Beilage B.

Abdankung des Organisten in L –.

Beilage B.

Ich möchte was drum geben,

So wenig es auch ist,

Denn daß ich blutwenig habe, ist euch bekannt.


Allerseits nach Tugend und Alter lieb

und werthe Nachbaren!


Und wenn man mir noch obenein die Leichenabdankungen entzieht, wie es heute (unter uns gesagt) schier den Anfang genommen, so werd' ich wohl am Ende gar nichts drum geben können.

Und doch möcht' ich was drum geben, wenn ich fein der Erste gewesen, welcher das menschliche Leben mit einer Mahlzeit verglichen hätte.

Gelt, es ist ein schmackhafter Vergleich?[383]

Indessen haben außer mir schon andere kluge Leute diesen gesunden Einfall gehabt und wohl gewußt, was gut schmecke; denn in Wahrheit, es ist der natürlichste Gedanke, den ein Mensch, wenn er nämlich einen gesunden Magen im Leibe hat, nur haben kann. Wir essen und trinken, das heißt: wir leben, und wir leben, das heißt: wir essen und trinken. – Die liebe Seele ist beim Leben nur, so zu sagen, zu Gaste – in der andern, oder in der Seelenwelt – soll der Leib der Seele Kostgänger werden; denn wie man liest, so wird unser Leib was Extrafeines seyn. So ein Unterschied, wie zwischen Hirt's Lise und der Gräfin Friederikchen – ihr kennt beide, meine Lieben. Mir ist bange, wenn ich die Gräfin Friederikchen ansehe, daß mein Blick ihr einen Fleck machen wird, so fein ist sie; man hat nicht das Herz sie anzusehen.

Wenn wir auf diese Welt kommen, heißt es, wie vor Tische:

»Aller Augen warten auf dich, Herr, du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit, du thust deine milde Hand auf und sättigest alles, was lebet, mit Wohlgefallen.«

Die jungen Raben sperren den Mund gen Himmel auf, als hochgähnten sie, und schreien den lieben Gott an, wie unverschämte Bettler uns. Kleine Kinder, das hab' ich an meinem Caspar gesehen, der sich wieder erholt hat und dick und fett ist – ja, ich wollte von kleinen Kindern sagen – die sehen nicht gen Himmel – ich dachte schon, das käme wegen der Erbsünde und weil wir uns dem lieben Gott entwöhnt haben; allein ich besinne mich wieder – denn nicht wahr? alles was saugt, sieht auf die Mutter, und sein Blick kommt erst durch Umwege zum lieben Gott. – Wer in die Höhe steht, ist gleich ein paar Zoll größer. Das wissen die Werber wohl, die uns Angst und Furcht genug einjagen. – Ist aber je ein Rabe, wenn ihn gleich seine Eltern nach Rabenart behandeln, Hungers gestorben? Habt ihr je so was von der[384] kleinsten Mücke gehört? Ich nicht. Und doch sagt man von Menschen, daß sie im eigentlichen Brodverstande Hungers gestorben sind. Daß sich Gott über solche Bengel erbarme, die nicht werth waren junge Raben zu seyn! – Seyd ihr nicht mehr, denn sie? hätte man auf das Grab dieser Verhungerten schreiben und ein Nest voll junger Raben, eben im Gebet begriffen, aushauen sollen. Sterben wir, liebe getreue Nachbaren und desgleichen, sterben wir, so heißt es, als wenn wir vom Tisch aufstehen und das Tischtuch, bald hätt' ich Leichentuch gesagt, zusammenlegen:


Wir danken Gott für seine Gaben,

Die wir von ihm empfangen haben,

Und bitten Gott, unsern lieben Herrn,

Er woll' uns allzeit mehr bescher'n.

Er speis' uns stets mit seinem Wort,

Damit wir satt werden hier und dort.

Ach lieber Gott, du wollst uns geben

Nach dieser Welt das ewige Leben.


Kann ein besseres Todten- oder Begräbnißlied seyn?

