Beilage A.


Du bist mir treu, Hans, treu bist du mir! Ich weiß es, du bist mir treu, aber ach! das arme Kornblümchen, das mir diese gute Zeitung brachte, wie schlecht belohnt! Ich legte mir an ein Kornblümchen, so blau als deine Adern, wenn du das Hemd an deinem nervigten Arm aufgeschoben hast, so blau als der Himmel, wenn der liebe Gott freundlich aussieht. – Was mich das freut, daß ich's noch an der Wurzel ließ, das arme Kornblümchen! Ich wollt' es abreißen und da wär' es noch ärger. Sieh, Hans, ich muß es nur beichten: ich riß ein Blättchen und sagte: »er ist mir treu,« und das andere: »er ist mir nicht treu,« und wieder eins: »treu« und das andere: »nicht treu.« Das letzte war: »treu, treu!« Du bist mir treu, das hat mir das Kornblümchen zugeschworen. Jammer und Schade, daß die Blätter abgerissen sind! Schade, daß es da im bloßen Kopfe steht! Schön, daß der Stengel noch an der Wurzel blieb! Schön, über alles schön, daß Hans mir treu ist!


* * *


Gottlob, der Junker hat gefreit und Grete ist mein! Gottlob, der Herzog ist über Land gezogen! Grete ist mein! O Herzog, o Junker! o Junker! o Herzog! Herzog fahr' wohl und Junker fahr' wohl! Du im fremden Land und du im Brautbett. Nun möcht' ich sehen, wer mich überprunken kann, den Hans bei [333] Greten! Hört's weit und breit, den möcht' ich sehen, wer dieses kann, wer denken kann: »Ich könnt' es wohl;« auch den möcht' ich sehen, auch den noch, dem es nur geträumt hat: »er könnt' es.« Wie Gras will ich sie all' zusammen wegmähen, und wenn's Bäume sind, will ich einhauen, bis sie fallen. Grete ist mein! Gottlob der Junker hat gefreit! Grete ist mein! Gottlob, der Herzog ist über Land gezogen.


* * *


Ach, daß sich Gott erbarm'!

Nun bin, nun bin ich bettelarm!


Nicht, wie mich im ersten festen Schlaf ein Blitzstrahl erweckte; er schoß mir dicht vorbei, als wenn er sich bei mir, dem Hausvater, melden wollte. Schnell sprang ich auf, und siehe da! mein Strohdach in Flammen! Ich armer, alter Mann! was konnt' ich, was mehr, als meine Freunde und Bekannte aufschreien, die so fest schliefen als ich geschlafen hatte. Ich that Schrei auf Schrei, und seht! nicht bloß meine Freunde und Bekannten, nein


Jedes, jung und alt,

Von Ehren mannigfalt,


sprangen so schnell auf, als wenn sie der Blitz erweckt hätte, so als wenn es ihnen überm Kopf brennte, und kamen und löschten das brennende Strohdach meines Hauses. Der Blitz war so gut, zu bedenken, daß ich alt sey und nicht Dächer mehr steigen könne. Er ließ sich gern löschen, das dank' ich ihm und noch mehr dem lieben Gott, der den Faden in seiner Hand behält, wenn er den Blitzknäuel auf seinen Erdboden schießen läßt. Der liebe Gott kennt den alten Peter und wollte von seinem Hause nicht mehr als eine Handvoll Stroh treffen lassen. Das folgende Jahr war das Gras mannhoch. – War es nicht recht anzusehen, daß der liebe Gott es gut mit dem Peter meinte?
[334]

Ach, daß sich Gott erbarm!

Nun bin, nun bin ich bettelarm!


nicht, wie die Hagelkugeln mein schönes Korn niederschossen, das aller meiner Nachbarn Felder übersah. Die Leute waren neidisch auf mich, und mancher mag mir den Tod gewünscht haben dieses schönen Korns halber; und der Tod, dacht' ich zu der Frist, wird von selbst kommen, ungewünscht. Jetzt komme der Tod, wann er will; damals hatt' ich noch Lust zu leben, damals hatt' ich noch Weib und Kind, und das ist Lust zu leben. Erst beneidete jedes mein wohlgewachsenes Korn, und nun beklagte mich jedes an Ort und Stelle des vorigen Neides. Jedes wünschte mir langes Leben, und das so rechtschaffen, daß mir hundertmal Thränen das Auge überschwemmten. Man schüttelte mir so ehrlich die Hand, daß sie mir altem Manne wehe that. Am Ende fand ich, daß ich so viel behalten, als die, so der Hagel nicht betroffen hatte.


Ach, daß sich Gott erbarm!

Nun bin, nun bin ich bettelarm!


nicht, wie mir mein Weib starb, die hart an der Kirche liegt, wo ich Weihnachten, Ostern, Pfingsten feiere, indem ich auf ihrem Grabe den ersten heiligen Tag kniee und bete. Es wird mir schwer, mir altem Manne! Zum Glück ist das Grab hoch, und je älter ich werde, desto höher wird das Grab. Sie starb, und ich dachte, ich wäre mitten entzwei geschnitten; doch waren noch da Tochter, Schwiegersohn und mein und ihr Lieschen. Noch schlaf' ich in dem großen Bette, wo ich mit der Seligen schlief, und wenn ich nicht alle Wochen dreimal von ihr träume, denk' ich, ich sey undankbar und bitte Gott und ihr ab. Ich dacht' ewig zu weinen. Dumm war es von mir, daß ich's dachte, wie bald muß ich bei Maschen seyn! Drei Jahre älter als sie, wie bald muß ich bei ihr seyn! O, wär' ich gestorben vor dir, liebe Masche – vor dir! O wär' ich vor dir gestorben und du gleich nach mir; denn wenn[335] ich wünschen sollte, daß du erlebt hättest, was ich er lebe, würd' ich ein Bösewicht seyn und nie zu dir in den Himmel kommen.


Ach, daß sich Gott erbarm'!

Nun bin, nun bin ich bettelarm!


nicht, wie mir meine Tochter starb, die einzige, die mir mein Weib gleich das erste Jahr nach der Hochzeit schenkte. Das nenn' ich ein Heirathsgut! Masche brachte nicht Geld, nicht Gut; allein sie brachte mir mehr als Geld und Gut, mehr als ein Herzogthum: reines Herz und reinen Mund, und nach weniger als einem Jahre ein Töchterlein – das nenn' ich Heirathsgut! So was kann nur der liebe Gott mitgeben. Es war ein hübsches Kind, ihr Töchterlein, mein Töchterlein, unser Töchterlein! Wahrlich, unser Töchterlein! Man durfte sie nur sehen, halb meine Seele, halb Maschens, halb mein Leib, halb Maschens. Es war ein Drittes von uns Zweien. Als dieß Mädchen geboren ward, war sie weiß wie Schnee und hatte Aederchen wie Vergißmeinnicht; aber sie scheute nicht Gottes Wetter, so strich es sie braun an. Weiße Scherung und brauner Einschlag, allerliebst! Geschwind wie der Wind lief Lottchen bei Sonne und Mond; nicht Hitze, nicht Kälte scheute sie. Am liebsten brachte sie den Leuten Essen aufs Feld, und die Leute, so hungrig sie waren, wußten nicht, ob sie essen oder das Kind ansehen sollten. Sie aßen ohne Augen, die Augen brauchten sie, Lottchen anzusehen. Es lag nicht an Maschen und mir, daß wir nicht mehr Kinder hatten; am lieben Gott lag es, der am besten weiß, was jedem dient. O du lieber Gott! Lotte starb im ersten Kindbett. Alles weinte, nur ich konnte nicht weinen; so ging's mir ans Herz. Lotte starb, doch zum Trost ließ sie mir ein anderes Lottchen, ihr Wesen.


Ach, daß sich Gott erbarm'!

Nun bin, nun bin ich bettelarm!
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nicht, wie mein Schwiegersohn starb, der brave Junge! Er ward mit Lottchen erzogen, und sie waren im fünften Jahre schon Mann und Weib. Gern sah ich's, daß sie Greger nahm, obschon er nichts hatte. Er war gut, und das ist mehr als alles, wenn man bei allem nicht gut ist. Schön war es zu sehen, wie sich die jungen Leute liebten. Hätten sie sich nicht so abgezehrt, würd' ich sie so bald noch nicht haben Hochzeit machen lassen. So was Gieriges im Auge, als die Leutchen zeigten, hab' ich noch nie gesehen – man bekam Appetit, wenn man ihren Hunger und Durst nach einander sah. Er starb vier Wochen nach ihr. Wer ihn kannte, weinte über seinen Tod; ich aber freute mich, da er starb, und lobte Gott; denn er starb zu seinem Glück. Ohne sie hätt' er nur gethan, als lebte er. Er konnte nichts mehr anfassen; seine Hände zitterten und über seine Füße fiel er; drum tröstete ich mich darob und sagte wie der Pastor: »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sey gelobet! Sie schlafen zusammen in einem Grabe, und es kostete mir was, es dahin zu bringen, daß sie in seinen Sarg gelegt ward. Es war ein Bett auf zwei Personen. Die Leute, die sie handhabten, sagten alle, sie hätte gelächelt und ihre Hand wär' um ihn herumgefallen, als wenn sie gelebt hätte. – Schlaft gesund, liebe Kinderchen, und liebt euch im Himmel!«


Ach, daß sich Gott erbarm'!

Nun bin, nun bin ich bettelarm!


Das Töchterlein meiner Kinder, das sie mir ließen, mein Lottchen, ist todt, ist todt! lieber Gott, ist todt! O ich Bettler! Lottchen ist todt und ich bin es bei lebendigem Leibe; das ist mehr als todt. Alles todt – alles todt – nur ich nicht todt! Sie ist bei ihrer Mutter, sie ist bei ihrem Vater, sie ist bei meinem Weibe; allein die hatten an einander genug. Was hab' denn ich? was? Seit Lottchen todt ist, oder seit sie begraben ist (bis dahin dacht' ich noch[337] immer, ich hätte sie), seitdem sie begraben und ganz todt ist, ist alles todt für mich, alles bis auf mich! Ich, leider, lebe! O ich armer Mann! Ich, wie Brod ohne Kruste so weich, so kraftlos, so, recht so bin ich – ich armer, alter Mann! Es stirbt nur, wer leben will. Habt Mitleiden mit mir im Himmel, ihr Seligen, und bittet den lieben Gott, daß er mich zu sich nehme. Mein Haus und Hof kommt doch in fremde Hände, ich will es jemanden vermachen, der Lottchen ähnlich sieht; denn wo soll ich's sonst lassen? Oft freut' ich mich darauf, euch, meine Seligen, von Lotten neue Zeitung zu bringen, wenn ich zu euch käme, zu euch, ihr mir verwandte Seligen! Sie ist mir vorgelaufen. O! wie gut ist's, wie sehr gut, einen von den Seinen auf dieser Welt zu haben! Ist es denn nicht auch Gottes Welt? Diese Welt der Leib, der Himmel die Seele; beides gut. Wer wird nun vor Tisch, wer wird beten, damit mir das Essen gedeihe, da Lotte todt ist? Wer wird mir so schön, so laut vorbeten? wer? wer? Wer wird mir Weib, Tochter, Schwiegersohn, wer Lotte selbst seyn? Lotte selbst? Wer wird mir die Augen zudrücken? O ich armer Mann! o ich blutarmer Mann! ich Bettler, ich!


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Komm, Schwesterchen, komm auf den grünen Kirchhof, da liegt mein Mutterchen, dein Mutterchen; wir wollen sie besuchen beim Mondenlicht, wenn gute Geister nachtwandeln und wenn sie in den Mond sehen, in des lieben Gottes Nachtlämpchen. Vielleicht erscheint sie uns – o möchte sie! – vielleicht frägt sie: Was wollt ihr, mein Pärchen, was hier? Dich, ach dich, dich wollen wir! Dann kommt sie wohl mit – und wenn sie nicht vom Kirchhof kann, wenn sie nicht vom grasgrünen Kirchhof will, laß uns bei ihr bleiben, Schwesterchen, bei ihr! Hier? O, wenn wir nur bei dir sind, liebes Mutterchen! »Was werdet ihr essen?« Grünes Kraut, das steht auf dem Kirchhof über[338] und über. »Was trinken? seht, kein Wasser des Lebens ist hier!« Den Thau des Morgens, den Thau des Abends wollen wir trinken, und wenn der Thau sich des Morgens verspätet, wollen wir unsere Thränen trinken, die wir so lange weinen werden, bis das Auge uns bricht, wie das deine brach. O, wenn wir nur bei dir sind, nur bei dir, liebes Mutterchen, wir, dein Pärchen, deine zwei kleine Töchterchen, die Treuen!


