Deutscher Undank

[468] Weil mir just die Galle über deutschen Undank aufsteigt, so will ich was heraussagen, das ich längst hätte sagen sollen. Der große, von ganz Europa bestaunte Noverre hat sein erstes Glück am Würtembergischen Hofe einem schon fast gänzlich vergeßenen Deutschen zu danken; Deller heißt dieser Deutsche. Viele der größesten und glänzendsten Entwürfe in Noverres Balleten sind von diesem vortrefflichen Manne. Deller, als Tanzcomponist, war eben so groß als Noverre, der Balleterfinder. Noverre hat es auch mir und andern, die ihn kennen, mehr als einmal gestanden, daß er in ganz Europa Dellers Genie, womit er die Pantomime durch Musik zu beseelen gewußt, nicht angetroffen habe. Noch schauert mein Herz vor Ehrfurcht gegen den großen, in den schönsten Lebensjahren dahingerafften Mann, wenn ich die großen Ballete: Orpheus, Alceste, Agamemnon und andere wieder in die Phantasie heraufrufe, wozu Deller eine ganz göttliche Musik gesetzt hat. Wahr ist's, was ich Dellern einmal zu Ehren sang:


Sage selbst, o Göttin Harmonie,

Was die Wahrheit fodert,

Daß die Flamme des Genie

Ihm im Busen lodert;[468]


Daß Er, dir und der Natur getreu,

Zaubereien töne,

Daß Er in der Mitte sei

Deiner großen Söhne.


Wenn Jomelli, wie ein Göttersohn,

Dem Gefühl gebietet;

Wenn Galuppi-Arion

Melodien wüthet;


Und wenn Hasse, wie der Thrazier,

In die Goldharf' rauschet,

Daß den großen Zauberer

Mensch und Thier belauschet:


O so sing's im hohen Sphärenton

Feuriger und schneller,

Nenne deinen vierten Sohn,

Deinen Liebling Deller!


Den dein Arm im mütterlichen Spiel

Oft melodisch wiegte,

Der sich immer voll Gefühl

Horchend an dich schmiegte;


Der von deinem ewigen Concert

Mächtiger durchdrungen –

Was er still von Dir gehört

Lauter nachgesungen;


Der dem Tanze eine Sprache leiht;

Den Thalia schätzet,

Der durch Ernst und Fröhlichkeit

Bessert und ergötzet;


Der mit goldnen Seilen den Affekt

Auch im Sturme lenket,

Und den starren Hörer weckt,

Daß er fühlt und denket.[469]


Der im Herzen lauter Wohllaut ist –

Kann ein Herz mißtönen,

Das von dir gestimmet ist

Zum Gefühl des Schönen? –


Und dieser vortreffliche deutsche Mann, der seine Bildung sich ganz allein zu danken hatte, ward zu Wien von Noverre mit dem schändlichsten Undank belohnt, und starb zu München unter der Pflege der barmherzigen Brüder. Heil mir, daß ich einige Nesseln aus seinem Grabe jätete!

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 468-470.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
S Mmtliche Gedichte, Volume 1
S Mmtliche Gedichte, Volume 3
Gedichte. Aus der

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die Betschwester. Lustspiel

Die Betschwester. Lustspiel

Simon lernt Lorchen kennen als er um ihre Freundin Christianchen wirbt, deren Mutter - eine heuchlerische Frömmlerin - sie zu einem weltfremden Einfaltspinsel erzogen hat. Simon schwankt zwischen den Freundinnen bis schließlich alles doch ganz anders kommt.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon