Die fünfte Reise Sindbads des Seefahrers

[424] Wisset, o meine Brüder, als ich nach meiner vierten Reise eine Weile an Land gewesen war, und als ich in meinem Behagen und im Genuß, in allerlei Lustbarkeiten und in meiner Freude über den großen Gewinn und Verdienst alles vergessen hatte, was mir an Gefahren und Leiden zuteil geworden war, da ergriff den fleischlichen Menschen in mir von neuem die Sehnsucht, zu reisen und ferne Länder und Inseln zu sehen. Ich kaufte mir also kostbare Waren, wie sie für meinen Zweck geeignet sein mochten, verpackte sie in Ballen und begab mich nach Bassorah, wo ich an der Flußwerft dahinging, bis ich ein schönes, großes Schiff fand, das neuerbaut und mit noch unbenutztem Gerät versehen und zur Ausfahrt voll gerüstet war. Es gefiel mir; und also kaufte ich es, schiffte meine Waren ein und mietete mir einen Schiffsführer und eine Mannschaft, der ich einzelne meiner Diener und Sklaven zu Aufsehern gab. Und auch andere Kaufleute brachten ihr Gerät herbei und zahlten mir Fracht und Fahrgeld. Und als wir die Fatihah1 gesprochen hatten, hißten wir in aller Freude und Heiterkeit über Allahs Hafen die Segel, denn wir versprachen uns eine glückliche Reise und reichen Gewinn. Wir segelten von Stadt zu Stadt, von[424] Insel zu Insel und von Meer zu Meer, indem wir uns die Städte und Länder ansahen, an denen wir vorüberkamen, und indem wir in gar vielen kauften und verkauften, bis wir eines Tages zu einer großen, unbewohnten Insel kamen; die war verlassen und einsam, und auf ihr erblickten wir eine weiße Kuppel von riesenhaftem Umfang, die halb im Sande begraben stand. Die Kaufleute landeten, um diese Kuppel zu untersuchen, während sie mich im Schiffe ließen. Und als sie sich näherten, siehe, da war es ein Ei des riesigen Rukh. Sie begannen mit Steinen daraufzuschlagen, denn sie wußten nicht, was es war, und als es zerbrach, rann viel Wasser heraus, und man sah den jungen Rukh darin. Sie zerrten ihn aus der Schale hervor, schnitten ihm die Kehle durch und nahmen sich großen Vorrat an Fleisch mit fort. Ich nun war im Schiff und wußte nicht, was sie taten, doch alsbald kam einer der Reisenden zu mir und sprach: ›O mein Herr, komm und sieh das Ei an, das wir für eine Kuppel hielten.‹ Da blickte ich hin, und als ich sah, daß die Kaufleute mit Steinen dawider schlugen, rief ich ihnen zu: ›Halt! Halt! Laßt das Ei in Ruh, sonst wird der Vogel Rukh ausbrechen und unser Schiff zerschmettern und uns vernichten.‹ Sie aber achteten meiner nicht und ließen nicht ab, auf das Ei zu schlagen, bis plötzlich, siehe, der Tag dunkel und dämmerig wurde und die Sonne sich uns verbarg, als wäre eine große Wolke über die Himmelsfeste gezogen. Wir hoben die Blicke empor und sahen, daß, was wir für eine Wolke gehalten hatten, der Vogel Rukh war, der zwischen uns und der Sonne schwebte; und seine Schwingen verdunkelten den Tag. Als er nun kam und sein Ei zerbrochen fand, da stieß er einen lauten Schrei aus, worauf auch sein Weibchen geflogen kam; und beide begannen um das Schiff zu kreisen und mit Stimmen auf uns nieder zu schreien, die lauter dröhnten als Donner. Ich rief dem Kapitän und der Mannschaft zu: ›Haltet aufs Meer hinaus und sucht die Rettung in der Flucht, bevor wir alle vernichtet sind.