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Ha! du, du, die Baumschänderin! Sprich, nein, schrei, schrei, damit der harthörige Wiederhall es vernehme und der Gegend ausposaune; schrei: Warum ziehest du stellenweis den Bäumen die Kleider, das Hemd aus und die Haut ab? Die Haut! Weißt du nicht, daß die Bäume dann in drei Jahren (wenn's hoch kommt) aus gehen an der Schwindsucht – und so langsam sterben, so langsam, als die Leute an der stillen Aergerniß? Sieh her, du hast den Baum geärgert, zu Tode geärgert! Und warum die Haut? Zur Farbe! Zur Farbe? Schäme dich, Baummörderin! schäme dich von unten bis an den Hals, und dann ganz voll; schäme dich so, daß du von Stund' an verstummest! Solch eine Entschuldigung! ist die werth, daß sie die Gegend durch's wahrhaft ehrliche Echo erfahre? Trägt dein Vater, du Ungerathene, trägt er nicht einen weißen Schafpelz? Der unschuldige Mann, der jeden Baum bei Haut und Hemd und Kleid läßt, wenn er ihn nicht in Züchten und Ehren braucht zum Bau oder Brand. Er weiß, was dem Stamm gebührt, der himmelan mit seinem Wuchse stürmt und größer ist, als ein Mensch es werden kann. Schäme dich, du Baummörderin, schäme dich, Färberin! die Natur versteht das Färberhandwerk besser als du; sie weiß, was angemalt werden muß, die liebe Malerin! Zu Handschuhen? Sind denn deine Hände nicht weiß? Warum deine Handschuhe anders? Streich die Butter im Sommer weiß[339] und im Winter gelb an. Schäme dich, du Naturbeschämerin, schäme dich bis in deinen Hals! – Bitte den Vater, daß er diesen Baum bald erlöse von all seinem Elende, und dann bleib beim weißen Schaf. Laß dem Wacker die sprenglichten und dem Amtmann die schwarzen. Es sind viele Felle von Böcken sprenglicht und schwarz. Bleib, wie dein Vater, beim weißen ehrlichen Schaf, und das gnädige Volk laß tragen Marder, Wölfe, Bären, den Herzog Löwen, so trägt alles sein eigenes Haar.1

Fritzchen, mein Bruder, starb. O wenn er noch lebte! o wenn! o wenn! wenn! Welch Lieschen hat nicht ein Fritzchen nöthig, ein Bruder Fritzchen? Für ein anderes Fritzchen dank' ich. Seliges Fritzchen, warum nahmst du mich nicht mit? Warum die Nachtigall? warum? – Das Vögelchen verschied in Fritzens Hand. Sie hatten sich sehr lieb – das Vögelchen und Fritzchen. Ich sah sie beide sterben. Der Vogel lauerte recht auf Fritzens Seelchen, um sich ihm anzudrängen, wie das Vögelchen sich hier an ihn anschloß. Sie ließen nicht von einander. Fritz sieht mich an. Was siehst du, Fritzchen? Was – ich weinte – sollte ich nicht? »Still, Lieschen,« – ich höre es ihn noch sagen – »still, Lieschen, bleib bei Vater und Mutterchen, ich finde dort auch ein Lieschen, unser Schwesterchen, dort, wo der liebe Gott seinen Himmel hat, der besser als seine Erde ist, auch wenn Felder und Wiesen voll sind. Hilf ihn bitten, sehr bitten, den lieben Gott, daß er mich in den Himmel nimmt, und auch mein Vögelchen hinein läßt – uns beide für einen. Du bist ein gutes Mädchen, der liebe Gott thut dir's gewiß zu Gefallen.«[340]

Fritz sah gen Himmel, das Nachtigallchen auch; Fritz seufzte, das Vögelchen sang noch auf, und jedes neigte sein Köpfchen auf die Brust und jedes starb. O wenn sie noch lebten! wenn Bruder Fritzchen noch lebte! Dort leben sie beide, Fritzchen und sein Nachtigallchen. Was kommt's dem lieben Gott auf ein Plätzchen für ein Nachtigallchen an?


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In das kleine Gesträuch jenseits des Flusses kam ein Sturmwind aus dem Flusse. Der Fluß erschrak und lief was er konnte. Der Sturmwind fuhr durch's Gesträuch rasselnd, wie ein vornehmer Prinz, und riß mir meinen Blumenkranz vom geflochtenen Haarthürmchen; ich griff – weg war das Kränzchen! ich lief nach – weg, weg! – Wer ist so geschwind, wie der Wind? Da kam Hans, mein Herzlieber, und Peter, der was beim Junker gilt – bei mir gilt Peter nichts. Sie sahen mich im Bloßen und liefen suchen alle beide. Findet Hänschen den Blumenkranz, gern nehme ich ihn und setze ihn auf und trage ihn, solange noch ein Blumenblättchen lebt, und freue mich, daß mich der Wind im Bloßen gelassen. Wenn er doch fände. Aus Peters Hand nichts, rein nichts, auch nicht einen Kranz, der mir gehört und den ich mir zusammengepflückt; nichts, nichts, wenn er auch gleich beim Junker gilt, und viel gilt.


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Da bin ich über'm Wasser und Mutterchen ist jenseits. Es ging schwer ab, wie wir Abschied nahmen, und nun ist's mir noch schwerer, da du jenseits des Wassers bist, am schwersten wird's seyn, wenn ich dich nicht mehr sehen kann, o du liebe, liebe Mutter! – Noch – noch – noch – stehe doch – stehe doch nur noch einen Augenblick. Weg ist sie! und ich? – O[341] gutes Mutterchen, ich in der weiten, lang und breiten Welt, erst bei dir, nun in der weiten, pfadlosen Welt. – Es muß geschieden seyn. – – Nun höre ich dich nicht mehr beten, nun sehe ich dich nicht mehr weinen; nun rufst du nicht mehr: Lieschen! wenn der Tisch raucht, Lieschen! wenn du reife Beeren findest, Lieschen! wenn du eine Quelle am schwülen Mittag entdecktest, die von der Sonne nicht gefunden war. Ich armes Lieschen! Dieß Wellchen kommt von mir, liebes Mutterchen, und bringt ein Thränchen mit von mir – von mir. Siehe es an, es wallt zu dir; sey ihm gut, dem Wellchen, es kommt von mir. Da bin ich, arme Waise, allein, ganz allein! Mutterchen weg, alles weg, alles! – Das Sternchen dort oben – wie es mich anblitzt! Willkommen! dich habe ich auch in unserm Dörfchen gesehen, du sollst Muttersternchen heißen. Es war das erste, was ich wieder aus unserm Dorfe sah. Ewig sollst du, ewig Mutterchen heißen, solange ich sehen kann, soll es Mutterchen heißen – dieß Sternchen, eine Spanne lang vom Monde. Nenne auch du ein Sternchen: Lieschen, nenne es Töchterchen, o du gute Mutter jenseits des Flusses! – Gottlob, wieder ein Bekannter, der Kukuk, und eine gute Freundin, die Nachtigall. Mutterchen, lebe wohl jenseits des Wassers! Dich habe ich nicht, kein Mutterchen habe ich, doch bin ich nicht mehr in der Fremde. Ich habe ein Sternchen dort oben, den Nachbar Kukuk und die liebe Freundin, die allerliebste Nachtigall.


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Schilt nicht, strenger Vater, daß ich bei Hannchen gewesen; schilt nicht, Vaterchen, ich bitte dich. Sieh in den Stall, deinen Liebling, den Schwarzen, habe ich gefüttert. Sieh, das habe ich schon so viele Jahre gethan und das werde ich auch so viele Jahre thun, als dich Gott leben läßt und den Schwarzen. Ich streue[342] mit glücklicher Hand die Saat und schlage das Getreide wie ein Gewappneter. Warum schiltst du? Du hast vergessen, was lieben heißt, sonst würdest du wissen, wie mir wäre, wenn ich zu Hause bliebe. Immer wünsche ich, wenn ich hinreite und wenn ich wieder komme: Wenn es doch Nebel wäre, daß er nicht sähe, der strenge Vater; und wenn auch Nebel ist und wenn ich's auch noch so leise mache, was kann ich dafür, daß der Braune wiehert und sich laut freut, wenn er geht und wenn er kommt? Alterchen, nur Sonntags reite ich. Gehört denn der Sonntag dir, Vaterchen? Nur Sonntags reite ich zu meinem Mädchen, nicht mit deinem Schwarzen, den schone ich, wie mein Auge im Kopfe. Ich reite geschwind zu Hannchen, und du willst, dein Liebling, der Schwarze, soll so gehen wie du, Alterchen, ob er gleich nur sechsjährig ist. Laß mich reiten und schilt nicht, ich reite nur Sonntags, ich reite zum lieben Gott, und auf diesem Wege treffe ich Hannchen und ihre Mutter.


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Mein Vaterchen, mein Trostchen, bist du vor'm Thore gewesen? Da ist's glatt und schlüpfrig; wer da geht, fällt schneller, als auf dem blanken Spiegeleise. So ist's den ganzen Sommer auch, wenn die Erde ringsumher brennt, wie ein Backofen. Immer glatt und schlüpfrig, wie Lehm, wenn er zum Haus angeknetet wird. Weißt du auch, wie es glatt und schlüpfrig ward, Vaterchen, mein Vaterchen? Eben da, da, wo es jetzt glatt und schlüpfrig ist, gab mir Peter den Silberring bei Mondenschein – so schön Silber, wie der Mond; ich hielt beide zusammen und prahlte mich gegen den Mond. Silber ist Silber. Da, eben da verlor ich mich selbst, meine Unschuld, mein Leben, es ist alles eins. – Der Bösewicht schwur und fluchte, als er verführte, Phylax, nimm kein Brod von ihm, und wenn er mit frischer[343] Maibutter es auch salbt, nimm nichts vom Bösewicht, der spotten konnte nach der That. Du weißt, er spottete auch dein, Vater, und deiner gesprenkelten Haare. Den Ring hab' ich an der schlüpfrigen Stelle vor'm Thore verworfen, verworfen vor'm Thore, wo es jetzt glatt und schlüpfrig ist. Alles war da schön, grün und gelb, wie der Bösewicht mich verführte; aber ich weinte, Vater, ich weinte, und weinte von Herzen sehr, ach, sehr! – Gleich, Vater, ist das grüne Plätzchen morastig worden, seitdem ich die erste Thräne darauf fallen ließ, und so glatt und schlüpfrig, daß alles fällt, was drauf geht.


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Wo bleibst du, mein Liebchen? wo? Schreien darf ich nicht, sonst möcht' es meine Mutter hören, die mich zu Greten zwingen will, weil ihre Eltern Acker haben und du nur gesunde Hände. Nur? das sey Gott geklagt, nur zu sagen, wenn man von gesunden Händen spricht. Schreien darf ich nicht – allein ich rufe: Liebchen! Liebchen! so wie ein Zeisig: Liebchen, Liebchen! wo bleibst du, mein Liebchen? wo bleibst du? wo? Schreien darf ich nicht, aber der schöne Abend, lispelt er's dir nicht ins Ohr, daß ich warte, daß ich nach dir seh' und nach dir laufe? – Ha! da kommt sie! Nein, ein Stieglitzchen, leicht – leicht wie du, mein Liebchen. – Wo bleibst du? wo bleibst du, Hannchen? Hast du ihn abgeschickt? Vögelchen – weg ist er. – Er kam nicht von dir, wär' er nicht sonst geblieben? Schreien darf ich nicht, aber – hörst du nicht, hörst du nicht, Liebchen, hörst du nicht die Nachtigall? sie ruft ihr Siechen und ruft dich mit. Die Nachtigall kann lauter seyn als ich, denn sie hat keine Mutter zu fürchten und keine Grete. Ich darf nicht schreien, aber du wirst doch wohl so eine deutliche Ausrede, als die nachtigallische, verstehen? Wo bleibst du, mein Hannchen? wo? Alle Augenblicke denk' ich, da, da[344] ist sie! und immer ist's ein Vögelchen, eines schöner als das andere – keins so schön wie du. Wenn du nicht mich, nicht den Abend, nicht die Nachtigall hören kannst, o, wenn du taub über taub bist, höre den lieben Gott; du hast mir versprochen zu kommen und kommst nicht. Weißt du auch, daß wir auf die Nacht Ungewitter haben? Wo bleibst du? wo? Hanne, wo?


