83. Calpurnia an ihren Bruder Lucius.

[54] Nikomedien, im Jul. 303


Ich komme von Synthium. Von Synthium? höre ich dich rufen. Wie kamst du dahin? – aus eigenem Willen, lieber Bruder! aus festem Vorsatz, den ersten Schritt zu thun, und ein Zusammentreffen selbst schicklich einzuleiten, dem für beständig auszuweichen, nun einmal vernünftiger Weise für Bewohner einer Stadt nicht möglich war. Wenn ich Agathokles, seit er verheirathet ist, nicht mehr sehen wollte, wenn ich von dem Augenblick, als er Theophanien gefunden hatte, seinen Anblick floh, berechtigte ich ihn nicht zu dem stolzen Gedanken, sein Verlust schmerze mich tief, und ich könne die[54] Gegenwart einer glücklicheren Nebenbuhlerin nicht vertragen? O diese bloße Möglichkeit empörte mein Herz. Was habe ich denn zu scheuen? Den Göttern sey Dank! die Rücksicht, die Theophania zur Verborgenheit bewegen konnte, brauche ich nicht zu nehmen; und so war es Pflicht, die ich mir selbst, meinem Ruf und der Achtung, die er für mich haben soll, schuldig war, diese Gedanken nie in ihm aufkommen zu lassen, und ihm zu beweisen, daß ich nur seine Freundin war, weil ich es auch jetzt blieb. So mußte es zwischen uns stehen, wenn ich ruhig seyn, und sein unvermutheter Anblick mir nicht einst drückend werden sollte.

Und überdies, war ich ihm nicht innigen Dank schuldig? Er hatte, auf welche Art konnte ich nicht erfahren, mich von der Bosheit und Zudringlichkeit des Marcius befreit, ich mußte diese Schuld abtragen. Ich fühlte das, und that es gern; aber nicht blos mit Worten, mit Thaten wollte ich es thun.

Die Bedingung seines Vaters, unter der er ihm seine Einwilligung zusagte, schien mir immer sehr hart, sehr unväterlich, ich glaubte Agathokles keinen größern Dienst leisten zu können, als wenn ich es dahin brächte, seinen Vater zum Widerruf zu vermögen. Ich sprach mit unserm davon, er fand einige Bedenklichkeiten – er kann alten Hegesippus nicht wohl leiden. Aber für mich bekam mein Plan, je langer ich ihm nachsann, je mehr Reize, und so erhielt ich denn endlich halb durch Ueberredung, halb durch die Vorstellung, daß ein solcher Schritt nothwendig sey, um Agathokles von der Ruhe meines Herzens zu überzeugen, die Erlaubniß, mein Vorhaben auszuführen.[55]

Ich kenne die alten Herren. Wenn sie für keine Frau oder Tochter mehr zu fürchten haben, finden sie eben keine so strenge Sitte, und ängstliche Verhüllung nöthig, wie sie mancher junge Mann, wahrlich auch nur aus Eifersucht, von seinem Mädchen fordert – und ich kleidete mich daher etwas weniger matronenmäßig, als ich wohl ehedem zu thun pflegte, wenn ich seinen Sohn zu sehen hoffte. Es klingt lächerlich, dies zu sagen, aber können wir Weiber dafür, daß die Männer in der Jugend aus Selbstsucht eifersüchtig, und im Alter aus Selbstsucht verliebte Gecken sind? So sandte ich hin, und ließ ihn um eine Stunde bitten, wo ich ihn sprechen könnte. Ich wußte, daß er das nicht annehmen, und selbst kommen wurde. Er kam auch – nur etwas spät; aber als er einträt, sah ich die Ursache dieser Verspätung wohl ein. Der alte Herr hatte sich in große Unkosten von Pracht und Niedlichkeit gesetzt, er duftete wie alle Würzen Arabiens, und sein Bart (wenn es möglich ist, so war es ein falscher) hätte einer Büste des Plato Ehre gemacht. Verwunderung und Neugier malten sich auf seinem Gesicht, und ich sah, welche Mühe es ihn kostete, sie unter den Schranken der guten Lebensart zu halten. Aus Mitleid ließ ich ihn nicht lange warten, sondern rückte so eilig, als es die etwas sonderbare Art meines Geschäfts erlaubte, mit meiner Bitte heraus. Sein Erstaunen wurde nun noch größer, obwohl er sich bestrebte, es zu verbergen, und in diesem Erstaunen und einigen entschlüpften Worten las ich deutlich seine Meinung über mein Verhältniß zu seinem Sohne, das wohl so ziemlich die Meinung der ganzen Stadt seyn mag. Um so lieber war es mir, durch diesen Schritt ihn und die Welt vom Gegentheil zu überzeugen.[56]