‹ Da kamen die Kaufleute an Bord gestürzt, und wir kappten die Taue und eilten von der Insel hinweg, um das offene Meer zu gewinnen. Als jedoch die Rukhs das sahen, da flogen sie davon, und wir warfen alle Leinwand aus, dieweil wir hofften, ihrem Lande zu entrinnen;[425] plötzlich aber erschienen die beiden wieder und flogen uns nach und machten schwebend über uns Halt, und ein jeder von ihnen trug einen riesigen Felsen in den Krallen, den er von den Bergen mitgebracht hatte. Sowie nun das Rukhmännchen uns erreichte, ließ es den Felsen auf uns niederfallen, den er in den Krallen hielt; aber der Kapitän wendete im letzten Augenblick das Schiff, so daß der Felsen es um ein geringes verfehlte und mit solcher Gewalt in die Wogen schlug, daß das Schiff sich hoch in die Luft auftürmte und dann in den Strudel der Wasser hinabschoß, so daß wir den Meeresgrund sehen konnten. Da ließ das Rukhweibchen auch seinen Felsen fallen, und der war noch größer als der seines Gefährten, und wie das Schicksal es beschlossen hatte, traf er das Hinterteil des Schiffes und zermalmte es, so daß das Ruder in zwanzig Stücke zerbrach; und das Fahrzeug sank, und alle und alles, was an Bord war, stürzte ins Meer. Ich aber rang um das süße Leben, bis mir der allmächtige Allah eine der Planken des Schiffes in den Weg warf, an die ich mich klammerte und die ich schließlich erkletterte, um mich mit den Füßen weiterzurudern. Nun war das Schiff ganz dicht bei einer Insel untergegangen, die mitten im Meere lag, und Winde und Wellen trieben mich weiter, bis sie mich mit der Erlaubnis des Höchsten auf den Strand der Insel warfen, wo ich in den letzten Zügen ankam vor dem Übermaß der Anstrengung und der Bedrängnis, vor Hunger und Durst halbtot. So landete ich, mehr einer Leiche gleich als einem lebenden Menschen, und indem ich mich niederwarf auf dem Strande, blieb ich eine Weile liegen, bis ich wieder aufzuleben und mich zu erholen begann und auf der Insel umherging, die da war wie einer der Gärten oder eins der Gefilde des Paradieses. Ihre Bäume trugen in Fülle und Pracht reifgelbe Früchte als ihre Fracht; ihre Bäche waren klar wie das Licht, das lacht, ihre Blumen waren mit süßem Duft und mit Schönheit bedacht, und ihre Vögel wirbelten süß und sacht das Lob des Einen, dem da gehören so Dauer wie Macht. Ich aber aß mich satt an den Früchten und stillte meinen Durst mit dem Wasser der Bäche, bis ich befriedigt war und dem Höchsten dankte und ihn verherrlichte. Und bis zum Einbruch der Nacht blieb ich sitzen, ohne eine Stimme[426] zu hören oder einen Bewohner zu sehen. Dann legte ich mich nieder, fast des Todes vor Anstrengung und Angst und Schrecken, und ich schlief ununterbrochen bis zum Morgen; dann stand ich auf und erging mich unter den Bäumen, bis ich zu dem Kanal eines Zugbrunnens kam, den eine Quelle mit fließendem Wasser speiste; und neben ihm saß ein alter Mann von ehrwürdiger Erscheinung, umgürtet mit einem Lendenschurz, der gewebt war aus den Fibern der Palmenblätter. Sprach ich bei mir selber: ›Vielleicht gehört dieser Greis zu denen, die Schiffbruch erlitten im Schiff, und er hat einen Weg zu dieser Insel gefunden.‹ Ich trat auf ihn zu und grüßte ihn, und er gab meinen Gruß durch Zeichen zurück, doch sprach er nicht. Sprach ich zu ihm: ›O mein Oheim, weshalb sitzest du hier?‹ Er schüttelte das Haupt und seufzte und winkte mir mit den Händen, als wollte er sagen: ›Nimm mich auf deine Schultern und trage mich auf die andere Seite der Wasserrinne.‹ Sprach ich in meiner Seele: ›Ich will freundlich an ihm handeln und tun, was er begehrt; vielleicht gewinne ich mir den Lohn des Himmels, denn er ist wohl gar gelähmt.‹ Ich nahm ihn also auf den Rücken, trug ihn an die Stelle, die er bezeichnet hatte, und sprach zu ihm: ›Steig langsam herab.