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Warum weinst du, Schwägerin? Du hast einen Mann verloren, allein er hat dir drei zurückgelassen; drei Söhne, drei gesunde, starke Jungen, die dich auf ihren Händen tragen, drei brave Jungen, die was tragen können. Gönn' ihm die Ruhe, seine Krankheit ließ ihn nicht viel schlafen, da er älter war, und in der Jugend ließ es die Arbeit nicht. Er hat in dieser Welt nicht viel geschlafen. Gönn' ihm den tiefen, süßen Schlaf; du hast drei Söhne, laß ihn schlafen, Schwägerin, weine nicht.

Was weint ihr, Kinder? ihr habt nur einen Theil verloren, und einen Theil habt ihr noch: eine gute Mutter – wischt ihr die Thränen; pflegt sie, damit sie nicht auch krank werde, wie er war, und ihr es nicht am Ende selbst von Gott bitten müßt: Ach, wenn sie doch nur stürbe! wer kann sie ringen sehen? wer? wer kann sie wimmern hören? Ach, wenn sie doch nur stürbe! Dann müßtet ihr weinen, wenn ihr daran Schuld hättet, daß ihr so beten müßtet; jetzt weint nicht.

Mich, mich laßt weinen, lieben Leutlein! laßt mich, mich laßt weinen! Ich hab' meinen Bruder verloren, den einzigen, den ich hatte; und was hab' ich von ihm behalten? Zwar auch was, aber was? Einen Baum am väterlichen Hause, den unser guter Vater an dem Tage pflanzte, da unsere Mutter zu ihm sagte: Es geht unter meinem Herzen auf. Der Vater pflanzte den Baum, und Caspar und der Baum waren Jahreskinder. Der Vater nannte sie beide Caspar, den Sohn Caspar, den Baum Caspar. Der[345] Baum steht und blüht und ist immer kerngesund. Sein Milchbruder todt! das ist nicht tröstlich, ärgerlich ist's. Der Baum Caspar steht, der Bruder Caspar stirbt; aber auch ich finde mich drein, und sollt' ich nicht? Der Baum lebte nur im Sommer, und Bruder Caspar lebte auch im Winter. Zwar schläft der Mensch, doch lebt er drum nicht? Ich möcht' einen Traum nicht um drei Tage hingeben, und der Baum, schläft er nicht auch? läßt er seine Flügel nicht fallen? Seine Blätter genießen die süße, sanfte Ruhe und werden durch den Sonnenstrahl erweckt früher wie wir. Wären die Bäume im Winter, wo die Störche sind, würden sie inwärts ausschlagen und blühen; o, dann wär' es was anderes! Ist aber im Winter der Wald nicht eine Einöde bis auf die Tannen, die nicht aus den Kleidern kommen? Da stehen sie, wie Trabanten, in voller Pracht und Herrlichkeit, wie eine grüne russische Wache um den Regenten, so stehen die Tannen um die Eiche herum – und Bruder Caspar, war er nicht ein Mensch? Das ist viel mehr, als ein ganzer Wald voll Eichen und Tannen. Der Baum ist Baum und bleibt Baum. Bruder Caspar ist ein Engel worden, Baum Caspar ist Baum und bleibt Baum. Sey ruhig, lieber Baum, ich werde dich nicht tödten. Ihr, die ihr die Hand nach ihm ausreckt, laßt ihn, wenn er auch noch so alt und wohlbetagt ist, oben eine Glatze bekommt und blätterlos wird – laßt ihn, er ist mit mir verwandt; er heißt Caspar. Und wenn ich mit dem rechten Caspar im Himmel zusammenkomme, will ich es seinem Milchbruder erzählen, daß der Baum noch vor dem väterlichen Hause stehe. Ich weine nicht mehr.2


[346] * * *


Der Krieger ist gefallen, doch fiel er? Nein, er sank. Wer fällt, hat das Herz verloren, und man braucht das Herz bis auf den letzten Lebenshauch. Er sank, allmählig kam er zur Erde. Hört es, Krieger, die ihr mit ihm lebtet und nach ihm leben werdet: nicht der Feind, nicht der Feind, sondern der Tod hat ihn übermannt. Unser Held hatte den letzten Schlag; den Krieger schlug er, der ihm den Todesschlag gab, und der fiel, aber unser Held nicht, unser – – sank. Die Sonne geht allmählig unter; seht ihn, wie langsam er sich zum Staube neigt, zum Staube, ein Held. Kommt, kommt, laßt uns unter sein schwindelndes Haupt einen bemoosten Stein legen; solch ein Kopfkissen geziemt ihm. Kommt, laßt uns seinen Leib auf eine schöne Wiese tragen und den Blutstropfen nicht auswaschen, der auf unser Kleid fällt. Es ist edles Blut; der Staub soll sich nicht drin betrinken. Du, grasreiche Wiese, Lager für Helden, du verstehst diesen Trank, du trägst Blumen für Helden, womit sie bekränzt werden, wenn sie den Frieden auf schwarz gewordenen Händen heimtragen. – Er richtet sich auf – kein Ach, das kann kein Held aussprechen. Was ist's denn, was? Seine Zunge ist gelähmt, er kann nicht mehr, er wollte – – Sieg; Krieger, die Deinen haben gesiegt! Ha, wie er lächelt! Seht ihn, den Großen! eh' euch Engel verdrängen, denn die müssen zu solch einem Anblick herabstürzen; sie haben solcher nicht viel. Sieg, Held, Sieg! Gott, so ein leichtes Wort kann er nicht mehr aussprechen; gern wollt' er's. Aber hören kann er's; schreit, Brüder: Sieg! Sieg! Er lächelt wieder und – stirbt. O glücklicher Halm! o glücklichster, auf den der letzte Tropfen fiel, auf den er noch warmes Blut thaute! Wie schnell wirst du wachsen und alles übersehen, was rings um dich steht und größer zu werden droht! – O glückliche Männer, auf die noch der letzte Strahl aus seinen Augen schoß! wir hätten die Altarlichter dran anzünden können, so feurig. Er stirbt – ich[347] wollte weiter singen; kann ich? kann ich mehr? Er stirbt, er stirbt! ist alles, was ich sagen werde, bis auch ich sterbe. Das erste und letzte vom Menschen ist das beste. Ich habe viel gesehen, sah ihn, wie er geboren ward, sah, wie er starb; ich hab' ihn ganz! Er lächelte, wie er zur Welt kam; allein er lag so schön nicht, als jetzt, da er starb. Wie schön er da todt ist! So todt sind nur wenige; denn sonst würde es nicht schwer seyn, zu sterben.

Du hast gesiegt, Held, du hast den Feind überwunden, und zwei Tode, zwei Tode starbst du, ohne zu sterben, dem dritten mußtest du nachgeben. Du warst matt. – Ist's Wunder?

Gönnt der heiligen Stelle die Ehre, daß er noch länger darauf liege. Sie ist warm durch ihn worden, laßt sie auch kalt durch ihn werden. Der warme Tag ist schön, der kühle Abend auch. Und dann scharrt ihn nicht ins Thal; auf jenen steilen Berg, wo wenige hinauf können, keiner, der einen kurzen Odem hat, da scharrt ihn auf die Spitze, damit er den Berg noch größer mache. Er war Berg im Leben und nicht Thal, und muß bei seines Gleichen im Tode.

Wie, du willst ihm die Augen zudrücken? Laß sie starr, wie sie sind, laß sie, Freund. Die Sonne bleibt Sonne, wenn sie gleich verfinstert ist, und auch ein Viertel vom Mond ist Mond. Laß sie so starr, wie sie da sind. Ihre Seele ist weg, allein sie haben noch was, das viele Augen mit Seelen nicht haben. Es wohnte eine große Seele in ihnen, und das sieht man jedem Hause an, wenn schon der, welcher es baute, lange todt ist. Aendere nichts – was die Natur will, sey auch dein Wille. Willst du was thun, setze oben über sein Grab ein Kreuz, das ist das größte Zeichen, was mir bekannt ist; ein Krone hat auch ein Pfau. Mache dieß Kreuz groß, damit es in der See gesehen werde, und Schiffe, die sich verirren, dieß Kreuz als Wegweiser ehren und sich freuen, wenn sie es sehen.[348]

Lebe wohl, Streiter! Erzähle den Geistern des Himmels, die nie gestorben sind, daß es auch gut sey zu sterben, damit sie den Sterblichen nicht verachten, weil er sterblich ist. Die Engel, die dich todt gesehen haben, kannst du auf mein Wort zu Zeugen rufen. Erhabener Todter, man achtet das Leben nicht, wenn man dich sieht! O möchtest du nicht verwesen! du solltest ewig dazu dienen, den Furchtsamen zu steifen und jeden zu lehren, daß nicht jeder auf gleiche Weise todt sey. Dir sieht man es an, daß du nicht aufhören kannst, daß du nicht aufgehört hast. Es stirbt nicht jeder auf gleiche Weise, es lebt nicht jeder auf gleiche Art. Stiller Mond, dieß große Grab empfehle ich dir; du siehst viel, was die Sonne nicht sieht, du bist ein Sonntagskind und kannst Gesichter sehen, die sonst niemand zu sehen versteht. Du siehst fromme Geister, wenn sie um die Gräber der Ihrigen wanken, die sie noch nicht in dem weiten Himmel aufgefunden haben; du siehst, wenn sie sich von ungefähr treffen und wenn sie den himmlischen Bund machen: »Wir lassen uns nicht in Ewigkeit.« – Du siehst erkenntliche Geister, die ihren Ueberrest, ihren verwesenden Körper, besuchen, die Stück vor Stück von ihm Abschied nehmen und ihn bedauern, daß er Körper war und daß er gestorben ist. Rührend muß es dir seyn, lieber Mond, rührend, so was zu sehen, wenn Geist und Leib sich zusammen finden und sich nicht mit einander besprechen können; wenn die Seele erkenntlich seyn will gegen ihren guten Freund, den Leib, und es nicht seyn kann. Oft habe ich einen Freund auf dem Brette gesehen, mit dem es mir fast so ging, als dem Geist mit dem Erde werdenden Körper, – Da wankt der Betrüger, der der armen Wittwe den Acker abgränzte. Gern möchte er sie mit einem dreimal größern Stück entschädigen; kann er? will sie? Noch haben sie sich nicht begegnet, allein wenn auch; hat sie denn jetzt nicht mehr als er?

Hier wankt ein Geist, der als roher Jüngling ein warmblütiges,[349] zu leichtgläubiges Mädchen ins Verderben zog. Bald war ihr Jammer vollendet; sie starb, ohne dem Verräther Vorwürfe zu machen, die Abgezehrte! Ihr Auge durfte nicht zugedrückt werden, es war so tief gesunken, daß man es nicht mehr sehen konnte; es war ein eingefallenes Grab. Sterbend rang sie ihre verwelkten Hände und bat um Gnade bei Gott und den Menschen. Die Menschen erhörten sie nicht. Mit Spott und Schande ward sie begraben; aber jetzt hat sie ausgerungen, ihre Leiden sind geendigt. – Wann werden die deinigen geendigt seyn, Unglückseliger? wann? – Im Traume sieht man alles größer und näher, und so sehen Geister auch. Desto besser für den Guten, desto schlechter für den Bösen und für dich, Mörder! Unglückseliger!

Das alles, Mond, Seelenfreund, das alles siehst du als Sonntagskind; und was siehst du nicht unter den Lebendigen? Doch du bist verschwiegen, ich will es auch seyn.

