Sechster Auftritt


[231] Der Tempelherr und Daja, die den Tempelherrn schon eine Zeit lang von weiten beobachtet hatte, und sich nun ihm nähert.


DAJA.

Der Klosterbruder, wie mich dünkt, ließ in

Der besten Laun' ihn nicht. – Doch muß ich mein

Paket nur wagen.

TEMPELHERR.

Nun, vortrefflich! – Lügt

Das Sprichwort wohl: daß Mönch und Weib, und Weib

Und Mönch des Teufels beide Krallen sind?

Er wirft mich heut aus einer in die andre.

DAJA.

Was seh' ich? – Edler Ritter, Euch? – Gott Dank!

Gott tausend Dank! – Wo habt Ihr denn

Die ganze Zeit gesteckt? – Ihr seid doch wohl[231]

Nicht krank gewesen?

TEMPELHERR.

Nein.

DAJA.

Gesund doch?

TEMPELHERR.

Ja.

DAJA.

Wir waren Euertwegen wahrlich ganz

Bekümmert.

TEMPELHERR.

So?

DAJA.

Ihr wart gewiß verreist?

TEMPELHERR.

Erraten!

DAJA.

Und kamt heut erst wieder?

TEMPELHERR.

Gestern.

DAJA.

Auch Rechas Vater ist heut angekommen.

Und nun darf Recha doch wohl hoffen?

TEMPELHERR.

Was?

DAJA.

Warum sie Euch so öfters bitten lassen.

Ihr Vater ladet Euch nun selber bald

Aufs dringlichste. Er kömmt von Babylon;

Mit zwanzig hochbeladenen Kamelen,

Und allem, was an edeln Spezereien,

An Steinen und an Stoffen, Indien

Und Persien und Syrien, gar Sina,

Kostbares nur gewähren.

TEMPELHERR.

Kaufe nichts.

DAJA.

Sein Volk verehret ihn als einen Fürsten.

Doch daß es ihn den Weisen Nathan nennt,

Und nicht vielmehr den Reichen, hat mich oft

Gewundert.

TEMPELHERR.

Seinem Volk ist reich und weise

Vielleicht das nämliche.

DAJA.

Vor allen aber

Hätt's ihn den Guten nennen müssen. Denn

Ihr stellt Euch gar nicht vor, wie gut er ist.

Als er erfuhr, wie viel Euch Recha schuldig:

Was hätt', in diesem Augenblicke, nicht

Er alles Euch getan, gegeben!

TEMPELHERR.

Ei!

DAJA.

Versuchts und kommt und seht!

TEMPELHERR.

Was denn? wie schnell[232]

Ein Augenblick vorüber ist?

DAJA.

Hätt' ich,

Wenn er so gut nicht wär', es mir so lange

Bei ihm gefallen lassen? Meint Ihr etwa,

Ich fühle meinen Wert als Christin nicht?

Auch mir wards vor der Wiege nicht gesungen,

Daß ich nur darum meinem Ehgemahl

Nach Palästina folgen würd', um da

Ein Judenmädchen zu erziehn. Es war

Mein lieber Ehgemahl ein edler Knecht

In Kaiser Friedrichs Heere –

TEMPELHERR.

Von Geburt

Ein Schweizer, dem die Ehr' und Gnade ward

Mit Seiner Kaiserlichen Majestät

In einem Flusse zu ersaufen. – Weib!

Wie vielmal habt Ihr mir das schon erzählt?

Hört Ihr denn gar nicht auf mich zu verfolgen?

DAJA.

Verfolgen! lieber Gott!

TEMPELHERR.

Ja, ja, verfolgen.

Ich will nun einmal Euch nicht weiter sehn!

Nicht hören! Will von Euch an eine Tat

Nicht fort und fort erinnert sein, bei der

Ich nichts gedacht; die, wenn ich drüber denke,

Zum Rätsel von mir selbst mir wird. Zwar möcht'

Ich sie nicht gern bereuen. Aber seht;

Eräugnet so ein Fall sich wieder: Ihr

Seid Schuld, wenn ich so rasch nicht handle; wenn

Ich mich vorher erkund', – und brennen lasse,

Was brennt.

DAJA.

Bewahre Gott!

TEMPELHERR.

Von heut' an tut

Mir den Gefallen wenigstens, und kennt

Mich weiter nicht. Ich bitt' Euch drum. Auch laßt

Den Vater mir vom Halse. Jud' ist Jude.

Ich bin ein plumper Schwab. Des Mädchens Bild

Ist längst aus meiner Seele; wenn es je

Da war.

DAJA.

Doch Eures ist aus ihrer nicht.[233]

TEMPELHERR.

Was solls nun aber da? was solls?

DAJA.

Wer weiß!

Die Menschen sind nicht immer, wie sie scheinen.

TEMPELHERR.

Doch selten etwas Bessers.


Er geht.


DAJA.

Wartet doch!

Was eilt Ihr?

TEMPELHERR.

Weib, macht mir die Palmen nicht

Verhaßt, worunter ich so gern sonst wandle.

DAJA.

So geh', du deutscher Bär! so geh'! – Und doch

Muß ich die Spur des Tieres nicht verlieren.


Sie geht ihm von weiten nach.[234]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 231-235.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Nathan der Weise
Nathan der Weise
Nathan der Weise: Studienausgabe
Nathan der Weise: Handreichungen für den Unterricht. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen
Nathan der Weise: Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Nathan der Weise

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Napoleon oder Die hundert Tage. Ein Drama in fünf Aufzügen

Napoleon oder Die hundert Tage. Ein Drama in fünf Aufzügen

In die Zeit zwischen dem ersten März 1815, als Napoleon aus Elba zurückkehrt, und der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni desselben Jahres konzentriert Grabbe das komplexe Wechselspiel zwischen Umbruch und Wiederherstellung, zwischen historischen Bedingungen und Konsequenzen. »Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt, als wäre sie ein ausgelesenes Buch.« C.D.G.

138 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon