Hymnus

[466] Heilige Tonkunst, göttlichen Stammes!

Gespielin der Engel, Vertraute des Himmels!

Die gefallene Menschheit klagte;

Des Lebens Dornenpfad verwundet' ihre Sohle,

Eine blutige Thräne fiel auf die sengende Nessel:

Da trat'st du, Himmlische, im Schwanenkleide[466]

Vor sie hin und hauchtest ihr Liedergeist ein. –

Nun klang die Saite unter dem ziehenden Bogen,

Nun klang das Goldgeweb der Harfe;

Nun klang der Lyra Silbergewebe;

Nun schmetterte Trompetenklang,

Und es wieherte das Streitroß d'rein.

Nun tönte das schallende Horn,

Nun flisterte die weiche, lydische Flöte;

Nun wirbelte der Tanz,

Nun schmolz der Jüngling in Liebe,

– Zerfloß das bleichere Mädchen in Liebe.

Im Tempel scholl Jehovahs Lob;

Die Hallposaune tönte d'rein,

Und die Asoor und die Githit und die schallende Cymbal.

Der Donner des Hymnus stieg zum Olympus.

Der Psalm flog blitzgeschwingt ins Allerheiligste:

Und Jehovah lächelte Gnade!


Laß mich dich, göttliche Polyhymnia! –

– Denn auch mich hast du in den Stunden der Weihe besucht:

Du gabst mir männlichen Gesang und Flügelspiel,

Daß ich gebiete der Thräne des Hörers zu fließen;

Daß ich färbe das Antlitz des fühlenden Jünglings

Mit der Begeisterung Glut;

Daß ich dem lauschenden Mädchen

Seufzer der Lieb' entlocke;

Daß ich durch Wodansgesang schwelle den Busen des Mannes –

O laß mich dich, göttliche Polyhymnia,

Und deines Geschenkes himmlischen Werth nie entweihen!

Laß mich singen Jehovah –

Der ist, der war, und der kommt!

– Dir, o Tugend, dir, frömmere Liebe,

Dir, traulicher Scherz bei unentweihten Pokalen,

Und, ach dir, o Vaterland, Vaterland,

Das ich liebe, wie der Jüngling die Braut –

Dir, o Vaterland der Helden und der Feuerseelen,

Weih' ich mein Flügelspiel und meinen Sang![467]

Wenn ich einst schlummere nach meines Lebens Mühen,

Wenn über meinem Gebein sich der Grabhügel thürmt,

Wenn ich meiner Ketten Last

Am Grabgeklüft zurücke ließ:

So weil' ein zärtlicher Jüngling am Grabe,

So weil' ein fühlendes Mädchen am Grabe;

Sie schauen himmelan und sprechen

Mit dem Schimmerblick des tiefsten Herzgefühls:

Weht sanfter Lüfte, um diesen Aschenhügel,

Hier ruht Polyhymnias Freund!

Ihm gab Gott Sang und Flügelspiel,

Doch entweihte er nie die köstliche Gabe.

Die Harfe hing er im Tempel auf;

Und seine Telyn in Thuiskons Hain!

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 466-468.
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