111. Auf seiner Gemahlin 32sten Geburts-Tag

[313] 1732.


Wenn man glauben solte,

Daß die klugen Dichter,

Unsers Kampfes Splitter-Richter,

Christi Creutz-Erkentnis

Uebersehen könten,

Und sich billig weise nennten;

Müßte man

Wol den Plan

Ihrer Kunst und Gaben

Nicht gesehen haben.


Ehmals sprach ein Heide

Von den Glaubens-Sachen:

Werdet ihr dann meiner lachen,

Wenn mit diesem Leben

Euer Geist verschwunden,

Wie ihr Weisen ausgefunden?

Hat mein Satz

Aber Platz,

Wie wird euer Wagen

Meinen Spott ertragen?


Christen möchten weinen,

Sterbliche zu kennen,[313]

Die sich Christen-Menschen nennen,

Die vor Christi Wahrheit,

Und dem Wort der Zeugen

Sich mit Ehrerbietung neigen;

Fragt man nun,

Was zu thun?

Wissen sie die Lehren

Alle zu verkehren.


Mit Privat-Personen,

Die im äussern Leben

Sich die Freyheit wolten geben;

So zusammen hängen,

Allen Laut verlassen,

Und dergleichen Schlüsse fassen:

Nein heißt Ja!

Hier und da

Würden alle Knaben

Ihr Gespötte haben.


Würden unter Menschen,

Die zusammen wandeln,

Und in einer Sprache handeln,

Hundert tausend einig,

Wenn sie reden solten

Daß sies anders deuten wolten;

Möchten sie

Sich der Müh

Ihren Sinn zu sagen,

Nur zugleich entschlagen.


Aber, daß die Seelen

Eine Schrift verdrehen

Eines, dem sie zugestehen,

Daß Er sie vom Fluche

Mit sich selbst erkaufet,

Wahrheit, drauf man alles taufet:[314]

Das kömt mir

Rasend für.

Vor dergleichen Christen

Lob ich noch Deisten.


Weg mit diesen Bildern,

So die Seelen quälen,

Die sich unsern Herrn erwehlen!

Auf die grosse Frage:

Wo ist zum Exempel,

Auf der Welt ein Geistes-Tempel?

Zeig' ich dich

Männiglich,

Bild der wahren Ehe,

Theure Dorothee.


Innigst-liebe Liebe!

Dein durchdringend Auge

Sieht, wie viel ein Herze tauge.

Du hast unser Bündnis

Zehn Jahr angeblikket,

Und ermahnet und erquikket;

Billig ruht

Unser Muth,

Nach den Prüfungs-Stunden

Nun in Deinen Wunden.


Drum so komm und leuchte

Mit dem Gnaden-Strahle

Unserm Lob- und Liebes-Mahle;

Kinder mögen fordern

Was sie nöthig haben;

Du gibst lauter gute Gaben.

Schwester auf!

Hilf mir drauf,

Ich weiß für uns beide,

Nichts als Ihn zur Freude.
[315]

Für die Creutz-Gemeine,

Dran wir vester kleben,

Als an unserm eignen Leben,

Bitten wir den Fortgang,

Unverlöschter Zunder

Deiner Lichterlohen Wunder!

Zünde an,

Laß die Bahn

Dieser zwo Gemeinen

Ihre Gluht vereinen!


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 313-316.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Reuter, Christian

L'Honnête Femme oder Die Ehrliche Frau zu Plißine

L'Honnête Femme oder Die Ehrliche Frau zu Plißine

Nachdem Christian Reuter 1694 von seiner Vermieterin auf die Straße gesetzt wird weil er die Miete nicht bezahlt hat, schreibt er eine Karikatur über den kleinbürgerlichen Lebensstil der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«, die einen Studenten vor die Tür setzt, der seine Miete nicht bezahlt.

40 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon