2. Sulpicia an Calpurnien.

[8] Bajä, im December 300.


Du liebst nicht, Calpurnia, du wirst nie lieben. – In diesen Worten liegt der Aufschluß zu deinem ganzen Betragen, und zugleich die Antwort auf Alles, was mir deine Freundschaft, die ich mit innigstem Danke erkenne, so wohlmeinend, so vernünftig vorstellt. Glaube nicht, meine geliebte Jugendgespielin, meine warme treue Freundin, daß ich den Werth deiner Grundsätze mißkenne, oder deinem schönen Gemüth auch nur um einen Grad weniger Wärme und Eifer für's Gute zutraue. Du hast Recht – vollkommen – unbestreitbar; aber ich, meine Freundin, obwohl ich das Widerspiel von dir scheine, ich habe auch nicht Unrecht. Und warum? Wir sehen Beide uns selbst, die Welt um uns, und unsere Verhältnisse zu ihr aus einem andern Gesichtspunkte an; wir handeln nach den Regeln, die dieser uns an die Hand gibt; kurz – wir thun Beide, nicht was wir wollen, sondern was wir[8] eben nicht lassen können. Last uns doch, liebe Calpurnia, den eiteln Stolz auf Grundsätze und Systeme aufgeben, in welchen wir ohne Verdienst, blos dem Antriebe der Natur folgen! Wir sind nichts, als was die Umstände aus uns machen wollen. Dich haben sie mit einem leichten Blute, mit vielem Verstande, und einer so glücklichen Proportion deiner Leibes- und Seelenkräfte ausgestattet, daß das Gleichgewicht unter ihnen selten gestört, und gestört, leicht wieder hergestellt wird. Zudem hat dich das Glück in einer großen reichen Familie geboren werden lassen. Die Pisonen bedürfen keiner fremden Unterstützung. Dein Vater hat außer zwei hoffnungsvollen Söhnen – dem Stolz, und den Stützen seines edeln Hauses – nur dich, das Ebenbild einer geliebten längst entschlafenen Gattin. In dir lebt ihm seine Sempronia wieder auf, in dir liebt er Tochter und Weib zugleich, dich wird er nie zu einem Eheband zwingen, das dein Herz verwirft, und ob er gleich wünscht, durch dich einen dritten Sohn zu erhalten, drängt er dich doch nie zu diesem Schritt, und wendet nicht einmal die Waffen der Ueberredung gegen dich an. Du bist also von Natur und Glück zur Epikuräerin bestimmt, ja du bist die geborne Schülerin dieses Weisen.

Mich leitete ein düsteres Temperament, das Unglück eines herabgekommenen Hauses, der Kummer einer geliebten Mutter, die ihr häusliches Leiden standhaft trug, der harte Zwang, unter welchem mein Vater nach alt römischer Sitte das ganze Haus hielt, zu einer ernsteren Schule. Ich glaubte in den Lehren der Stoa die Kraft zu finden, die mich mein Loos ertragen machen sollte. Ich suchte meinen Stolz darin, den Göttern das Schauspiel[9] eines starken, mit seinem feindlichen Schicksal ringenden Gemüthes zu geben1, und so folgte ich mit keinem besondern Widerwillen dem Befehle meines Vaters, als er, ohne mich zu fragen, laus Rücksichten für seine übrigen Kinder, meine Hand einem Sohne des Anicischen Hauses verhieß. Serranus Anicius wurde mein Gemahl, und ich glaube, ich hatte ihn vorher kaum dreimal, und nie anders als in Gegenwart unserer Verwandten gesehen. Ich fühlte keine besondere Abneigung gegen ihn, aber eine große Neigung, meine Pflichten auf's strengste zu erfüllen. Die Matronen des alten Roms, jene würdigen großen Gestalten der Vorwelt, waren meine Vorbilder: ihnen suchte ich zu gleichen. Wie sie, lebte ich nun in meinem Gynecäum2, versammelte meine Sclavinnen um mich, arbeitete mit ihnen, und ich kann mit Wahrheit behaupten, daß in den drei Jahren unserer Ehe mein Mann und ich kein anderes Gewand trugen, als was durch meine Hände, oder unter meiner Aufsicht gesponnen, gewoben, genäht oder gestickt wurde. Die volle Zufriedenheit meines Vaters, die unbegränzte Achtung des Serranus war der Lohn meiner Anstrengungen. Die Eitelkeit, seine einzige Leidenschaft, war durch den Gedanken geschmeichelt, eine Frau von ächt römischer Sitte zu besitzen, die sich vor den Meisten ihrer Zeitgenossinnen auszeichnete. Ich war zufrieden – aber bei weitem nicht glücklich.

Da kam Tiridates in unser Haus. Laß mich von dem Eindrucke schweigen, den seine Gestalt, sein Schicksal auf[10] mich gemacht haben. Du weißt es ohne dies, du warst größtentheils Zeugin jener Begebenheiten. Nur das laß mich sagen, daß seit jenem Augenblicke mein ganzes Wesen verändert und umgestaltet war. Laß mich das Gleichniß brauchen, das meine Empfindungen am besten erklärt. In mir war es, wie in einer düstern Nachtgegend, wenn auf einmal Aurora die Pforten des Tages öffnet, und Licht und Wärme durch die kalte Dunkelheit sich ergießt. In mir ward es Licht. Ich wußte, was ich wollte, was mir so lange gefehlt hatte, wozu ich eigentlich auf der Welt war. Diese Leidenschaft hat das Räthsel meines bis dahin zwecklosen Daseyns gelöset – und was hindert mich, mit frommem Glauben der Meinung des göttlichen Plato beizupflichten, und überzeugt zu seyn, daß ich jetzt die zweite Hälfte meines Ichs gefunden habe? Was thut's zur Sache, daß Tiridates an den Ufern des Arares und ich in Rom geboren wurde? Die Seelen, die sich vor ihrer Herabkunft auf die Erde kannten und liebten, haben sich wieder gefunden, und nichts als der Tod kann sie scheiden.