Wenn der von seinen ungerathenen Kindern verstoßene Greis die Hände gen Himmel über sein Haupt zusammenschlägt und sich nach einem seligen Ende sehnt, wenn er laut betet: »Es ist genug, Herr, laß mich ruhen, ich kann nicht mehr!« dann bestrahle das Kreuz auf diesem Grabe, mache es ringsumher hell und klar, denn in des Greises Augen ist Abend worden. Es war nicht Raum in der Herberge für mich Unterdrückten in der Welt. Gott, nimm mich in den Himmel, wo für mich Raum ist. So bete er, wenn er dieß Kreuz sieht, und sanft und selig gehe er dann zur Ruhe. Mond, den frommen Pilger, der nicht mehr die Kirchenthürme der benachbarten Stadt erreichen kann, den der Tod auf dem Felde überrascht, Mond, diesem Pilger leuchte nach Hause, diesem Pilger sey dieß Kreuz ein Kirchthurm des Himmels. Mond, laß es dieß jedem Kreuzträger seyn und jedem Bösewicht ein Schreckbild, damit er an seine Brust stark klopfe und umkehre und gut werde, und endlich, Mond, wenn unser Land Helden braucht,[350] laß sie von diesem Grabe ausziehen, und wenn blutdürstige Feinde wie Heuschrecken uns überfallen, dann verhülle dein Haupt und dreimal blitze es um dieß Grab. Da sage dann ein Ehrenmann im Volke: So wie dieser Blitz, so blinkte mit dem Schwerte, der da oben begraben liegt, da oben, nahe am Himmel; und wie ein kaltes Fieber im Frühling in die Glieder fährt, ehe man es merkt, so fahre Furcht und Schrecken in die Feinde, wenn sie das Grab und das Kreuz darüber im Blitze sehen! Das ist anders als ein Mondschein! Du bist derselbe, wo man steht und geht, weit aussehender Mond! Sey den Freunden des Helden, uns, den edlen Todtengräbern, sey ein Spiegel, in dem wir das Grab und das Ehrenzeichen darüber immer sehen, wir mögen stehen und gehen, wo wir wollen, und auch in deinem letzten Viertel. – Bitte ich zu viel, so denke, wie nahe wir diesem Grabe verwandt sind. – Auch in deinem letzten Viertel sey dieß Grab bis zur Hälfte zu sehen, bis zur Hälfte! – Genug, Freunde; Mond, Kreuz, Grab! das sey unsere Losung, bis auch wir begraben werden im stillen Thal, wie es uns geziemet. Ein kleines Gräblein, das sich nichts über das Thal herausnehmen und kein Hügel seyn darf, sey unser Haus. Ein Orden, ein Kreuz gebühret nur Helden. Wenn der Geisterseher, der seelenvertraute Mond, wenn er mit den Gräbern der Helden fertig ist und noch einen Blick übrig hat, er wird ungebeten mit ein paar holden Strahlen unsere Gräber beehren, damit ein Minnesänger unser Ruhethal bemerke und, auf unser Grab durch heilige Ahnung gebracht, ein Grablied auf seine Geliebte singe und auf sich selbst eins, weil jene ihm starb.

Dank sey euch, ihr Treuen, ihr Lieben des Helden, die er beschützt hat! Wir haben eine heilige Pflicht erfüllet und Ehre gegeben, dem Ehre gebühret, und einen Helden und einen Berg verbunden. – Gleich mit gleich. – Laßt uns froh heimkehren; denn es läßt nicht, wenn Helden weinen, und wer kann einen[351] Berg mit Thränen im Auge ansehen? wer? Er hat überwunden und ist mit Ehren vom dritten Tod überwunden. Noch eine Pflicht liegt uns ob, dieß Grab zu verhehlen seiner Vielgetreuen. Was wir können, kann sie nicht. Sie ist so sehr ein Weib, als er ein Mann war. Kommt, Freunde, sie könnte uns überraschen; kommt! Warum seht ihr euch um, Freunde? Kein Held sieht sich um; kommt! Wir nehmen den Mond mit.

Weh! weh! Ist es nicht ihr Silberton? Versteckt euch – doch nein, es ist eine Nachtigall, die auch den Geliebten verloren hat. Solch ein paar Stimmen, Luisens und der Nachtigall, sind leicht zu verwechseln. Schluchze nicht, kleine Betrübte, dein Geliebter ist nicht im Felde gewesen, da fällt nur, was vortrefflich und ehrlich unter den Menschen ist; du wirst ihn wiederfinden, allein Luise nicht ihren Geliebten.

Was für ein Geschrei? Ist es eine Taube, die nach ihrem Gatten girrt? Ist es ein Käuzlein, das erbärmlich sich hören läßt? Ist es beides? Ist es keines? Ha, Freunde, sie ist es, es ist Luise! Gott, wie verändert! Aus einer Nachtigall, was ist sie worden? Kommt, laßt uns fliehen – fliehen – fliehen! – Unsern Freund haben wir sterben sehen, Luisen werden wir nicht leben hören können. Kommt, Freunde! Auch du, Alter! Nimm dich zusammen, gib deinem Sohn die Hand, damit er ein Stück von dir übertrage. Kommt, kommt alle! Du starrst, Geliebter, du starrst! du vor allen Getreuer! Was ist mein Gesang gegen dein Gesicht? Laß es mich abschreiben, ich bitte dich, laß! Dann haben Kinder und Kindeskinder ein Muster von edlem Schmerz. Doch seht, es bricht sich Tod und Leben auf deinem Gesicht, mein Geliebter, mein Freund! Gottlob, die Herzensblutschleuße ist nicht mehr gehemmt, sie ist wieder aufgezogen und es fließt Blut in dein Gesicht. – Ach, Geliebter, soll ich, soll ich weiter singen? Es ist Luise, Freund, sie ist es! Kann ich? soll ich? Flieht,[352] Freunde, sie ist uns nahe! Verbergt euch in das Gesträuch tief – tiefer! – Freunde eines Helden fliehen? verbergen? Doch, einem Weibe zum Besten, dem Weibe eines Helden zum Besten? Solch ein Weib können nur Memmen aushalten, Männer nicht. Wir sind Helden, Freunde, weil wir fliehen, weil wir uns verbergen tief im Gesträuch. Je tiefer, desto heldenmüthiger!

Ist Luise nicht eine Heldin, weil sie betrübt ist bis in den Tod, weil sie ihre Stimme verloren hat? Und was weiß sie? Weiß sie mehr, als daß ihr Geliebter im Felde ist? Weiß sie seinen Tod? Weiß sie die Losung: Kreuz, Grab, Tod!

Luise! sie ist es, Freunde. O wäre es ihr Geist, dann wären Franz und Luise doch bei einander! Wie hat ihr Gesang sich verändert! Hätte ich sie nicht gesehen, durch das Gehör hätte sie niemand gekannt, der singen kann, niemand, der nur singen hören kann. Luise! Luise! Seufzt ihren Namen, Freunde, seufzt inwärts; so wie der Seufzer aus dem Herzen kommt, stoßt ihn ins Herz – sie könnte uns sonst merken und wir wären verloren. – Auf unserer Stirn würde sie lesen, was sie nicht wissen soll. Wir wären ihre Mörder. Die geheimen Worte: Kreuz, Grab, Tod sind uns angeschrieben an der Stirn einmal, zweimal, dreimal, überall. – Stecket die Köpfe ins Gebüsch! Jüngling, du hast noch zu wenig Kreuz gehabt, du verstehst nicht Seufzer zu dämpfen, lerne es von uns, du wirst es benutzen. Freunde, wenn euch die Hände zittern und die Füße auch, schlagt sie ins Kreuz, damit einer den andern halte und Luise nichts merke! – Ins Kreuz, Freunde!

Wo bist du, Franz? Wo bist du hin, Falscher? Du liebst den Krieg mehr als mich, den Tod mehr als das Leben! Wo bist du? – Du hast deine Geliebte verlassen, die nach dir zielte, wie ein Jäger nach Wild – nach dir sang, wie die Vögel im Frühling nach einander singen, bis sie sich gefunden haben. Wo sind deine[353] Schwüre, deine Verwünschungen, Unglücklicher? Was hat der Krieg, das dich reizen konnte, da du mich hattest? Dein Leben gehört Gott, dir und mir, oder besser, Gott, mir und dir, und keinem von uns dreien gibst du es; du bringst es dem Vaterland! Kennst du dieß Ungeheuer? Ich kenne es nicht, ich mag es nicht, ich will es nicht kennen, dieses blutdürstige Thier, das seinen Weg mit Menschenleichen pflastert, um weich zu treten, und an verwüsteten Feldern und an ausgebrannten Wäldern seine Luft sieht, das jedes Grab haßt, weil es lebt. – Vaterland, wie häßlich bist du! – Auch meinen Geliebten hast du auf deiner Seele, wenn du eine Seele hast. Vaterland, du wohnst in einer Mördergrube! Franz, wie konntest du dich verleiten lassen? Ehre? Was ist Ehre? Weißt du es? Ich weiß es nicht. – – Wer uns in die Augen ehrt, ehrt uns der? Und wer's thut, wenn wir nicht dabei sind, ehrt uns der? Weiß dieser Fels, wenn ich sage: ein schöner Fels, und richtet sich die abgehauene Tanne in die Höhe, wenn ich sage: ein trefflicher Baum? Hören wir, wenn wir gestorben sind? Und was ist die Ehre, wenn wir nicht hören können? Du hast falsch Geld eingewechselt, Franz; schäme dich, daß du gestorben bist! Doch bist du todt, Franz? Rede doch, ich ringe meine Hände, ich halte sie gen Himmel, ich – was weiß ich, was ich thue. – So rede doch, Franz, bist du todt? lebst du? Verzeihe einem Weibe, daß sie nicht männlich denkt. Du hattest zwei Hände, eine für mich, eine für deine Pflicht. Es war Pflicht, daß du in den Krieg gingst; du hattest dein Wort eher der Fahne als mir gegeben. Verzeihe mir, Franz. Ich sah dein linkes Auge in Thränen, da du Abschied nahmst; im rechten war Muth. Eine Hand war stark, die andere sank. O Franz, Franz! wenn wir uns doch eher gekannt hätten! – Vielleicht hättest du dich mit keiner andern Pflicht vermählt, als mit der, mich zu lieben. – Die schöne Pflicht! – Ist sie nicht schön? Traurig schön! O wenn du[354] leben möchtest, doch – du lebst nicht, du bist todt! todt! todt! Ich sah dich kämpfen, du edler Kämpfer, ich sah dich mit vielen zugleich anbinden. Ich sah dich kriegen, edler Krieger, ich sah dich den ganz treffen, der dich halb traf, den stürzen, der nach dir schlug – ich sah Blut und Schweiß, beides edel zusammenrinnen und vor deiner Stirn stehen, und da der Zufluß zu stark war, es von deinen Wangen herabthauen – ich sah, o Gott! ich sah dich die Knie steifen, die schon zu sinken anfingen! Wie bleich, welche Blutdürre auf deinen Wangen! wie welk! Tod, da liegt er! Das dachte ich wohl, ich dachte es, Geliebter, daß du sterben würdest. – Schreckliche Ahnung! doch war es bloß Ahnung? Es war ein Zeichen vom Himmel; denn es starb ein Edler! Wenn ein solcher stirbt, macht man im Himmel Platz. O ein Trefflicher ist gefallen! Klagt, ihr Jungfrauen, der edelste unter allen Jünglingen ist gestorben, ohne seinen Stamm fortzupflanzen und ohne einen Sohn zurückzulassen, der seinem Bilde ähnlich. Klagt, ihr Feigen, ein Held ist todt. Klagt, ihr Helden, euer Bruder ist dahin. Es sterben tausend und abermal tausend mit ihm, mich ungerechnet. – Ich kühlte jeden Herzensstich, den er ausstand, den er überwand, und den letzten, letzten Todesstich, der ihm das Leben nahm. Ach, noch dehnt sich dieser Stich in meinem Busen – Franz ist todt! todt! todt! todt! Rufe laut, überlaut, alles, was rufen kann: todt! – und was nicht Sprache hat, halle nach: todt! – Für mich alles todt, die ganze Welt todt – mein Geliebter hin, alles hin! – Leben hin, Tod hin, ach selbst der Tod hin. Luise soll nicht in Franzens Arm sterben – o des schönen Todes in seinem Arm! So trefflich soll Luise nicht sterben, so lebendig nicht gen Himmel kommen! Ha, schreckliche Nacht, die ich überstand! Ich fühle es, keine werde ich mehr überstehen – ich träumte, was ich sang. Ahnungsvoll sprang ich auf im Traum, und Ahnung bestätigt diesen Todestraum: Franz ist todt! – Ich rief im[355] Walde, wo das Echo so oft Franz nachgerufen, ich rief in den Wald: Franz! – Keine Antwort; nichts auf mein Franz, auf mein wiederholtes Franz! Echo, bist du verstummt? Du rufst alles, nur Franz nicht – kannst du den süßen, leichten Namen Franz nicht mehr nachsprechen, oder liegt es an mir, daß ich mir nicht getraue, ihn laut vorzusprechen? Ich könnte Franzen, dünkt mich, im Sterben stören – ihn stören, wenn ich schrie: Franz! und nun endlich wie aus einer Kluft hohl: Franz! Schnell lief ein Schauder mir durch alle Glieder, durch das geheimste Mark. Der schönste Name in der Welt, wie schrecklich ward er mir! Wie ist's, Echo? Ich weiß alles! Heult nicht, Hunde! rufe nicht, Eule! laßt mich rufen, laßt mich heulen! ich weiß alles! Schrecklich! Wie traurig das Licht brannte, als auf einer Leichenwache; vergebens munterte ich's durch eine Nadel auf, womit mein Busen befestigt war, vergebens sachte ich es an, es wollte nicht, es konnte nicht. Franz, auch du hast ausgebrannt! Umsonst wälzen dich Freunde, umsonst schütteln sie deine Hände, umsonst – du bist todt! todt! todt! Doch sind es Freunde, die dich umgeben. Vielleicht Feinde – deine Mörder – Mörder, die deinen Heldenwerth verkennen und sich nicht einmal rühmen ihrer Mordthat. – Vielleicht rinnt dein Blut, dein edles Blut in eine Pfütze voll unreinen, dicken Bluts der gemeinsten Krieger. – O Franz, wüßte ich, daß du wie ein Held begraben wärst, wie du gelebt hast und wie du gewiß gestorben bist, ich würde mich beruhigen; denn bald, bald werde ich bei dir seyn. Wenn aber dein Leib als Scheusal aufgestellt ist, dein schöner Leib, das Meisterstück der Natur, Franz, was hebe ich an? Engel, Menschen, wen rühren meine Klagen zuerst? Wer ist am menschlichsten unter allen Geschöpfen? wer? Franz ist tobt, todt! Wer zeigt mir den Weg zu dem einzigen Trost, daß ich weiß, daß ich sehe, wie er todt ist, wo seine matten Hände ruhen und seine kühne Brust? Wer ist der Holde, der[356] mir den Schlüssel zu seinem Grabe gibt? O wäre sein Kämmerlein verschlossen, wäre seine Gruft heilig, wie ruhig!!

