber schön weis oder ieder Zigl, so wie er liegt natürlich angemahlt ist, damit die Mauer und das Holzwerk desto deutlicher [208] gesehen wird. Und so sehen Westerstetten, Geisslingen (wo die Künstliche bein-arbeit gemacht wird, und wo 7 weibspersonen einen jeglichen ankommenden fremden fast zu tode reden, um geld zu lösen) dann Geppingen, Plochingen und Vieles von Stutgard aus. NB heben sie nur meine briefe auf, so werde seiner Zeit sachen erkleren, die gar zu weitläufig wären zu überschreiben.

Ludwigsburg ist ein ganz besonderer Ort. Es ist eine Statt. allein die Zäune und gärten-geländer, hauptsächlich aber die Soldaten sind die Stattmauern. wenn sie ausspeyen, so speyen sie einem officier in die tasche oder einem Soldaten in die Patrontasche. sie hören ohne unterlaß auf der Gasse, nichts als: halt! Marche! schwenkt euch! x: sie sehen nichts als Waffen, trommeln und Kriegsgeräthe. Vor dem Eingang des schlosses stehen 2 grenadier und 2 Dragoner zu Pferd die grenadiers Mützen auf dem Kopfe und einen Curas auf der Brust, in der hand aber den blossen säbl, über sich ieder ein schönes grosses Dach haben von blech, statt eines schilterhauses. Mit einem Worte, es ist unmöglich, das man eine gröste accurateße im Exercitio, und eine schönere Manschaft sehen kann. Man sieht absolute keinen anderen Mann als grenadiersmässige Leute, so zwar, daß Mancher feldwebt 40 f monatlich besoldung hat. sie werden lachen! und es ist wirk: lächerlich. wenn ich zum fenster stand, so glaubte ich nichts als soldaten zu sehen, die bereit wären, eine Person auf einerComoedie oder opera vorzustellen. dencken sie nur, alle leute sind haargleich, und täglich, nicht in wuckeln frisiert; sondern wie der erste petit-Maitre in viele Locken vom Kopf weg gekämmt und schneeweis eingepudert, die bärte aber kohlschwarz geschmiert. von Manheim-aus werde mehr schreiben. ich muß schliessen. wenn sie mir schreiben, so schreiben sie nach Manheim, und setzen darauf, daß der brief auf der Post bleiben solle, bis ich ihn ablange. Die Musik: habe in Augsp: empfangen. wenn ich alles schreiben sollte, hätte ich noch Vieles zu schreiben. Doch kann ich nicht umhin seyn ihnen zu sagen, daß Wirtemberg daß schönste Land ist: von geislingen an bis Ludwigsburg sieht man nichts als rechts und Lincks zu gleicher zeit Wasser, wälder, felder, wiesen, gärten und Weinberge, und dieß zugleich und[209] auf das schönste vermischet. Der ganzen Salzb: Welt meine Empfehlung. specialiter h: gnädigen h: Beichtvatter Madame v Robini und dero Hause xx: xx:Complimenti sopra Complimenti. addio!

ich bin der alte

Mozart


Meine frau hat an den gegenden die wir

in wirtemberg haben, das gröste Vergnügen.


[auf dem Briefumschlag]


Sagen sie dem h. Wenzl, daß ich gewissen Nardini1 gehört habe, und daß in der schönheit, reinigkeit, gleichheit des Tones und im Singbaren Geschmacke nichts schöners kan gehöret werden. Er spielt aber nicht gar schwer.

h: Wodiska ist noch in Sluggard: Diensten: aber wegen seiner Kindischen aufführung nicht wohl recommendirt. in Augsp: hat mir h: Choriregens zu St: Moritz h: Schuch einen Brief vom h: Meisner gezeiget, wo er sich Capellae Magister unterschrieben hat. ich erklärte es ihm, daß er im singen Magister wäre, um seine Kinderey zu entschuldigen.

Fußnoten

1 P. Nardini, Schüler Tartinis, damals Mitglied der Stuttgarter Hofkapelle.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 4. München/ Leipzig 1914, S. 210.
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