Aber zur Sache zu kommen. Der Student der im er sten Paar mit dem hochgebornen Herrn ging, mag wohl wissen, wie's in Curland bei Begräbnissen gehalten wird; von unserer Manier weiß er keinen Theelöffel aufzuwaschen, das ist ein Löffelchen wie mein kleiner Finger. – Der Jüngling würde mich sonst ersucht haben, ein Wort aufs Grab zu sprechen, das mir immer zusteht, wenn die Leiche nicht ins Gewölbe kommt, sondern in die Kirchhofserde. – – Ich sag' es nicht des Gewinnstes wegen, denn seine Schöne (Ende gut, alles gut, sonst wäre noch mancherlei und manches davon zu sagen, daß er sich ihr und sie sich ihm verpfändet hatten; mein Sohn sollt' es nicht versuchen! doch sie ist todt),[385] seine Schöne, seine verstorbene Wilhelmine ist eines Geistlichen Tochter und er Predigers Sohn; wie ich, wiewohl alles nur durchs Schlüsselloch, gehört habe. Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus. Ich hätte keinen Dreier genommen, ob ich gleich es eben jetzt zum Fuder Holz nöthig habe. – Doch wenn ihr Nahrung und Kleider habt (an Holz ist nicht gedacht, wie es denn auch unser Glaubensvater Luther bei der vierten Bitte, Gott weiß, warum, ausgelassen hat), so lasset euch begnügen.

Was ich also heute rede, das red' ich von Herzen; denn ich hab' es oft und viel bemerkt, daß meine Grabreden oder Leichenabdankungen nicht ohne Segen geblieben.

Gott verzeih' mir die Sünde! Manchmal dacht' ich, wenn ihr alle aufs Grab weintet, so, daß die Thränen ordentlich drauf zu kennen waren, der selige Mensch werde bald aufgehen – und ich hätte die Ehre gehabt, diese Pflanze Gottes auf seinem (nämlich Gottes) Acker zu begrüßen.

Wenn man recht herzlich weint, hat man nicht Zeit, an einen Schwamm zu denken; und es ist wahrlich ein schöner Anblick, so natürlich weg weinen zu sehen. – Aber wieder auf das Leben und die Mahlzeit zu kommen.

Kennt ihr, lieben getreuen Nachbaren und deßgleichen, kennt ihr was Angenehmeres als eine gute Mahlzeit? – Ich glaube, es thut den Engelchen leid, wenn sie uns essen sehen, daß sie es nicht auch können. – Der liebe Gott hat uns alle, nach dieser Welt, mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tisch bitten lassen – das wird schmecken! Freilich werden nur bloß geistliche Gerichte aufgetragen werden, aber man sieht doch daraus, daß der liebe Gott selbst an Essen und Trinken denkt und wohl weiß, daß uns der Mund alsdann eher nach dem Himmel wässern werde, als wenn er gesagt hätte, wir sollten mit Abraham, Isaak und Jakob dort eine lange Predigt anhören. Wenn ihr so mit euern gesunden[386] Kinderchen um den Tisch euch lagert und bei Sommerszeit Milch und bei Winterszeit Erbsen und Speck eßt: o Nachbarn, mich hungert, wenn ich daran denke, und ich würde mich bei einem von euch gleich heut Abend auf frischer That zu Gast bitten, um meinen heutigen Vortrag recht lebhaft zu machen, wenn ich nicht bei dem Herrn Pfarrer gebeten wäre. Der Herr Pfarrer weiß schon, was einem Handlanger am göttlichen Wort zukommt, und ich versichere euch, daß ich dem Studenten begegnen werde wie meinem eigenen Kinde, obgleich er die Landesmanier nicht weiß und mir nicht die Ehre angethan hat, eine Leichenabdankung bei mir zu bestellen.

Seht, liebe Nachbaren, wie die Mahlzeit, so das Leben. Es ist, unter uns gesagt, recht gut zu leben. – Wenn ihr nicht arbeiten möchtet, würd' es euch wohl schmecken? Die wenigsten Vornehmen essen und trinken, sie thun nur so, als äßen und tränken sie; und dann am Sonntage – denkt nur noch an jenen Sonntag, wo wir des Morgens um vier Uhr ein Werk der Liebe und der Noth verrichteten und dem Herrn Pfarrer sein Getreide wegen des bezogenen Himmels in die Scheuer sammelten, und hernach, wiewohl nach der Predigt, unterm Schauer saßen und regnen sahen, und unser guter Seelenhirte mitten unter uns. Das ging: Prosit, Gevatter! und ich glaube, solcher Prosittage habt ihr viel gehabt.