Auf, Freunde, tretet hervor, folgt mir, verdoppelt euren Schritt, damit wir Luisen das Grab des Helden zeigen! – Luise, wenn du hältst, was du versprochen hast, wenn du ruhig seyn willst, wenn du es kannst! Sie that einen Schwur mit ihren Augen, die sie gen Himmel anstrengte. – Diese Hände trugen ihn in die Höhe, sagte der Aelteste, sie trugen ihn in den Vorhof des Himmels, wo Lohn nach Arbeit auf ihn wartet! Mache dein Auge groß, Luise, du sollst sein Grab sehen und ein Ehrenzeichen oben drauf. Gönne ihm die Ruhe, gönne sie dir selbst. – Sein Andenken sey uns ewig heilig! – Bist du vorbereitet? Hast du den letzten Tropfen Thränen in deinem Auge verwischt? Hast du Stärke hinauf zu blicken? Wohlan, dort oben schläft Franz!

Sie sah mit einem umfassenden Blick. Ach! seufzte Luise, schlug ein Kreuz vor ihrer Brust und sank todt zur Erde.


* * *


Heute habe ich einen Leichenschmaus, alle meine Kinder sind bei mir; komm auch, Nachbar. – Damit alles paarweise gehe, habe ich die Wittwe Marthe eingeladen. Du wirst Gelegenheit haben, an deine selige Frau zu denken, wenn du die Wittwe Marthe, deiner Seligen leibliche Schwester, siehst, und wenn du auf meinem Leichenschmause bist. – Ich habe einen Enkel verloren, einen Kernjungen. Der Tod hatte lange mit ihm zu thun, ehe er ihn zu Boden riß; Jakob wehrte sich, so klein er war, mit Jünglingsstärke. Jakob, der Erstgeborne meines Aeltesten, der im väterlichen Hause bleiben wird, weil er der Aelteste ist, Jakob führte meinen Namen und war mir so augengreiflich ähnlich, als mir keiner von allen meinen Kindern und Großkindern ist, die mir alle ähnlicher sind, als jene. Alle Leute nannten den Seligen: Großvater, und der kleine Junge freute sich drüber und that so alt, als[357] wenn er's wäre. Er ist ein Theil von mir, ein Ast vom Stamm, und soll da begraben werden, wo ich einst begraben zu werden den Meinigen anbefohlen habe. Nachbar, wir wollen betrübt und froh seyn, so wie man in der Abenddämmerung sieht und nicht steht. – O Greger, es ist ein köstlich Ding, wie unser Pastor sagt, zu sterben, ehe man stirbt! Was meinst du, wenn man sich begraben sieht? Du bist gestorben, Greger, ehe du starbst, du hast dich begraben sehen und lebst, denn dein Weib, Wittwer, warst du selbst! Sieh, ich habe noch alle die Meinigen, nur Jakob, den Hauptenkel, habe ich verloren, den begrabe ich heute. Da liegt er schon auf einem weißen Laken; du wirst ihm folgen mit deiner seligen Frau Schwester in einem Paar. Ich werde mir selbst folgen mit meinem Weibe Hand in Hand. Gott gebe, ich stürbe mit ihr paarweise. Zwar hat mich Gott gesegnet mit Kindern und Kindeskindern, die noch grünen und blühen und Früchte ansetzen werden zu seiner Zeit. Hast du aber nicht bemerkt, Greger, die Blätter sträuben sich lange und trotzen dem Herbste, fällt aber das erste gelbe Blatt, fallen ihm mehrere nach, bis der Baum nackt und bloß steht. – Ich bin bereit, mein Weib ist bereit. O wären wir die ersten, die nach diesem gelben Blatte fielen! Ruhe wohl, Jakob, du bist, so klein du warest, eines christlichen Begräbnisses werth und eines Leichenschmauses. Fromm wollen wir reden, Nachbar, und das letzte Glas wollen wir trinken auf ein seliges Ende.


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Tanne, warum so stolz unter deines Gleichen? Warum Meuterei wider die königliche Familie der Eiche? Ich, dein Landsmann, aus Norden gebürtig, wie du, finde keine Hoheit an dir von Fuß bis zur Scheitel. Wenn sanfte Winde dich und alles, was um dich ist, mit einer verstehbaren Sprache beleben, rausche mir zu, was dein Vorzug ist, damit ich's durch den Wiederhall deinen Nachbaren, wer sie auch sind, verkündige, auf daß sie dich[358] ehren, wie die königliche Eiche geehrt wird, und wenn du es verdienst, noch mehr. Sieh an die majestätische, dreihundertjährige Eiche, die die Geschichte des ganzen Waldes weiß, da steht sie unerschüttert, trotzt den Stürmen aller Weltgegenden, trotzt allem – nur Gottes Donner nicht; wenn du dich vor jedem Winde bückest und dich windest, kriechst und wie ein Hofmann schmeichelst, damit jeder Wind dich nicht aushebe und deine Wurzel aufdecke allen, die vorübergehen. Grün bist du im Winter, wenn die Eiche, von ihrem königlichen Schmuck entkleidet, nach Art wahrer Größe sich nichts vor ihren Unterthanen herausnimmt. Ist aber das Kleid wahre Hoheit? Wo ist dein Werth, wenn auf einem einzigen Eichenblatte sich ganze Geschlechter niederlassen, und du Nadeln statt Blätter zählest? Sieh nicht verächtlich, Tanne, auf die tief unten grünende Waldblume, die, wenn sie im Frühling aufgeht und ringsumher im nackten Walde alles öde und leer findet, sich erst im Thau badet, um desto Heller und klarer zu dir hinauf zu blicken und das erste Baumgrün zu sehen. Neige dich zu dieser aufgehenden Waldblume, Tanne, die du dich vor jedem nur rauschenden Winde so tief beugest, blicke her auf die Eiche, die keinem Unterthan, der zu ihr flieht, Schutz und Schirm versagt, und wenn der in die Höhe strebende Baum von Buben gebrochen wird und sich zu ihr wendet, ihm einen Ast reicht, damit er den Streich verwachse, den der Bube an ihm vollführte.


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Schmetterling, Schmetterling, setze dich! – Sieh den Sperling, der auf dich lauert und seinen Schnabel wetzt, um dich als einen Braten zu essen und Salat von dem Blättchen, wo du sitzest, dazu zu picken. Schmetterling, Schmetterling, setze dich! Ich will dir nicht einen Flügel ausreißen oder einen Fuß, oder dich ängstigen, Närrchen; nein, du bist klein wie ich. Gerg, mein größerer Bruder, fängt sich größere Vögel, und er geht nicht mit ihnen um,[359] wie ich mit dir umgehen werde. – Weißt du, was ich will? Ich will dich ein wenig ansehen, schönes Jungferchen, nicht lange. – Ich weiß, du lebst nur kurz, armes Vögelchen, künftigen Sommer bist du nicht mehr, und ich bin schon sieben Sommer alt. – Ich will dich nicht vom Leben aufhalten, armes Vögelchen, aber besehen will ich dich, dein niedliches Köpfchen und dem schlankes Leibchen, und deine Spitzenflügelchen, das will ich besehen, und damit du keine Zeit verlierst, werde ich dir ein Blättchen vorhalten, damit du während der Zeit essen kannst. Schmetterling, Schmetterling, setze dich! Närrchen, ich meine es gut mit dir! Schmetterling, Schmetterling, setze dich!


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Es war einmal ein Edelmann, der ritt stets einen Fuchs; der Edelmann war so falsch wie der Fuchs, und der Fuchs wie der Edelmann. Ein schändlich Paar! Zwar war der Fuchs ein schönes Thier, der Edelmann nicht minder, doch einer schlug so aus wie der andere, und beide waren beschlagen, der eine mit Bosheit, der andere mit Eisen; beide schlugen und trafen Menschen. Der Fuchs hatte einen seltenen Kopf, einen Hals zum Malen, und einen Fuß, gewiß einen niedlichen Fuß! Sein Schweif hing herrlich herab, zum Schrecken aller Bremsen und Fliegen, die er nicht verjagte, sondern auf der Stelle todtschlug. Auf seinem Rücken war ein Bremsenkirchhof. O des prächtigen Schweifs! Der Edelmann, gewachsen wie eine Birke, hoch und gerade, sein Gesicht braun wie eine Eichel, wenn sie rein und reif ist, und seine Hand noch brauner; nichts an ihm verunglückt, kein Fleck, nichts Schiefes an ihm, wie ein ausgewachsener Halm im Kleinen, war er im Großen gerad bis auf sein Seitenhaar, das kraus lag in natürlichen Locken. Man glaubte, die liebe Natur hätt' es mit ihnen zu einem Knoten angelegt und sie wären im Zuziehen gestört worden.
[360]

Sein Auge meld'te jedem an,

Es sey der Mann ein Edelmann.