Ich sprach mit Wärme von den vorzüglichsten Eigenschaften seines Sohnes, seiner Schwiegertochter. (Ich vermochte das, Lucius, in einer Aufwallung von Großmuth, über die ich selbst erstaunte.) Ich suchte ihm darzuthun, daß alle Schritte, die Agathokles bisher gethan, nur Wirkungen derselben Tugenden und jenes allzustrengen Pflichtgefühls wären, das wir, auf andere Gegenstände angewendet, an einem Curtius, Cocles, Cato bewundert hatten. Ich ließ ihn die Freundschaft des Armenischen Königs und Constantins Liebe für seinen Sohn, die Achtung, in der er allgemein steht, im schimmernden Lichte sehen, und hinter diesem Schimmer sein eigenes Bild, auf das der Ruhm seines Sohnes keinen unbedeutenden Ganz warf. Im Eifer des Gesprächs waren die Locken Um meinen Nacken losgegangen, sie sanken auf die Brust herab, ich mußte sie zurückstreichen, und verschob dadurch den Schleier, so, daß auf einen Augenblick ein Theil des Busens sichtbar wurde. Ich strebte das Unglück zu verbessern, aber indem ich den Arm über die Schulter legte, fiel auch das faltenreiche Gewand zurück, und der Arm erschien beinahe ganz unverhüllt. Hegesipps Auge folgte leuchtend meinen Bewegungen, und er war auf einige Augenblicke so mit Schauen beschäftigt, daß er mir ganz verkehrt antwortete. Ich nutzte diese Stimmung, ich drang nun mit Bitten in ihn, und was früher Vernunftgründe nicht erschüttert hatten, fiel nun durch die vereinte Wirkung eines rührenden Tons, einer flehenden Miene und eines Paars unverhüllter Arme, die bittend gefaltet vor seinen Augen spielten. Ganz verklärt und mit jugendlicher Munterkeit sagte er mir, es sey unmöglich mir zu widerstehen – er müßte bekennen, daß[57] ich etwas Großes fordere, er habe sein Wort heilig verpflichtet, und hasse übrigens seinen Sohn nicht – doch einer solchen Vorbitterin sey nichts abzuschlagen, und Agathokles habe sein Glück nur mir allein zu verdanken. So ging er fort, um die Schrift zu holen, und war in einer halben Stunde wieder damit bei mir, Und nun in der Freude meines Herzens gab ich dem guten Alten einen recht kindlich dankbaren Auß, den er nun freilich nicht mit väterlicher Würde aufnahm, sondern mit aller Geckenhaftigkeit eines grauen Liebhabers. So lächerlich mir das war, so gab ich mir doch Mühe, ernsthaft zu scheinen, und wir schieden als die besten Freunde.

Ich zeigte meinem Vater im Triumph die Schrift. Er schüttelte abermals den Kopf, und schien nicht zufrieden mit der ganzen Geschichte. Indessen, das Größte war geschehen, und ich wollte nicht auf halbem Wege stehen bleiben; so bat ich denn den Bruder, mich zu begleiten, und fuhr nach Synthium. Es sind über sechzig Stadien1. Wir fuhren mit anbrechendem Tage ab, um die Hitze zu vermeiden. Du kennst die Lage der Villa nicht, sie ist äußerst angenehm, nur etwas düster zwischen waldigen Hügeln versteckt. Wie wir näher kamen, wie ich die obere Säulenhalle zwischen den Cedern und Pinien hindurch schimmern sah, wie ich die Platanenallee erblickte, in der ich so oft mit Sulpicien gewandelt hatte, mit ihr, deren Rest vielleicht nun schon die Urne füllt, das Gitterthor, an welchem ich vor einem Jahre die gegenwärtige Gebieterin der Villa tiefgebeugt gesehen und empfangen hatte – da ward mir sonderbar zu Muth,[58] und Thränen drangen in meine Augen. Sulpiciens Andenken, tausend andere Erinnerungen stürmten auf mich ein, und ich hätte große Lust gehabt, umzukehren, wenn man nicht schon von der Villa aus den Wagen gesehen, und erkannt hätte haben können. Während dieser Ueberlegungen lenkte unser Wagenführer in den Platanengang ein. Sogleich sah ich Leute aus der Villa kommen – ein Paar Sclaven, wie es schien, und kaum waren wir noch einige Schritte gefahren, als Agathokles selbst uns eilig entgegen kam.

