36. Auf seinen erstgebornen Sohn, Christian Ernsten

[107] 1724.


Nims wieder hin, Du hattest es gegeben,

Nim, einger Vater, dieses einge Pfand!

Du wilst uns gern der Mühe überheben,

Der schweren Pflicht, der Sorge, die uns band.

Die zarten Lippen regten sich noch schwach,

Das andre Thun bestand in Kleinigkeit,

Es machte sich mit seiner Kunst nicht breit;

Doch schritt es Dir, dem Vater, kindlich nach.


Wenn die Vernunft was drein zu reden taugte,

So spräche sie: Warum dann nun so bald?

Denn wenn der Mensch nicht Zeit zur Arbeit brauchte;

So würde ja viel lieber niemand alt.[107]

Doch da die Eltern vor Dir freudig seyn,

Daß sie ihr Kind Dir lediglich geweyht;

So ist ihr Ja! zu jedem Wink bereit,

Und stimmt ein mattes Hallelujah drein.


Dir kan der Tod des Sünders nicht belieben,

Das glaubet die Vernunft; doch glaubet sie,

Du habest itzt ein Reislein abgetrieben

Ein Reis, gepflanzt durch Deiner Hände Müh.

Wenn die Vernunft nicht eine Thörin wär,

Sie glaubte so was ungereimtes nicht:

Daß Der, dems Herz von Feindes-Liebe bricht,

Sein eigen Werk ganz ohne Noth zerstör.


Wir haben uns einander nicht gewehlet,

Du hast es selbst ganz offenbar gefügt;

So waren wir, nachdem Du uns vermählet,

In Deinem Schooß auch ohne Kind vergnügt.

Du gabest es, und hast es oft bewahrt:

Es langte hier, als wie ein Wunder an,

Das zeugen die, so seine Ankunft sahn,

Du hast's auch nur zur Probe aufgespart.


Wir merkens wohl, du unergründ'te Liebe!

Wir halten nichts aufs Trauren dieser Welt.

Gefallen Dir des Kindes zarte Triebe,

Dir, deme man in Christo leicht gefällt;

So machen wir uns eine Freude draus,

(Du siehst ins Herz, dich höhnt kein Compliment)

Ist unsrer Erstgeburt Dein Herz vergönnt;

So ists ein Glük für unser schlechtes Haus.


Wir dürfen Dir das Kind nicht erstlich loben,

Du brantest selbst in ihm, du reines Licht,

Was Dir gefiel, das stammete von oben;

Mißfiel dir was, das war sein Wille nicht.

Nims immer hin, Du unsrer Seelen Mann,

Wie Du es uns, mit Christi Blut bethaut,[108]

Auf kurze Zeit zu treuer Hand vertraut:

Es hat sein Kleid, das schöne Kleid! noch an.


Man spürte ja an ihm kein Widerstreben,

Als man es Dir ins Sterben übergab:

Es deuchte ihm, itzt würd es erstlich leben,

Es wußte nichts von Fäulnis oder Grab!

Es fühlte nur, der Kerker sey nicht schön;

Was unsre Unvernunft uns glauben macht,

Dasselbe hat sein Kinder-Sinn verlacht:

Drum sahe mans vergnügt ans Scheiden gehn.


Die Prediger der eitlen Wissenschaften,

Die Meister von der falschberühmten Kunst,

(Und wenn sie all ihr Zeug zusammenrafften,)

Bereiten hier doch nichts als blauen Dunst.

Man komme nur erst an des Todes Thor,

Und säe da die Spreu Philosophie;

So erndtet man gewiß vergebne Müh,

Der Einfalt kommt das Werk ganz leichte vor.


Spricht die Vernunft: Daß solches daran liege,

Weil so ein Kind noch keine Schlüsse macht;

Es würde sonst zu einem solchen Siege,

Nicht also leicht und spielende gebracht:

Wohlan! so sey, o Vater! hochgelobt,

Daß du den Preis der Einfalt aufgestellt;

Wir geben sie nicht um die ganze Welt,

Die Einfalt ruht, wenn der Vernunft-Sturm tobt.


Drum mögen dir die Eltern kühnlich sagen,

Was sich, dafür, daß sie ihr einig Kind,

Dir williglich in Deinen Schooß getragen,

In ihrem Geist für ein Verlangen find:

Sie wünschen sich auf ihrer Pilger-Bahn,

(Da du nunmehr dem Kindlein alles bist,)

Du bändest sie, weils ihm nicht nöthig ist,

Mit seinem Sinn, zum Angedenken an.
[109]

Sie wollen es von Deiner Treue hoffen,

(Du bist so gut und hörst auf stilles Schreyn,)

Und hat ihr Wunsch zum Ziele eingetroffen:

So gehen sie in Deine Ruhe ein.

Sie mögen dann, solange als Du wilt,

Im Jammer-Karrn an Deinen Seilen ziehn;

Sie werden Dir nicht aus der Schule fliehn:

Vollende sie, zu Deinem Ebenbild.


Du aber geh und ruhe: Sohn der Rechten,

Auch dein Gebein soll grünen, da es liegt;

Gott lehre uns so still, so sicher fechten.

Du hast gekämpft, bevor du obgesiegt.

Dein Klage-Lied, und unser Lied ist aus.

So lobe dann. Doch bist du noch zu matt:

So trink dich vor an Jesu Fülle satt;

Und dann so werd ein ewigs Lied daraus.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 107-110.
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