Niemand ist schläfrig zum Todesschlaf. Jedes hat noch Luft ein Stündchen aufzubleiben. Alles will gern leben. Die lahme Trine im Hospital hätte gern noch einige Jahre gehinkt, und es ist gewiß und wahrhaftig so viel Hübsches, besonders im Sommer, in der Welt zu sehen und zu hören, daß man recht gern lebt. – Ich liebe darum vorzüglich den Sommer, weil so viel Leben drin ist. – Alles lebt im Sommer. Die ausgewachsenen Bäume sind für Vögel und Gewürme große Städte, so wie das Gras schlechte[387] Dörfer und Gesträuch Kirchdörfer sind. – Manche Eiche könnte man wohl ein Schloß nennen; alles, wie man es nehmen will. – Mir hat noch keine Fliege einen Gedanken weggesummt, und es ist mir gleich nicht recht, wenn nicht ein paar in meiner Stube sind. Kann sie ein so großer Herr, als der liebe Gott ist, in seiner Welt leiden, so können sie doch wohl in meiner Stube seyn? Ich hab' es von einem sehr vornehmen Herrn, der bei einem Feste auch für seine Fliegen und Mücken Wein eingießen läßt, um alles, was um ihn lebt und schwebt, zu sättigen und zu tränken mit Wohlgefallen. Seine Hausthiere müssen alle ein Spitzgläschen Wein haben; allein das halt' ich, unter uns gesagt, unrecht, wenn man die Thiere zu menschlich macht. – Man wird schon einen Lazarus finden, warum also Fliegen und Mücken? Der Gevatter Briese sprach mir gestern von der Größe des lieben Gottes, und ich hatte den Einfall, daß der liebe Gott jeden Sperling, jeden Stieglitz, jeden Hänfling, jede Milbe, jede Mücke mit Namen zu nennen wüßte, so wie ihr die Leute im Dorfe: Schmied's Greger, Brisen's Peter, Heifried's Hans – Denkt nur, wenn der liebe Gott so jede Mücke ruft, die sich einander so ähnlich sehen, daß man schwören sollte, sie wären alle Schwestern und Brüder; denkt nur!

Kurz, lieben Freunde, der liebe Gott ist ein guter Herr, bei dem ihr dient, und seyd ihr gleich auf Taglohn bei ihm, und ist die Welt gleich nicht verdungen Werk, hat gleich jeder Tag das Seine, und wird gleich nicht fürs Leben im ganzen Stück, sondern für jede Tagesabtheilung Rechenschaft gegeben, was schadet es? Je kürzer die Rechnung, desto leichter alles übersehen. Wir sind wahrlich nicht in Egypten, wenn wir dem lieben Gott dienen. – Seyd ehrlich. – Habt ihr wohl über eure weltliche Herrschaft zu klagen, ob es gleich oft adeliche Egyptier gibt und unter den königlichen Beamten manchen pharaonischen Frohnvogt? – Der liebe[388] Gott läßt jedem, was er hat. – Er nimmt nicht Zoll und Accise, nicht Hufenschoß und Vorspann, er will nur das Herz, das heißt, daß ihr das Eurige gut anwendet und euch all' zusammen für Schwester und Bruder haltet. Er gönnt uns Würden und Ehren und läßt den beim Schulzenamt, den einen Landgeschwornen, den einen Hausvater seyn und mich einen Mitdiener am göttlichen Worte. Er will nur das Herz, das heißt: daß wir uns einander Gevatter nennen und nicht einer über den andern erheben und alle einander die Hand geben und wohl bedenken, daß nicht wir, sondern er durch uns regiert; daher werden auch die Schulzen und Landgeschwornen, wie die liebe Obrigkeit all' zusammen, Götter der Erde genannt. – Der liebe Gott hat's nicht verboten, in den Krug zu gehen und ein Gläschen zu trinken und Hannchen herumzudrehen, wenn es nur des Sonntags ist, nichts dabei versäumt wird und alles in Züchten und Ehren bleibt. Pfui, wer wollte sich betrinken, um vergnügt zu seyn, wer sich die Augen verbinden, um desto besser zu sehen!