In diesem festen – Glauben? – nein, in dieser unumstößlichen Ueberzeugung wird und kann mich nichts irre machen, und nichts bewegen, auch nur um einen Grad kälter, oder besonnener, wie du es nennst, zu handeln. Tiridates oder den Tod! Es gibt kein Glück, kein Leben, keine Tugend ohne ihn. Mag die Welt sagen, was sie will – mag Serranus durch Argwohn oder Verrath mein Geheimniß entdecken, mag er und mein Vater dann über mich verhängen, was sie wollen – es gilt mir gleich. Achtet der Taucher, der sich in's Meer stürzt, um eine köstliche Perle zu holen, achtet er der Wogen,[11] die über ihn zusammenschlagen? Muß er sie nicht über sich ergehen lassen, wenn er seinen Zweck erreichen will?

Und dann endlich – was kann Serranus von mir fordern, das ich nicht bereit wäre, ihm immer fort so zu leisten, wie bisher? Sein Hauswesen will ich fortan mit pünktlicher Treue besorgen, seine Sclaven und Sclavinnen zur Arbeit anhalten, auf die Wirthschaft, auf seinen Nutzen sehen, wo und wie ich's vermag. Mehr fordert er nicht – mehr bedarf er nicht. Liebe hat er nie verlangt – ich nie gegeben – ihm nie geben können. Sein Herz hat keine Bedürfnisse. Worin wäre er also verkürzt? Ich verletze keine Pflicht gegen ihn, und bin sicher, nie eine zu verletzen; denn dafür, daß mein Umgang mit Tiridates in den Schranken der Tugend bleiben soll – bürgt mir meine Denkart. Uebrigens glaube nicht, daß ich so tief herabsinken würde, ihn zu betrügen. Die Reise nach Bajä war weder mein Vorwand, noch mein Plan. Sie war sein Wunsch – er ersuchte mich darum, weil die Anwesenheit eines von uns jetzt schlechterdings auf der Villa nothwendig war, und er sich nicht entschließen konnte, Rom während der Saturnalien zu verlassen. Er schickt mich – ich gehe gern – denn Tiridates hält sich seiner Geschäfte wegen in Puteoli auf. Ich mache mir kein Verdienst aus dieser Reise, ich will nicht, daß Serranus sie dafür ansehe – es bleibt Alles klar und würdig zwischen ihm und mir.

Doch genug von mir. Jetzt auch ein Weilchen von dir, meine Freundin. Wir haben noch eine kleine Rechnung mit einander abzuthun. Ist es wohl recht von dir, während ich, die Aeltere von uns Beiden, die Matrone, dir, dem Mädchen, meine Geheimnisse aufdecke, so verschlossen[12] gegen mich zu seyn? Woher weißt du meine Zusammenkünfte mit Tiridates? Woher kömmt dir diese Allwissenheit? Soll ich glauben, du könntest wie eine thessalische Zauberin das Verborgene errathen? O halte mich nicht für leichtgläubig, weil ich so offenherzig bin. Soll auch ich dir einen Namen nennen, um dein Gesicht mit Purpur zu überziehen? Agathokles? – Nicht? Er, der Freund des armenischen Prinzen, der Sohn des Hegesippus, der Gastfreund deines Hauses, ist jetzt in Rom, täglich in eurem Hause, ja ich glaube, er wohnt bei euch. Er ist edel, verständig, und ein düster glühender Schwärmer für Alles, was ihm Größe und Tugend scheint. Wie könnte es anders seyn, als daß die schöne blühende Römerin, mit allen Vorzügen, die Natur und Fleiß einem weiblichen Wesen geben können, geschmückt, den Beifall des feinen Kenners alles Schönen und Guten erhalten mußte, daß der liebenswürdige Sonderling zuerst Achtung, und dann vielleicht auch eine wärmere Empfindung für diese seltne Erscheinung fühlte. Erröthe nicht, Calpurnia! Agathokles ist deiner würdig. Wenn ich wieder in Rom seyn werde, werde ich dir viel Schönes und Schätzbares von ihm erzählen, das ich durch Tiridates von ihm erfuhr, das aber für einen Brief viel zu lang wäre. Leb' wohl, liebe Calpurnia, und zürne mir nicht, daß ich nicht wollen kann, weise und besonnen seyn. Bald hoffe ich bei dir in Rom zu seyn, denn ich denke mit meinen Geschäften hier nicht sehr lange zu thun zu haben. Ich habe die Villa in einem sehr zerrütteten Zustande angetroffen – wie es denn bei der gänzlichen Abwesenheit der Gebieter, wo Alles dem Gesinde überlassen wurde, nicht anders zu vermuthen war. Indessen[13] habe ich mancherlei Anstalten und Einrichtungen getroffen, mit denen Serranus, wie ich glaube, zufrieden seyn wird, und die künftigen Unordnungen vorbeugen sollen. Sobald Alles in gehörigem Gange ist, eile ich in deine Arme.

Fußnoten

1 Seneca de Providentia.


2 So hieß der Ort des Hauses, in welchem die Frauen abgesondert wohnten.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 8-14.
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