Nur die Augenbraunen waren wild gewachsen, sehr wild! Da lag das Böse vom Edelmann; denn wenn er gleich schön von außen war, so hatte er doch einen innerlichen Schaden. Sein Herz war eine Mördergrube, und von außen stand ein schöner, adelicher Hof. O hört, ihr tugendsamen Jungfrauen, was sich zutrug im Jahr nach Christi Geburt eintausend siebenhundert und sieben; hört es und weint um eure Schwester! Es war einmal ein ehrlicher Bürgersmann, der hatte eine schöne Tochter. Der Pastor sah sie an, wenn er die Schönheit des Engels beschrieb, der auf Gottes Geheiß einen menschlichen Leib auf eine kurze Zeit angezogen. Er sah nicht seine Frau an, denn die war alt, obgleich sie sich beide nichts vorzurücken hatten und er auch alt war. Annens Leib war ein Engelskleid, so passend gemacht, daß der Engel nichts abschneiden durfte, wenn er ein Menschengewand auf Gottes Befehl nöthig gehabt. Freilich sah sie so schwindsüchtig nicht aus, wie das vornehme Ding in unserer Nachbarschaft, von der alles sagt, sie sey die schönste im Lande. Daß sich Gott erbarm'! wer Annen sah, wußte sicher, was Schönheit sey; wer sie nicht gesehen hatte, war zweifelhaft. Man verglich die andern Gesichter nicht mehr mit der Natur, sondern mit Annen, nicht mit der weißen Lilie den Busen, nicht mit dem Himmelsblau das Auge, nicht mit einer aufbrechenden Rose das Frische im Gesicht – man verglich es mit Annen. Sie hat das von Annen und jenes von Annen, so sprach jeder, wer Annen gesehen. Man hatte nicht nöthig, sich herumzuthun und hier und da was in der Natur zusammenzusuchen – Anne war alles zusammen. – Sie war weiß, allein wer auch eine Braune liebte, blieb stehen, wenn er sie sah, und sagte laut: schön! Sie hatte so was Gesundweißes im Gesicht, daß man das Blut rinnen sehen konnte. O ein schönes Blut! Der ganze Himmel[361] lag auf ihrem Gesicht, weiß, roth, blau. Wenn man ihn im Kleinen wollte, sah man Annen an – und ihre Seele? wer eine Seele sehen wollte, sah ihr ins Auge, da hatte sie sich einquartiert. Wen sie damit ansah, hatte Gottes Bild gesehen, und ein Strahl von diesem Bilde ließ so viel Ehrfurcht zurück, daß man Annen liebte und ehrte. Ihr Auge war die Sonne am Himmel. Man dankte Gott, daß er so schöne Menschen auf seiner Welt gemacht – und wär' es erlaubt, daß ein Engel, wenn er auf Gottes Extrapost fährt und der Erdenluft wegen ein Menschengewand angezogen hat, wär' es erlaubt, daß ein Engel ohne Gottes Trauschein sich verheirathen könnte, er nähme sie. – Sie wäre Fleisch von seinem Fleisch, Geist von seinem Geist. – O ihr Jungfrauen, hört, was sich mit Annen zutrug und mit dem Edelmann, der stets einen Fuchs ritt. Er stellte sich, als liebte er sie; allein er liebte sie nicht, denn die Liebe macht tugendhaft, wenn man einen Engel wie Annen liebt. Er liebte sie, doch war seine Liebe Leckerei. – Der Bösewicht meinte nicht sie, sondern sich. – Hast du ihr nicht ins Auge gesehen – und recht ins Gesicht, oder fürchtest du dich nicht vor Gott und vor dem Himmel, Bösewicht! vor was fürchtest du dich denn? Sie waren beide schön – schön! allein welch ein Unterschied in der Schönheit! Sie schön wie ein Engel, er schön wie ein Teufel, wenn er sich in einen Engel des Lichts verkleidet hat. Er schwur, Annen zu lieben bis in den Tod, und wie leicht können wir betrogen werden, wenn es jemand zum Betrug anlegt, der so schön ist wie der Edelmann? Wer sieht immer auf die Augenbraunen? Anne sagte auf sein Zudringen: Ich will, wenn meine Mutter will. – Ihr Vater war während der Zeit gestorben, und der Edelmann, der ihn zur Gruft begleitete, hatte sich so betrübt gestellt, daß Anne ihres Vaters und ihres Liebhabers wegen gleich betrübt war. Die arme Unglückliche! Bis jetzt hatte er noch nicht das väterliche Haus betreten. Sein[362] erster Schritt war ins Trauerhaus. Eine schreckliche Vorbedeutung! – Nun kam er, wenn er wollte, und Anne blieb zwar bei ihrem: Ich will, wenn meine Mutter will; allein sie sprach es immer schwächer. Der Bösewicht grüßte die Mutter nicht mit den süßen Worten: Gib mir deine Tochter. – Er suchte die Tochter ihrer Mutter allmählig zu entwöhnen. Die Mutter merkte. – Wie ist's, fragte sie den Edelmann, Ernst oder Scherz, Spiel oder Ehe? – O Anne, warum sahst du ihm nicht in sein verruchtes Gesicht bei dieser mütterlichen Frage – recht ins Gesicht? du hättest den Bösewicht entdeckt in Lebensgröße. Er raffte sich bald zusammen. Ernst, sprach er, Ehe. Wie, sagte die Tochter, da der Bösewicht diesen Abend das Haus der Unschuld verließ, wie wär' es anders zu denken? Die Mutter ward ruhig nach diesem Abend. Mehr hatte dem Edelmann nicht gefehlt, seiner Gottlosigkeit vollen Lauf zu lassen und die Unschuld zu vergiften, als diese Ruhe der Mutter. – – O ihr Jungfrauen, weint um eure Schwester, die durch einen Bösewicht von der strengen Bahn der Unschuld und Tugend verführt ward. Nur Mutter und Tochter und drei aus ihrer Verwandtschaft wußten ihren Fall. Der Tod entriß ihn dem Ottergift der Stadtlippen. Ihre Mutter rang die Hände, Anne konnte sie nicht ringen – der Tod war ihr Leben. – Sie konnte, sie wollte nichts weiter, als sterben; kniend bat sie ihre Mutter, für sie zu beten. Ja, Tochter, ich will für dich beten, ich will beten, daß dich Gott beruhige. – Nein, Mutter, daß ich sterbe, daß ich sterbe, daß ich sterbe, alles andere Gebet widerruf' ich – der Tod, das ist mein Alles!

Anne sprach dieß gelassener als ich, so gelassen, daß man wohl sah, der Tod sey ihr Alles. – Sie knieten beide, Mutter und Tochter, dicht zusammen und hielten die Hände gen Himmel, als wär' es nur eine. – Sehnlichst beteten sie um den Tod, und das ist eine große Gabe Gottes, die der liebe Gott nicht erst jemandem[363] gibt, sondern nur denen er gut ist. Wir sterben zwar alle, allein es kommt beim Tod aufs Wann an, auf eine erwünschte, das ist, auf eine selige Stunde. Da nimmt man nicht zehn Leben um einen Tod. – Die Tochter starb so ruhig, daß man ihr die ewige Seligkeit ansehen konnte. Die Mutter mußte noch acht Tage jammern; sie hatte keinen Schmerz, allein sie jammerte: – Mein Mann todt – meine Tochter todt – und ich, ich hab' ein heimtückisches, hartes Leben! Schon lange bei Lebenszeit ihres Mannes war sie siech; der Tod ihrer Tochter hatte ihr vollends das Herz gebrochen. Nun ging es gegen den achten Tag, daß die Leiche ihrer Tochter auf sie wartete, unbegraben. Auf einen Tag, sagte die Mutter zu ihrer sterbenden Tochter, auf einen Tag, sagte die Tochter. Auf einen Tag, sagten sie sich hundertmal, und auf einen Tag waren auch ihre letzten Worte. Sie starb – o Gott! fast wie ihre Tochter. Fast, ganz nicht, denn die Tochter starb noch leichter. Die Mutter war älter, das Leben hatte sich mehr angeklammert und der Tod mußte reißen; eh' er seinen Zweck erriß. Der Mutter Sarg stand schon längst bei dem Sarge ihrer Tochter, noch eh' die Mutter selbst drin war. Was das für ein Leichenzug war! Sie wollten still begraben seyn, allein alles im Städtchen, was gehen konnte, ging den Särgen nach. Sie waren allen und jeden Wegweiser zur ewigen Ruhe. Die Taglöhner verdungen sich nur auf den halben Tag, um dieses Begräbniß zu sehen. Der Pastor weinte, er war außer den dreien der vierte, der Annens Fall wußte. Die Engel fielen und wurden Teufel; allein Anne blieb, was sie war, im priesterlichen Auge. Der Pastor weinte, denn er hatte kein Engelsbild mehr in seiner Gemeinde; er wußte nicht, wie er die Engelsgestalt deutlich machen würde, da er Annen nicht mehr sehen konnte. – Ich werde sie bald sehen, fing er prophetisch an mit entzücktem Muthe, drückte sich den Hut in die Augen und ging so, als ob er den Tod ausfordern wollte. Der gute[364] Pastor! Er wollte ein Erbauungswort bei dem Grabe dieser beiden Seligen verbreiten, doch das konnt' er nicht. Annens Gesicht, das ihm noch zu lebhaft vor den Augen schwebte, störte ihn; er verstummte selbst in der Collecte und schluchzte laut. Der Schuster Veit, der so gut singt als einer, half ihm aus, ohne daß es viel zu merken war. Dieser war bekannt, daß er Melodie hielt und nicht weinen konnte. Sie hatten eben die Todten begraben und wollten heimgehen, da kam der Edelmann auf sie zugesprengt: er ritt keinen Fuchs, sondern einen Schwarzen.

Ha! dachte der Pastor, da er den Edelmann, den er wohl kannte, auf einem Rappen und nicht mehr auf dem Fuchs sah – ha, das Gewissen! das Gewissen! Es war ihm Vergnügen, den Judas hängen zu sehen, und wahrlich, wenn ein Bösewicht von der Welt Verzeihung haben will, muß er unstät und flüchtig – verzweifelnd aussehen.

Der Bösewicht hätte ungefragt wissen können, was und wie und wer? denn unsere Todten kamen in eine Reihe mit Mann, mit Vater. An dieser Stelle, Bösewicht, hast du geweint. Er fragte aber ein bloßes kaltblütiges Wer?

Anne, sagte der Pastor und zog seinen Hut ab, und die Thränen stürzten herunter, als gösse er seine Augen aus – Anne, sagte er, und die ganze Versammlung wimmerte Anne, und lange hernach sagte alles: »Ihre Mutter auch.« Da hätte man doch denken sollen, würde er sich an die Brust schlagen und verzweifeln. Eins sagte dem andern: Das ist er, und mancher, der Herz hatte, setzte, wiewohl ins Ohr, hinzu: der Mörder! Alles wußte von seiner Falschheit gegen Annen, allein nur drei, außer dem Pastor, von ihrer Leichtgläubigkeit. Der Bösewicht schien mir nichts, dir nichts. Sie hat Ihnen – ver – ziehen, gnädiger Herr, sagte der Pastor, und konnte das Wort verziehen lange nicht herausbringen. Der alte Mann war zu bewegt. – Sie hat[365] Ihnen verziehen, wiederholte er mit bloßem Haupte. Und ich, versetzte der Frevler trotzig, verzeih' ihr auch, daß sie gestorben ist! O Jungfrauen, denkt ans Jahr nach Christi Geburt eintausend siebenhundert und sieben und an die Verzeihung, daß sie gestorben ist. Traut nicht den gnädigen Herren, wenn sie gleich bei den Gräbern eurer Väter weinen.

Es ward dem Pastor und seiner Gemeinde, als ob die Erde bebte, da der Mörder siegprankte und trotzte. Der Pastor setzte seinen Hut auf und die Begleiter und Begleiterinnen falteten die Hände. Der Edelmann mir nichts, dir nichts, sprengte davon; denn er hatte seit vielen Wochen ein anderes Annchen, drum verzieh er unserem, daß es gestorben war.

Diese schrecklichen Worte hatten dem Pastor schnell die Thränen gestauet. Beim heftigen Ungewitter regnet es nicht. – Da, fing der Pastor an, da habt ihr, meine Lieben, den Teufel gesehen! – Sie war ein Engel, er ein Teufel, und alle, die solche Augenbraunen sahen, fürchteten sich nach der Zeit, als sähen sie den bösen Geist. – Einige von den Stadtfrauen, welche das selige, gute, unschuldige Annchen gekannt hatten und unter denen die bewußten drei am meisten, wunderten sich und sprachen: Warum erscheint nicht Annchens Geist dem Bösewicht? Warum fährt nicht ihre kalte Hand über sein Gesicht, bis Todesschweiß vor seiner Stirn steht? Warum heulen nicht des Abends zwischen eilf und zwölf Hunde, damit ihm die Ohren gellen? Warum kreiselt nicht ein Sturmwind sich um ihn herum, damit ihm Hören und Sehen vergehe? Warum pfeift ihm nicht der Nord zu: Du bist der Mann des Todes? Warum rasseln nicht, wenn er mit seiner Buhlerin ins Bett steigt, unter seinem Bette Ketten? Warum fahren nicht kalte Schauer kreuzweis durch seine Seele? Warum schreien nicht Eulen, wenn er des Abends nach frischer Luft schnappt? Und warum verscheucht sich nicht sein Pferd vor einer Erscheinung[366] und wirst ihn herab auf ebenem Wege? Warum schlägt es nicht an sein Fenster mit Fäusten an, damit, wenn er: wer da? ruft, er nichts als einen Schatten von der Seite sich wegziehen sähe? Warum klirrt und knarrt, knistert und knastert es nicht in seinem Zimmer, obgleich alles ringsherum altes, reif ausgetrocknetes Holz ist, als wollte es in die Worte ausbrechen: Mörder, Mörder! – Wundert euch dessen nicht, meine Lieben, sagte der Pastor gar eben, daß das alles nicht geschieht; Anne hat ihm verziehen, eben weil sie ein Engel ist. – Wenn sich die Menschen dem Teufel ergeben, läßt der Teufel sie seine Knechtsjahre ungestört. – Des Teufels Knechte sind fast immer vornehme Herren – allein wenn die Contractsjahre aus sind –

Die Gemeinde schlug sich ein Kreuz und alles betete:


