88. Theophania an Junia Marcella.

[80] Nikomedien, im Oct. 303.


Fünf Monate sind nun im stillen Genusse der reinsten Seligkeit verflossen, ich war glücklich – glücklich, wie vielleicht Menschen es sonst nie oder nur auf kurze Augenblicke sind. Ich habe dieses Glück durch fünf Monate genossen, ich darf nicht klagen, wenn es jetzt zum Theil aufhört, und düstere Wolken hier und da emporsteigen, und die Zukunft meiner Vergangenheit gleich zu machen drohen. Mein Schwiegervater ist gestorben, das war die erste Störung unseres stillen Glücks. Er hat meinem Gemahl völlig verziehen, er hat ihn in den letzten Augenblicken mit rührender Zärtlichkeit behandelt, er hat sein erstes Testament zurückgenommen, und nur einen Theil seines Vermögens einem edlen aber unglücklichen Verwandten zugewendet, den die Familie vorher tief gekränkt, und im Elende beinahe hätte untergehen lassen, wenn ihn nicht Agathokles nach allen seinen Kräften unterstützt hätte, ohne daß Leucippus jemals erfahren konnte, wer sein unbekannter Wohlthäter sey. Nun hat Hegesippus letzter Wille sie auch öffentlich[80] vereinigt, und Agathokles behandelt den neuen Freund wie einen geliebten Bruder.

Aber seine Stimmung war ernst und düster, und wurde es immer mehr. Constantin kam oft zu uns, sie unterredeten sich lange und angelegentlich, sie ließen mich oft Theil an ihrem Gespräche nehmen. Ich mußte die Wichtigkeit ihrer Entschlüsse, und ihren ernsten Willen zum Guten bewundern, aber mein Herz zitterte in Geheim vor den mancherlei Verhältnissen, Verwirrungen, Anstrengungen, die sie nach sich zogen, vor dem gewaltigen Treiben der Welt, das meinen Gemahl jetzt wieder ergreifen und mitten in seine Wirbel reißen würde. Ich konnte alle diese schönen großen Entwürfe für nichts anders, als den Schwanengesang meines stillen Glückes halten. Aber unsere Seelen verstehen sich zu gut, um auch nur Einen Gedanken, eine Regung ungetheilt zu bewahren. Er errieth mich, er verwies mir liebreich diese Anwandlung vom Egoismus, dem herrschenden Geiste der Zeit, er stellte mir vor, daß ich eine Römische Bürgerin, eine Christin sey. Ach, ich erkannte die Wahrheit aller seiner Gründe, aber dennoch schauderte ich bei jedem Gedanken an die unruhige, ungewisse Zukunft!

Nun wurde endlich beschlossen, daß Agathokles nach Europa, und vielleicht bis nach Britannien gehen sollte. Er kündigte es mir an, und tröstete mich zärtlich und liebevoll. Ich betheuerte ihm, daß ich den Gedanken der Trennung nicht ertragen könne. Ich erklärte ihm, ich würde ihn begleiten, wohin er ginge, bis an die[81] Säulen des Herkules, bis an's äußerste Thule1; keine Entbehrung, keine Beschwerlichkeit der Reise würde mir so hart, so schmerzlich werden, als ein Leben im Schooße der Bequemlichkeit und des Ueberflusses ohne ihn. Er gab endlich meinen Bitten nach, nachdem er mir vorher Alles, was ich zu dulden, zu fürchten haben konnte, mit den lebendigsten Farben gemalt hatte; und als ich endlich weinend an seine Brust sank, und ihm sagte, ich könnte nicht leben ohne ihn, da schloß er mich heftig und mit nassen Augen an sein Herz, und gestand mir, daß es sein heißer Wunsch gewesen sey, sich nicht von mir trennen zu dürfen, daß er vor meinem Ausspruch gezittert, und nur aus ängstlicher Sorge für meine Gesundheit und seine Vaterhoffnungen sich verpflichtet gefühlt habe, mir Alles vorzustellen, was ich wagte, und unternahm. O Junia! Welche Leiden, welche Beschwerlichkeiten müßten das seyn, die ich nicht mit Freuden ertrüge, um seine Gegenwart, das Glück, mit ihm zu leben, damit zu erkaufen!