Er bewillkommte uns mit einer Freude, die zusehr das Gepräge der Herzlichkeit trug, um auch nur einen Augenblick für Künstelei gehalten zu werden. Als er uns an einen schattigen Platz geführt hatte, ging er, seine Frau zu holen. Sie kam, ich war begierig gewesen, sie zu sehen, aber ich hatte Mühe, in dieser jugendlich bluhenden Frau mit den großen heitern Augen, der zarten Röthe auf den Wangen, in dem geschmackvollen häuslichen Anzug jene abgehärmte Trauergestalt, in die dichten faltenreichen Schleier gewickelt, zu erkennen. Die Arglistige wußte auch, trotz ihrer Heiligkeit, das geltend zu machen, was die Natur ihr Schönes gegeben hatte. Ein durchsichtiges indisches Gewebe zeigte den Obertheil des Armes mehr, als es ihn verhüllte, und wo dies endigte, erhöhten zierliche Armbänder seine natürliche Weisse und Ründung. Auch erschien ihr schlanker Wuchs vortheilhaft in dem seinem fließenden Gewande; kurz, man sah, daß sie ihren Anzug mit Geschmack wählte. Aber über allen Putz machte sie und ihren Gemahl das Vergnügen liebenswürdig, das aus allen ihren Reden, Blicken, Handlungen sprach. Besonders scheint sie nur[59] für ihn zu leben. Die Glückliche! Auch er war verändert, sein Auge strahlte von jugendlichem Feuer und Lebenslust, und das freundliche Lächeln, das seinen feingespaltenen Lippen einen so eigenthümlichen Reiz gibt, verläßt ihn jetzt eben so selten, als es ihn sonst erheiterte.

Unsere Unterredung fiel bald auf meine unglückliche Sulpicia. Theophaniens unverstellte Theilnahme, die zarte Achtung, mit der sie von ihr sprach, nahmen einen Stachel nach dem andern aus meiner Brust, ich fing an, sie nach und nach ohne geheimen Widerwillen, und endlich mit Wohlwollen zu betrachten. Ich benutzte eine Zeit, wo sie nicht zugegen war, und er klärte mich gegen ihn über die Absicht meines Besuchs, indem ich ihm zugleich mit Wärme für meine Rettung von Marcius Alpinus dankte, und ihm die Schrift überreichte. Er wollte erst eine Weile nichts von dieser Rettung wissen, und als ich ihm endlich die zuverläßige Quelle nannte, von der meine Nachricht gekommen war, lehnte er meinen Dank mit Würde und Feinheit ab. Lebhafter bewegt und erstaunt war er über die Schrift und die Art, wie sie in weine Hände gekommen war; aber Alles, was ihn daran zu freuen schien, war mein guter Wille und die neue Bestätigung von der Vergebung seines Vaters. Er bat mich, und zwang mich zuletzt, der wunderbare Mensch, die Schrift wieder mitzunehmen, sie seinem Vater wieder zurückzustellen, und ihm zu sagen, ihm genüge sein Wort, und seine Liebe, und zwischen ihnen sollte es nie eines solchen Instrumentes bedürfen. Ich that es ungern, denn ich fürchte die Gewalt, welche böse Menschen in einer üblen Stunde über den schwachen Hegesippus erhalten könnten. Doch mußte ich Agathokles Gründen weichen,[60] und seine Versicherung, daß ihn die Aussicht auf so glänzende Reichthümer nicht glücklicher machen könnte, als er es jetzt schon sey, war so sehr von Allem, was ihn umgibt, was er thut, bestätigt, daß ich zuletzt die Rolle beschämt in den Busen stecken, und gestehen mußte, Agathokles sey in seinen einfachen Verhältnissen weit glücklicher, als wir in allem Schimmer, der uns umgibt. Seitdem gefällt mir unser Haus in Nikomedien nicht wehr so ganz; mich dünkt, es wären da zu viel Glanz, zu viel Menschen, Geräthe, Gebräuche, zu wenig Genuß, zu wenig Möglichkeit, wahrhaft zu genießen. Sollte die Ansicht wahr seyn, die in Synthium so lebhaft vor meine Seele trat, daß nur Frieden und Liebe wahrhaft glücklich machen? Sollte dies das Element seyn, in dem unser Wesen sich am leichtesten, am vollständigsten entwickelte? O ich versichere dich, lieber Lucius, seit gestern gehen mir diese Zweifel nicht aus dem Kopfe, und das Bild eines stillen häuslichen Lebens an der Seite eines Mannes, wie – Ich weiß nicht, was mir fehlt; eine Thräne tritt in meine Augen. Leb' wohl für heute, Lucius! Ich mag nicht weiter schreiben – ich war in meinem Leben nicht so wehmüthig gestimmt, und doch so still und ruhig.