»Für dem Teufel uns bewahr'!«


* * *


Zwar eine Aehrenleserin, und doch reich! Wie ich noch arbeiten konnte, band ich Garben und beschämte oft junge Mädchen in der Schnelligkeit. Man sagte von mir, ich griff Glück, wenn ich unter der blinkenden Sichel Getreide griff. Im Alter lese ich Aehren und freue mich, daß ich's kann. Lieber würde ich's sehen, wenn ich mich nicht bücken dürfte. Doch bückt man sich nicht auch, wenn man stirbt? Und mir ist immer so wohl, wenn ich eine Aehre finde, als fände ich meinen seligen Tod. – Auch der wird kommen, wenn Zeit und Stunde seyn wird, so wie der liebreiche Gott mir meine Schürze voll Aehren beschert, wenn es Zeit ist. – Da sagen mir oft Leute, die jung sind und Aehren lesen kommen: Mutter, dort steht das Korn, was leset Ihr? Schneidet mit einem Messer Aehren, so habt Ihr in einer halben Stunde mehr, als Ihr tragen könnt. Seht, wie wir es machen. Schämt euch, Kinder, antworte ich, daß ihr euch mit Aehrenlesen abgebt, und schämt euch doppelt, daß ihr Gott und Menschen mit dem Messer[367] betrügt. Der liebe Gott, der unser Haar zählt, zählt auch jedes Erdenhaar, jeden Halm. – Glaubt mir, jede Aehre, die ihr abgeschnitten habt, wird euch über kurz oder lang im Gewissen schneiden. – Wie kann euch Brod anschlagen, das ihr stehlt? – Brod stehlen, daß heißt so viel, wenn es nicht noch mehr heißt, als vom Altar Gottes nehmen, ungeachtet die liebe Sonne hell brennt. Ehe Hungers gestorben, als solch gestohlenes Brod gegessen! Seht, wenn ein Halm dem Stahl des Schnitters entkommen und wie verwaist allein unter Stoppeln da steht – ich nehme ihn nicht. Stehe, sage ich zu ihm, bis dich der Nord knickt, wie mich das Alter. – Wenn ihr ehrlich Aehren lesen würdet, ihr Aehrendiebe, wäre es Schande und Sünde; denn könnt ihr nicht noch arbeiten und Glück greifen, wie ich's gegriffen habe, ohne Aehren zu lesen oder bei Gottes Thüre zu betteln? Ich werde euch nicht lange mehr im Wege seyn. Alle Jahre finde ich weniger Aehren, und immer habe ich denn auch weniger nöthig. – Je älter, desto weniger Hunger, je weniger Zähne, desto weniger Magen. – Dieß Jahr nur wenige Hände voll Aehren; so wenig hab' ich noch kein Jahr gehabt. – Ich glaube, ich habe dieß Jahr zum letztenmal gelesen. O wie gern, wie gern möchte ich aus dieser argen, bösen, bösen Welt herausscheiden, wo man sogar Gottes Altar beim hellbrennenden Lichte bestiehlt. Lebt wohl, wenn ich euch nicht mehr wiedersehen soll, gütige Felder! Tragt siebenfältig und mehrfältig, so vielfältig, als es eurem Eigenthümer nützlich und selig ist. – Gott vergelte jedem die Aehren, die mir sein Acker verliehen hat! Lebt wohl, alle ihr mitleidigen Oerter, wo ich mich ausruhte, wenn ich mich nicht mehr bücken konnte, und du vor allen, gütigster Ort, wo mir ein sanfter, spannenbreiter Bach Kühlung gab und mich in süßen Schlaf rauschte, lebe wohl! Da sah ich, wie das neugierige Feldblümchen, welches am Ufer blühte, sich recht mühsam herüberbog, als wollte es das Ohr ans kleine Wellchen[368] legen und es behorchen. Da sah ich – bis ich sanft einschlief – sanft. O so sanft komme mir auch der Tod, so sanft! – Dann bin ich reicher, als wenn mir alle diese Felder gehörten und der spannenbreite Bach, den die neugierige Feldblume belauschte, und die mitleidigen Oerter, wo ich mich so sanft ausruhte – so sanft! –


(Ende der Beilage A.)


Daß mir Minens Nachlaß kostbar gewesen, darf ich nicht bemerken. Ich bat Gretchen, durch geschworne Leute die Sachen würdigen zu lassen, um dem Hermann nicht zu entziehen, was ihm die Rechte als Erbe seiner Tochter zuwendeten. Ich konnte bei dieser Würdigung nicht gegenwärtig seyn.

Gretchen und ich theilten uns diesen unschätzbaren Nachlaß. Sie lehnte meinen Antrag nicht im mindesten, auch nicht durch eine Verbeugung ab; sie dankte auch nicht, sondern eignete sich ihren Theil zu, als etwas, das ihr eignete und gebührte. Für den Hermann ward auf alle Fälle, oder eigentlicher auf den Fall, ein Stück abgelegt, wenn er wollen würde, und für den ehrlichen Benjamin unter dem einen Beding – wenn er noch lebte. – An die Theilung ward nicht eher als den siebenten Tag nach Minens Beerdigung gedacht.

Ueber Minens Begräbniß werde ich kurz seyn. Den ganzen Tag vor dem Begräbnißtage brachten wir in Gesellschaft der Leiche zu. Nur bis dahin war ich an mein Versprechen, Minen nicht zu sehen, gebunden. Jetzt ging das noch einmal an, das ich mir vorbehalten hatte, und dieß noch einmal währte einen ganzen Tag. – Gretchen hatte mir den mündlichen Bescheid abgegeben: »Wenn er nicht vor dem Haar einer Todten zurückbebt, kann er eine Haarlocke nehmen.« Die Empfindung, mit der ich mir dieß[369] Geschenk nahm, ist unbeschreiblich. – O du mir theures und werthes Geschenk, wie noch angenehmer wärst du mir aus Minchens Hand gewesen, die kalt ist und kalt bleibt, obgleich sie dein Freund, dein Mann an brennenden Lippen anzünden will. Alle ihre Sachen nannte ich mittelbar, diese Haarlocke war was Unmittelbares; sie war ein Stück von Minen selbst, das einzige, was Menschen unmittelbar mit Anstand von einander nehmen können. – Dieß war mit ein Hauptstück für mich, ins Grab – –

Der Tag, den wir mit Minen, eigentlich mit ihrer Hälfte, mit weniger als ihrer Hälfte, zusammen waren, wie kurz war er! Eh' er sich neigte, schien es mit meiner Fassung auch zum Ende zu gehen; bis dahin hatt' ich mich gut gehalten, wie der Prediger sagte. Er legte es nach verschiedenen Methoden mit mir an, allein keine einzige hielt Stich. – Wir hatten ein Tiefes und ein Hohes über die Gleichmüthigkeit gesprochen. – Der gute Pastor sagte mir als etwas ganz Neues, daß die Gleichmüthigkeit zum Charakter gehöre, die Gleichmüthigkeit zum Temperament. – Ich wußte so gut und besser wie der Prediger, daß, wenn die Gleichmüthigkeit aus der Selbstbeherrschung entsteht, sie bei allen Vorfällen des Lebens das Kleid des Weisen und so sehr von der Fühllosigkeit unterschieden sey, als lieben und verliebt seyn. – Was helfen aber alle diese Vortrefflichkeiten, die nicht zum Herzen gehen? Minchens Leichnam machte alle Kunst zu Schanden. Mit Freuden thaten wir alle auf das Kleid des Weisen Verzicht, und suchten eine Wonne darin, bloß Menschen zu seyn, wie die liebe Mutter Natur sie am liebsten hat. Und am Ende, Freunde, geht's der abgehärteten Seele und dem abgehärteten Körper wie dem Stahl – dieß und das springt. Ihr, die ihr den Menschen an Leib und Seele verhärten wollt, bedenkt, was wir sind. Ich bin ein Mensch, heißt das nicht, ich bin schwach?

Der letzte Abschied, den wir von Minens zurückgelassenem[370] Theil nahmen, war rührend. Wir sprachen mit ihm, als könnt' er hören; wir verstummten, da er nicht antwortete. Wie sehr es mir zur Beruhigung gereichte, daß alles meinen Schmerz mit empfand, kann ich nicht aussprechen. Er vertheilte sich, doch blieb für mich so viel zurück, daß mir das Leben wie gar nichts war. Diese Empfindung hätt' ich um alles nicht weggegeben.

Da wir hinausgingen und ich Minen noch zum letztenmal ansehen wollte, konnt' ich es nicht. – Ich war mit Blindheit geschlagen; allein mein Ohr und Herz hörten die Worte, welche der Prediger, der sich an den Sarg stellte, mit gerührter Seele aussprach: Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang, von nun an bis in Ewigkeit! Und nun kamen zwei Leute, die den Sarg fest zusammendrückten und nach diesem schrecklichen Zusammendrucke sich zu uns mit den Worten wendeten: Gott bescher' uns allen eine selige Nachfahrt! Sie hielten ihre Mützen vor und beteten, und wir beteten alle.

Minens Sarg war sehr einfach, ohne alle Verzierung. Sie hatte es nicht ausdrücklich so angeordnet; allein sie bezeugte ihr Mißfallen, daß der Sarg ihres Verwandten zu gekünstelt gewesen. – Schon lange zuvor ward ich vom guten Prediger befragt, ob Mine nach curischer oder preußischer Art begraben werden sollte? Sie selbst hatte weder im Testament, noch im Codicill, weder schriftlich, noch mündlich darüber Verfügungen getroffen, außer daß sie gern bei ihren Verwandten begraben werden wollte, um sie am lieben jüngsten Tage gleich bei der Hand zu haben. Ich bat ihn sehr, es, wie es Sitte im Lande wäre, zu halten; und nun noch ein Umstand.

Zu den ausgezeichneten Eingepfarrten gehörte der Graf v. – –, ein besonderer Mann. Seine Hauptbeschäftigung war, Leute sterben zu sehen. Er nahm, wo er von Kranken hörte, sie bei sich auf, und wenigstens waren sieben, die bei ihm starben, man mochte zu[371] ihm kommen, wenn man wollte. Oft waren mehr. Unter den Kranken zog er Verlassene und solche Leute vor, deren Schicksal ungemein war, und die meiste Zeit war die Zahl außerordentlich und über sieben. Seine Sterbezimmer waren immer besetzt. Der Graf hatte sehr traurige Schicksale überlebt. Seine sieben Kinder, alle in voller Blüthe, unter denen zwei Töchter als Bräute und ein Sohn als Bräutigam, starben in Zeit von drei Jahren. Die Bräutigame der Töchter, die Braut des Sohnes folgten und seine Gemahlin auch. Ein einziger Bedienter war von seiner Jugend, oder, wie er sich ausdrückte, von seiner Frühlingsbekanntschaft übrig, alle übrigen hatten ihn im Stich gelassen. Mit diesem alten Bedienten hielt er Haus, das hieß in seiner Sprache, bestellte er sein Haus, in dem biblischen Sinn: bestelle dein Haus, denn du wirst sterben. Der Graf ging mit diesem alten Bedienten als Freund, als Mensch um. Nicht war es Herablassung; denn wahrlich, die ist oft ärgerlicher als Stolz und Hoffart, sondern Menschengefühl war es. Spötter nannten sein Schloß ein Gebeinhaus; allein er setzte sich über dieses und mehr hinaus. Ich lerne sterben, sagte er, und laß es mir von andern vormachen; ich lasse mir vorsterben – und bin mit allen letzten Dingen in genaue Bekanntschaft getreten. Seine Gedanken, die er mir bei der Leichenfolge weitläuftiger eröffnete, sind im Kurzen: Ein Arzt und Prediger sehen sterben; allein außerdem, daß sie selten zu Maße kommen, so haben sie zu wenig Zeit, den Tod abzuwarten. Der eine sieht auf den Leib und der andere auf die Seele; keiner von beiden steht auf den Menschen. So befremdend es scheint, so hat es mir doch die Erfahrung bestätigt, daß der Arzt, wenn er gleich das Pulver erfunden hat, das er eingibt, doch eben so selten, wo nicht seltener, den Leib des Kranken treffe, als der Prediger die Seele. Beide gehen aus ihrem Compendio und nicht aus der Sterbestube aus – und so und nicht[372] anders werden sie auch von Seelen- und Leibespatienten behandelt. – Ich habe nicht sagen gelernt: der Tod mag mir so oder so kommen, ich will ihm die Spitze bieten, wohl aber: ich sterbe täglich. – Wahrlich, man macht zu wenig Erfahrungen über den Eingang des Menschen in und den Ausgang des Menschen aus der Welt. – Wir lernen den Menschen kennen, wenn er nicht mehr zu kennen ist, wenn Leib und Seele sich nolens volens so in einander geworfen, daß man in die Schule gehen und sich beglaubigen lassen muß, daß man eine Seele und auch einen Leib habe. – Freund, wer zehn Menschen sterben gesehen, weiß, was ein Mensch ist. Ein anderer weiß es gar nicht, oder hat es Mühe zu wissen.

Dieser Graf, dieser besondere Mann ward zur Leichenfolge gebeten. Es ist das einzige Mittel, sagte der Prediger, um mich mit ihm auszusöhnen; denn in Wahrheit, er würd' es für eine Todsünde halten, daß ich ihm Minchen entzogen, wenn ich nicht die Sache auf diese Art wenigstens einigermaßen in's Reine bringen sollte. – Er kommt gewiß, fuhr der Prediger fort, ohne daß ihm jemand darüber Zweifel entgegensetzte. Er kommt gewiß, wenn ihn nicht was Sterbendes abhält, um, nach seiner Sprache, der Entseelten das Bette machen zu helfen.

