28. Auf der Frau Groß-Mutter 76sten Jahrs-Tag[83] 1

1723.


Die ihr mit fremdem Schmuk zu prangen fähig seyd,

Nicht aber eignen Glanz der Tugend zu erreichen!

Geht, rühmet, was ihr könnt, der Ahnen Treflichkeit;

Pocht, Helden, destomehr auf eigne Sieges-Zeichen.


Geht, grabet euern Preis in Marmel-Stein und Erz,

Setzt Pfal und Pfeilerwerk, wo sonsten Ströme flossen;

Erhebt den Obelisk von dannen Himmelwerts,

Thürmt Ehren-Pforten auf, setzt prangende Colossen:


Laßt in Gemählden sehn, was eure Mord-Faust thut.

Der Reimer Phantasey von eurer Härte dichten;

Beschreibt mit Cäsare den eignen Helden-Muth,

Laßt die Historien euch Ehren-Maale richten.


Wie? oder ekelt euch vor Blut und Feuer-Strahl,

Betrüben euch vielleicht die drohenden Trompeten?

Beliebet euch vielmehr ein lustig Freuden-Mahl,

Und der gedämpfte Klang der angenehmen Flöten?


So laßt die künftge Welt von eurer Freundlichkeit,

Von eurer Wayde-Lust und Bau-Begierde sprechen;

Und wenn der Erb-Prinz einst mit Regimentern dräut,

Der Diener weiches Herz vor Reu und Sehnen brechen.


Ist euer edler Geist den Musen zugeneigt,

Und mag sich seine Zeit mit Schul-Gezänke kürzen;

Schreyt Aristoteles, Mars und Diana schweigt;

So wird die Castalis auf euern Lehn-Stuhl stürzen.


Den einen höret man auf Krieg und Kriegs-Geschrey,

Den andern auf die Lust und Eitelkeiten schmählen;[83]

Der dritte spricht von nichts, als von Pedanterey;

Ein jeder gibt der Zeit ein Mährlein zu erzehlen.


Ich lobe einen Geist, der von dem Kinder-Spiel

Der Lob-Gedichte noch in Zeiten überzeuget,

Auf eine Ewigkeit das kurze Lebens-Ziel,

Und seiner Thaten Zwek auf Gottes Wege neiget.


Den lob ich, dessen Geist aufs Himmlische gewandt,

Die hin und her zerstreut und eitlen Menschen-Kinder

Mit viel Erbarmen trägt, und seinen Ehren-Stand

Darinn alleine sucht: Er sey ein armer Sünder.


Frau, deren Helden-Muth, in abgewichner Zeit,

Die hochgelahrte Schaar durch manchen Dichter ehrte,

Nicht so? Der Ruhm behielt gar wenig Herrlichkeit,

Seitdem dich unser Herr selbst etwas bessers lehrte.


Ich meyne, grosse Frau, dein sichrer Ruhe-Port,

Die Anfuhrt deines Geists aus dieser Welt Gewirre,

Sey von geraumer Zeit das süsse Hirten-Wort:

Kommt, Schäflein, näher her, kommt rükwerts aus der Irre!


Dein Heiland hat auch dich, bey früher Tages-Zeit,

Vom Schlaf der Sicherheit lebendig aufgewekket:

Dein Heiland hat auch dich vom Sünden-Joch befreyt,

Darunter deine Seel in tiefer Angst gestekket.


Dein Leben stellet uns ein schönes Muster vor,

Wie man im Zeitlichen kan hochgesegnet bleiben:

Steigt gleich der edle Geist vom Irdischen empor,

Und läßt sich eine Macht der Liebe höher treiben.


Wir wenden uns hierauf zum Könige der Zeit,

Der Ewigkeiten Quell, zu unsrer Tage Meister,

Wir bringen Ihm ein Lob in Herzens-Lauterkeit:

Kommt, einigt Herz und Mund mit uns, ihr reinen Geister!

Fußnoten

1 Am 18ten October.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 83-84.
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