So war denn unsere Abreise fest bestimmt, als plötzlich, ich kann eben nicht sagen, ein unerwartetes, aber doch ein überraschendes Ereigniß sie noch eine Weile verschob. Die Königin von Armenien endigte vor einigen Monaten ihr schwermuthvolles Leben, und wenn ich mir denke, wie wenig glücklich sie sich selbst bei der Erfüllung aller ihrer Wünsche fand, so kann ich bei diesem[82] Verlust, wie du mir einst sagtest, wieder nur die Zurückgelassenen bedauern, und auch diese in dem gegenwärtigen Falle nicht tief. Der König kam vor zwei Monaten hieher, um seinem Schmerz zu entfliehen, um sich zu zerstreuen, und wirklich sah ich noch nie einen Menschen, dem dies Bestreben so bald und vollständig gelungen wäre, als ihm. Die schöne Calpurnia, die Freundin seiner verstorbenen Frau, war natürlicher Weise die erste Person, bei welcher er Trost und Beruhigung suchte. Sie weinte mit ihm, sie hörte seine Klagen an, in der Liebe für die Entrissene begegneten sich ihre Seelen, und was können die Seelen dafür, wenn ein solches Zusammentreffen länger währt, als gerade der Schmerz erforderte, wenn man sich einander wieder, und abermals wieder zu begegnen wünscht, und wenn endlich die Seelen in so reizende Hüllen eingeschlossen sind, daß sie vor Vergnügen, einander in diesen Hüllen zu bewundern, gar nicht mehr von einander scheiden wollen? Ich muß gestehen, Tiridates ist vielleicht die schönste männliche Gestalt, die ich je gesehen habe; die Art und die ausnehmende Pracht seiner Kleidung trägt noch mehr bei, sie im vortheilhaftesten, im wahren königlichen Glanz und Anstand zu zeigen. Dennoch glaube ich, wenn ich noch in der Blüthe meiner Jugendgefühle wäre, diese kolossalen Formen, diese lebhaft und munter blitzenden Augen, dieser Ausdruck von Lebenslust und Fröhlichkeit würde mich nie angezogen haben. Calpurnia denkt anders. Nur kann ich nicht recht fassen, wie der Ausdruck so entgegengesetzter Gemüther, so ganz verschiedene Erscheinungen, als Agathokles und der König sind, so schnell hintereinander[83] dieselbe Person in derselben Stärke rühren konnten. Doch wer ergründet das menschliche Herz in seinen Widersprüchen und Inconsequenzen! Es ist hierüber nichts zu sagen, und Niemand zu tadeln, weil er auf eine Weise fühlt, die wir nicht begreifen können.

Schon bei dem ersten Besuch, den sie uns einige Tage nach Tiridates Ankunft auf der Villa machten, war es mir sehr wahrscheinlich, der König werde sich bei Calpurnien über seinen Verlust trösten, und sie den ihrigen gern und leicht über einen so schimmernden Ersatz vergessen. Er hatte nichts beobachtet. Du weißt, Männeraugen sehen in dergleichen Dingen nie scharf, nur in unsere Seelen hat die Natur über solche Dinge ein gar zu feines, sicheres Gefühl gelegt. Wir ahnen, wir erkennen diese Erscheinungen bei uns und Andern leicht, wenn wir auch von den Gründen oder Merkmalen keine deutliche Rechenschaft zu geben wissen. Bei der zweiten, dritten Zusammenkunft blieb mir kein Zweifel übrig. Tiridates redete mit meinem Gemahl von unserm Glück, von unsern Hoffnungen, mit feuriger, nicht wehmüthiger Begeisterung, er sprach von der Nothwendigkeit, seines Volkes Glück durch eine unbestreitbare ruhige Thronfolge zu sichern; von dem traurigen Loose der Regenten, die so selten den Neigungen ihres Herzens folgen dürften, von der Nothwendigkeit, seine liebsten Gefühle, den gerechtesten Schmerz zu besiegen, wenn es höhere Rücksichten fordern u.s.w., und Calpurnia ward von dieser Zeit an von der Augusta und des Cäsars Gemahlin mit vorzüglicher Aufmerksamkeit behandelt. Indessen verbreitete sich das Gerücht, und wurde bald zur Gewißheit,[84] Diocletian wolle das zwanzigste Jahr seiner glücklichen Regierung, und den Sieg über die Perser durch einen feierlichen Triumph in Rom, das er, wie ich glaube, als Augustus gar noch nicht gesehen hat, feiern. Es wurden glänzende Anstalten dazu gemacht, der Abendländische Augustus ebenfalls dazu aufgefordert, und Tiridates fand es nun nöthig, einen Entschluß, der langst schon fest in seiner Seele lag, öffentlich zu erklären, bevor der Kaiser Nikomedien verließe. Er warb feierlich um Calpurnia bei ihrem Vater, und dem Kaiser, der den Proconsul außerordentlich schätzt, und seine Einwilligung so schnell und freudig gab, daß es wohl scheint, diese Anwerbung sey nichts als eine Förmlichkeit, und die Sache selbst schon vorher unter den Hauptpersonen verabredet gewesen. Als er mit freundlicher Wärme in Algathokles drang, seine Abreise zu verschieben, um Zeuge eines Zeitpunkts zu seyn, der für das Glück seines Freundes so wichtig wäre, mochte er wohl fühlen, daß diese schnelle Wahl, diese noch schnellere Vollziehung Agathokles befremdete. Mit leichtem Ton, und noch leichterem Sinn entschuldigte er diese Uebereilung durch seine Verhältnisse, die Forderungen der Pflicht, die gähe Abreise des Kaisers, und sagte, daß, da er nun einmal hätte wählen müssen, alte Freundschaft, Achtung für Sulpiciens Andenken, und des Proconsuls bedeutender Einfluß seine Wahl auf Calpurnien gelenket hätte. Agathokles widersprach nicht, er nahm mit unverstellter Freude Theil an dem Glücke seiner Freunde, und so bleiben wir noch eine Weile hier, und ich sehe nicht ohne Widerwillen einer unruhigen Zeit voll Schimmer, Geräusch und Zerstreuung[85] entgegen, welche die Vermählungs-Feierlichkeiten mit sich bringen werden. Mein stilles Glück ist gestört, wie ich dir sagte, und es beginnt eine neue Epoche meines Lebens, auf deren ungewissere Schicksale ich mein Herz in stiller Ergebung vorbereite. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Die Säulen des Herkules, das jetzige Gibraltar – und Thule, der äußerste Ort, den man damals gegen Norden kannte, wurden insgemein für die Grenzen der damals bekannten Erde, oder der Erde überhaupt genommen.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 35, Stuttgart 1828, S. 80-86.
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