‹ Er aber wollte nicht von meinem Rücken steigen und schlang mir die Beine um den Nacken. Ich sah sie an, und da ich erkannte, daß sie rauh und schwarz waren wie das Fell eines Büffels, so erschrak ich und wollte ihn von mir abschütteln. Er aber klammerte sich an mich und drückte mir den Hals mit den Beinen, bis ich fast erstickte; und die Welt wurde mir vor den Augen schwarz, und ich stürzte wie tot zu Boden. Er aber bewahrte noch immer seinen Sitz und hob die Beine und trommelte mir mit den Füßen härter als mit Palmenruten auf Rücken und Schultern, bis er mich durch das Übermaß des Schmerzes gezwungen hatte, aufzustehen. Dann winkte er mir mit der Hand, ihn hierhin und dorthin zu tragen, unter die Bäume, die die besten Früchte trugen; und sooft ich mich weigerte, sein Geheiß zu tun, oder wenn ich zögerte und mir Zeit ließ, schlug er mich mit den Füßen ärger, als wenn man mich mit Peitschen geschlagen hätte. Immer wieder winkte er mir mit der Hand, wohin er zu gehen wünschte, und ich trug ihn wie ein gefangener Sklave[427] auf der Insel umher, und er stieg bei Tage und bei Nacht nie ab; und sooft er zu schlafen wünschte, wand er mir die Beine um den Nacken, lehnte sich zu rück und schlief eine Weile; und wenn er erwachte, so schlug er mich; dann sprang ich eilends auf, denn infolge der Schmerzen, mit denen er mich peinigte, war ich außerstande, ihm zu widersprechen. Und wahrlich, ich schalt mich selber und bereute schwer, daß ich mich seiner erbarmt hatte, und ich verharrte in solcher Knechtschaft unter Mühsalen, die ich nicht schildern kann, bis ich bei mir selber sprach: ›Ich tat ihm Gutes, und er lohnte mir mit Bösem; bei Allah, solange ich lebe, will ich keinem Menschen je wieder einen Dienst erweisen!‹ Und immer wieder flehte ich zum Höchsten, daß ich sterben dürfte, so übermannten mich Müdigkeit und Elend. Doch ich mußte noch lange so weiterleben, bis ich eines Tages mit ihm an eine Stelle kam, wo viele Kürbisse wuchsen, von denen manche vertrocknet waren. Da nahm ich einen großen, trockenen Kürbis, schnitt ihn am Kopfende auf, höhlte ihn aus und machte ihn sauber; dann sammelte ich Trauben von einer Rebe, die in der Nähe wuchs, und preßte sie über dem Kürbis aus, bis er des Saftes voll war. Und schließlich verschloß ich die Öffnung und stellte ihn in die Sonne, wo ich ihn ein paar Tage stehen ließ, bis der Saft zu starkem Wein geworden war; und jeden Tag trank ich hinfort davon, um mich unter der Folter des übermütigen und hartnäckigen Satans zu kräftigen und zu trösten; und sooft ich mich trunken trank, vergaß ich meine Not und faßte neuen Mut. Doch eines Tages, als er mich trinken sah, winkte er mir mit der Hand, als wollte er sagen: ›Was ist das?‹ Sprach ich: ›Es ist ein ausgezeichnetes Stärkungsmittel, das das Herz fröhlich macht und den Geist belebt.‹ Und da mir vom Weine heiß war, so lief ich und tanzte mit ihm unter den Bäumen herum, indem ich in die Hände klatschte und sang und lustig war; und absichtlich taumelte ich unter ihm. Als er das sah, da winkte er mir, ihm den Kürbis zu geben, damit er trinken könnte; ich aber reichte ihn ihm aus Furcht. Er nahm ihn, leerte ihn bis auf die Hefe und warf ihn fort; dann wurde er lustig, und er begann, in die Hände zu klatschen und auf meinen Schultern hin und her zu hüpfen. Bald aber stieg ihm der Wein zu Kopfe,[428] er wurde hilflos berauscht, Flanken und Glieder wurden ihm schlaff, und er schwankte mir auf dem Rücken. Als ich nun sah, daß er vor Trunkenheit den Verstand verloren hatte, da legte ich die Hand an seine Beine, löste sie mir vom Nacken und bückte mich fast bis zum Boden nieder, so daß er in voller Länge hinfiel. Ich also warf den Teufel von meinen Schultern ab, kaum noch an meine Rettung glaubend, und voller Furcht, er werde seinen Rausch abschütteln und mir ein Leid antun. Dann nahm ich unter den Bäumen einen großen Stein auf, trat zu ihm hin und schlug ihn mit aller Kraft auf den Kopf und zerschmetterte ihm den Schädel, während er im Rausche dalag. Sein Fleisch und Fett und Blut wurde zu einem einzigen Brei, und er starb und ging ein in seine Wüste, das Feuer, und Allahs Gnade ruhe nicht auf ihm! Ich aber kehrte erleichterten Herzens zurück zu meiner alten Stelle am Meeresstrand, und viele Tage hindurch blieb ich auf der Insel, indem ich von ihren Früchten aß und von ihren Wassern trank, und hielt Ausschau nach vorüberfahrenden Schiffen. Und als ich eines Tages auf dem Strande saß und all dessen dachte, was mir widerfahren war, und bei mir sprach: ›Ich möchte wohl wissen, ob Allah mich lebend erretten wird, so daß ich heimkehren kann in mein Land und zu den Meinen und meinen Freunden!