37. Auf des Lic. Gutbiers, seines Medici, Verheirathung

[110] 1724.


Du sel'ge Liebe Du!

Wohl heissest Du verborgen!

Wer stört in Deine Ruh!

Wer öffnet Deinen Rath,

Und was er heimlichs hat?

Die Seelen nur allein,

Die ohne Willen seyn.


Wer nichts auf Erden will;

Läßt Gottes Liebe sorgen,

Sein Sinn ist immer still,

Sein Puls schlägt ordentlich,

Sein Herz vergnüget sich,

In allerley Gefahr

Verbleibt Sein Auge klar.
[110]

O unerschaffne Lieb!

Was kont'st Du schöners schenken,

Als den gelaßnen Trieb,

Der Adams Geist durchstrich,

Solang er Dir noch glich,

Wodurch er Edens Pracht

Noch höher ausgebracht?


Wie wolte Satanas

Diß stille Wohlseyn kränken?

Als daß er irgend was

Im Menschen aufgeregt,

Das nun zu denken pflegt:

Ach hätt' ichs so und so!

So wär ich erst recht froh.


Seitdem siehts also aus:

Der Mensch ist unzufrieden,

Bald dünket ihm sein Haus

Zu groß, und bald zu klein;

Bald will er etwas seyn,

Das, wenn ers worden ist,

Ihm an dem Herzen frißt.


Als nun der Mann, der Herr

Vom Himmel abgeschieden,

Und als ein Wanderer,

In armer Knechts-Gestalt,

Die Erde durchgewallt;

Hat Er, nebst andrer Last,

Auch diese aufgefaßt.


Allein das war ein Mann,

Der wußte sich zu rathen,

Obgleich der ganze Bann

Auf Seinen Schultern lag,

Bis an den Todes-Tag;

Noch stand Er aufgerichts,

Warum? Er wolte nichts.
[111]

Es soll ein ein'ger Sohn

Die Zornes-Fluth durchwaten,

Verleugnen Kron und Thron,

Noch schlechten Nutzen sehn,

Und Strafe überstehn:

Ein Sohn, der nichts gethan;

Der Vater stiftets an!


Ach! hätte dieses Lamm

Gewußt, was Wollen wäre:

Hätt' unser Bräutigam,

So sehr als Seine Braut,

Auf Fug und Recht gebaut;

Er wär noch immer GOTT,

Und wir des Teufels Spott.


Allein, Er wolte nicht;

Er lidte nach der Schwere:

Er war auf nichts erpicht;

Nahm die beschiedne Pein

Ins Vaters Willen ein.

Nun ist Sein Schmerz vorbey,

Und wir sind völlig frey.


Es kan nicht anders seyn,

Als Seine rechte Jünger

Gehn eben dahinein:

Hierunten leiden sie,

Denn JESUS lidte hie;

Und Seine Herrlichkeit

Ist auch für sie bereit.


Beym Creutz wuchs unser Held:

Das Creutz ist guter Dünger

Auf unser Herzens-Feld;

Nichts wächset ohne diß,

Und das gedeyht gewiß,

Was nach der Liebe Rath

Hier Grund gefasset hat.
[112]

Allein die Erde muß

Sich nicht dagegen härten;

Sonst zeigt sich kein Genuß:

Die Marter steht sie aus;

Und wird nichts ganzes draus;

Wird sie gediegen seyn,

So dringt die Kraft hinein.


Man sehe nur die Bluht

Der Bäumlein in den Gärten,

Wie gut es ihnen thut,

Wenn hier ein strenger Nord,

Ein schwüler Sud-Wind dort,

Und dann ein Regen-Guß

Den West verjagen muß.


Und o wann würden wir

Mit Gottes Wegen fertig?

Wenn Seine Weisheit hier

Und dorten etwas macht,

Das jedermann verlacht,

Und dann ein Wunder schafft,

Darnach ein jeder gafft.


Gott Lob! die Liebe ist

Von uns nur das gewärtig,

Daß man sich selbst vergißt,

Im Herzen Ehrfurcht spürt,

Die Hand zum Munde führt,

Und spricht in tiefer Still:

Wills GOTT, wohlan! ich will.


Erst gestern ward ein Kind1

Zur Herrlichkeit erhaben:

Sein Herz war gleich gesinnt,

Sein Leiden hörte auf,

Es trat mit Füssen drauf,[113]

Und wers nur fassen kan,

Spricht: JESUS hats gethan.


Und heute sehen wir

Ein paar zum Kerker traben:

Der HERR verknüpft sie hier

Zu gleicher Pilgerschaft,

Und Seine Wunder-Kraft

Hält ihre Augen zu,

Daß sie das Ihre thu.


Wer solte nun dabey

Nicht voll Verwundrung stehen?

Wer saget nicht ganz frey:

Du bist ein Wunder-Gott?

Die Weisheit wird zu Spott;

Das größte Klugseyn träumt,

Wenn sichs mit Dir nicht reimt.


Du wunderbares Seyn!

Wir wollen nach Dir sehen:

Wir wollen Kinder-klein

Und Dir gelassen blind,

Wobey man nur gewinnt;

Doch mit geheimem Flehn,

Dir zu Gebote stehn.


Geliebtes Ehe-Paar!

Du bist der schmalen Stege,

Die GOTT gewohnet war,

Solang er Schöpfer hieß,

Und Seine Allmacht wies,

(Die über alles thront,)

Nicht eben ungewohnt.


Wohlan! so dringe fort

Im tiefen Fluthen-Wege,

Und segle in den Port[114]

Der wahren Ruhe hin,

Mit ausgespanntem Sinn:

Gib dich dem Bräutigam

Und reiff' an Seinem Stamm!


Uns, die wir dich gewiß

Von ganzem Herzen lieben,

Und alle Hindernis,

Die dir den Weg verweht,

Mit herzlichem Gebet,

Getrau'n zu überstehn,

Erfreut dein Wohlergehn.


Wird euer neuer Stand

Ins Lebens-Buch geschrieben,

Und euer Ehe-Band

In Jesum eingeknüpft:

So freuet euch und hüpft,

Ist JESUS euer Licht;

Sorgt für das andre nicht.


Du hochgelobtes Lamm!

Wir fallen Dir zu Füssen,

Du Seelen-Bräutigam!

Komm, küsse dieses Paar

Und mach es offenbar:

Daß, wer sich Dir vertraut,

Auf Felsen-Gründe baut.


Du magst die Bitterkeit,

Die sie erfahren müssen,

Wenn sie nach dieser Zeit

Mit wollen jauchzen gehn,

Nur helfen überstehn,

Du hast es im Gebrauch:

Sie glaubens, und wir auch.

Fußnoten

1 Christian Ernst, Graf von Zinzendorf.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 110-115.
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