Seht, lieben Freunde, so ist das Leben eine Mahlzeit.

Es gibt aber auch bei jeder Mahlzeit mancherlei und manches, was unangenehm ist. Wo Weizen ist, da schleicht sich auch Unkraut herein, wie in unseres Herrn Pfarrers Weizenland. Gott wolle geben, daß in seiner Gemeinde weniger Unkraut sey, als dieß Jahr auf seinem Acker. – Sonst würden die lieben Engelein zu jäten kriegen, und es würden nicht viele in Frieden und Jauchzen eingeführt werden in die Scheuern – das ist auf den Kirchhof, den ich für des lieben Gottes Scheuer ansehe.

Wir essen im Schweiße des Angesichts, wir essen, was wir sauer verdient haben. – Ich kann zuweilen das Brod nicht ansehen, ohne daß mir der Angstschweiß ausbricht; denn ich weiß, was es mir gekostet hat. Wenn man nur bedenkt, was der liebe Gott erst mit dem Brode für Wege geht, eh' es Brod wird. Wer[389] kann es ohne Sorgen essen? Und mit dem Hemde, eh' es ein Hemd wird. Wer kann es ohne Seufzer anziehen? Gott weiß, wie es kommt, man sorgt am liebsten am Tische und sieht auf die Erde, obgleich man dankvoll gen Himmel sehen sollte. – Man sieht alle um sich herum, die Nahrung und Kleider haben wollen, und das bringt uns in einen Gedankenwald. – Oder man glaubt vielleicht, sich das Sorgen leichter zu machen, wenn man bei Tische sorgt; allein man macht es sich schwerer, denn man wird dadurch unthätig, und anstatt daß man die verlorenen Kräfte ersetzen sollte, verliert man ihrer noch mehr. – Es ist so, wie ein unruhiger Schlaf, der mehr schadet als nützt, man ist nach ihm noch schläfriger. – Wenn man einmal ins Sorgen hinein kommt, findet man sobald nicht heraus. – Mein College in B-, der in seiner Jugend Barbier gewesen, ist bis zur Verzweiflung betrübt, daß er nicht so viel Bücher hat, als sein Pfarrer. Und ich sag' oft und viel zu meiner Frau, daß ich Gott für dreierlei besonders danke, nämlich, daß sie ein treues, fleißiges Weib ist, die ihre Finger ins Kalte und ins Warme steckt, wie ihr sie alle kennt; daß mein Acker nicht der schlechteste ist und seinen Organisten schon nährt, und daß ich nicht viel Bücher habe; denn wahrlich, Bücher stehlen einem das Leben unter den Händen weg. Freilich muß man der Bibel Gesellschaft machen, außer dem Gesangbuch, das in Absicht der Bibel wie Mann und Frau, Bein von der Bibel Bein, Fleisch von der Bibel Fleisch ist, von dem man sagen kann: Man wird es Männin heißen, weil es vom Mann genommen ist. – Außer der Bibel und dem Gesangbuch hab' ich acht bis neun Bücher. Was will aber der liebe Herr Amtsbruder mit mehr? Mit Bibel, Gesangbuch und Luthers Katechismus kann man schon haushalten. – Wenn ich lese, dann leb' ich nicht, sondern der, so das Buch geschrieben, lebet in mir. – So ist es aber mit dem verdammten Neide. Da lob' ich mir doch noch Sünden, bei denen man[390] seine Lust hat und die man mit lachendem Munde thut, denn da ist doch noch etwas dabei. Aber der Neid, der Zorn und deßgleichen sind so traurige, so milzige Laster, daß man gar nicht begreifen kann, wie man zornig und neidisch und dergleichen ist. Bei jenen ist man auf der Hochzeit und Kindtaufe, bei diesen auf Begräbnissen. Man nennt daher diese letzten schwarze Laster, und das von Rechtswegen, wie's in den Urtheilen steht, daß Gott erbarme!