‹ siehe, da kam durch das schwellende Meer und die schlagenden Wogen ein Schiff auf die Insel zu. Und bald darauf warf es Anker, und die Reisenden landeten. Ich ging zu ihnen, und als sie mich sahen, da eilten sie herbei, versammelten sich rings um mich und fragten mich, was mir widerfahren und wie ich hierhergekommen wäre. Ich erzählte ihnen alles, was ich erlebt hatte, so daß sie in höchstem Staunen staunten und sprachen: ›Der, so dir auf der Schulter ritt, heißt der Schaikh Al-Bahr oder der Alte vom Meere, und keiner hat je seine Beine auf dem Nacken gespürt und ist lebend davongekommen, außer dir; und die, so unter ihm sterben, verzehrt er; also Preis sei Allah für deine Rettung!‹ Dann setzten sie mir ein wenig Speise vor, und ich aß mich satt, und sie gaben mir Kleider, mit denen ich mich neu kleidete und meine Blöße bedeckte; und sie nahmen mich auf in das Schiff, und wir segelten tage- und nächtelang dahin, bis das Schicksal uns zu einer Stadt[429] führte, die da die Affenstadt heißt und aus hohen Bauten besteht, und alle blickten aufs Meer hinaus, und ihr einziges Tor war mit ehernen Nägeln besetzt und befestigt. Nun pflegen die Bewohner dieser Stadt in jeder Nacht, sobald es dunkel wird, aus dem Tor hervorzukommen und in Booten und Schiffen aufs Meer hinauszufahren, um die Nacht auf dem Wasser zu verbringen, denn sie fürchteten, daß die Affen aus den Bergen über sie herfallen würden. Als ich das hörte, faßte mich schwere Sorge, da ich dessen dachte, was ich zuvor schon von den Affen erduldet hatte. Ich landete, um mich in der Stadt zu ergehen, aber inzwischen spannte das Schiff ohne mich die Segel aus, und ich bereute, daß ich ans Land gegangen war, denn ich dachte meiner Gefährten und all dessen, was mir zu Anfang und später durch die Affen widerfahren war, und ich setzte mich und begann zu weinen und zu klagen. Da sprach mich einer der Städter an und sagte: ›O mein Herr, mir scheint, du bist ein Fremdling in diesen Landen?‹ ›Ja,‹ erwiderte ich, ›ich bin wirklich ein Fremdling und ein Armer, der in einem Schiffe ankam, das hier Anker warf; ich ging ans Land, um die Stadt zu besuchen, doch als ich wieder an Bord gehen wollte, sah ich, daß sie ohne mich gesegelt waren.‹ Sprach er: ›Komm und schiffe dich mit uns ein; denn wenn du die Nacht hindurch in der Stadt bleibst, so werden die Affen dich verderben.‹ ›Hören und Gehorsam,‹ erwiderte ich, und ich stand auf und schiffte mich sogleich mit ihm in einem der Boote ein, worauf sie vom Lande abstießen und etwa eine Meile von der Küste ankerten, um dort die Nacht zu verbringen. Mit Tagesanbruch ruderten sie zur Stadt zurück, landeten und gingen ein jeder an seine Geschäfte. So machten sie es jede Nacht, denn wenn sie nachts in der Stadt verweilten, so kamen die Affen herab und erschlugen sie. Sowie der Tag erschien, verließen die Affen die Straßen, aßen von den Früchten der Gärten und kehrten bis zum Einbruch der Nacht in die Berge zurück, um dann wieder in die Stadt hinunterzuziehen. Nun lag diese Stadt im fernsten Teile des Landes der Schwarzen, und eines der seltsamsten Erlebnisse, die ich während meines Aufenthaltes dort hatte, war dieses. Einer von denen, mit denen ich die Nacht im Boote verbrachte, fragte mich:[430] ›O mein Herr, du bist offenbar ein Fremdling in diesen Landen; kennst du ein Handwerk, in dem du arbeiten kannst?