Ich war sehr entfernt, mich dem Prediger in den Weg zu legen. Ein Mann, wie dieser Graf, stört nicht, wenn man auch eine Mine begraben läßt, und eben so wenig hatt' ich dagegen, da der gute Prediger mir seine Absicht eröffnete, Minen einen Leichensermon zu halten, wie er, nach seinem Ausdruck, in dem Herrn entschlossen wäre. Auch dieser gehörte vorzüglich auf die Rechnung des Grafen. Die Einladung beantwortete der Graf wirklich mit Ja, weil er eben nichts versäume. Auf alle Fälle wird mein Bruder (der alte Bediente) die nöthige Sorgfalt übernehmen, schrieb er zurück. Seit sechs Wochen haben sich drei[373] von meinen Sterbenden gebessert, oder soll ich nicht lieber verschlimmert sagen? Sie sind gesund geworden.

Minens Begräbnißtag war so schön wie ihr Sterbetag, als wenn sich diese Tage beredet hätten, gleich schön zu seyn und sich einander nichts nachzugeben. Schon des Morgens ward geläutet, Nachmittags gegen fünf Uhr wieder; und dieß war ein Wink, daß sich ein großer Theil aus dem Dorfe, Weiber und Männer, versammelten. Die meisten, nicht alle, waren schwarz gekleidet. Unter diesen zu Hauf Geläuteten war auch der Organist und einige wenige Kinder.

Diese letzten stellten sich paarweise vor's Haus und fingen das Lied an:


Was Gott thut, das ist wohlgethan,


welches die versammelte Gemeinde inbrünstig mitsang.

Die Knaben und ihr Lehrer gingen darauf voraus mit dem Liede:


Ich hab' mein' Sach' Gott heimgestellt.


In der Kirche fanden sich alle Mädchen um Minchens Sarg zusammen, nicht mit Blumenkränzen, daran dachte niemand, der Fall war zu rührend, um ihn mit Blumen zu verderben. Sie sangen aus der Tiefe ihres Herzens; so beteten sie auch. Es hatten sich von freien Stücken zwölf Mädchen gemeldet, Minchens Leiche zu tragen und zu versenken; allein der Prediger liebte keine Neuerungen, und es blieb bei der Sitte in diesem Kirchspiel, daß die Aeltesten im Dorfe sie trugen. An andern Orten, bemerkte der Pfarrer, sind die Jüngsten Träger. Ich will es so lassen, wie ich es gefunden habe. Diese verließen den Sarg, nachdem sie ihn vor den Altar gesetzt hatten, und mehr als zwanzig junge Mädchen traten in ihre Stelle.

Während der letzten Strophe des Liedes:
[374]

Amen, mein lieber frommer Gott,

Bescher' uns all'n ein'n sel'gen Tod.

Hilf, daß wir mögen allzugleich

Bald in dein Reich

Kommen und bleiben ewiglich


trat der Prediger auf den Altar. Er hielt nach diesem Gesang eine Rede über die Worte aus der Offenbarung Johannis des dritten Kapitels eilften Vers: »Siehe, ich komme bald; halt was du hast, daß niemand deine Krone nehme.«

Die herzliche Art, mit welcher der Prediger den Text behandelte, war alles, was ich von dieser Rede hörte oder eigentlich behielt. Ich war an Minens offenem Grabe.

»Schwer und leer,« pflegte meine Mutter zu sagen, »was schwer ist, ist mehrentheils leer. In den alten Liedern ist immer die ganze weit und breite Brust, und in den Melodien die ganze Lunge. Wenn auch hier und da ein paar Sylben überlaufen – was mehr? Wenn du dazu weinst, Sänger, Sängerin, so läufst du auch über.« Wer, wenn er singt, Triller schlagen und Cadenzen springen kann, bringt dem lieben Gott ein Ständchen, ehret ihn mit seiner Zunge und naht sich zu ihm mit seinen Lippen; allein sein Herz ist fern von ihm. – Dieß Lieblingslied Minens, das sie sang, da sie aus ihres Vaters Hause und aus ihrer Freundschaft ausging in ein Land, das Gott ihr zeigte, dieß Lied, das sie mir so herzlich empfahl, kann keinen bessern Vertheidiger, als meine Mutter haben. Es konnte kein angemesseneres bei dieser Leiche gesungen werden, und wie das Lied, so die Rede. Der Prediger hatte wenig oder nichts aufsetzen können. Dieß hätte ich, wie es mir eben einfällt, nicht nöthig gehabt, zu bemerken, nicht wahr? Es versteht sich.

Der Pastor wußte meiner Mutter Grundsätze, zu denen mein Vater den zweiten Discant sang. Mine hatte diese Grundsätze[375] auf- und angenommen; schon in den Tagen, von denen es hieß: Sie gefielen ihr, noch mehr aber in den Tagen, von denen es hieß: Sie gefielen ihr nicht. Einem Leidenden scheint die Prosa zu hart, zu angreifend; er sehnt sich nach etwas Milderem, sagte meine Mutter, wenn sie von dem Drucke sprach, in dem sie lebte.

In dieser Rücksicht hatte der gute Prediger mehrere Liederstellen in seinem Sermon angebracht, den er mit einer Strophe aus einem alten Kirchenliede schloß:


Darum, du milde Erd',

Halt' dieses Pfand in Werth.

Was Gott zu Ehr'n erbaut,

Das wird dir jetzt vertraut.

Gott wird sein schön Bild in Lenzen

Des jüngsten Tags ergänzen;

Mit Ehren wird es glänzen!


Es war ziemlich dunkel in der Kirche geworden, und dieß war ein freiwilliger Beitrag zur Feierlichkeit. Dieses heilige Dunkel, noch liegt es vor meinen Augen und vor meiner Seele! – –

Nach der Rede ward eine Stille. Dieß wirkte fast mehr auf mich, als alles. – Zu selten bedient man sich dieses Rührungsmittels.

Auf einmal fing ein Mädchen, das ganz weiß gekleidet war und das ich noch nicht gesehen hatte, allein zu singen an. Sie stand dicht am Sarge:


Gehabt euch wohl, ihr meine Freund',

Die ihr aus Liebe um mich weint. – –


Die ganze Gemeinde antwortete mit dem Liede:


Nun laßt uns den Leib begraben.


und so ging es durchs ganze Lied hindurch. Es waren zwei Gehabt euch wohl Sänger und zwei Gehabt euch wohl Sängerinnen in der L – Gemeinde, die bei dieser Ceremonie[376] weiß gekleidet waren, ein Alter, eine Alte, ein Jüngling, ein Mädchen.

Ich will sehr gern zugeben, daß nicht alle, sagte mir der Prediger, nachdem wir Minen in ihre Schlafkammer begleitet hatten, die Art billigen werden, einen Todten redend einzuführen und ihm Abschiedsworte in den Mund zu legen; wenn wir aber hoffen, daß die Seele in Gottes Hand sey und lebe, warum nicht?

So viel weiß ich, daß mich dieser Ueberfall anfangs erschüttert, nachher sanft bewegt hat.

Die Strophe:


Mein Elend, wie auch mein Beschwerd',

Wird nun verscharrt mit kühler Erd'.


was für Thränen hat sie mir gekostet! – Am meisten rührten mich folgende Stellen:


In dieser Welt war Angst und Noth,

Bekümmerniß, zuletzt der Tod.

Nun aber schwindet alles Leid,

Und folget drauf die Ewigkeit.


So lasset mich in stolzer Ruh',

Und geht nach eurer Wohnung zu.

Bedenkt, wie bald euch Gottes Hand

Versetzen kann in diesen Stand.


Und dann die letzten Worte:


Ich scheide, lebet alle wohl,

Seyd hoffnungs-, liebe-, glaubensvoll;

Ein jeder sterb' der Sünden ab,

So kommt er selig in das Grab.


Was mich, versunken in Empfindungen, bei der Hand nahm und herauszog, war das Lied: Nun danket alle Gott! das gleich darauf angestimmt ward.[377]

Es war die Gewohnheit in L –, daß die Kirche nie anders als nach einem Lobgesang geschlossen wurde. Haben wir nicht Ursache, sagte der Prediger, da ich ihn darüber in seinem Hause befragte, haben wir nicht Ursache, Gott für alles zu danken? Können wir aber? würde mein Vater entgegen gefragt haben. Die zweite Strophe, die meines Vaters Lieblingsstrophe und mehr Gebet als Dank enthält, sey uns allen heilig:


Der ewig reiche Gott

Woll' nun bei unserm Leben

Ein immer fröhlich Herz

Und edlen Frieden geben,

Und uns in seiner Gnad'

Erhalten fort und fort,

Und uns aus aller Noth

Erlösen hier und dort. Amen! Amen!


Die Leiche ward ohne Gesang von den Alten hinausgetragen und versenkt. – Die erste Schaufel Erde, die auf den Sarg fiel – noch überfällt mich ein Schauer, wenn ich mir diesen dumpfen Ton zurückdenke! wenn ich ihn zurückhöre! Mensch, du bist Erde und wirst zu Erde werden! Das lag darin.

Der Pastor sprach die Kollekte nach der ersten Schaufel Erde, und den Beschluß machte das Lied:


O wie selig seyd ihr doch, ihr Frommen,

Die ihr durch den Tod zu Gott gekommen.

Ihr seyd entgangen

Aller Noth, die uns noch hält gefangen.


Und nach diesem Liede gingen wir unserer Wohnung zu. Der Graf und ich waren beim Hingang ein Paar, beim Rückwege schloß sich der Prediger uns an. Ich bückte mich tief gegen den Haufen Begleiter und Begleiterinnen. – Jedes, das mich ansahe, bedauerte meinen Verlust und schien es zu empfinden, was ich[378] verloren hatte, ohne daß es jemand, außer dem Pfarrhause, eigentlich wußte.

Der Graf wollte mir seine Einrichtung (wie er bemerkte, mich zu zerstreuen) noch näher eröffnen, und fing schon an, daß sein Bette wie ein Gewölbe gestaltet und daß in den Zimmern, die er selbst unmittelbar inne hätte, Urnen und Särge der Zierrath wären; allein ich weiß selbst nicht, wie er auf einmal auf die unverbrennliche Lampe, das ewige Grabesfeuer, fiel. Er versicherte mich, daß er schon sehr lange auf diese Art Lampen gedacht hätte, welche man zuweilen in den alten Gräbern angetroffen haben will, die ohne Oelzuguß eine so lange Zeit gebrannt hätten. Der gute Graf hatte noch manches von diesem ewigen Grabesfeuer, wie er es nannte, zu sagen. Wie es mir vorkam, hatte der Graf Lust, die Sache zu Künsten zu rechnen, die durch die Zeit verloren gegangen (si fabula vera). – Und siehe da! ein keuchender Bote mit einem Briefe von seinem Bruder. Der Brief hatte einen breiten schwarzen Rand. Nach meiner Meinung war es ein Eröffnungsschreiben eines Todesfalls aus der gräflichen Familie – oder wenigstens unter den Sieben; allein es ward nicht anders als auf dergleichen Papier im gräflichen Hause geschrieben. Die Sache kam dem Grafen eilig vor. Eine Sterbende aus Curland, von ihrem Manne verlassen, ward angemeldet, und da sie, nach der Bemerkung des Herrn Bruders, sehr viel auf ihrem Herzen und Gewissen hätte, bat er den Grafen, keine Zeit zu versäumen, sie abzuhören.

Ich kann es nicht läugnen, daß mir der Umstand aus Curland sehr auffiel. Der Graf nahm von diesem Umstande bloß Gelegenheit, seine Bitte zu wiederholen, daß ich ja nicht von hinnen ziehen möchte, ohne seinen Kirchhof, wie er es nannte, mit allen Anhängen und Beistöcken zu besuchen. Ich habe, setzte er hinzu, noch über mancherlei von Seiten Ihrer Seligen Sie zum Verhör[379] zu ziehen. Er stieg mit den Worten in seinen Wagen: Heute mir, morgen dir.

Nach unserm Hingange hatte der Organist eine Rede aus dem Hute gelesen; ich habe nichts verloren, daß ich sie nicht aus seinem Munde empfangen, denn ich war an diesem Tage nicht zum Hören aufgelegt. So wie ich sie meinen Lesern mittheile, erhielt ich sie vom Verfasser noch den nämlichen Abend. Er aß den Abend mit uns beim Prediger, und wir wurden, der bittern Stellen unerachtet, wie er selbst sagte, Herzensfreunde. Aus Erkenntlichkeit will ich diese Abdankung zur Beilage B. erheben.[380]

Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Lebensläufe nach aufsteigender Linie nebst Beilagen A, B, C. 3 Teile, Teil 2, Leipzig 1859, S. 331-381.
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