Für solche Sorgen, wie mein College, der gewesene Barbier, sich aufbindet, bin ich zwar sicher; allein ich hab' andere – und meine neun Kinder alle mit Magen wie Kornsäcke. – So was will gefüllt seyn. – Ich mag mein Aemtchen berechnen, wie ich will, über zweihundert Gulden dresch' ich nicht heraus. Wenn noch so eine gute Ernte gewesen und ich noch so viel Leichenabdankungen gehalten, ist doch am Ende nicht ein Bund Stroh mehr, als zweihundert Gulden. Was das kostet, einen Sohn auf der Universität zu haben, das könnt ihr nicht glauben, liebe Nachbaren; indessen ist auch Waare dafür, und wenn Gott uns leben laßt, wird er künftige Pfingsten seine erste Predigt auf unserer Kanzel thun, wozu ich Jung und Alt hiermit zum voraus dienstlich eingeladen haben will. – Da wird man doch sehen, ob er weiß, wo er zu Hause gehört. Da ich an diesen hoffnungsvollen Jüngling denke, werd' ich Mühe haben, die Mahlzeit dieses Lebens unschmackhaft zu finden. – Findet ihr nicht etwas Aehnliches zwischen ihm und dem tiefgebeugten Curländer? Ich glaube, am Ende sehen sich die Studenten alle gleich, und doch –

Herzlich geliebte Nachbarn! wenn man auch einen hoffnungsvollen Jüngling zum Sohn hat, der auf Pfingsten predigen wird, ist's doch ein elend jämmerlich Ding um aller Menschen Leben. Auch die Vornehmen haben nicht alle Tage Rebhühner. Ich aß ehegestern ein halbes beim gnädigen Herrn v. – – auf dem Gebetsverhör;[391] allein, unter uns gesagt, es war ein wenig alt. So ist's mit dem Leben, wenn auch Rebhühner aufgetragen werden. Wer eine Wittwe mit Geld heirathet, ißt ein altes Rebhuhn, und wer zu Ehren kommt, ißt ein altes Rebhuhn, und gesetzt, die Rebhühner sind frisch, und gesetzt, sie wären auch ein Alltagsgericht, was hilft's? Die Kinder Israel wurden des Manna's überdrüssig, wie es Leute gibt, die des preußischen Manna's, der Schwadengrütze, müde werden können. Das Manna, es sey das israelitische oder das preußische, in Ehren – allein wer es dazu hat, daß er alle Tage Haselhühner essen kann, dem müssen sie wie unser einem die grauen Erbsen werden.

Man sagt, wenn es am besten schmeckt, soll man aufhören, und wahrlich, so ist's mit dem Leben. Beim Leibgericht verdirbt man sich am ersten den Magen. – Die Leibgerichte der Vornehmen könnte man am füglichsten nennen: der Tod in Töpfen, und von den ausgewachsenen Bäuchen der Landpfleger heißt es: übertünchte Gräber. Habt ihr schon, meine Lieben, einen dicken Bauer, einen dicken Organisten und einen dicken Schneider gesehen? In unserm und den drei uns benachbarten Kirchspielen ist keiner aufzutreiben, und überhaupt ist so was ein seltener Vogel – allein bei uns, die zu Pharaonis magern Kühen gehören, sitzt das Uebel wo anders. – Wo sitzt es immer bei Reichen oder Armen, Vornehmen oder Geringen? – Wir füttern alle durch die Bank den Tod, wenn wir essen und trinken – wir mögen dick oder dünn seyn. – Wie oft kommt uns was in die Quere bei Tische und wär' es auch nur eine Gräte. Da verbrennt sich der Kleine den Mund und Trinchen kriegt's in die unrechte Kehle.

Selten ist eine Hochzeit, wo nicht was Trauriges sich zuträgt; ihr wißt es wohl, wie es des Hiobs Kindern ging, da sie recht fröhlich und guter Dinge waren. Wenn man lustig ist, hat der Teufel immer sein Spiel; er streicht die Violine beim Tanz. Wo[392] getrunken wird, werden Gläser zerbrochen, und man kann ordentlich zu viel auf einmal leben, wie man zu viel auf einmal essen und trinken kann. Wie viele überleben sich daher selbst? – Und dieß alles zusammengenommen, was meint ihr? Das Leben ist zwar eine Mahlzeit, allein es ist darauf nicht eben einzuladen. So für's Haus, so aus der Hand in den Mund.