Am folgenden Tage.


Wie ich überlese, was ich geschrieben habe, sehe ich eben, daß ich noch ganz am Anfange meiner Erzählung stehen geblieben bin; aber gestern war ich durchaus zu nichts mehr aufgelegt.

Theophania kam zurück, eben als ich die Schrift von Agathokles empfangen hatte, und lud mich ein, in das[61] Bad zu gehen, das sie für mich hatte bereiten lassen. Alles im ganzen Hause, der Badesaal, die Sclavinnen, das Geräthe, das Wollenzeug2 trug das Gepräge der Einfachheit, aber der höchsten Reinlichkeit und Bequemlichkeit. Recht erquickt kehrte ich aus dem schönen Saale zurück, dessen höhe Fenster auf den Wald hinaus gehen, und vor welchen die rauschenden Zweige, vom Winde bewegt, Sonnenblicke und tanzende Schatten über das Marmorbecken und die spiegelreine Fluth hinstreuten. Jetzt führten mich die glücklichen Gatten in ihrem kleinen Eigenthum umher. Ich hatte öfters ganze Tage in Synthium zugebracht, aber bei Sulpiciens düsterer Lebensweise nichts als ein Paar Gemächer und einen Theil der Gärten gesehen. Alles, was zur anhaltenden Beschäftigung gehört, Alles, was das Hauswesen betraf, war ihr, seit dem die unglückliche Leidenschaft ihr Herz eingenommen hatte, fremd und lästig geworden. Ich fand Alles niedlich und in schönster Ordnung; ein liebenswürdiger Geist, Agathokles Mutter, von der er stets mit höchster Verehrung spricht, hatte Alles angelegt, und sein stilles, klares, zweckmäßiges Walten kündigte sich überall an.

In den warmen Stünden des Mittags ruhten wir in der lieblichen Kühlung eines Marmorsaals. Eine Oeffnung in der Kuppel ließ nur angenehmes Licht, aber keinen Sonnenstrahl hereindringen3, ein Springbrunnen[62] in der Ecke erfrischte unabläßig die Luft, und keine Ahnung der glühenden Hitze, die jetzt die Gefilde draußen versengte, drang in diesen stillen halbdämmerigen Zufluchtsort. Hier wurde das Mahl aufgetragen, einfache Speisen, meist Erzeugnisse der Villa selbst, Wer so einladend bereitet, und auf dem mit duftenden Kräutern und Blumen bestreuten Tische geordnet, daß ich nie ein lieblicheres Mahl genossen zu haben glaubte. Du kennst den guten eifrigen Quintus, er vergaß, in welchem Hause er war, und ergriff beim Anfange der Mahlzeit den Becher, um dem Jupiter eine Libation4 auszugießen. Ich winkte ihm, Agathokles bemerkte meinen Blick. Laß dich nicht stören, Quintus! sagte er: thue, was du für Pflicht hältst, und glaube nicht, daß wir uns daran ärgern. Dein, größter, bester Jupiter5 ist auch eine der dichteren oder leichteren Hüllen, unter welchen das Gemüth des Menschen den Weltenschöpfer erkennt, und du ehrst diesen, wenn du jenem mit kindlichem Sinn opferst. Aber du wirst auch unser nicht spotten, wenn wir dem, der uns erhält und nährt, auf unsere Weise danken. Und nun stand er mit Theophanien auf, seine Sclaven lauter Christen, stellten sich in einiger Entfernung[63] um ihn her, Alle machten das Zeichen des Kreuzes ihr Symbol über Stirn und Brust, alle beteten leise, mit gefalteten Händen in ehrfurchtsvollen Stellungen. Ich gestehe dir, ich war weit entfernt, das lächerlich zu finden. Es war mir ein zu schöner Anblick, wie hier Quintus dem Jupiter die Libation verrichtete, und dort Agathokles mit seinen Christen zu ihrem Gott, und sie Alle im Grunde zu dem Einen unbekannten Wesen beteten, dessen Daseyn Niemand beweisen kann, das glauben zu können gewiß eine Art von Glück seyn muß. Es war mir sogar schmerzlich, daß ich dies Glück nicht theilen konnte, und mein Herz da kalt bleiben mußte, wo, jene in süßen Empfindungen des Dankes schlugen.

Es entspann sich nun sogleich zwischen Quintus und Agathokles ein lebhaftes Gespräch über ihre Religionen.

