Cent [2]

[803] Cent (Cente, v. lat. Centena, Rechtsw.), die Abtheilungen von je 100 Familien, in welche nach fränkischer Verfassung die Grafschaften zerfielen. Jede Hundertschaft (auch Huntare genannt) hatte ihren besonderen Vorsteher (Centenarius, Centurio, Tunginus), der bei feierlichen Gerichtssitzungen, welche auf dem Malberg gehalten wurden, den Vorsitz führte u. die Männer im Kriege anführte. Später ging jedoch der Vorsitz in dem Gerichte an den Grafen über, der zu diesem Zwecke in seiner Grafschaft von einem Malberg zum andern reiste u. alsdann nur den Centenarius zu seiner Seite hatte. Karl der Große machte sodann einen Unterschied zwischen höherer u. niederer Gerichtsbarkeit, indem er bestimmte, daß über Leben u. Freiheit, schwere Vergehen, über Eigenthum an Grundstücken u. Knechten nur unter dem Grafen, über niedere Gerichtsfälle dagegen von den Centenarien, die auch Judices genannt wurden, od. den Vicarien, die bald neben den Centenarien vorkommen, bald mit ihnen identisch zu sein scheinen, gerichtet werden sollte. Jede C. zerfiel außerdem wieder je nach der Beschaffenheit der Ansiedelungen in Bauernschaften; daß aber dabei die Zehnzahl wieder festgehalten u. diese als Dekanien bezeichnet worden seien, ist unerwiesen. Mit der Auflösung der Gauverfassung u. der Ausbildung der Landeshoheit verschwand die Centverfassung immer mehr u. mehr. Die Centgerichtsbarkeit, ursprünglich ein freies Volksgericht, dem die freien Mitglieder der C. als Rachinburgen, später unter dem Namen der Schöffen beisaßen, wurde zu einem landesherrlichen Gericht, das von einem, vom Landesherrn bestellten Beamten geleitet wurde u. nur insofern an die frühere Verfassung erinnerte, als theils in dem Sprengel des Gerichtstheils in manchen Leistungen u. eigenthümlichen Gewohnheiten bei der Hegung desselben die ursprüngliche Bedeutung u. der Name sich erhielt. Centbare Leute, (Centleute, Centverwandte) hießen hiernach die dem Centgericht Untergebenen; ihr Besitz Centbarer Grund; einzelne Besitzungen, die innerhalb des Sprengels von der Gerichtsbarkeit doch eximirt waren, Centfreie Güter; die Dienste, welche die Unterthanen mit Beziehung auf das Gericht zu leisten hatten, Centdienste. Der Beamte, der das Gericht leitete, nahm für die Dauer der Hegung desselben gewöhnlich den Namen Centgraf, Centrichter, Centner an; die Fälle, welche dem Gericht unterfielen, wurden Centfälle genannt. Meist umfaßte die Centgerichtsbarkeit dann die schwereren Verbrechen; in anderen Ländern erhielten sich die Centgerichte aber auch nur als eine Art Rügegericht. Am deutlichsten ist der Einfluß der früheren Centgerichtsverfassung noch heute in der Gerichtsverfassung Englands zu erkennen, wo dieselbe offenbar noch jetzt als die Quelle des Geschworneninstituts erscheint. Auf deutschem Boden haben die neueren Gerichtverfassungen überall auch die letzten Spuren verdrängt u. selbst den Namen zur Antiquität gemacht.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 803.
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