Wenn es nicht schmeckt, sieht man gern ein Viertelstündchen früher auf und sieht sich im Freien um, wenn es Mittag, und in den lieben Mond, wenn es Abend ist. Man hat alsdann dem lieben Gott eben soviel Ursache zu danken, daß man aufgestanden ist, als daß man sich niedergesetzt hat. Das heißt mit andern Worten: im Fall wir uns nicht das Leben gar zu süß gemacht, sterben wir gern und danken dem lieben Gott für den Tod so wie für's Leben. Wahrlich, es kann nicht schlimm mit dem Tode seyn; frische Luft und ein Blick in den Mond ist das wenigste. – Wer recht müd' ist, liebe Nachbarn, legt sich lieber, als daß er essen und trinken sollte. Der hört die Kugel nicht, den sie trifft, der sieht den Blitz nicht, den er erschießt. Ich glaube, es hat noch kein Mensch recht gewußt, wenn er stürbe. – Weg sind wir! Der Tod ist, die Sache beim Licht genommen, eben so ein Werk der lieben, gütigen Natur, als das Leben, und der Schlaf eben so gut als das Essen. – Wer nicht schlafen kann, kann auch nicht essen; allein wenn es möglich wäre, daß jemand immer schlafen könnte, so würd' er nicht essen dürfen.

Wollt ihr die Sache ins Feine haben, denkt euch die Jugend als Frühstück, die Jünglingsjahre als Mittags-, bis männlichen als Vesperkost, das Alter als Abendbrod. – Da ließe sich viel, besonders beim Mittag, anbringen; allein denkt der Sache selber nach – und fasse jeder in seinen Busen, allwo ich das meiste, was ich gesagt, herausgenommen.

Laßt uns, lieben Freunde, nicht zu viel essen, damit wir sanft[393] schlafen können. Man sitzt höchstens eine Stunde am Tische; wer schläft aber nicht gern seine sieben Stunden?

Manche Blüthe, die schon angesetzt hat, fällt ab, weil ein böser Junge, indem er nach einem Vogel wirft, die kernfrische Blüthe trifft. Viele vergeuden ihre Jugendkräfte und sind Lebensdurchbringer. – – Wie der Baum fällt, so bleibt er auch liegen. Sorgt nicht für den andern Morgen, sonst verliert ihr den heutigen und den folgenden Tag, und wer weiß, ist nicht der Tag, da ihr am meisten für den folgenden sorgtet, euer jüngster, euer letzter Tag!

Hiermit verlassen wir dieses Grab. Gewiß, Freunde, ein denkwürdiges Grab! – Fliege vorbei, du Geier und Habicht, und wenn du in diese kalte Gegend (wo der Dr. Luther gewiß an Holz in der vierten Bitte gedacht hätte, wenn er in L – Organist gewesen), wenn, sag' ich, du in diese kalte Gegend dich verirren solltest, auch du, Adler – und all' ihr unheiligen Vögel – allein ihr heiligen, Nachtigall, Lerche und Schwalbe, setzt euch auf dieß Grab, wär's auch nur, weil Christenleute Minen das Geleit gegeben und an ihre Brust geschlagen und gebetet:


Was ich gelebt hab', decke zu,

Was ich noch leben soll, regiere du.


Man fängt die Grabschriften mit Wanderer an, warum aber nicht mit Reiter? – Reiter so gut als Wanderer, und auch du selbst, der du mit Sechsen fährst – hier ruht ein Mädchen aus fremden Landen, sie fand hier den Tod, auch du wirst ihm nicht entwandern, entreiten, entfahren. – Ihr habt alle einen Weg – alle zum Grabe!