Agathokles hieß die Sclaven hinausgehen, und fing an des Bruders Behauptungen mit Waffen zu widerlegen, denen dieser nicht gewachsen schien. Er schilderte, ohne sich einen spottenden Ausdruck zu erlauben, die Nichtigkeit unserer Gottheiten, wie sie jeder denkende Mensch fühlen muß, die schädliche Wirkung des Mangels an allgemein verehrlichen würdigen Gegenständen auf ein Volk, das größtentheils nicht durch langsame Fortschritte zu einer seinen Geisteskräften angemessenen Cultur gekommen, sondern über das die Wollüste, die Ueppigkeit und die Kenntnisse unterjochter weichlicher Nationen, als Beute der Sieger, wie ein Strom unvorbereitet hereingebrochen waren, auf ein Volk, bei dem sich schnell die alte rauhe Tugend mit den verfeinerten Wollüsten Asiens und Griechenlands vermischte, und das nun durch die eben so schnell erreichte Ueberreifheit des[64] Geistes Alles, was einer bessern Vorwelt heilig war, muthwillig und lüstern in den Staub tritt. Er suchte uns endlich zu beweisen, daß nur die Einführung einer Religion, die statt der erloschenen Tugenden, statt Vaterlandsliebe, strenger Sitte u.s.w., überirdische Beweggründe zum Handeln angibt, und die reinste Sittlichkeit fordert, dem allgemeinen Verderbniß und der Auflösung des Ungeheuern Staatskörpers wirksam entgegen arbeiten könne.

Während dieses Gesprächs, das mich, obwohl ich bei Weitem nicht mit Allem verstanden war, doch sehr anzog und beschäftigte, war die Sonne gesunken, wir traten aus dem Speisesaal in's Freie, der Mond ging hinter dem Cedernwald auf, und wir wollten Abschied nehmen. Aber unsere gütigen Wirthe ließen uns nicht so schnell von sich. Besonders drang Theophania mit einer Herzlichkeit in mich, der ich unmöglich widerstehen konnte. Wir blieben mit dem angenehmen Gefühl, mit dem man sich unter guten liebenden Menschen befindet, und mein Widerwille gegen Theophania hatte sich, ich weiß nicht wie, ganz aus meinem Herzen verloren. Wir durchwandelten die Gärten in der Kühlung des Abends und der kommenden Nacht, Gespräche, Saitenspiel und Gesang verkürzten die Stunden, auch Theophania singt und spielt, und ich kann dich versichern, mit bedeutender Fertigkeit und Anmuth. Zwei freundliche Zimmer, vor deren Fenstern Orangenbäume im Nachtwind säuselten, nahmen uns endlich auf, und ein leichter luftiger Schlummer schloß meine Augen, und hinderte jeden ernsten Rückblick auf den in so vieler Hinsicht merkwürdigen Tag. Als Aeos mit Rosenfingern erwachte, erweckte ihr röthlicher[65] Glanz zwischen Blätterschatten um mich spielend, meine Sinne aus dem erquickenden Schlafe. Ich wagte es um meines Vaters willen nicht länger zu bleiben, so wohl es mir hier in dieser Wohnung des Friedens und der Liebe gefiel. Wir nahmen herzlichen Abschied von den edlen Bewohnern des Hauses, mußten ihnen versprechen, bald wieder zu kommen, und so langte ich denn gestern in seltsamen Gefühlen und Gedanken hier an, die mich noch nicht verlassen haben, deren Eindruck, wie ich glaube, so bald nicht aus meiner Brust verschwinden wird. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Stadium war ein Längenmaaß der Alten.


2 Die Alten kannten den Gebrauch der Leinwand nicht so wie wir, sie bedienten sich meistens wollener Stoffe, wozu die Wolle oft auf ihren eigenen Gütern, von ihren Heerden gezogen, dann von ihren Sclavinnen gesponnen, gewebt, und zu dem verschiedenen Gebrauch, den man davon machen wollte, bearbeitet wurde.


3 Das warme Klima in den Ländern, welche die Griechen und Römer bewohnten, machte es ihnen nothwendig, auf Schutz vor Hitze und Sonnenbrand in ihren Häusern zu sehen. Es waren also manche Gemächer, wie auch heut zu Tage in den Häusern der Morgenländer, die ihr Licht blos von oben empfingen, und in welchen ein springendes Wasser die Kühlung erhielt.


4 Die Alten goßen am Anfange der Mahlzeit ihren Göttern etwas Wein zum Opfer auf die Erde. Dies hieß die Libation.


5 Optimus Maximus, war ein gewöhnlicher Beiname des Jupiters.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 35, Stuttgart 1828, S. 54-66.
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