‹ Versetzte ich: ›Bei Allah, o mein Bruder, ich habe kein Gewerbe, noch auch kenne ich ein Handwerk, denn ich war ein Kaufherr und ein wohlhabender Mann und ein Reicher, und ich besaß ein eigenes Schiff, das beladen war mit Gütern und Waren; doch es ging unter auf See, und alle ertranken außer mir, denn ich rettete mich auf einer Planke, die Allah mir in seiner Huld gewährte.‹ Da brachte er mir einen baumwollenen Sack, gab ihn mir und sprach: ›Nimm diesen Sack und fülle ihn mit Kieseln vom Strande, und ziehe aus mit einer Schar der Städter, denen ich einen Auftrag über dich geben will. Tu, was sie tun, so wirst du vielleicht gewinnen, was deine Rückkehr in deine Heimat ermöglicht.‹ Dann führte er mich an den Strand, wo ich meinen Sack mit großen und kleinen Kieseln füllte, und bald darauf sahen wir eine Schar von Leuten aus der Stadt her kommen, wovon jeder einen Sack gleich meinem voller Kiesel trug. Diesen Leuten übergab er mich, indem er mich ihnen empfahl und sprach: ›Dieser Mann ist ein Fremdling, also nehmt ihn mit und lehrt ihn, wie er sammeln muß, damit er sich sein täglich Brot verdiene, so wird euch Lohn und Vergeltung im Himmel zuteil werden.‹ ›Auf unserem Haupt und unseren Augen sei es!‹ erwiderten sie; und sie hießen mich willkommen, und wir zogen weiter, bis wir ein geräumiges Tal erreichten, das voll hoher Bäume stand, mit Stämmen, so glatt, daß niemand sie erklettern konnte. Nun schliefen unter diesen Bäumen viele Affen, und als sie uns sahen, sprangen sie auf und entflohen und kletterten in die Äste hin auf; meine Gefährten aber begannen sie mit dem Inhalt ihrer Säcke zu bewerfen, und die Affen begannen, die Früchte der Bäume zu pflücken und auf die Leute hinabzuschleudern. Ich sah mir die Früchte an, die sie nach uns warfen, und ich erkannte in ihnen indische oder Kokosnüsse. Da wählte ich mir einen großen Baum, der ganz voller Affen saß, ging zu ihm, und begann sie mit den Steinen zu bewerfen; und sie schleuderten alsbald die Nüsse auf mich herab, die ich mit den andern sammelte; und ehe ich noch meinen Vorrat an Kieseln verbraucht hatte, war ich im Besitz einer großen Menge von Nüssen. Als dann[431] auch meine Gefährten so viele Nüsse gesammelt hatten, wie sie tragen konnten, kehrten wir in die Stadt zurück, wo wir gegen Schluß des Tages ankamen. Ich ging zu dem freundlichen Mann, der mich zu den Nußsammlern gebracht hatte, gab ihm alles, was ich gefunden hatte, und dankte ihm für seine Güte; er aber wollte die Nüsse nicht annehmen und sprach: ›Verkaufe sie, und nütze den Erlös‹; und er fügte hinzu, indem er mir den Schlüssel zu einer Kammer in seinem Hause gab: ›Speichere deine Nüsse an diesem sicheren Orte auf und ziehe jeden Morgen aus und sammle ihrer, wie du heute tatest; die schlechtesten aber verkaufe, um dich zu versorgen; und die andern bringe hierher, so wirst du vielleicht genug erhalten, um damit in deine Heimat zurückzukehren.‹ ›Allah vergelte es dir!‹ erwiderte ich; und indem ich tat, wie er mir riet, ging ich jeden Morgen mit den Kokosnußsammlern, die mich einander empfahlen und mir die bestversehenen Bäume zeigten. So lebte ich eine Weile, bis ich einen großen Vorrat ausgezeichneter Nüsse gesammelt hatte, und ferner eine große Summe Geldes aus dem Erlös der verkauften Früchte. In dieser Weise brachte ich es wieder zu Wohlstand und kaufte alles, was ich sah und was mir gefiel; und ich verlebte eine angenehme Zeit, indem ich mich des Aufenthalts in der Stadt sehr freute, bis eines Tages, als ich am Strande stand, ein großes Schiff durch das Herz der See gesteuert kam, das an der Küste Anker warf und eine Schar von Kaufleuten landete, die zu kaufen und zu verkaufen begannen und ihre Waren eintauschen wollten gegen Kokosnüsse und andere Erzeugnisse. Da ging ich zu meinem Freund und erzählte ihm von der Ankunft des Schiffes, und ich sagte ihm, wie sehr ich mich sehnte, in meine Heimat zurückzukehren. Sprach er: ›Es steht bei dir, zu entscheiden.