Genug auf heute, liebe Nachbarn. Da ich dieß Wesen (eine Abdankung kann ich's nicht mit gutem Gewissen nennen) bis beinahe ans Ende fertig hatte, fiel es mir ein, daß ich auch das Leben mit einer Reise hätte vergleichen können, weil unsere Seligtodte nicht von hier war und ein reisendes Mädchen[394] was Seltenes ist; allein da ich eben zu Hause war und den nämlichen Abend, als ich dieß Wesen aufsetzte, eine sehr mäßige Mahlzeit that, schien mir das erste besser, und so wünsch' ich euch denn, und die Selige, wenn sie reden könnte, würd' außer dem herzlichen Dank, daß ihr ihr auf eurem Kirchhof ein Plätzchen gegönnt und sie dahin fein sauber angezogen in Communionskleidern begleitet habt, und die Selige, sag' ich, würd' euch außer diesem Dank ein Gleiches wünschen, das ist:

eine gesegnete Mahlzeit.

Schließlich laßt uns allerseits auf unsere Knie fallen, um ein gläubiges und andächtiges Vater unser zu beten. Ihr wißt wohl, wie ich mich ärgre, wenn ihr Leutchen erst eure Beine anseht, ehe ihr hinkniet, als wenn ihr von ihnen Erlaubniß bätet. – Wozu die Umstände? Ich habe doch auch ein Ehrenröckchen an, aber ich falle mir nichts, dir nichts nieder wie ein Stück Holz, und meine Marthe auch so, wenn auch am Kleid oder Schürze ein Fleck bleibt. – Kinderchen, ist's doch kein Fettfleck. Er bleibe, dieses Grabeszeichen. Eine schöne Erinnerung: Mensch, du bist Erde, bedenke das Ende! Betet also, als betet ihr zum letztenmale:

Vater unser etc.


(Ende der Beilage B.)


Der Prediger erinnerte sich an seine Pflicht, der Regierung nach Königsberg von dem erfolgten Tode unserer Seligen Nachricht zu ertheilen. Ich schrieb an meine Mutter und an meinen Vater, an Benjamin und an Hermann. Ich läugne es nicht, daß der Brief an meine Mutter mit Bitterkeit gewürzt war; der an Hermann war gewissensrührig. Ich bestätigte alles, was[395] Mine in meinem Namen versprochen hatte; ich forderte nicht ihr Blut von seinen und des v. E. Händen, allein ich forderte den Hermann auf, zu bedenken zu dieser seiner Zeit, was zu seinem Frieden diene. Bald würd' es vor seinen Augen verborgen seyn, wenn der Richter der Lebendigen und der Todten sein Gericht eröffnen würde.

Um Minens Grab ward ein viereckiges Bollwerk geschlagen, welches man in L – einen Kranz nannte. Es war nichts weiter darauf geschrieben, als:


Wilhelmine – –,

geboren zu – in Curland,

gestorben zu L – in Preußen.

Wer so stirbt, der stirbt wohl!


Acht Tage blieben wir so versammelt, so einmüthig, so bei verschlossenen Thüren, wie die Jünger, da ihr Herr und Meister sich ihren sichtlichen Augen entzogen hatte. Wir sprachen von Minen und gingen Hand in Hand zu ihrem Grabe. Mine war der Mittelpunkt aller unserer Unterredungen, bis auf die Abhandlung von der Sünde wider den heiligen Geist, worin sich weder Gretchen noch ihre Mutter mischte. So oft ich allein zu Minens Grab wallfahrtete, begegnete ich Gretchen, die mir nie im Wege war.

Fußnoten

1 Bei dieser Stelle finde ich angemerkt: unwörtlich. Die Feinheit des Originals kann nicht erreicht werden.


2 Dieses Stück war Gretchens, des Predigers Tochter in L–, Liebling. Sie besaß es, wie sie sich zu mir ausdrückte, schriftlich und mündlich; sie hatte es abgeschrieben und wußte es auswendig. – Das gute Mädchen fand etwas Aehnliches von der mütterlichen Linde darin.


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Lebensläufe nach aufsteigender Linie nebst Beilagen A, B, C. 3 Teile, Teil 3, Leipzig 1859.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Lebensläufe nach aufsteigender Linie
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Lebensläufe nach aufsteigender Linie. Theil 1
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Lebensläufe nach aufsteigender Linie. Theil 2
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Lebensläufe nach aufsteigender Linie. Theil 3, Band 1
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Lebensläufe nach aufsteigender Linie. Theil 3, Band 2

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Clementine

Clementine

In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.

82 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon