Neunter Brief.

An Madam Müller, gebohrne van Blüm, in Amsterdam.

[102] Cassell den 26ten November 1769.


Meine liebe Frau!


Es thut mir in der Seele leid, daß Dir das Fehlschlagen meiner Plane so viel Kummer macht. An Mühe laß ich es wahrhaftig nicht mangeln, und glaube auch, es nicht unrecht anzugreifen. Dabey lasse ich mich durch keine Schwierigkeiten abschrecken, reise fast immer zu Fuß, spare, wo ich kann, und leide, wo ich muß. Aber das Glück begünstigt meine Unternehmungen nicht. Gott weiß am besten, in welchem Gemüthszustande ich oft bin, und freylich trägt ein solcher Brief, wie Du mir ihn geschrieben hast, nicht dazu bey, mich ruhiger zu machen.[102]

Unterdessen hat eben, als ich schon wiederum voraus sahe, daß ich hier keinen Unterhalt finden würde, das Schicksal mir einen Wohlthäter zugeführt. Es hat nemlich der Baron Leidthal zu Urfstädt im ... durch Freunde von mir eine vortheilhafte Idee bekommen. Da er nun reich und allein auf dem Lande ist; so hat er mir den Vorschlag thun lassen, ihm auf seinen Gütern Gesellschaft zu leisten. Er will sich also meiner annehmen, ich soll gleich zu ihm kommen, und alsdann will er mir die näheren Bedingungen eröfnen.

Obgleich ich nun daselbst vorerst wohl schwerlich mehr als eine Versorgung für meine eigene Person vor mir sehe, für die Meinigen aber noch nichts; so habe ich doch kein Bedenken tragen können, dies grosmüthige Anerbiethen mir zu Nutze zu machen, denn ich bekenne Dir's gern, daß mein Geld nun gänzlich verzehrt ist. Man wird mir aber Pferde und Reisegeld schicken. Sobald[103] ich angekommen seyn, und erst die genaueren Umstände werde erfahren haben, will ich Dir ausführlich Nachricht von Allem geben; Ich reise in wenig Tagen.

Darauf kannst Du fest bauen, meine liebe Frau! daß Dein und unsrer Kinder Glück mir mehr als meine eigene Ruhe am Herzen liegt. Sieh also nur vorerst zu, wie Du noch eine Zeitlang nebst den beyden Kleinen von der Hülfe, die Euch gute Menschen reichen, lebest. Das aber, mein Kind! sollte Dich itzt wohl am wenigsten rühren, was eitle Menschen darüber reden können, daß Du nicht mehr mit Glanz unter ihnen herumfährst. Das einzige wahre Glück liegt doch wohl in der Rechtschaffenheit, in der Ruhe des Herzens, und beruht nicht auf Vorurtheile.

Die Uhr habe ich nicht verkauft. Ich hatte hier die Freude, einen alten Bekannten zu finden, den Cammerdiener des würdigen[104] vortreflichen Fürsten von Weilburg, der in Mastricht Gouverneur ist. Er reiset zurück nach Holland, und ihm habe ich diese Uhr mitgegeben. Er wird sie Dir überschicken, und Du magst hernach davon, nach Deinem Gefallen und nach der Lage der Umstände, Gebrauch machen, bis ich auf andre Art Rath schaffe.

Was den Brief betrifft, den Sophie verlohren hat; so hat das weiter nichts auf sich. Die Hand war leicht zu erkennen. Sage ihr aber nur gar nichts darüber, denn ich habe alle desfalls nöthigen Schritte gethan.1

Auch wegen Ludwigs Aufführung habe ich mich an einen verständigen Freund gewendet.2[105]

Umarme Du meine Kinder in meinem Nahmen, und erziehe sie zu guten, fühlbaren Menschen. Sobald ich kann, will ich Dir meine sichre Addresse schicken. Lebe wohl, meine liebe Frau! und vergiß nicht, daß ich ewig seyn werde,


Dein

treuer Mann,

Heinrich Müller.

Fußnoten

1 Wie der folgende Brief bezeugt.


2 Dieser Brief findet sich nicht.


Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 107.
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