‹ Ich also dankte ihm für all seine Güte und verließ ihn. Dann ging ich zu dem Führer des Schiffes hinunter, einigte mich mit ihm über Fracht und Fahrgeld und schiffte meine Kokosnüsse ein samt allem, was ich sonst besaß. Wir lichteten noch selbigen Tages den Anker und segelten von Insel zu Insel, und von Meer zu Meer. Und sooft wir Halt machten, verkaufte ich und handelte mit meinen Kokosnüssen, und der Herr gab mir mehr zurück, als ich zuvor besessen und verloren hatte. Unter anderem[432] kamen wir zu einer Insel, die reich war an Nelken und Zimt und Pfeffer; und die Leute im Lande erzählten mir, daß neben jedem Pfefferbündel ein großes Blatt wüchse, das es vor der Sonne schütze und in der nassen Jahreszeit das Wasser abwehre; wenn aber der Regen aufhöre, so knicke das Blatt ein und hänge dann neben dem Bündel herab. Hier nahm ich großen Vorrat an Pfeffer und Nelken und Zimt ein für meine Kokosnüsse, und wir segelten von dort zu der Insel Al-Usirat, woher das komoriner Aloenholz zu uns kommt, und weiter zu einer anderen Insel, die fünf Tagereisen lang ist; dort wächst das chinesische Aloenholz, das besser ist als das komoriner. Dann kamen wir zu den Perlenfischern, und ich gab den Tauchern ein paar der Kokosnüsse und sprach zu ihnen: ›Taucht für mich auf gut Glück und Gelingen!‹ Sie taten es, und sie holten einen großen Vorrat großer, unschätzbarer Perlen aus der tiefen Bucht empor. Sprachen sie zu mir: ›O mein Herr, dein Glück war gut!‹ Und unter dem Segen Allahs (dessen Name erhöht sei!) segelten wir weiter; und wir ließen zu segeln nicht ab, bis wir wohlbehalten in Bassorah ankamen. Ich blieb eine Weile dort und reiste dann weiter nach Bagdad, wo ich mich in mein Quartier begab, mein Haus aufsuchte, die Meinen versammelte und meine Freunde begrüßte, und alle wünschten mir Glück zur sicheren Heimkehr, während ich meine Waren und Kostbarkeiten in meinen Vorratshäusern verstaute. Dann gab ich Almosen und Spenden, kleidete die Witwen und Waisen und gab den Meinen und allen Gefährten Geschenke; denn der Herr hatte mir vierfach ersetzt, was ich verloren hatte. Und ich nahm mein altes, lustiges Leben wieder auf und vergaß ob meines großen Gewinns und Verdienstes alles, was ich erduldet hatte. Solches nun ist die Geschichte meiner fünften Reise und ihrer Wunder. Doch jetzt zum Nachtmahl; und morgen kommt wieder, so will ich euch erzählen, was mir auf meiner sechsten Reise widerfuhr, denn es war noch erstaunlicher als dieses.‹

(Spricht der, der die Geschichte erzählt:) Dann rief er nach den Speisen; und die Diener breiteten die Tische, und als sie die Abendmahlzeit gegessen hatten, befahl er, Sindbad dem Lastträger hundert Golddinare zu geben; und der kehrte nach Hause zurück und legte sich[433] schlafen, staunend ob dessen, was er vernommen hatte. Doch sowie es am nächsten Morgen hell geworden war, betete er das Morgengebet, und nachdem er Mohammed, den besten der Menschen, gesegnet hatte, begab er sich zum Hause Sindbads des Seefahrers und wünschte ihm einen guten Tag. Der Kaufmann hieß ihn sich setzen und plauderte mit ihm, bis die andern Gäste kamen. Dann breiteten die Diener den Tisch, und als sie gut gegessen und getrunken hatten und heiter und lustig waren, erzählte Sindbad der Seefahrer mit diesen Worten

Fußnoten

1 Erste Sure des Korans, wird vor jedem Vertrag, Geschäft oder Reise gebetet.


Quelle:
Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht. Leipzig [1914], S. 424-434.
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