76. An eine vertraute Freundin, kurz nach ihrer Heirath

[210] 1728.


Die Liebe hat dich schon ins Ehe-Band geknüpft

Zu einer solchen Zeit, da du allein zu leben

Dir noch nicht viele Müh auf dieser Welt gegeben.

Es scheinet, daß Sein Rath dir manches überhüpft:

Du solst vielleicht gar bald von aller Last der Erden

Erkauft und frey gemacht und Ihm vollendet werden.


Gewiß, wer Seinen Zug an deiner Seele sah,

Und wie Er dich so gleich an Seinen Hals gerissen,

Noch, eh Er dich den Weg zum Leben lassen wissen;

Kaum war Sein Wink geschehn, so war Dein Herze da.

Wer deines Bräutgams Ruf und meine Werbung kennt,

Der hat dich schon gar oft ein selig Weib genennt.


Du gingest bis daher in grosser Stille hin:

Der harte Eigensinn verfolgte zwar dein Leben,

Allein, er mußte dich dem Bräutigam ergeben;

Der Bräutigam ergrif dein Herz und deinen Sinn.

Ich unterließ dann nicht, so viel ich nur kan denken,

Dein Wesen mehr und mehr ins rechte Gleis zu lenken.


Doch Jesu Fleisch und Blut, das dein geworden war,

That ohne Zweifel hier das Beste bey der Sache!

Und also blieb der Herr nun unter deinem Dache,

Und schützte deinen Geist vor mancherley Gefahr.[210]

An Seinem Creutze ward dein strenger Sinn zerrieben,

Und meines Königs Wort in dein Gemüth geschrieben.


So führte Er dich auch zu deiner Ehe ein,

Die Tage, da du dich auf deine Hochzeit schiktest,

Und in des Bräutgams Herz mit Ehrerbietung bliktest,

Die mußten dir gewiß Bereitungs-Tage seyn.

Und da du in dem Sinn des Lammes Gottes standest,

Was Wunder, daß du auch Sein Liebes-Herz empfandest!


Vergiß der Liebe nicht. Die Hölle könte dir,

Wenn du nicht Treue hieltst, kein gnugsam Feuer heitzen,

Der Zorn des Lammes würd' ein Heer von Zeugen reitzen,

Die hielten dir Sein Herz und deine Bosheit für.

Ich selber müßte dir in Jesu Namen fluchen,

Und du würdst einen Raum zur Reu vergebens suchen.


Nun, Schwester! lasset uns dem Herrn mit Leib und Sinn

Die Ihm doch ewiglich geschworne Treue halten,

Und solt uns Angst und Schmerz den Eigenwillen spalten;

So geh er in den Tod und Untergehen hin.

Herr Jesu! nim dis Herz und opfers Deiner Treue,

Damit es sich an Dir vergnüge und erfreue!


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 210-211.
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